Shutter Island

Shutter Island

Shutter Island

Shutter Island – Originaltitel: Shutter Island – Regie: Martin Scorsese – Drehbuch: Laeta Kalogridis, nach einem Roman von Dennis Lehane – Kamera: Robert Richardson – Schnitt: Thelma Schoonmaker – Musikauswahl: Robbie Robertson – Darsteller: Leonardo DiCaprio, Mark Ruffalo, Ben Kingsley, Max von Sydow, Michelle Williams, Emily Mortimer, Patricia Clarkson, Jackie Earle Haley, Ted Levine, John Carroll Lynch, Elias Koteas u.a. – 2010; 135 Minuten

Inhaltsangabe

Die US-Marshalls Teddy Daniels und Chuck Aule kommen nach Shutter Island, um nach Rachel Solando zu suchen, die aus dem Ashcliffe Hospital für geisteskranke Gewalttäter ausgebrochen ist. Teddy wird von albtraumhaften Erinnerungen an die Befreiung des KZ Dachau heimgesucht. Er erzählt Chuck, seine Frau Dolores sei beim Brand eines Hauses ums Leben gekommen und vertraut ihm an, er wolle nachweisen, dass im Ashcliffe Hospital verbotene Gehirnoperationen durchgeführt werden ...
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Kritik

In dem Psychothriller "Shutter Island", der Verfilmung eines Romans von Denis Lehane durch Martin Scorsese, lassen sich Wahn und Wirklichkeit erst am Ende unterscheiden.

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Die US-Marshalls Edward („Teddy“) Daniels (Leonardo DiCaprio) und Chuck Aule (Mark Ruffalo) werden Mitte der Fünfzigerjahre ins Ashcliffe Hospital auf Shutter Island vor Boston/Massachusetts gerufen. Eine Frau namens Rachel Solando, die vor zwei Jahren ihre drei Kinder in einem See ertränkte, soll aus der schwer bewachten psychiatrischen Klinik für geisteskranke Gewalttäter geflohen sein. Die Marshalls, die sich auf der Fähre zum ersten Mal begegneten, müssen am Eingang des in drei Trakte gegliederten Hospitals ihre Waffen abgeben und werden dann von Deputy Warden McPherson (John Carroll Lynch) zum Anstaltsleiter Dr. Cawley (Ben Kingsley) geführt. Teddy und Chuck wundern sich, als es heißt, Dr. Sheehan, Rachel Solandos behandelnder Psychiater, sei an diesem Morgen, wenige Stunden nach dem Verschwinden seiner Patientin, an Bord der Fähre gegangen, um eine geplante Urlaubsreise anzutreten. Cawley erklärt den Marshalls, Rachel Solando habe den Tod ihrer Kinder ebenso wenig wie ihre Einweisung in die Klinik realisiert; sie halte die anderen Patienten und die Pfleger für Nachbarn und Lieferanten.

Als die Marshalls am Abend Dr. Naehring (Max von Sydow) vorgestellt werden, glaubt Teddy, er habe den aus Deutschland stammenden Psychiater schon einmal gesehen, und zwar im April 1945 bei der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau. Teddy gehörte damals als GI zu den Befreiern, und er hält nun Dr. Naehring für einen der KZ-Ärzte, die mit den Gefangenen Menschenversuche durchgeführt hatten.

Er vertraut Chuck an, dass er sich für diesen Einsatz gemeldet habe, weil er von seinem früheren Kommilitonen George Noyce (Jackie Earle Haley) erfuhr, dass auf Shutter Island heimlich mit Patienten experimentiert wird. Nachdem George an angeblich harmlosen psychologischen Experimenten teilgenommen hatte, wurde er gewalttätig und deshalb nach Shutter Island gebracht. Der von Senator Joseph McCarthy geleitete Ausschuss für unamerikanische Umtriebe finanziere das Ashcliffe Hospital, erklärt Teddy. Er wolle diese Machenschaften aufdecken. Es gibt noch einen weiteren Grund für sein besonderes Interesse, sich im Ashcliffe Hospital umzusehen: Seine Ehefrau Dolores (Michelle Williams) starb durch ein Feuer in einem Wohngebäude, das der Hausmeister Andrew Laeddis (Elias Koteas) gelegt hatte. Und den Brandstifter vermutet Teddy ebenfalls im Ashcliffe Hospital.

Chuck gibt Teddy daraufhin zu bedenken, ob er nicht möglicherweise hierher gelockt wurde und es Rachel Solando gar nicht gebe.

Teddy wird von Kopfschmerzen und traumatischen Erinnerungen an Leichenberge im KZ Dachau geplagt. In seinen Albträumen sieht er, wie die amerikanischen Soldaten ein Massaker unter den wehrlosen Wachmannschaften anrichten. Immer wieder glaubt er, dass Dolores bei ihm ist und mit ihm redet.

Die über die mangelhafte Kooperation der Anstaltsleitung verärgerten Marshalls können ihre Drohung, am nächsten Morgen wieder abzureisen, nicht verwirklichen, weil der Fährbetrieb aufgrund einer Hurrikan-Warnung eingestellt wird.

Die Patientin Bridget Kearns (Robin Bartlett) kritzelt auf einen Zettel, den sie Teddy verschwörerisch zuschiebt: „RUN“. Doch ohne Fähre gibt es keine Möglichkeit, die Insel zu verlassen, und Teddy hat auch gar nicht vor, seine Nachforschungen abzubrechen. Allerdings erklärt Cawley überraschend, der Einsatz sei beendet, denn man habe die Ausbrecherin zurückgebracht. Und er zeigt den Marshalls eine Frau (Emily Mortimer), von der er behauptet, sie sei Rachel Solando. Teddy fällt sofort auf, dass ihre Füße nicht aufgeschürft sind, obwohl sie barfuß unterwegs gewesen sein soll.

Als die elektrischen Überwachungsanlagen aufgrund des Wirbelsturms ausfallen, nutzen die Marshalls die Gelegenheit, um in die zur Klinik gehörende Festung vorzudringen. Dort findet Teddy George Noyce. Der weckt seinen Argwohn gegen Chuck. Möglicherweise arbeitet der andere Marshall mit der Klinikleitung gegen ihn zusammen. Teddy besteht deshalb darauf, seine Ermittlungen von nun an allein durchzuführen.

In einer Höhle findet er Rachel Solando (Patricia Clarkson). Sie behauptet, nie verheiratet gewesen zu sein und auch keine Kinder zu haben. Sie sei als Ärztin im Ashcliffe Hospital tätig gewesen, und als sie sich aufgrund von Gerüchten nach geheimen neurochirurgischen Eingriffen im Leuchtturm von Shutter Island erkundigt habe, sei sie einer Gehirnwäsche unterzogen worden. Mit Gehirnoperationen mache man aus den Patienten gewaltbereite, gegen Kommunisten einsetzbaren Spezialagentin, die jeden Befehl kritiklos befolgen. Rachel schürt Teddys Argwohn, die von Cawley erbetenen Kopfschmerztabletten könnten Psychopharmaka gewesen sein und bereits Wirkung zeigen. Das erkläre seine Halluzinationen, die Kopfschmerzen und das Zittern seiner Hände.

Am nächsten Morgen drängt Rachel ihn, sie zu verlassen, denn man halte zwar sie für tot, aber nach ihm werde gesucht.

Teddy kehrt ins Ashcliffe Hospital zurück. Cawley geht davon aus, dass er nach dem Sturm abreist. Als Teddy fragt, wo sein Kollege sei, erklärt ihm der Psychiater, er sei allein gekommen. Daraufhin befürchtet Teddy, dass Chuck in den Leuchtturm gebracht wurde. Er nimmt sich vor, ihn zu befreien, obwohl Dolores ihn vor dem Betreten des Leuchtturms warnt.

Er schiebt eine Krawatte in den Tank eines Autos und zündet sie an. Die Explosion verursacht ein Chaos, und das nutzt Teddy, um zum Leuchtturm zu schwimmen. Dort schlägt er einen Wachposten nieder, nimmt dessen Gewehr und dringt in das Gebäude ein. Stockwerk für Stockwerk arbeitet er sich nach oben vor. Die Räume werden offenbar seit langem nicht mehr benutzt. Erst als er ganz oben eine Tür eintritt, stößt er auf Cawley, der dort am Schreibtisch sitzt. Ruhig macht der Arzt ihn darauf aufmerksam, dass das Gewehr nicht geladen sei. Dann telefoniert er mit Dr. Sheehan und bittet ihn, auf dem Weg zum Leuchtturm nach dem niedergeschlagenen Wachmann zu schauen.

Als Teddy sagt, Dr. Rachel Solando habe ihn vor Cawley gewarnt, behauptet dieser, es habe nie eine Rachel Solando gegeben. Teddy, der seit zwei Jahren Patient im Ashcliffe Hospital sei und in Wirklichkeit Andrew Laeddis heiße, habe sich das nur eingebildet. Auf einer Wandtafel zeigt er, dass es sich bei den Namen Edward Daniels und Andrew Laeddis ebenso wie bei Rachel Solando und Dolores Chanal um Anagramme handelt. Andrew sei der gefährlichste Patient auf Shutter Island, weil er nicht wahrhaben wolle, dass er seine Frau Dolores erschoss und zu Gewaltausbrüchen neige. Er habe auch George Noyce schwer verletzt, weil dieser ihn Laeddis nannte. Cawley meint, er werde bei Andrew wohl eine Lobotomie vornehmen müssen, weil keine andere Therapie gewirkt habe.


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Chuck kommt herein, und Teddy begreift, dass es sich nicht um einen Marshall handelt, sondern um den Psychiater Dr. Sheehan.

Nun erinnert er sich wieder, wie er im Frühjahr 1952 von einem Einsatz als Marshall nach Hause kam. Dolores saß klatschnass im Garten, und als er nach den Kindern fragte, behauptete sie, die seien in der Schule. Aber da sah er die Leichen von Simon, Henry und Rachel (Aidan Mitchell, Drew Beasley, Ruby Jerins) im Wasser treiben. Verzweifelt trug er sie an Land. Dolores, die seit einiger Zeit unter einer schweren bipolaren Störung litt, hatte die Kinder ertränkt. Sie schlug vor, sie hübsch anzuziehen und wie Puppen an den Tisch zu setzen. Während Dolores ihn umarmte, erschoss er sie. Deshalb wurde er ins Ashcliffe Hospital gebracht.

Andrew wirft sich vor, schuld am Tod der Kinder zu sein, weil er die psychische Erkrankung seiner Ehefrau nicht ernst nahm und ihr nicht half, über die Depressionen hinwegzukommen.

Die Ärzte erklären ihm, er sei wahrscheinlich bei der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau gar nicht dabei gewesen. Dabei erschossen US-Soldaten am 29. April 1945 völkerrechtswidrig Wachmännern, aber nach Meinung der Psychiater bildet Andrew sich seine Teilnahme an dem Massaker ein, um zu verdrängen, dass er seine Frau erschoss. In den letzten beiden Tagen habe man ein neuartiges Rollenspiel mit Andrew durchgeführt, erklärt Cawley, und zwar in der Hoffnung, ihn von seinen Wahnvorstellungen zu befreien. Seine Kopfschmerzen und das Zittern seiner Hände seien nicht auf die heimliche Verabreichung von Psychopharmaka zurückzuführen, sondern im Gegenteil eine Folge des vorübergehenden Entzugs der Medikamente.

Andrew erkennt die Wahrheit an. Das habe er vor neun Monaten schon einmal getan, sagt Cawley, und sei dann doch wieder seinen Wahnvorstellungen erlegen.

Am nächsten Morgen setzt Sheehan sich zu Andrew. Der scheint ihn nun wieder für Marshall Chuck Aule zu halten. Jedenfalls spricht er ihn mit dem Namen Chuck an und redet von den Machenschaften der Ärzte. Cawley, Naehring und einige Pfleger warten in der Nähe. Als Sheehan ihnen ein Zeichen gibt, gehen sie los, und Andrew bemerkt chirurgische Instrumente, die sie bei sich haben. „Was wäre schlimmer“, fragt er. „Zu leben wie ein Monster, oder als guter Mann zu sterben?“ Er steht auf und schließt sich der Gruppe der Ärzte und Pfleger an. Als Sheehan ihn „Teddy“ ruft, dreht er sich nicht um.

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Der Psychothriller „Shutter Island“ von Martin Scorsese basiert auf dem gleichnamigen, 2003 von Dennis Lehane (* 1966) veröffentlichten Roman („Shutter Island“, Übersetzung: Andrea Fischer, Ullstein Verlag, München 2004, ISBN: 3-550-08457-9).

Ein Mann, der wohl nicht zufällig wie John Ferguson in „Vertigo“ gekleidet ist, wird von traumatischen Erlebnissen überwältigt. Er glaubt, am 29. April 1945 als GI an einem Kriegsverbrechen während der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau beteiligt gewesen zu sein und argwöhnt, dass in der streng bewachten psychiatrischen Anstalt auf Shutter Island, in der er sich Mitte der Fünfzigerjahre umsieht, im Auftrag des Senators Joseph McCarthy Menschenversuche durchgeführt werden.

Der Regisseur [Martin Scorsese] nimmt die ziemlich klobige Krimi-Vorlage des „Mystic River“-Autors Dennis Lehane und verwandelt sie in eine wahre Pulp-Symphonie, in der sämtliche kollektive Traumata der Nachkriegszeit verhandelt werden: Das Kino als Zugang zum Unterbewusstsein einer Nation.
Der 140-Minuten-Reigen, vielleicht der beste Film, den Scorsese seit „GoodFellas“ gedreht hat, ist eine wahre Zumutung: Einerseits wird hier den historischen Wahrheiten in der Bilderwelt des klassischen Pulp Movies nachgespürt – und andererseits jede erinnerte Aufnahme in Frage gestellt. Das macht „Shutter Island“ zu einer hoch schizophrenen Angelegenheit, zu Kino in seiner pursten und perfidesten Form.
(Christian Buß, „Der Spiegel“, 24. Februar 2010)

Erzählt wird im Stil des film noir und weitgehend aus der Perspektive des von Leonardo DiCaprio gespielten Protagonisten. Was wir sehen, wirkt düster, verstörend und teilweise unwirklich. Lange Zeit können wir nicht zwischen Wahnvorstellungen und der Wirklichkeit unterscheiden. Erst gegen Ende wird alles zurechtgerückt.

Die Musikuntermalung wirkt zumindest in einigen Passagen zu laut und bombastisch.

Zu hören sind Ausschnitte aus:

  • Ingram Marshall: Fog Tropes
  • Krzysztof Penderecki: Sinfonie Nr. 3
  • John Cage: Music for Marcel Duchamp
  • Nam June Paik: Hommage à John Cage
  • György Ligeti: Lontano
  • Morton Feldman: Rothko Chapel 2
  • Johnnie Ray: Cry
  • Max Richter: On the Nature of Daylight
  • Giacinto Scelsi: Uaxuctum
  • Gustav Mahler: Klavierquartett in a-Moll
  • John Adams: Christian Zeal and Activity
  • Lou Harrison: Suite for Symphonic Strings
  • Brian Eno: Lizard Point
  • Alfred Schnittke: Hymns 2 for Cello and Double Bass
  • John Cage: Root of an Unfocus
  • Ingram Marshall: Prelude – The Bay
  • Kay Starr: Wheel of Fortune
  • Lonnie Johnson: Tomorrow Night
  • Dinah Washington und Max Richter: This Bitter Earth; On the Nature of Daylight

Die Dreharbeiten fanden im zweiten Quartal des Jahres 2008 statt, und zwar im Acadia-Nationalpark an der Küste von Maine, in Boston Harbor und Taunton/Massachusetts.

Bei der Abbildung auf dem Filmplakat handelt es sich übrigens um den Leuchtturm von Warnemünde.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012

Martin Scorsese (Kurzbiografie)

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Martin Scorsese: Hexenkessel
Martin Scorsese: Taxi Driver
Martin Scorsese: Wie ein wilder Stier
Martin Scorsese: The King of Comedy
Martin Scorsese: Die Farbe des Geldes
Martin Scorsese: Die letzte Versuchung Christi
Martin Scorsese u. a.: New Yorker Geschichten
Martin Scorsese: Goodfellas
Martin Scorsese: Kap der Angst
Martin Scorsese: Zeit der Unschuld
Martin Scorsese: Casino
Martin Scorsese: Kundun
Martin Scorsese: Bringing Out the Dead. Nächte der Erinnerung
Martin Scorsese: Gangs of New York
Martin Scorsese: Aviator
Martin Scorsese: Departed. Unter Feinden
Martin Scorsese: Hugo Cabret
Martin Scorsese: The Wolf of Wall Street
Martin Scorsese: Silence

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