Inzest
Als Inzest (lat. incestus = unrein, frevelhaft) oder Blutschande werden sexuelle Beziehungen zwischen nahen Verwandten bezeichnet. Einigkeit besteht darüber, dass es sich beim Geschlechtsverkehr von Geschwistern und Verwandten in gerader Linie (Großeltern, Eltern, Kinder) um Inzest handelt. Der Beischlaf zwischen Cousins und Cousinen zweiten Grades (gemeinsame Urgroßeltern) gilt dagegen in der Regel nicht als Inzest. Unterschiedlich ist die Einordnung sexueller Beziehungen zwischen Cousins und Cousinen ersten Grades (gemeinsame Großeltern) sowie zwischen Schwager und Schwägerin.
Während Geschwisterehen beispielsweise bei den Pharaonen in Ägypten üblich waren, gilt Inzest heute in fast allen Kulturkreisen als Tabu, Sünde bzw. Straftatbestand. In Deutschland wird allerdings nur der Koitus von Geschwistern (auch Halbgeschwistern) und Verwandten in gerader Linie geahndet, und Beteiligte unter achtzehn Jahren bleiben straffrei. Eine Adoption ändert nichts daran, dass der Koitus zwischen leiblichen Verwandten als Inzest gilt. Andere Formen sexueller Beziehung als der Koitus werden vom Strafgesetzbuch nicht erfasst.
Während die Kreuzung verwandter Organismen – man spricht in diesem Fall von Inzucht – beispielsweise bei der Zucht von Nutzpflanzen und –tieren zur verstärkten Ausprägung gewünschter Merkmale führen kann, besteht dabei zugleich für die Nachkommen ein größeres Risiko, an Erbkrankheiten zu leiden. Ursache ist die im Fall naher Verwandtschaft erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass beide Elternteile gleiche rezessive Erbmerkmale aufweisen. Treffen sie bei der Fortpflanzung in der befruchteten Eizelle aufeinander [Genetik], exprimieren sich die bei den Eltern rezessiven Merkmale im Phänotypus des bzw. der Nachfahren. Zuverlässige Angaben über die Häufigkeit des Auftretens einer Erbkrankheit oder Degeneration bei Inzucht bzw. Inzest fehlen zwar, aber das Risiko ist beträchtlich.
Inzucht war früher im europäischen Hochadel verbreitet und trat auch in abgeschiedenen, isolierten Gegenden auf.
In Dichtung und Literatur ist Inzest ein häufiges Thema. Beispielsweise handelt die Ödipussage vom Sohn des Königs von Theben, der als Säugling ausgesetzt wird und später unwissentlich seiner Mutter Iokaste beiwohnt, nachdem er ebenso ahnungslos seinen Vater Laios erschlug. In der Oper „Die Walküre“ von Richard Wagner wird Siegfried von den Zwillingen Siegmund und Sieglinde gezeugt. Von Thomas Mann stammt die Novelle „Wälsungenblut“.
Inzest in der Literatur (Beispiele):
- Maxim Biller: Die Tochter
- Jeffrey Eugenides: Middlesex
- Max Frisch: Homo faber
- Zeina B Ghandour: Der Honig
- John Irving: Das Hotel New Hampshire
- Gabriel García Márquez: Hundert Jahre Einsamkeit
- Ian McEwan: Der Zementgarten
- Adolf Muschg: Der Zusenn oder das Heimat
- Alain Robbe-Grillet: Die Wiederholung
- Robert Schneider: Schlafes Bruder
- Marguerite Yourcenar: Anna, soror …
Inzest im Film (Beispiele):
- Bruno Barreto: Im Herzen der Rache
- Ingmar Bergman: Das Schweigen
- Andrew Birkin: Der Zementgarten
- Claude Chabrol: Die Blume des Bösen
- Claude Faraldo: Themroc
- Max Färberböck: Bella Block. Die Kommissarin
- Christian Görlitz: Das Böse
- Lasse Hallström: Gottes Werk und Teufels Beitrag
- Louis Malle: Herzflimmern
- François Ozon: Sitcom
- Tony Richardson: Das Hotel New Hampshire
- Volker Schlöndorff: Homo faber
- Sven Taddicken: Mein Bruder, der Vampir
- Joseph Vilsmaier: Schlafes Bruder
- Jeanette Wagner: liebeskind
© Dieter Wunderlich 2007