Don't Come Knocking

Don’t Come Knocking

Don't Come Knocking

Originaltitel: Don't Come Knocking - Regie: Wim Wenders - Drehbuch: Sam Shepard - Kamera: Franz Lustig - Schnitt: Peter Przygodda und Oli Weiss - Musik: T Bone Burnett - Darsteller: Sam Shepard, Jessica Lange, Tim Roth, Gabriel Mann, Sarah Polley, Fairuza Balk, Eva Marie Saint, George Kennedy u.a. - 2005; 120 Minuten

Inhaltsangabe

Howard Spence ist seit 30 Jahren Hollywood-Schauspieler. Während der Dreharbeiten zu einem Cowboy-Film im Monument Valley reitet er plötzlich ohne ein Wort davon und besucht nach 30 Jahren erstmals wieder seine Mutter. Als sie ihm erzählt, vor etwa 30 Jahren habe eine Frau angerufen und behauptet, er sei der Vater ihres Neugeborenen, hofft Howard, dass ein Leben doch mehr ist als die Summe aus Berühmtheit, Sex, Drogen und Alkohol ...
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Kritik

Wie immer nimmt Wim Wenders sich auch in "Don't Come Knocking" sehr viel Zeit und verweilt lange bei einzelnen Szenen, aber er baut damit auch eine deutlich spürbare Atmosphäre der Verlorenheit auf. Vieles bleibt märchenhaft und unbegreiflich.
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Der alternde Amerikaner Howard Spence (Sam Shepard) ist seit dreißig Jahren Filmschauspieler. Den Zenit seiner Hollywood-Karriere hat er zwar längst überschritten, aber er ist der Held eines neuen Western, der gerade im Monument Valley gedreht wird.

Ohne ein Wort zu sagen, reitet Howard plötzlich in seinen Cowboy-Outfit wie in einer Marlboro-Reklame davon. An einer einsamen Poststation weckt er den einzigen Menschen, den er dort findet und tauscht seine Sporen gegen das verschwitzte Hemd und die verschlissene Weste des alten Mannes. Dann schenkt er ihm auch noch sein neues Hemd, die bestickte Jacke und den Wallach, bevor er zu Fuß zur nächsten Bahnstation aufbricht.

Der Mann, der den guten Tausch gemacht hat, wird kurz darauf von einer Polizeistreife überprüft: Man sucht fieberhaft nach Howard, denn der Regisseur (George Kennedy) im Monument Valley weiß nicht mehr, was er ohne seinen Hauptdarsteller drehen soll, zumal das Starlet (Marley Shelton) nicht in der Lage ist, vorübergehend mit einem im Bild nicht zu sehenden Ersatzmann als Filmpartner zu spielen. Die Versicherungsgesellschaft der Filmproduzenten lässt einen Privatdetektiv mit einem Hubschrauber einfliegen: Sutter (Tim Roth) nimmt die Verfolgung des vertragsbrüchigen Schauspielers auf.

Per Eisenbahn, Leihwagen und Überlandbus schlägt Howard sich zu seiner Mutter Lola (Eva Marie Saint) in Elko, Nevada, durch, die er seit dreißig Jahren nicht mehr gesehen hat. Um Spuren zu vermeiden, zertrümmert er sein Handy und zerstört seine Kreditkarten, nachdem er das Geld von seinen Konten an einem Bankautomaten abgehoben hat. Seine Mutter begrüßt ihn am Busbahnhof und lässt sich kurz umarmen, aber sie weint keine Tränen der Wiedersehensfreude: Die gelassene ältere Dame ist mit sich im Reinen. Dann geht sie mit Howard zum Friedhof und legt neue Plastikblumen auf das Grab seines 1982 gestorbenen Vaters. Beim Kaffeetrinken in einem Diner ärgert sie sich über ihren Sohn, weil er tobt und aus dem Lokal rennt, nur weil jemand ihn von früher kennt und angafft. Lola verkaufte die Farm, auf der Howard aufgewachsen war, nach dem Tod ihres Mannes und wohnt seither in einem Haus in der Stadt. Im Souterrain hat sie Howard ein Bett hergerichtet und ein Album mit den von ihr gesammelten Zeitungsausschnitten hingelegt: Reportagen der Yellow Press über Drogenmissbrauch, Orgien, Affären und Verhaftungen.

Nach einer im nahen Spielkasino durchzechten Nacht wird Howard von einem Polizisten (Raymond O’Connor) nach Hause gebracht. Seine Mutter hat den Frühstückstisch gedeckt, aber er mag weder seinen Orangensaft trinken noch sein Rührei essen. Fast beiläufig teilt Lola ihm mit, vor ungefähr dreißig Jahren sei sie von einer Frau angerufen worden, die sich nach Howard erkundigte und behauptete, er sei der Vater ihres gerade geborenen Kindes. Wie die junge Mutter hieß, weiß Lola nicht mehr, aber sie erinnert sich noch, dass der Anruf aus Montana kam.

Howard blättert in den Zeitungsausschnitten und findet einen Hinweis: Vor dreißig Jahren drehte er in Butte, Montana, seinen ersten Western – „Just like Jesse James“ – und hatte eine Liebesaffäre mit Doreen, einer Kellnerin im Café „M & M“. Während Howard im Souterrain den Ordner durchsieht, hört er, wie es an der Tür klingelt. Ein Fremder – es handelt sich um Sutter – erkundigt sich nach ihm, aber seine Mutter behauptet, ihn seit dreißig Jahren nicht mehr gesehen zu haben und nichts von ihm zu wissen.

Mit dem alten Packard seines verstorbenen Vaters macht Howard sich auf den Weg nach Butte, das inzwischen zu einer öden Industriestadt verkommen ist, und bestellt im „M & M“ eine Tasse Kaffee. Das Café wird inzwischen von Doreen (Jessica Lange) betrieben. Statt der unerfahrenen Kellnerin hat Howard eine dreißig Jahre ältere selbstbewusste Frau vor sich, die ihren Sohn allein erzogen hat. Sie lotst Howard in eine Bar, wo ein Neunundzwanziger namens Earl (Gabriel Mann) auf der Bühne steht und singt. Das sei sein Sohn, sagt Doreen zu Howard am Tresen und verlässt das Lokal.

Als Earl eine Pause ansagt, mit seiner Freundin Amber (Fairuza Balk) ins Freie geht und sie dort küsst, fühlt er sich von Howard belauert und verfolgt. Amber hält den Fremden für einen Drogenpolizisten. Mutlos steigt Howard in sein Auto, aber als Earl ihn anbrüllt, ruft er ihm beim Wegfahren zu, er sei sein Vater. Amber lacht sich schief über den vermeintlichen Schnüffler, der behauptet, Earls Vater zu sein, aber der junge Mann ist entsetzt. Am nächsten Tag stellt er seine Mutter zur Rede. Sie bestätigt, dass es sich um seinen Vater handelt. Als Kind hatte Earl unter dem Fehlen seines Vaters gelitten, aber später fand er sich damit ab und jetzt will er keinen Vater mehr haben. Um seine Aufregung abzureagieren, wirft Earl die Einrichtung seiner Wohnung aus dem Fenster.

Aber auch Howard fühlt sich verfolgt: Eine junge Frau mit einer Urne in der Hand folgt ihm überall hin und sucht ihn sogar in seinem Hotelzimmer auf. Sie heißt Sky (Sarah Polley) und hat gerade ihre verstorbene Mutter einäschern lassen. Mit der Urne fuhr sie in ihre Geburtsstadt Butte, um die Asche hier zu verstreuen. Howard schickt sie fort, aber sie hält ihn für ihren Vater. Über den Internet-Anschluss im „M & M“ findet sie heraus, dass er vom Set im Monument Valley verschwunden ist und gesucht wird.

Howard geht zu seinem Sohn, aber die beiden wissen nicht, wie sie miteinander umgehen sollen und geraten sofort wieder aneinander. Während Earl wegläuft, verbringt sein Vater die Nacht auf einer von Earl auf die Straße geworfenen Couch. Sky setzt sich zu ihm, bis sie im Morgengrauen zu einer überdimensionalen Lichtreklame des „M & M“ an einem Hang geht und dort die Asche aus der Urne verstreut. Als sie zurückkommt, ist Howard fort, aber sie spricht mit Earl und Amber.

Inzwischen begegnen Howard und Doreen sich in einer Straße. Howard bedauert es, sie damals nicht geheiratet und mit ihr zusammen eine Familie gegründet zu haben. Als er ihr vorschlägt, das Versäumte nachzuholen, lacht sie ihn aus und wird zornig. Mitten auf dem menschenleeren Gehsteig, vor den Fenstern eines Fitness-Studios, schreit sie ihn an und prügelt auf ihn ein: Sie denkt nicht daran, ihm dabei zu helfen, seine Lebenslügen zu bewahren. Dann küsst sie ihn unvermittelt und geht weiter.

Frustriert geht Howard zu seinem geparkten Auto, um Butte zu verlassen. An der Fahrertür lehnt ein Obdachloser, der 50 Dollar von ihm verlangt. Howard hält ihm einen Dollar hin, aber der Penner zerreißt den Schein und protestiert gegen die Beleidigung. Als Howard sich in den Wagen setzt und den Motor anlässt, zieht der Mann eine Pistole und zerschießt ihm den linken Vorderreifen. Daraufhin wirft Howard ihm das ganze Geld hin, das er bei sich hat, fährt auf der Felge ein Stück weiter und lehnt sich dann erschöpft über das Lenkrad.

So findet Sutter ihn. Der Privatdetektiv fordert ihn zum Aussteigen aus, legt ihm Handschellen an und will ihn unverzüglich zum Set zurückbringen. Aber Howard ersucht ihn, sich zuvor noch von seinen Kindern verabschieden zu dürfen und führt ihn zu dem Haus, in dem Earl wohnt. Sky umarmt Howard zum Abschied; Earl ist unsicher, wie er sich verhalten soll. Howard wirft ihm die Wagenschlüssel zu und schenkt ihm den Oldtimer des Großvaters.

Während die Dreharbeiten im Monument Valley endlich fortgeführt werden können und Howard sich in einer Filmszene von seiner jungen Geliebten verabschiedet und in die Abendsonne reitet, machen Sky, Earl und Amber sich gut gelaunt in dem alten Packard auf den Weg zu ihm. Dabei passieren sie ein Straßenschild nach „Wisdom“ …

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Ein Farmersohn wurde zum Hollywoodstar, verlor darüber aber seine Wurzeln, sein Zuhause und seine emotionalen Bindungen. Auf der Suche nach seiner Identität verlässt er den Set und besucht nach dreißig Jahren erstmals wieder seine Mutter. Als er von ihr erfährt, dass er möglicherweise Vater eines Kindes ist, sucht er danach. Ist sein Leben vielleicht doch mehr als die Summe aus Berühmtheit, erotischen Abenteuern, Orgien, Drogen- und Alkoholmissbrauch? In einer heruntergekommenen Industriestadt findet der Antiheld die Frau, mit der er vor dreißig Jahren eine Familie hätte gründen können, einen erwachsenen Sohn und eine junge Frau, die sich für seine Tochter hält. In „Don’t Come Knocking“ geht es nicht um einen verlorenen Sohn, sondern um einen verlorenen Vater. Wim Wenders proträtiert einen Verlorenen, der im Alter erkennt, dass er sein Leben verpasst hat und verzweifelt nach einem Halt sucht.

Die grandiose Landschaft im Monument Valley bildet die Kulisse für ein anachronistisches Filmgenre: den Western. Das eigentliche Geschehen spielt in einer Industriestadt mit menschenleeren Straßen, in denen es niemanden kümmert, wenn jemand verstört seine Wohnungseinrichtung auf die Straße wirft. Die Fassaden und Straßenfluchten vor blauem Himmel in „Don’t Come Knocking“ sehen wie Gemälde von Edward Hopper aus.

Wie in allen seinen Filmen nimmt Wim Wenders sich auch in „Don’t Come Knocking“ sehr viel Zeit und verweilt lange bei einzelnen Szenen, aber er baut damit auch eine deutlich spürbare Atmosphäre der Verlorenheit auf. Vieles – wie das Auftauchen des Mädchens mit der Urne – bleibt märchenhaft und unbegreiflich.

Man sieht, dass Wenders David Lynch ein gutes Stück näher gekommen ist […] Das heißt, dass kaum eine der Aktivitäten und Handlungen hier einen definitiven Gegenwert an Sinn und tieferer Bedeutung erhält […] Das heißt, dass die Menschen hier immer unangemessen reagieren, egal ob in Gelassenheit oder am Rande zur Hysterie […] Das heißt, dass der Film wunderbar balanciert zwischen Naivität und extremer Künstlichkeit, den Manierismus zur natürlichen Tugend erklärt. (Fritz Göttler in „Süddeutsche Zeitung“, 24. August 2005)

Sam Shepard spielt die Rolle des Gescheiterten in „Don’t Come Knocking“ sehr überzeugend und mit etwas Selbstironie. Er und seine Filmpartnerin Jessica Lange sind im richtigen Leben ein Ehepaar. Eva Marie Saint, die als ausgeglichene alte Dame auftritt, erhielt mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor einen „Oscar“ für ihre Rolle in „Die Faust im Nacken“ (1954).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005

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