Alkoholkrankheit, Alkoholabhängigkeit


Lässt bei einer Person aufgrund des Genusses von Bier, Wein oder Spirituosen die Reaktionsfähigkeit deutlich nach oder verliert sie sogar die Orientierung (Rausch), spricht man von Alkoholmissbrauch. Zu den Symptomen des Alkoholmissbrauchs bzw. der Alkoholintoxikation gehören auch Schwierigkeiten bei der Artikulation bzw. Koordination motorischer Funktionen, Verhaltensänderungen (Enthemmung, Aggressivität, Weinen) und amnestische Störungen („Filmriss“). Wird daraus ein zwanghaftes Bedürfnis, Alkohol zu konsumieren, liegt eine – psychische und/oder physische – Abhängigkeit vor.

Bei der Entstehung der Alkoholabhängigkeit (Alkoholkrankheit; veraltet: Alkoholismus, Trunksucht) spielen vermutlich mehrere Faktoren in der Psyche des Einzelnen und in seiner Umgebung zusammen. Bei Kindern von Alkoholikern ist die Morbidität besonders hoch, aber das liegt eher an der Sozialisierung als an genetischen Defekten. Ein mangelndes Selbstbewusstsein oder gar Minderwertigkeitskomplexe, das Fehlen einer Zukunftsperspektive, Hoffnungslosigkeit oder Kontaktstörungen können zur Alkoholkrankheit beitragen. Mit Hilfe des Alkohols mindert die abhängige Person Ängste, Aggressionen, Gefühle der Hilflosigkeit oder Hemmungen, und sie versucht, die negativ besetzte Wirklichkeit zu vergessen (Realitätsflucht).

Menschen, die beim Genuss alkoholischer Getränke eine Erleichterung, einen Abbau von Spannungen und Belastungen verspüren („Alpha-Trinker“), werden alkoholkrank, wenn sie diesen Zustand immer wieder herzustellen versuchen. Da sie nicht betrunken wirken, fällt diese Form der Alkoholabhängigkeit nur selten auf.

Im Lauf der Zeit kann dabei ein Gewöhnungseffekt auftreten; dann muss zur Erzielung der angestrebten Wirkung die konsumierte Alkoholmenge gesteigert werden. Alkoholkranke, die die Kontrolle über ihren Alkoholkonsum verloren haben, erfinden häufig scheinbar rationale Erklärungen für ihr Verhalten, um sich und ihre Angehörigen darüber hinwegzutäuschen. Alkoholabhängige bauen den Konsum von Bier, Wein oder Spirituosen in ihren gewohnten Tagesablauf ein. Durch die Alkoholkrankheit kann es auch zur Vernachlässigung der Ernährung kommen. Charakteristisch ist das Bedürfnis eines Alkoholkranken, einen Vorrat an alkoholischen Getränken anzulegen und diesen vor Angehörigen zu verstecken. In Ermangelung von Bier, Wein und Spirituosen oder zu Täuschungszwecken schlucken Abhängige auch alkoholhaltige Hustensäfte, Parfum und andere Mittel. Die physische Abhängigkeit vom Alkohol führt in schweren Fällen dazu, dass die Hände des Kranken zittern, sobald die Konzentration des Alkohols im Blut unter einen bestimmten Wert sinkt. Ein Alkoholkranker ist dann unter Umständen erst fähig, sich eine Zigarette anzuzünden, wenn er etwas getrunken hat und der Tremor nachlässt.

Eine Besonderheit sind episodische Trinker („Quartalssäufer“), die über längere Zeit hinweg abstinent sein können, dann unvermittelt bis zur Besinnungslosigkeit Alkohol konsumieren und am nächsten Morgen oder nach einigen wenigen Tagen wieder damit aufhören. Ähnlich verhält es sich mit dem so genannten „Komasaufen“, bei dem vor allem Jugendliche sich bis zum Umfallen betrinken. Das führt mitunter zu tödlichen Alkoholvergiftungen.

Alkoholabhängigkeit hat physische, psychosomatische, psychische und psychosoziale Folgen.

Durch eine Überlastung der Leber kommt es zu Fetteinlagerungen; das für die Entgiftung des Körpers wichtige Organ vergrößert sich, bis es schließlich aufgrund des Absterbens von Zellen irreversibel zusammenschrumpft und hart wird (Leberzirrhose). Als kritisch für die Leber gelten beim Mann 50, bei der Frau 20 Gramm Alkohol pro Tag, also zum Beispiel zwei bzw. ein Schoppen Wein.

Durch anhaltenden Alkoholmissbrauch kann es zu psychosomatichen Ausfällen bis hin zur Demenz und zum Korsakow-Syndrom kommen.

Häufig sind auch Wesensänderungen wie zum Beispiel eine gesteigerte Reizbarkeit oder eine zunehmende Interesselosigkeit, die ihrerseits zu beruflichen Schwierigkeiten und Problemen mit Lebenspartnern führen können.

Bleibt der gewohnte Alkoholkonsum aus – etwa durch eine Erkrankung oder eine Entziehungskur – treten Entzugserscheinungen auf: Unruhe und Panik, Kreislaufprobleme, Übelkeit und Erbrechen (Nausea), Tremor, Muskelkrämpfe, Halluzinationen („weiße Mäuse“). Das „Delirium tremens“, das nicht nur durch den Entzug, sondern auch bei hoher Alkoholintoxikation auftritt, kann tödlich enden.

Schätzungsweise 40 000 Menschen sterben in Deutschland pro Jahr an den Folgen des Alkoholmissbrauchs (Süddeutsche Zeitung, 4. Mai 2006).

Literatur über Alkoholkrankheit

  • Lothar Schmidt: Alkoholkrankheit und Alkoholmissbrauch.
    Definition, Ursachen, Folgen, Behandlung (1986 / 1997)
  • Ingo Schäfer und Michael Krausz (Hg.): Trauma und Sucht.
    Konzepte, Diagnostik, Behandlung (2006)

© Dieter Wunderlich 2005 – 2013

Drogenmissbrauch

Romane und Kinofilme über Alkoholkrankheit:
– Julian Barnes: Die einzige Geschichte
– Ciro Cappellari: Sehnsucht
– Mike Figgis: Leaving Las Vegas
Hans Fallada: Der Trinker
– Patrick Hamilton: Hangover Square
– Charles Jackson: Das verlorene Wochenende
– A. L. Kennedy: Paradies
– Malcolm Lowry: Unter dem Vulkan
– Jacques Maillot: Heute habe ich nicht getrunken
Joseph Roth: Die Legende vom heiligen Trinker
– Margarethe von Trotta: Dunkle Tage

Patrick McCabe - Der Schlächterbursche
Patrick McCabe erzählt in seinem Roman "Der Schlächterbursche" die Entwicklung eines Heranwachsenden aus dessen Perspektive und in dessen Sprache. Trotz der Brutalität wirkt die psychologisch subtile Darstellung auf beklemmende Weise auch komisch.
Der Schlächterbursche