Palermo Shooting

Palermo Shooting

Palermo Shooting

Palermo Shooting – Originaltitel: Palermo Shooting – Regie: Wim Wenders – Drehbuch: Norman Ohler, Wim Wenders, Bernd Lange – Kamera: Franz Lustig – Schnitt: Peter Przygodda, Mirko Scheel, Oli Weiss – Musik: Irmin Schmidt – Darsteller: Campino, Giovanna Mezzogiorno, Dennis Hopper, Sebastian Blomberg, Milla Jovovich, Udo Samel, Letizia Battaglia, Inga Busch, Melika Foroutan, Jana Pallaske, Anna Orso u.a. – 2008; 105 Minuten

Inhaltsangabe

Der erfolgreiche, rastlos tätige Fotograf Finn Gilbert gerät in eine Lebens- und Schaffens­krise, weil ihn die Vergänglichkeit des Seins ratlos macht. Nach einem Foto-Shooting in Palermo verabschiedet sich der Künstler von Model und Mit­arbeitern, denn er möchte noch eine Weile dort bleiben. Mehrmals wird er von einem Bogenschützen beschossen. Aber gerade durch die Konfrontation mit dem Tod gewinnt Finn neuen Lebensmut. Und er verliebt sich in die Restauratorin des Freskos "Il Trionfo della Morte" ...
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Kritik

Wim Wenders hat "Palermo Shooting" zwar poetisch-kunstvoll, aber auch pathetisch und prätentiös inszeniert. Das gilt sowohl für die Szenen- und Bildgestaltung als auch für die pseudo­philo­sophischen Dialoge bzw. inneren Monologe.
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Der erfolgreiche Fotograf Finn Gilbert (Campino) beschäftigt in seinem Atelier in Düsseldorf Mitarbeiter, die nach seinen Anweisungen digitale Bilder bearbeiten. Sein Manager Julian (Sebastian Blomberg), der gerade eine Ausstellung in einem Kunstmuseum in São Paulo für ihn organisiert, befürchtet, dass kommerzielle Modefotografie dem Renommee des Künstlers abträglich ist. Dennoch beschäftigt sich Finn damit. Außerdem doziert er an einer Kunstakademie in Essen. Dort erklärt er einer Studentin (Jana Pallaske): „Hinter den Bildern steckt nichts. Die Dinge sind nur Oberfläche.“

Weil seine Ex-Frau trotz der Trennung nicht aus dem Haus auszieht, verbringt Finn die Nächte häufig im Atelier oder in Nachtlokalen. Als er nach einem Besuch im „3001 Club“ in Düsseldorf mit seinem Austin-Healey-Cabriolet fährt, Musik vom MP3-Player hört und mit einer um 360 Grad drehbaren Kamera filmt, kommt ihm ein Geisterfahrer (Dennis Hopper) entgegen, und er entgeht gerade noch einem Unfall. Nachdem er sich beruhigt hat, steuert er das Gasthaus „Em Schwatte Päd“ in Neuss an und wählt an der Jukebox den Song „Some Kinda Love“. Beim Hören der Musik glaubt er Lou Reed (Lou Reed) zu sehen, eines der Gründungsmitglieder der Band „The Velvet Underground“.

Nach einem Fototermin im Industriebecken der Zeche Zollverein in Essen äußert sich das hochschwangere Model Milla (Milla Jovovich) unzufrieden über die Aufnahmen und schlägt ein weiteres Shooting vor.

Finn schläft in einer Baumkrone in den Rheinauen. Am Morgen erblickt er eine Schafherde. Der Schäfer (Udo Samel) trägt unter einem durchsichtigen Regencape einen dunklen Anzug. Es handelt sich um einen Banker, der die Aufgabe zum Spaß übernommen hat und Finn erklärt, die Zeit verlaufe bei dieser Tätigkeit viel langsamer als sonst. Die beiden sehen auf dem Rhein ein Frachtschiff mit dem Namen „Palermo“.

Kurz entschlossen fliegt Finn mit Milla und einigen Mitarbeitern im Privatjet eines Bekannten nach Palermo. Dort fotografiert er Milla nackt in einem Altbau. Nach dem Shooting verabschiedet er sich von dem zufriedenen Model und dem nach Düsseldorf zurückkehrenden Team, denn er will noch eine Weile in Palermo bleiben.

Als er am Quattro Canti di città (Piazza Vigliena) im historischen Zentrum der Stadt sitzt, wird er aus einem Fenster eines Barock-Palazzo von einem Bogenschützen (Dennis Hopper) beschossen, jedoch nicht getroffen.

Am nächsten Tag versucht er, am Cortile della Morte das Gesicht eines Mannes zu fotografieren, der eine Kapuze trägt und sich jedes Mal abwendet, wenn Finn die Kamera hebt. Unvermittelt schießt der Mann einen Pfeil auf Finn ab.

Der in Palermo geborenen und dort arbeitenden Fotografin Letizia Battaglia (Letizia Battaglia) fällt seine Kamera auf, und sie spricht ihn deshalb an. Sie fotografiere Tote, sagt sie, um sie zu ehren und vor dem Vergessen zu bewahren.

Bald darauf richtet Finn die Kamera auf einen über ihm fliegenden Greifvogel. Da wird er erneut beschossen, und diesmal tritt der Pfeil die Kamera, die ihm dadurch aus der Hand gerissen wird. Nachdem er seinen Schreck überwunden hat, hebt er sie auf. Sie ist beschädigt, aber der Pfeil ist ebenso wie bei den voran­gegangenen Angriffen verschwunden.

Als Finn auf einer Bank in der Altstadt erwacht, erblickt er eine junge Künstlerin, die ihn zeichnet. Sie verwahrt sich gegen ein Foto, zeigt ihm aber auch nicht das Bild, das sie von ihm angefertigt hat. Auf einer roten Vespa fährt sie davon.

Einige Zeit später entdeckt Finn das Fahrzeug vor dem Palazzo Abatellis. Das Museum ist geschlossen, aber er drückt die Tür auf und geht hinein. Die Gesuchte arbeitet als Restauratorin auf einem Gerüst vor dem sechs Meter hohen Fresko „Il Trionfo della Morte“ aus dem 15. Jahrhundert. Es zeigt den Tod als apo­kalyp­tischen Reiter, der mit Pfeilen tötet, die keine sichtbaren Verletzungen hinterlassen. Während Päpste getroffen zu Boden sinken, flehen Arme den Tod an, sie von ihrer Not zu erlösen.

Flavia (Giovanna Mezzogiorno), so heißt die italienische Künstlerin, schlägt vor, einen Kaffee zu trinken. Finn erzählt ihr von den Angriffen des Bogenschützen und den unsicht­baren Pfeilen. Sie glaubt ihm die seltsame Geschichte.

Während sie sich am Hafen aufhalten, entdeckt er den Schützen auf einem Baukran und wird im nächsten Augenblick von einem Pfeil getroffen. Er stürzt ins Wasser. Auch die Kamera sinkt auf den Boden des Hafenbeckens ab. Finn hat wegen seiner Angst vor dem Wasser nicht schwimmen gelernt. Aber er wird gerettet und von Flavia mit Mund-zu-Mund-Beatmung aus der Bewusstlosigkeit geholt.

Weil er durchnässt ist, nimmt sie ihn mit in ihre Wohnung und gibt ihm trockene Kleidung. Sie muss zwar ins Museum zurück, vertraut ihm jedoch einen Zweit­schlüssel an und rät ihm, sich auszuruhen.

Am nächsten Morgen steht Finn in der Dämmerung auf und geht allein durch Gassen der Altstadt. Weil er auf die Ohrstöpsel des MP3-Players verzichtet, die er sonst bei jeder Gelegenheit benutzt, hört er die Geräusche. Er kauft Obst an einem Marktstand, bekommt von einem Händler einen Apfel zugeworfen und beteiligt sich mit einem Kopfball am Spiel von Kindern. Beglückt kehrt er zu Flavia zurück.

Er lädt ein Foto auf ihren Rechner, auf dem der Bogenschütze in einem Fenster am Quattro Canti zu sehen ist. Es ist auch der Geisterfahrer, von dem Finn ein Foto schoss. Nachdem er Flavia geraten hat, die Datei zu löschen, geht er allein zum Quattro Canti und setzt sich an dieselbe Stelle wie kürzlich. Dabei stellt er sich eine Verfolgungsjagd mit dem Schützen in dem Palazzo vor, aus dem auf ihn geschossen wurde. Plötzlich glaubt er zu sehen, wie er selbst aus einem Fenster auf sich schießt und sich in die Kehle trifft. Er will ins Gebäude, aber der Pförtner hält ihn auf, und gleich darauf kommt Flavia und überredet ihn, mit ihr die Stadt zu verlassen.

Mit der Vespa fahren sie nach Gangi, wo Flavia sich als Kind wohlfühlte und ein Haus von ihrer Großmutter geerbt hat. An der Tür entdeckt Finn noch das Arztschild der Vorbesitzerin. Weil das Haus unbewohnt ist, wurde der Strom abgeschaltet.

Während Flavia schläft, steht Finn auf und geht mit einer Gaslaterne in der Hand in den Keller. Er gelangt auf die Empore einer gewaltigen Archiv-Halle. Ihm gegenüber steht der Mann mit der Kapuze, also der Bogenschütze, unbewaffnet an einem Schreibpult. Es ist der Tod. Als Finn sich über die Angriffe beschwert, weist der andere darauf hin, dass Finn zuerst versucht habe, ein Foto von ihm zu „schießen“. Der Künstler rennt los und schreit um Hilfe, aber er entgeht dem Tod nicht. Der klagt, die Arbeit habe stark zugenommen. „Der Tod ist ein Pfeil aus der Zukunft, der auf dich zufliegt“, erklärt er. Er sei lediglich ein Durchgang, ebenso wie die Geburt. Während jedoch Geburtshelfer hoch angesehen seien, hätten die Menschen eine scheußliche Vorstellung vom Tod. Dass Finn ihn unversehens fragt, was er für ihn tun könne und sich von ihm umarmen lässt, rührt den Tod. Er gibt ihm die ins Hafenbecken gefallene Kamera zurück und fordert ihn auf, für die Menschen ein unverfälschtes Porträt des Todes aufzunehmen. Während Finn das Objektiv scharf stellt, verwandelt sich der Tod in Finns kürzlich verstorbene Mutter (Anna Orso).

Zufrieden wacht Finn neben Flavia auf und meint: „Zum ersten Mal seit langem ist jetzt bloß jetzt.“

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Beim Protagonisten des Films „Palermo Shooting“ von Wim Wenders handelt es sich um einen erfolgreichen Künstler, der jedoch in eine Lebens- und Schaffens­krise gerät, weil ihn die Vergänglichkeit des Seins ratlos macht und er am Sinn rastloser Tätigkeit zu zweifeln beginnt. Wie Johann Wolfgang von Goethe reist er nach Italien. Dort findet er Liebe, Freude am Dasein und schließlich durch die Konfrontation mit dem Tod neuen Lebensmut.

Wim Wenders hat „Palermo Shooting“ zwar poetisch-kunstvoll, aber auch pathetisch und prätentiös inszeniert. Das gilt sowohl für die Szenen- und Bildgestaltung als auch für die pseudophilosophischen Dialoge bzw. inneren Monologe.

Seit 2000 dachte Wim Wenders über einen in Palermo spielenden Film nach. Inspirieren ließ er sich dabei von dem sechs Meter hohen Fresko „Il Trionfo della Morte“ im Palazzo Abatellis. Wim Wenders entwarf die Hauptfigur und den Plot. Das Drehbuch entstand erst während der Dreharbeiten, und bei den Dialogen hörte der Regisseur auf die Schauspieler.

Die Hauptrolle spielt Campino (Andreas Frege, * 1962), der Frontman und Songwriter der Düsseldorfer Rockgruppe „Die Toten Hosen“. Die Darstellerin der Flavia suchte Wim Wenders nach dem Vorbild der „Madonna Annunciata di Palermo“ (um 1476) von Antonello da Messina im Museum Abatellis aus. Die Wahl fiel auf Giovanna Mezzogiorno. In einer kurzen Szene verkörpert Inga Busch eine Schwimmlehrerin. Als Statisten fungierten Andreas von Holst, Andreas Meurer, Michael Breitkopf und Vom Ritchie von den Toten Hosen, Jochen Hülder, der Manager der Band und der Fotograf Peter Lindbergh, der 2000 das Musikvideo „Unsterblich“ mit den Toten Hosen gedreht hatte.

Die Dreharbeiten fanden in Düsseldorf, Essen, Palermo und Gangi statt. Beispielsweise diente der 2006 nach Plänen von Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa errichtete Zollverein-Kubus in Essen-Stoppenberg als Kulisse für die Kunstakademie. Der Cameo-Auftritt des amerikanischen Musikers Lou Reed (1942 – 2013) wurde im Studio aufgenommen und dann in das Gasthaus „Em Schwatte Päd“ in Neuss kopiert. Außer den in der Inhaltsangabe genannten Gebäuden in Palermo sehen wir die Kapuzinergruft und die Aula des Archivio Storico Comunale.

„Palermo Shooting“ war zunächst 125 Minuten lang. Nach einer Testvorführung kürzte Wim Wenders den Film um 18 Minuten. Herausgeschnitten wurde unter anderem eine Szene mit Leoluca Orlando, der von 1985 bis 2000 fast durchgehend Bürgermeister von Palermo gewesen war.

Wim Wenders hat „Palermo Shooting“ seinen Vorbildern Ingmar Bergman und Michelangelo Antonioni gewidmet.

„Palermo Shooting“ wurde am 24. Mai 2008 bei den 61. Filmfestspielen von Cannes im Wettbewerb um die „Goldene Palme“ erstmals öffentlich vorgeführt. Am 20. November 2008 kam der Film in die deutschen Kinos. Peter Przygodda, Mirko Scheel und Oli Weiss (Schnitt) wurden für den Deutschen Filmpreis 2009 nominiert.

Folgende Songs werden in „Palermo Shooting“ angespielt: „Dream“ / „Song for Finn“ (Grinderman), „Busy Hope“ (Get Well Soon), „The Rip“ (Beth Gibbons), „Flavias Theme“ (Irmin Schmidt), „Freedom Hangs Like Heaven“ (Iron & Wine), „Departure“ (John Roderick), „The Black Light“ (Calexico), „Some Kinda Love“ (The Velvet Underground), „Beds in the East“ (Thom), „Fresco“ (Irmin Schmidt), „Postcards From Italy“ (Beirut), „Quello Che Non Ho“ (Fabrizio De André), „We All Lose One Another“ (Jason Collet), „Torn and Brayed“ (Will Oldham, Matt Sweeney), „My Impropriety“ (Monta), „Let Us Know“ (Sibylle Baier), „Bei Flavia“ (Irmin Schmidt), „Quannu Moru“ (Rosa Balistreri), „Song for Frank“ (Grinderman), „Mysteries“ (Beth Gibbons, Paul Webb), „Good Friday“ (Get Well Soon).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2017

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