Alice in den Städten

Alice in den Städten

Alice in den Städten

Originaltitel: Alice in den Städten - Regie: Wim Wenders - Drehbuch: Wim Wenders und Veith von Fürstenberg - Kamera: Robby Müller - Schnitt: Peter Przygodda- Musik: Chuck Berry, The Can, Canned Heat - Darsteller: Rüdiger Vogler, Yella Rottländer, Lisa Kreuzer, Edda Köchl, Sibylle Baier, Didi Petrikat, Hans Hirschmüller, Lois Moran, Ernest Boehm, Sam Presti u.a. - 1974; 110 Minuten

Inhaltsangabe

Der 31-jährige deutsche Journalist Philipp Winter hat sich während einer USA-Reise selbst verloren und ist in eine Lebenskrise geraten. Als er in New York einen Rückflug bucht, lernt er am Schalter eine junge Frau mit ihrer neunjährigen Tochter kennen: Lisa und Alice. Unvermittelt lässt Lisa, die sich von ihrem Ehemann trennen will, Philipp mit Alice allein. Die beiden fliegen nach Amsterdam und suchen dann Alices Großmutter, die irgendwo im Ruhrgebiet wohnen soll ...
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Kritik

In diesem Film ist es Wim Wenders gelungen, ein "verkopftes" Thema mit bemerkenswerter Leichtigkeit zu behandeln. Er konzentriert sich ganz auf die beiden Hauptfiguren, die von Rüdiger Vogler und Yella Rottländer ohne viele Worte und große Gesten glaubhaft, sensibel und nuanciert gespielt werden.
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Vier Wochen lang reist Philipp Winter (Rüdiger Vogler) durch die USA. Der einunddreißigjährige deutsche Journalist soll für einen Verlag in München und New York eine Reportage über das Land schreiben, aber er fühlt sich von allem, was er sieht, nur abgestoßen und bringt keine Zeile zu Papier. Nur einen Stapel Polaroids hat er bei sich, als er zu seinem Verleger (Ernest Boehm) in New York zurückkehrt. Seiner Freundin Edda (Edda Köchl) gesteht er in einem melancholischen Monolog, dass ihm während der Reise Hören und Sehen vergangen sei. Edda erwidert, dazu habe er nicht herumfahren müssen, denn die Ursache seines Problems sei wohl der Verlust seines Selbstgefühls. Aber Hilfe könne er von ihr keine erwarten. „Ich weiß auch nicht, wie man leben soll“, seufzt sie. „Mir hat’s auch keiner gezeigt.“

Philipp beschließt, vorzeitig nach Deutschland zurückzufliegen und verkauft sein Auto einem Gebrauchwagenhändler (Sam Presti), um sich das Geld für ein One-Way-Ticket zu beschaffen. Am Flughafen erfährt er, dass aufgrund eines Fluglotsenstreiks sämtliche Flüge nach Deutschland ausfallen und ein Ende des Streiks noch nicht abzusehen ist. Als Alternative kann die Angestellte (Lois Moran) nur einen Flug nach Amsterdam am nächsten Nachmittag anbieten. Eine junge Frau, die mit ihrer kleinen Tochter ebenfalls nach Deutschland möchte, kommt an denselben Schalter. Weil sie nicht viel Englisch versteht, ist sie froh, dass Philipp ihr die Lage in deutscher Sprache erklärt. Gemeinsam buchen sie den Flug nach Amsterdam.

Die Nacht verbringen sie in einem Hotel am Flughafen. Die Frau heißt Lisa van Damm (Lisa Kreuzer) und ihre neunjährige Tochter Alice (Yella Rottländer). Lisa hat ihren Ehemann Hans verlassen, will so schnell wie möglich mit Alice in ihre Heimat Deutschland zurück und sich auf keinen Fall in Amsterdam aufhalten, um nicht an die Zeit erinnert zu werden, die sie dort mit Hans van Damm verbrachte.

Am Morgen findet Philipp einen Zettel von Lisa: „13 Uhr auf dem Empire State Building“. Zur angegebenen Zeit wartet Philipp mit Alice auf der Aussichtsplattform des Wolkenkratzers. Durch eines der dort für die Touristen aufgestellten Fernrohre sieht er Lisa mit einem Mann in ein Taxi steigen. Da weiß er, dass sie nicht kommen wird und fährt mit Alice zurück zum Hotel, wo ihm an der Rezeption mitgeteilt wird, dass Lisa vor einer Stunde ausgecheckt und eine Nachricht für ihn hinterlassen hat. Sie könne Hans im Augenblick nicht allein lassen, schreibt sie. Philipp soll Alice mit nach Amsterdam nehmen. Sie komme in zwei Tagen nach.

Obwohl Philipp kaum noch Geld hat, nimmt er am Flughafen in Amsterdam ein Hotelzimmer, um mit Alice auf Lisa zu warten. Aber in der Maschine aus New York am übernächsten Tag ist sie nicht.

Alice erzählt Philipp, sie habe eine Oma in Deutschland. Allerdings weiß sie weder Namen noch Wohnort. Nach einer Weile glaubt sie, sich daran zu erinnern, dass die Großmutter in Wuppertal lebt. Sie werde das Haus erkennen, sobald sie es sehe, meint Alice und zeigt Philipp ein Foto des Hauses, das sie in einem kleinen Album bei sich hat. Philipp fährt mit ihr im Bus nach Wuppertal und durchkämmt mit ihr die Stadt, zunächst in der Schwebebahn, dann in einem gebrauchten Kleinwagen. Nach tagelanger vergeblicher Suche bringt Philipp das Mädchen zur Polizei. Doch als er einige Zeit später vor dem Hotel parkt, wartet dort Alice auf ihn: Sie ist aus dem Polizeirevier davongelaufen.

Inzwischen erinnert sie sich, dass ihre Großmutter Krüger heißt. In Wuppertal wohnte Alice mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater, und wenn sie die Großmutter besuchten, fuhren sie mit dem Zug, aber es kann nicht sehr weit gewesen sein, weil sie jedes Mal abends zurückkehrten. Philipp erklärt Alice, dass der Name Krüger häufig sei und fragt nach dem Vornamen, aber den kennt Alice nicht, denn sie sagte immer nur „Oma“. Die beiden versuchen es im Ruhrgebiet. In Gelsenkirchen entdecken sie das Haus. Aber da wohnt seit zwei Jahren eine italienische Familie, und die weiß nichts von einer Frau Krüger.

Weil eine weitere Suche ohnehin keinen Sinn zu haben scheint, gehen sie in ein Freibad. Dort spricht Alice unbekümmert eine Frau (Sibylle Baier) an und lässt sich von ihr etwas zu essen geben, denn Philipp hat nicht mehr genug Geld, um etwas kaufen zu können. Die alleinstehende Frau nimmt die beiden bei sich auf, aber am nächsten Morgen um 6 Uhr weckt Alice ihren Ersatzvater und drängt ihn, die Wohnung zu verlassen, während die Gastgeberin noch schläft.

In einer Zeitung liest Philipp, dass Alice von der Polizei gesucht wird.

Auf einer Fähre werden sie von einem Polizisten (Hans Hirschmüller) erkannt. Der sagt ihnen, man habe herausgefunden, dass die Großmutter des Kindes in München lebt, und dort sei inzwischen auch Alices Mutter eingetroffen. Der Polizist besteht darauf, Alice zum Bahnhof in Duisburg zu bringen und sie dort in einen Zug nach München zu setzen. Damit Philipp sich eine Fahrkarte kaufen und sie begleiten kann, holt Alice aus einem Geheimfach ihres Täschchens einen Hundert-Dollar-Schein.

In München wird Philipp endlich wieder schreiben. Da ist er jetzt zuversichtlich.

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In dem Roadmovie „Alice in den Städten“ erzählt Wim Wenders ruhig und unspektakulär von einem Mann, der die Welt abstoßend findet und sich selbst verloren hat. Die zufällige Begegnung mit einem unbefangenen Kind bewirkt, dass er sich wieder lebendig fühlt und die Lebenskrise überwindet. Die Irrfahrten des Ersatzvaters mit dem kleinen Mädchen sind für ihn auch eine Reise zurück in die eigene Infantilität und Unvoreingenommenheit. „Alice in den Städten“ ist eine rührende Geschichte über eine leise Freundschaft mitten in einer Welt gestörter menschlicher Beziehungen. In diesem Film ist es Wim Wenders gelungen, ein „verkopftes“ Thema mit bemerkenswerter Leichtigkeit zu behandeln und in zarte Bilder zu verwandeln. „Mit Alice in den Städten habe ich meine eigene Handschrift im Film gefunden“, erklärt Wim Wenders. Auf Farben hat er bewusst verzichtet. Das Schwarz-Weiß entspricht dem minimalistischen Plot, der sich ganz auf die beiden Hauptfiguren konzentriert, die von Rüdiger Vogler und Yella Rottländer ohne viele Worte und große Gesten glaubhaft, sensibel und nuanciert gespielt werden.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005

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Der feinsinnige Roman "Ich kann dich hören" von Katharina Mevissen dreht sich um die Wahrnehmung von Mitmenschen; es ist vor allem eine Geschichte über das Zuhören als Voraussetzung für Dialog und Kommunikation, gegenseitiges Verstehen und geistige Auseinandersetzung.
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