Tod den Hippies!! Es lebe der Punk

Tod den Hippies!! Es lebe der Punk

Tod den Hippies!! Es lebe der Punk

Originaltitel: Tod den Hippies!! Es lebe der Punk – Regie: Oskar Roehler – Drehbuch: Oskar Roehler, nach seinem Roman "Mein Leben als Affenarsch" – Kamera: Carl-Friedrich Koschnick – Schnitt: Peter R. Adam – Musik: Martin Todsharow – Darsteller: Tom Schilling, Wilson Gonzalez Ochsenknecht, Frederick Lau, Emilia Schüle, Hannelore Hoger, Samuel Finzi, Alexander Scheer, Anna-Maria Hirsch, Marc Hosemann, Sonja Bertram, Anna Amalie Blomeyer, David Bredin, Rolf Zacher, Luisa Wietzorek u.a. – 2015; 105 Minuten

Inhaltsangabe

Angewidert von den Hippies in der Schule und seiner spießigen Freundin, zieht Robert Rother nach Berlin. Der frühere Mitschüler Schwarz, der dort eine Peepshow betreibt, stellt ihn als Putzkraft ein und verschafft ihm einen Schlafplatz in einem Kellerraum. Von den Stripperinnen gefällt ihm die heroinsüchtige Sanja am besten, und sie wird seine Freundin. Er und Schwarz wollen mit dem Geld, das sie Roberts Vater Klaus geraubt haben, einen Drogenhandel aufbauen ...
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Kritik

Was an der Groteske "Tod den Hippies!! Es lebe der Punk" fiktiv und was autobiografisch ist, können wir nicht abgrenzen, aber Robert Rother ist als Alter Ego von Oskar Roehler zu verstehen. Was er zeigt, ist ebenso hässlich wie trostlos; es ist Punk.
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Der Schüler Gries (Frederick Lau), ein schwuler Neonazi, verabscheut Hippies („Tod den Hippies!!“). Nachdem er einen Lehrer mit langen Haaren, der im Unterricht regelmäßig Wasser trinkt, mit unbemerkt ins Glas gelegten Tabletten betäubt hat, schneidet er ihm zum Entsetzen der Mädchen in der Klasse ein Büschel Haare ab. Er wird dafür von der bayrischen Schule verwiesen und zieht nach Berlin. Als er die Schule verlässt, stürmt hinter ihm ein mit einer Maschinenpistole bewaffneter Junge ins Gebäude.

Gries‘ Beispiel folgt sein Mitschüler Robert Rother (Tom Schilling), nachdem er sich von seiner Freundin Laura (Marie-Luise Lux), einer strebsamen Lehramtsstudentin, im Streit getrennt und sich das Haar bis auf einen Irokesenkamm abrasiert hat. Er macht einen Umweg über München, um seine dort lebende Mutter Gisela Ellers (Hannelore Hoger) um Geld zu bitten. Die alkoholkranke, tablettensüchtige Schriftstellerin versucht ihn stattdessen dazu anzustiften, ihren verhassten Bruder zu ermorden, damit sie sich die von ihrem Vater erwartete Erbschaft nicht mit ihm teilen muss. Dafür bietet sie ihrem Sohn eine Million Mark. Robert zieht es vor, mittellos in Berlin anzukommen.

Dort wendet er sich an einen alten Schulfreund: Schwarz (Wilson Gonzalez Ochsenknecht) führt eine Peepshow und ist sofort bereit, Robert nicht nur einen Job, sondern auch eine Bleibe zu verschaffen. Die Arbeit besteht darin, die Kabinen zu säubern und den Mädchen Essen und Getränke zu besorgen. Beim Schlafplatz handelt es sich um einen Kellerraum. „No Future“ hat jemand an die Wand gesprüht.

Schwarz nimmt Robert mit in die Bar „Risiko“ des exzentrischen Punks Blixa Bargeld (Alexander Scheer) in der Yorckstraße, der schon mal eine Wanduhr, die ohnehin nur noch einen Zeiger hat, am Tresen zertrümmert oder verkündet: „Gott ist nicht im Arsch der Schwulen!“ Über Schwarz und dessen Kontakte kommt Robert auch an Kokain und andere Drogen. Dass er Sozialhilfe bezieht kommentiert Schwarz mit den Worten: „Das ist West-Berlin: Die Spießer zahlen, und wir setzen ihre sauer verdienten Kröten in Zigaretten, Alkohol und Drogen um.“ Arbeitspausen nutzt Robert, um zu lesen, zum Beispiel das Pamphlet „L’École des Cadavres“ von Louis-Ferdinand Céline aus dem Jahr 1938.

Von den Mädchen in der Peepshow gefällt Robert die hübsche Amerikanerin Sanja (Emilia Schüle) am besten. Aber zunächst lässt er sich von der derberen Gina (Anna-Maria Hirsch) verführen.

Nach einiger Zeit besucht Robert seinen getrennt von der Mutter in Berlin lebenden Vater Klaus Rother (Samuel Finzi). Der ist alkoholkrank wie Gisela Ellers, und als der Sohn sich über das Chaos in der Wohnung wundert, behauptet er, während seiner Abwesenheit sei sie vom Verfassungsschutz verwüstet worden. Er zeigt auf das obere Fach eines Wandschranks und prahlt damit, dass die Agenten das von ihm für die tote Gudrun Ensslin verwahrte Geld nicht gefunden hätten: knapp 185 000 Mark. Das Gerücht, Klaus Rother sei eine Art Kassenwart der RAF gewesen, kennt Robert bereits.

Im „Risiko“ weiht Robert seinen Freund Schwarz in das Geheimnis ein. Die beiden beschließen, das Geld zu rauben. Während sie es tun, erwacht der am Tisch eingeschlafene Klaus Rother. Robert und Schwarz flüchten durchs Fenster. Der Schriftsteller schießt auf die Einbrecher, aber sie entkommen unverletzt auf einem Motorrad.

Endlich schläft auch Sanja mit Robert. Als er nachts aufwacht, sitzt sie im Heroinrausch auf einem Stuhl, und die Spritze liegt noch auf dem Tisch.

Es dauert nicht lang, bis Gina herausfindet, dass Robert eine Beziehung mit Sanja angefangen hat. Sie überfällt ihn an seinem Schlafplatz und verprügelt ihn mit einem Lederriemen. Er liegt noch benommen da, als sein Vater hereinkommt und auf ihn einschlägt.

Mit dem geraubten Geld wollen Robert und Schwarz einen Handel mit Ecstasy aufziehen. Als Robert am Morgen vor dem Termin mit einem Mittelsmann (Uwe Dag Berlin) aufwacht, schwimmt seine Luftmatratze auf einer Wasserschicht. Irgendwo muss ein Rohr gebrochen sein. Nachdem die beiden angehenden Dealer die nass gewordenen Banknoten gebügelt haben, gehen sie zu dem vereinbarten Treffen und übergeben dem Mann das Geld. Die Ware soll Schwarz in Frankfurt an der Oder abholen.

Robert zieht zu Sanja. Im Fernsehen sehen sie seine Mutter. Gisela Ellers erzählt dem Moderator (Michael Rast), sie habe damals alles versucht, um den „Balg“ abzutreiben, aber es sei ihr nicht gelungen. Sie schäme sich wegen des Jungen, der es zu nichts gebracht habe und in einer Peepshow putze. Statt seiner betrachte sie Ronald M. Schernikau, den Autor der „Kleinstadtnovelle“, als ihren Sohn.

Das Interview regt Sanja so auf, dass sie Robert dazu anstiftet, mit ihr nach München zu fahren, um seine Mutter zu töten. Danach soll er ihr bei der Ermordung ihres Vaters helfen, der sie in ihrer Jugend zu missbrauchen versuchte. In München bricht Sanja in Giselas Wohnung ein, aber es ist niemand da. Kurz darauf sehen Sanja und Robert sie in ein Auto einsteigen, und die beiden folgen ihr in einem Taxi nach Nürnberg. Dort beobachten sie, wie Gisela ihrem Bruder in den Schritt schießt und sich dann selbst in den Kopf.

Zurück in Berlin, erfährt Robert aus dem Fernsehen, dass die Polizei 50 000 Mark aus einem misslungenen Drogendeal sicherstellte. Weil das Geld aus einem Banküberfall der RAF stammt und der Verhaftete angab, es Klaus Rother geraubt zu haben, wurde der Lektor und Schriftsteller ebenfalls festgenommen.

Zufällig trifft Robert seinen früheren Mitschüler Gries, der als Lederschwuler auf dem Straßenstrich steht. Die beiden gehen in eine Schwulen-Disko, in der sie Rainer-Werner Fassbinder (Fritz Roth) sehen. Gries überredet Robert, für den ausgefallenen Gitarristen seiner Band einzuspringen, aber während des Auftritts wird Robert von der Polizei abgeführt: Er soll gegen seinen Vater aussagen. Dazu ist er nicht bereit. Die Behörden schieben ihn in die Bundesrepublik ab, und weil er den Wehrdienst verweigert, muss er Zivildienst in einem Altersheim in Darmstadt leisten.

Als er bei Sanja in Berlin anruft, meldet sich der Hausmeister und teilt ihm mit, dass er die mit den Monatsraten in Verzug geratene Mieterin hinausgeworfen habe und nicht wisse, wo sie nun zu finden sei.

Wie in der Peepshow wischt Robert menschliche Ausscheidungen auf, nur ist es im Altersheim kein Sperma, sondern beispielsweise, was aus dem künstlichen Darmausgang eines Heimbewohners (Dierk Hachmann) quillt. Um das nicht länger ertragen zu müssen, schlitzt Robert sich mit einer Rasierklinge die Pulsadern auf, allerdings nicht längs, sondern quer, weil er nicht sterben möchte.

Der Trick gelingt: Er kommt frei und setzt sich nach Ägypten ab. Während einer Fahrt auf einem überladenen Lastwagen durch die Wüste steigt Schwarz als Anhalter zu. Nach der Begrüßung zeigt Schwarz seinem Freund Dutzende von Schweinswürstchen, die er in einem Koffer bei sich hat. Damit will er ein Geschäft aufbauen. Robert hält das in einem heißen muslimischen Land für keine gute Idee, aber Schwarz mahnt mehr Optimismus von ihm an. Im Vorbeifahren sehen sie, wie jemand gesteinigt wird.

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Während Oskar Roehler noch am Drehbuch des Films „Tod den Hippies!! Es lebe der Punk“ arbeitete, verwendete er den Plot auch für den Roman „Mein Leben als Affenarsch“ (Ullstein Verlag, Berlin 2015). Was daran fiktiv und was autobiografisch ist, können wir nicht abgrenzen, aber die Figur Robert Rother lässt sich als Alter Ego des Autors und Regisseurs auffassen, und mit Klaus Rother (Samuel Finzi) und Gisela Eller (Hannelore Hoger) sind denn auch unverkennbar Oskar Roehlers Eltern Klaus Roehler und Gisela Elsner gemeint, auch wenn sie, wie alle Filmfiguren, karikiert dargestellt werden.

Blixa Bargeld (Alexander Scheer), Nick Cave (Marc Hosemann) und die Bar „Risiko“ gab es tatsächlich: die vielseitigen Künstler gründeten 1983 in Berlin die Band „The Bad Seeds“. Die Figur des schwulen Neonazis Gries kommt übrigens im Roman nicht vor.

„Mein Leben als Affenarsch“ kann man als Schelmen- aber auch als bizarren Entwicklungsroman lesen; „Tod den Hippies!! Es lebe der Punk“ ist eine Groteske. Oskar Roehler malt ein Zerrbild der Achtzigerjahre, eine kaputte, selbst­zerstöre­rische Jugend und eine von käuflichem Sex geprägte Gesellschaft. Die Außen­aufnahmen in Berlin sind konsequent schwarz-weiß. Umso bunter wirken dagegen einige der Innenräume. Nostalgisch ist in „Tod den Hippies!! Es lebe der Punk“ gar nichts. Was Oskar Roehler zeigt, ist ebenso hässlich wie trostlos, und er versucht auch gar nicht, einer Figur sympathische Züge zu verleihen oder sich wenigstens in einer Szene dem Wohlfühlkino zu nähern. Sein Film ist deshalb selbst Punk. „Tod den Hippies!! Es lebe der Punk“ weist keinen Erzählfluss auf, sondern ist aus kurzen, schnellen Episoden mit Überschriften wie Internat, Schule, Laura, Mama, Vati, München, Nürnberg, Berlin zusammengestellt.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016

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