RAF. "Baader-Meinhof-Bande"


Die Journalistin Ulrike Meinhof engagierte sich in „Konkret“-Kolumnen und in Hörfunkfeatures des Hessischen Rundfunks gegen soziale Ungerechtigkeiten und protestierte gegen den Vietnamkrieg. Getrieben wurde sie von der Sorge, ihre Generation könne ebenso wie die ihrer Eltern versagen und nicht laut genug aufbegehren gegen Missstände, damals den Nationalsozialismus, jetzt gegen den Imperialismus.

Nach dem Scheitern ihrer Ehe mit Klaus Rainer Röhl zog Ulrike Meinhof mit ihren sechs Jahre alten Zwillingen Regine und Bettina 1968 von Hamburg nach Berlin. Dort schloss sie sich der APO an, die sich gebildet hatte, als die Opposition im Bundestag durch die Große Koalition im November 1966 zur Farce geworden war.

Die Bewegung radikalisierte sich durch den Tod des Demonstranten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 und den Anschlag auf den Studentenführer Rudi Dutschke am 11. April 1968. Auch Ulrike Meinhof rief nun zu Gewalt auf: „Wirft man einen Stein, so ist das eine strafbare Handlung. Werden tausend Steine geworfen, ist das eine politische Aktion. Zündet man ein Auto an, ist das eine strafbare Handlung, werden hunderte Autos angezündet, ist das eine politische Aktion.“

Im Rahmen ihrer Recherchen über den Brandanschlag auf zwei Frankfurter Kaufhäuser am 2. April 1968 lernte sie Andreas Baader und Gudrun Ensslin kennen.

Gudrun Ensslin hatte Ende 1967 – ein halbes Jahr nach der Geburt ihres und Bernward Vespers Sohn – Andreas Baader kennen gelernt, und im März 1968 war sie mit ihm zusammen nach Frankfurt am Main gezogen.

Aus Protest gegen den Kapitalismus, die Konsumgesellschaft und deren Gleichgültigkeit gegen den Vietnam-Krieg legten Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein am 2. April 1968 in zwei Kaufhäusern an der Frankfurter Zeil Feuer.

Es entstand hoher Sachschaden, aber verletzt wurde niemand. Vor dem Frankfurter Landgericht begann am 14. Oktober 1968 der Prozess, am 31. Oktober wurden die Angeklagten zu je drei Jahren Haft verurteilt, am 13. Juni 1969 jedoch bis zur Entscheidung über ihren Revisionsantrag aus der Haft entlassen. Als der Bundesgerichtshof fünf Monate später die Revision verwarf, setzten Andreas Baader und Gudrun Ensslin sich zunächst ins Ausland ab, dann kehrten sie zurück und schlüpften vorübergehend als „Hans“ und „Grete“ bei der Journalistin Ulrike Meinhof in Berlin unter, bis ihr Anwalt Horst Mahler ihnen eine Wohnung beschafft hatte.

Beim Versuch, Waffen zu beschaffen, wurde Andreas Baader von Peter Urbach, einem V-Mann des Verfassungsschutzes, am 3. April 1970 in eine als Verkehrskontrolle getarnte Falle der Polizei gelockt.

Gudrun Ensslin redete auf Ulrike Meinhof ein, die ohnehin inzwischen bezweifelte, dass sie mit ihrer Arbeit wirklich etwas verändern konnte, bis die Journalistin bei der geplanten Befreiung von Andreas Baader mitmachte und vorgab, mit ihm zusammen im Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen in Berlin für ein Buch über „randständige“ Jugendliche recherchieren zu wollen. Am 14. Mai 1970 begleiteten zwei Beamte den Strafgefangenen zu der Villa, in der das Institut untergebracht war. Ein Mann und drei Frauen – Horst Mahler, Ingrid Schubert, Irene Goergens, Astrid Proll – drangen kurz darauf in das Gebäude ein, verletzten den Institutsangestellten Georg Linke durch einen Schuss, bedrohten die Beamten mit ihren Pistolen und flohen mit Andreas Baader und Ulrike Meinhof durch ein Parterre-Fenster. Das war die Geburtsstunde der RAF (Rote Armee Fraktion).

Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und etwa zwanzig Gesinnungsgenossen flogen am 8. bzw. 21. Juni 1970 in zwei Gruppen von Berlin nach Jordanien und ließen sich zwei Monate lang in einem Lager der El Fatah bei Amman für den Guerillakampf ausbilden.

Wie Gudrun Ensslin, die sich von ihrem kleinen Sohn getrennt hatte, wollte Ulrike Meinhof einen Schlussstrich unter ihre bürgerliche Vergangenheit setzen und ihre beiden Töchter unter neuen Namen in einem Waisenlager der „El Fatah“ aufwachsen lassen. Der Journalist Stefan Aust bewahrte die Kinder im letzten Augenblick vor diesem Schicksal.

Um das für den Aufbau einer Untergrundorganisation erforderliche Geld zu beschaffen, überfielen Mitglieder der Gruppe am 29. September 1970 innerhalb von zehn Minuten drei Banken in Berlin. Sie besorgten Autos, mieteten in mehreren Großstädten konspirative Wohnungen, richteten Depots ein und knüpften ein Kommunikationsnetz. Am 15. Februar 1971 prägte die „Bild“-Zeitung den Begriff „Baader-Meinhof-Bande“. Andreas Baader und Ulrike Meinhof ergänzten sich: Während er sich in seinem Tatendrang kaum für Programme interessierte, fungierte die nachdenkliche Journalistin als Ideologin und „PR-Managerin“. Von ihr stammte auch das im April 1971 veröffentlichte Strategiepapier „Das Konzept Stadtguerilla“.

Die RAF-Mitglieder Petra Schelm und Werner Hoppe fielen am 15. Juli 1971 bei einer Polizeikontrolle in Hamburg auf. Auf der Flucht schossen sie auf die Beamten, und diese erwiderten das Feuer. Dabei kam die zwanzigjährige Terroristin ums Leben. Sie war die erste Tote in der RAF. Noch im selben Jahr wurden zwei Polizisten getötet: Norbert Schmid am 22. Oktober und Herbert Schoner am 22. Dezember. Versehentlich von der Polizei bei der Fahndung nach RAF-Terroristen erschossen wurden am 1. März 1972 der siebzehnjährige Auszubildende Richard Epple, am 25. Juni 1972 der britische Handelsvertreter Ian McLeod und am 21. Mai 1974 der Taxifahrer Günter Jendrian.

Im Mai 1972 schlug die RAF zu und versetzte zwei Wochen lang die Menschen in Angst und Schrecken: Bomben explodierten in Frankfurt am Main, Augsburg, München, Karlsruhe, Hamburg und Heidelberg. Vier Menschen starben, zahlreiche wurden verletzt. Erstmals wurden nicht nur Sachen zerstört, um gegen die politischen Verhältnisse zu demonstrieren, sondern absichtlich Menschen getötet.

Polizisten mit kugelsicheren Westen verhafteten am 1. Juni 1972 Andreas Baader, Holger Meins und Jan-Carl Raspe in Frankfurt am Main vor laufenden Fernsehkameras: Um 5.50 Uhr stiegen die Gesuchten aus einem Porsche. Jan-Carl Raspe wurde als Erster überwältigt. Die beiden anderen Terroristen verschanzten sich in einer Garage. Obwohl sie nicht wussten, dass die Polizei in der Nacht den eimerweise dort deponierten Sprengstoff gegen Knochenmehl vertauscht hatte, rauchten sie und schossen auf die Beamten, die Tränengasgranaten in die Garage warfen. Ein Scharfschütze traf Andreas Baader in den Oberschenkel. Er stürzte und schrie. Holger Meins kam mit erhobenen Händen aus dem Unterschlupf, musste sich bis auf die Unterhose ausziehen und abführen lassen. Danach wurde Andreas Baader an Händen und Füßen aus der Garage gezerrt.

Gudrun Ensslin wurde am 7. Juni in einer Hamburger Boutique festgenommen, Ulrike Meinhof am 15. Juni in Hannover-Langenhagen.

Nach zwanzig Monaten Einzelhaft in isolierten Gefängnistrakten brachte man Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof am 5. Februar 1974 in zwei benachbarten Zellen eines leeren Flügels der Krankenabteilung der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf unter, und sie durften jeden Tag einige Stunden gemeinsam verbringen.

Holger Meins starb am 9. November 1974 in der Haftanstalt von Wittlich an den Folgen eines Hungerstreiks. Aus Rache erschoss ein Kommando der zweiten Generation der RAF am Tag darauf Günter von Drenkmann, den Präsidenten des Berliner Kammergerichts.

Für Aufsehen sorgte Jean-Paul Sartre, als er Andreas Baader am 4. Dezember 1974 in der JVA Stuttgart-Stammheim besuchte.

Das aus Karl-Heinz Dellwo, Siegfried Hausner, Hanna Krabbe, Bernhard Rössner, Lutz Taufer und Ulrich Wessel bestehende „Kommando Holger Meins“ überfiel am 24. April 1975 die deutsche Botschaft in Stockholm und verbarrikadierte sich mit zwölf Geiseln. Damit sollten Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und zwei Dutzend weitere RAF-Häftlinge freigepresst werden. Die Terroristen erschossen den Militärattaché Oberstleutnant Andreas von Mirbach und den Wirtschaftsattaché Heinz Hillegaart. Kurz vor Mitternacht explodierte ein von ihnen angebrachter Sprengsatz. Dabei kam Ulrich Wessel ums Leben, und Siegfried Hausner erlag zehn Tage später in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart seinen Verletzungen.

In einer eigens auf einem Kartoffelacker in Stuttgart-Stammheim errichteten fensterlosen und sogar gegen Hubschrauberanflüge abgesicherten Mehrzweckhalle begann am 21. Mai 1975 unter dem Vorsitz von Theodor Prinzing der Mordprozess gegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe.

Ulrike Meinhof, deren Konflikte mit Gudrun Ensslin und Andreas Baader immer heftiger wurden, erhängte sich in der Nacht auf den 9. Mai 1976 in ihrer Zelle.

Als Brigitte Mohnhaupt am 8. Februar 1977 nach der Verbüßung ihrer Haftstrafe entlassen wurde, übernahm sie die Führung der zweiten Generation der RAF.

Als Generalbundesanwalt Siegfried Buback, sein Fahrer Wolfgang Göbel und Georg Wurster, der Leiter der Fahrbereitschaft der Bundesanwaltschaft, am 7. April 1977 mit ihrer Limousine vor einer roten Verkehrsampel in Karlsruhe warteten, hielten neben ihnen zwei Personen auf einem Motorrad, deren Gesichter durch Integralhelme verborgen waren. Die Person auf dem Soziussitz feuerte fünfzehn Mal mit einem halbautomatischen Gewehr durch die Scheiben des Autos und töteten alle drei Insassen. Ein „Kommando Ulrike Meinhof“ bekannte sich zu der Tat, für die später Knut Folkerts, Christian Klar, Brigitte Mohnhaupt und Günter Sonnenberg verurteilt wurden, aber wer auf dem Motorrad gesessen hatte, blieb bis heute ungeklärt.

Am 28. April 1977 wurden Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe zu lebenslanger Haft verurteilt.

Die sechsundzwanzigjährige Susanne Albrecht besuchte am 30. Juli 1977 den Bankier Jürgen Ponto, der gerade mit seiner Ehefrau Ignes auf der Terrasse seiner Villa in Oberursel saß und am Abend mit ihr nach Südamerika fliegen wollte. Susanne Albrechts Eltern, die mit dem Ehepaar Ponto befreundet waren, hatten den Besuch angekündigt. Susanne Albrecht brachte Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar mit; im Wagen wartete Peter-Jürgen Boock. Angeblich planten die Terroristen nur, den Vorstandssprecher der Dresdner Bank zu entführen, doch als Jürgen Ponto eine Blumenvase für die mitgebrachten Blumen holen wollte, erschossen ihn Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt.

Um Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe freizupressen („Big Raushole“), entführten RAF-Mitglieder der zweiten Generation am 5. September 1977 Hanns Martin Schleyer, den Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Dabei ging das aus Sieglinde Hofmann, Peter-Jürgen Boock, Willi-Peter Stoll, Stefan Wisniewski und möglicherweise einer fünften Person bestehende „Kommando Siegfried Hausner“ mit brutaler Gewalt vor. Innerhalb von eineinhalb Minuten fielen mindestens 119 Schüsse. Sowohl der Fahrer Heinz Marcisz als auch die Polizisten Reinhold Brändle, Roland Pieler und Helmut Ulmer kamen dabei ums Leben.

Die Entführer brachten Hanns Martin Schleyer in eine Wohnung, die sie in einem Hochhaus in Erftstadt-Liblar angemietet hatten und sperrten ihn in einen dafür vorbereiteten Wandschrank. Die Polizeistation Liblar meldete die Adresse dem Krisenstab, aber die Nachricht ging in der Flut von Hinweisen unter.

Als die von Helmut Schmidt geführte Bundesregierung beschloss, nicht auf die Forderungen der Terroristen einzugehen, brachten vier arabische Terroristen am 13. Oktober den Lufthansa-Jet „Landshut“ auf dem Flug von Palma de Mallorca nach Frankfurt am Main in ihre Gewalt. Nach einem Irrflug – Rom, Larnaka, Bahrain – landete die Maschine in Dubai. Dort erschossen die Terroristen den Kapitän Jürgen Schumann. Am 18. Oktober gelang es einer Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes („GSG 9“), die „Landshut“ auf dem Flughafen in Mogadischu zu stürmen und die Geiseln zu befreien [„Mogadischu“].

Nur wenige Stunden nach dem Eintreffen der Nachricht von der gelungenen Geiselbefreiung in der somalischen Hauptstadt verabredeten die RAF-Hälftlinge in Stammheim ihren Selbstmord. Gudrun Ensslin erhängte sich mit einem Lautsprecherkabel in ihrer Zelle, während Andreas Baader und Jan-Carl Raspe sich erschossen. (Die Pistolen waren möglicherweise von Anwälten in die Haftanstalt geschmuggelt worden.) Irmgard Möller stach sich mit dem Messer ihres Essbestecks mehrmals in die Brust, aber die Verletzungen waren nicht lebensgefährlich.

Am Tag darauf wurde Hanns-Martin Schleyers Leiche im Kofferraum eines in Mühlhausen geparkten Autos gefunden.

Brigitte Mohnhaupt, Peter-Jürgen Boock, Sieglinde Hofmann und Rolf Clemens Wagner wurden am 11. Mai 1978 in Zagreb verhaftet, aber sie durften im November in den Südjemen fliegen und tauchten erneut unter.

Der Terror ging weiter. Zu den spektakulärsten Mordanschlägen zählten die auf den MTU-Manager Ernst Zimmermann am 1. Februar 1985 in Gauting, auf den Siemens-Manager Karl Heinz Beckurts am 9. Juli 1986 in Straßlach, auf den Ministerialdirektor Gerold von Braunmühl am 10. Oktober 1986 in Bonn, auf Alfred Herrhausen, den Vorstandssprecher der Deutschen Bank, am 30. November 1989 in Bad Homburg und Detlev Karsten Rohwedder, den Chef der Treuhandanstalt, am 1. April 1991 in Düsseldorf.

Am 20. April 1998 ging bei der Nachrichtenagentur Reuters in Köln ein achtseitiges Schreiben ein, in dem die RAF ihre Selbstauflösung verkündete.

© Dieter Wunderlich 2008

Andreas Baader (Kurzbiografie)
Ulrike Meinhof (Kurzbiografie)
Gudrun Ensslin (Kurzbiografie)
Holger Meins (Kurzbiografie)
Inge Viett (Kurzbiografie)
Horst Herold (Kurzbiografie)
Der Deutsche Herbst
Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“

Julia Albrecht / Corinna Ponto: Patentöchter. Im Schatten der RAF. Ein Dialog
Stefan Aust: Der Baader-Meinhof-Komplex
Heinrich Breloer: Todesspiel
Uli Edel: Der Baader Meinhof Komplex
Dennis Gansel: Das Phantom
Reinhard Hauff: Stammheim
Roland Suso Richter: Mogadischu
Andres Veiel: Wer wenn nicht wir
Connie Walther: Schattenwelt

Gerbrand Bakker - Tage im Juni
Gerbrand Bakker erzählt betont leise, langsam und lakonisch. Er evoziert eine Atmosphäre des Stillstands und der Hoffnungslosigkeit. Weil dazu auch noch die Sprache schlicht und einfach ist, handelt es sich bei "Tage im Juni" um einen spröden Roman.
Tage im Juni