Die Haut in der ich wohne

Die Haut in der ich wohne

Die Haut in der ich wohne

Die Haut in der ich wohne – Originaltitel: La piel que habito – Regie: Pedro Almodóvar – Drehbuch: Agustín Almodóvar, Pedro Almodóvar nach dem Roman "Die Haut, in der ich wohne" von Thierry Jonquet – Kamera: José Luis Alcaine – Schnitt: José Salcedo – Musik: Alberto Iglesias – Darsteller: Antonio Banderas, Elena Anaya, Marisa Paredes, Jan Cornet, Roberto Álamo, Eduard Fernández, José Luis Gómez, Blanca Suárez, Susi Sánchez, Bárbara Lennie u.a. – 2011; 115 Minuten

Inhaltsangabe

Cal, die Ehefrau des erfolgreichen Mediziners Robert Ledgard, erlitt bei einem Unfall schwere Verbrennungen und stürzte sich schließlich entsetzt über ihr Aussehen aus einem Fenster. Ihre Tochter, die das mit ansehen musste, wurde durch einen Vergewaltigungsversuch wahnsinnig. Ledgard hält nun mit Hilfe seiner Mutter eine schöne junge Frau gefangen, deren Haut er durch wissenschaftliche Experimente feuerfest machte ...
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Kritik

Wieder einmal zeigt sich Pedro Almodóvar als virtuoser Erzähler abseits der ausgetretenen Pfade. "Die Haut, in der ich wohne" ist eine bizarre Mischung aus Melodram und Burleske, Psychothriller und Horrorfilm.
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Der erfolgreiche Mediziner Robert Ledgard (Antonio Banderas) berichtet dem Präsidenten des biotechnischen Instituts in Madrid (José Luis Gómez), bei dem er beschäftigt ist, 2012 auf einer Abendgesellschaft, er habe Schweinegene in eine menschliche Zelle übertragen, um die menschliche Haut hitzebeständig und für Insekten undurchdringlich zu machen. Obwohl sich damit Verbrennungen ebenso vermeiden ließen wie Malaria-Infektionen, reagiert der Präsident entsetzt, denn die Transgenese verstößt gegen seine ethischen Grundsätze, und er verbietet Ledgard deshalb, die Experimente fortzusetzen.

Er ahnt nicht, dass Robert Ledgard in seiner mit einem Labor und einem Operationssaal ausgestatteten Villa in Toledo eine junge Frau namens Vera Cruz (Elena Anaya) gefangen hält. Ihre Haut hat er bereits so verbessert, dass er eine Gasflamme an Veras Bein halten kann, ohne sie zu verletzen oder ihr Schmerzen zuzufügen. In dem Zimmer, in dem sie eingesperrt ist, wird Vera durch Kameras überwacht. Auf einem riesigen Bildschirm kann Robert Ledgard sein Opfer in Lebensgröße beobachten. Die Bilder werden auch auf zwei Monitore in der Küche übertragen, damit Roberts Mutter Marilia (Marisa Paredes) während seiner Abwesenheit sieht, was Vera tut.

Während der Professor wieder in Madrid ist, klingelt Marilias anderer Sohn überraschend an der Tür. Zeca (Roberto Álamo) trägt ein Leopardenkostüm. Es ist Karneval, aber bei der Verkleidung geht es ihm darum, nicht erkannt zu werden, denn er wurde gerade bei einem Raubüberfall auf ein Juweliergeschäft gefilmt. Marilia erklärt ihm, sie dürfe keinen Besuch empfangen. Zeca lässt sich jedoch nicht abweisen. Er will sich in der Villa ein paar Tage lang verstecken und den Chirurgen erpressen, sein Gesicht durch eine Operation zu verändern.

Die junge Frau auf den Monitoren erweckt sein Interesse, zumal sie Roberts verstorbener Ehefrau Cal gleicht. Das sei nur ein Video, behauptet Marilia, aber Zeca glaubt ihr nicht. Er fesselt und knebelt seine Mutter, verlangt die Herausgabe des Schlüssels zu dem überwachten Raum und geht hinein. Vera nutzt die Gelegenheit, um aus dem Zimmer zu fliehen. Zeca packt sie auf der Treppe, und Marilia sieht auf den Monitoren, wie er Vera vergewaltigt.

Da kommt Robert nach Hause. Er erblickt seine gefesselte Mutter und schaut auf die Monitore. Dann nimmt er eine Pistole und erschießt Zeca, der noch auf Vera liegt. Anschließend befreit er seine Mutter.

Während er mit dem Wagen unterwegs ist, um die Leiche zu vergraben, erzählt Marilia Vera, dass die beiden Männer Halbbrüder waren, es jedoch nicht wussten. Roberts Ehefrau Cal verliebte sich in Zeca und wollte mit ihm durchbrennen. Dabei gerieten sie in einen Verkehrsunfall. Zeca konnte sich leicht verletzt aus dem Wrack retten, aber Cals Haut verbrannte großflächig. Robert wandte all sein Können auf, um sie zu retten. Als es ihr nach einigen Monaten etwas besser ging, hörte sie ihre Tochter Norma (Ana Mena) im Freien singen. Cal stand auf und öffnete das Fenster. Da erblickte sie in der Scheibe zum ersten Mal seit dem Unfall ihr Spiegelbild – und erschrak über ihr Aussehen. Verzweifelt stürzte sie sich vor Normas Augen aus dem Fenster. Diesmal konnte Robert nichts mehr für sie tun.

Als Robert zurückkommt, geht er mit Vera ins Bett. Sie lässt sich zwar nackt liebkosen, bittet ihn jedoch, sie noch nicht zu penetrieren, und er hält sich daran. Von jetzt an wird er die Türe nicht mehr abschließen.

– – –

2006. Robert und Norma (jetzt: Blanca Suárez) sind unter den Gästen einer Hochzeitsfeier. Nach Einbruch der Dunkelheit geht Norma mit Vicente Guillén (Jan Cornet), dem Sohn der Inhaberin eines Modegeschäfts (Susi Sánchez), in den Garten. Beide haben Partydrogen geschluckt. Sie sinken ins Gras. Norma lässt es zu, dass Vicente ihre Brüste entblößt, aber als er in sie eindringen will, wehrt sie sich und schreit. Erschrocken hält er ihr den Mund zu und schlägt sie ins Gesicht. Daraufhin verliert sie das Bewusstsein. Vicente befürchtet, sie getötet zu haben. Er geht zu seinem Motorrad. Robert, der nach seiner Tochter sucht, sieht ihn wegfahren. Norma kommt zu sich, als ihr Vater sich über sie beugt. Sie glaubt, er wolle sie vergewaltigen und ist so verstört, dass Robert sie in eine psychiatrische Klinik bringen muss. Wenn er sie dort besucht, kauert sie sich Schutz suchend in den Wandschrank. Nach knapp zwei Jahren springt sie wie ihre Mutter aus einem Fenster in den Tod.

Robert hält Vicente für schuld am Suizid seiner Tochter und sinnt auf Rache. Er lauert vor dem Modegeschäft, wartet, bis Vicente herauskommt und mit dem Motorrad losfährt. Robert folgt ihm und rammt ihn in einem Waldstück. Vicente stürzt.

Als er das Bewusstsein wiedererlangt, befindet er sich in einem Kellergewölbe und ist angekettet.

Seine Mutter meldet ihn als vermisst. Das Wrack des Motorrads wird bald gefunden, aber von Vicente fehlt jede Spur, und die Polizei geht davon aus, dass der 27-Jährige durchgebrannt ist, denn es ist bekannt, dass er aus Toledo fort wollte.


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In seiner Villa führt Robert hin und wieder illegale Geschlechtsumwandlungen durch. Dabei assistieren ihm Fulgencio (Eduard Fernández) und zwei andere Kollegen. Als Robert sie erneut in seine Villa bittet, gehen sie davon aus, dass auch dieser Eingriff auf Wunsch des jungen Mannes erfolgt, wundern sich allerdings darüber, dass er noch keine Hormonbehandlung durchführen ließ.

Nachdem Vicente aus der Narkose erwacht ist, eröffnet Robert ihm, dass er nun statt des Gemächts eine Vulva habe und bringt ihm Dilatoren verschiedener Größe, mit denen er die Vagina offen halten und allmählich erweitern soll. Erst jetzt gibt er sich als Normas Vater zu erkennen.

Es dauert Monate, bis Robert aus Vicente eine junge Frau gemacht hat, der er den Namen Vera gibt. Das nach Cals Vorbild modellierte Gesicht ist noch bandagiert, als er ihren makellosen Körper betrachtet und ihre Brüste betastet. Zur Schonung ihrer Haut gibt er ihr einen Body zum Anziehen. Sie schlägt ihn nieder und versucht zu fliehen. Doch er betätigt eine Fernbedienung und verriegelt damit die Haustüre. Vera nimmt ein Messer und droht, sich die Kehle durchzuschneiden. Robert glaubt nicht, dass sie dazu fähig ist, aber sie fügt sich eine klaffende Halswunde zu. Nur mit einer sofortigen Operation kann Robert ihr das Leben retten.

Vier Jahre und zwei Monate nach Normas Suizid holt Robert seine Mutter nach Toledo und bittet sie, den Haushalt zu führen.

– – –

Beim Frühstück am Morgen nach der Ermordung Zecas belauern sich die beiden Frauen, die sich gegenseitig misstrauen. Während sie in der Stadt Kleidung für Vera kaufen, erhält Robert Besuch von seinem Kollegen Fulgencio. Der vermutet inzwischen, dass es sich bei dem operierten jungen Mann um Vicente Guillén handelt, von dem in der Zeitung steht, dass er noch immer vermisst wird. Als Vera zurückkommt und hört, was der Besucher sagt, versichert sie ihm unaufgefordert, sie sei freiwillig hier und nie etwas anderes als eine Frau gewesen. Verunsichert verlässt Fulgencio die Villa.

Am Abend will Robert endlich mit Vera schlafen. Sie behauptet, die Vagina schmerze noch. Sie habe Gleitcreme gekauft, sagt sie und steht auf, um sie zu holen. Aber sie zieht sich an, kommt mit einer Pistole in der Hand zurück und erschießt Robert. Der Knall weckt Marilia. Sie nimmt ebenfalls eine Waffe und geht ins Schlafzimmer ihres Sohnes. Er liegt tot im Bett. Vera, die sich unter dem Bett versteckt hat, tötet auch Marilia.

Dann lässt sie sich mit einem Taxi zum Modegeschäft ihrer Mutter bringen. Die langjährige Angestellte Cristina (Bárbara Lennie) will die vermeintliche Kundin bedienen. Deren Behauptung, Vicente zu sein, glaubt sie erst, als Vera ihr das Kleid zeigt, das sie ihr vor sechs Jahren schenken wollte. Die Inhaberin wundert sich darüber, dass die beiden Frauen weinen. Sie geht hin, und Cristina sagt ihr, was sie soeben erfuhr.

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Bei der Verfilmung des 1995 von Thierry Jonquet veröffentlichten Kriminalromans „Mygale“ („Die Haut, in der ich wohne“, Übersetzung: Holger Fock und Sabine Müller, Hoffmann und Campe, Hamburg 2008, 140 Seiten, ISBN 978-3-455-03692-3) hielt sich Pedro Almodóvar nur locker an die Vorlage.

„Die Haut, in der ich wohne“ variiert zunächst den Frankenstein-Mythos (Frankenstein oder Der moderne Prometheus): Ein Arzt formt einen Menschen nach seinen Vorstellungen. Damit verbunden ist die Frage, ob Wissenschaftler alles, was möglich ist, auch machen dürfen, oder ob es ethische Grenzen gibt. Den Akzent setzt Pedro Almodóvar allerdings auf den Teil der Geschichte, der sich um Verlust und Schmerz, Schuld und Rache, sexuelle Identität, Macht, Abhängigkeit und Unterwerfung dreht. Auch das Stockholm-Syndrom wird tangiert. Die Liebe, um die es hier geht, basiert nur auf Umständen oder Äußerlichkeiten.

Außer an Filme über Frankenstein („Mary Shelley’s Frankenstein“, Andy Warhol’s Frankenstein“, „Van Helsing“) erinnert „Die Haut, in der ich wohne“ auch an „Vertigo“ von Alfred Hitchcock, „Augen ohne Gesicht“ von Georges Franju und „Rabid. Der brüllende Tod“ von David Cronenberg.

Wieder einmal zeigt sich Pedro Almodóvar als virtuoser Erzähler abseits der ausgetretenen Pfade. „Die Haut, in der ich wohne“ ist eine bizarre Mischung aus Melodram und Burleske, Psychothriller und Horrorfilm. Die Handlung entwickelt sich zunächst linear bis zu einem Wendepunkt. Dann dreht Pedro Amodóvar die Zeit um sechs Jahre zurück und es sieht so aus, als erzähle er jetzt etwas anderes. Aber es ist die Vorgeschichte, die schließlich in den gegenwärtigen Handlungsablauf einmündet. Das Tempo ist bedächtig und die ausgesprochen ästhetischen Bilder wirken unterkühlt. Dieser Eindruck wird durch die kongeniale Musik von Alberto Iglesias verstärkt.

Dass die schöne junge Frau, die der Mediziner gefangen hält, Vera heißt, ist eine Pointe, denn der Name wird mit „wahr“ assoziiert.

Übrigens reicht „Die Haut, in der ich wohne“ in die Zukunft, denn der Film kam 2011 ins Kino, die Handlung spielt jedoch zwischen 2006 und 2012.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012

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