Der junge Törless

Der junge Törless

Der junge Törless

Originaltitel: Der junge Törless – Regie: Volker Schlöndorff – Drehbuch: Herbert Asmodi, nach dem Roman "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" von Robert Musil – Kamera: Franz Rath, Jürgen Jürges – Schnitt: Claus von Boro – Musik: Hans Werner Henze – Darsteller: Mathieu Carrière, Marian Seidowsky, Bernd Tischer, Fred Dietz, Lotte Ledl, Jean Launay, Barbara Steele, Herbert Asmodi, Hanna Axmann-Rezzori, Fritz Gehlen u.a. – 1966; 85 Minuten

Inhaltsangabe

Als der Internats-Zögling Reiting seinen Mitschüler Basini bei einem Diebstahl ertappt, zeigt er ihn nicht an, sondern erpresst ihn: Basini muss sich ihm und Beineberg – dem Bestohlenen – vorbehaltlos unterwerfen und ihre immer brutalere Tyrannei erdulden. Törless schaut dabei zu und schreibt seine Beobachtungen auf, denn er möchte verstehen, was geschieht, wenn jemand gequält und gedemütigt wird.
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Kritik

In "Der junge Törless" – einer kongenialen Verfilmung des Romans "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" von Robert Musil – veranschaulicht Volker Schlöndorff psychologische Vorgänge bei der Entstehung totalitärer Gesellschaftsformen.
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Nachdem Thomas Törless (Mathieu Carrière) sich am Bahnhof von Neudorf in der k. u. k. Monarchie von seinen Eltern (Hanna Axmann-Rezzori, Herbert Asmodi) verabschiedet hat, die zu Besuch aus der Heimatstadt gekommen waren, geht er mit drei Mitschülern ins Internat zurück.

Unterwegs kehren sie in einer Gaststätte ein, und der Zögling Anselm von Basini (Marian Seidowsky) gibt großspurig eine Runde aus. Als er sich von der Wirtin (Lotte Ledl) zum Würfelspiel herausfordern lässt, verliert er das ganze Geld, das er noch bei sich hat.

Deshalb kann er seinem Mitschüler Reiting (Fred Dietz) am Abend nicht fristgemäß den Betrag zurückzahlen, den er vor einiger Zeit von ihm lieh. Reiting gewährt ihm einen Tag Aufschub und droht Basini damit, dass dieser ihm vorbehaltlos dienen müsse, falls er seine Schulden am nächsten Tag noch immer nicht begleichen könne.

Nachts bricht Basini den Spind des Zöglings Beineberg (Bernd Tischer) auf und stiehlt dessen Geld.

Damit ist es ihm möglich, am nächsten Tag in einer Gaststätte erneut auf großem Fuß zu leben. Reiting, der mit ihm am Tisch sitzt, wundert sich darüber. Da er jedoch gehört hat, dass Beineberg bestohlen wurde, beschuldigt er Basini, der Dieb zu sein. Mit der Drohung, ihn sonst bei der Schulleitung anzuzeigen, erpresst Reiting das Versprechen, dass Basini ihm von nun an gehorchen werde.

Währenddessen suchen Beineberg und der junge Törless, die am Nachbartisch saßen, Bozena (Barbara Steele) auf. Die Prostituierte, die einen Säugling hat, wirft den jungen Zöglingen aus vornehmen Häusern Heuchelei vor, weil sie sich heimlich zu ihr schleichen, aber auf der Straße vorgeben, sie nicht zu kennen, wenn ihre Eltern oder Lehrer in der Nähe sind.

Nachts treffen sich Reiting, Beineberg und Törless in einem Versteck auf dem Dachboden des Internats. Reiting klärt seine beiden Mitschüler darüber auf, dass Basini der Dieb ist und sie ihn deshalb in der Hand haben. Während der junge Törless zunächst dafür plädiert, ihn anzuzeigen, wollen Reiting und Beineberg die Gelegenheit nutzen, Basini gewissermaßen zu versklaven.

Am nächsten Tag fordern sie Basini auf, sich ihnen uneingeschränkt zu unterwerfen. Bei einer „Gerichtssitzung“ verprügeln Reiting und Beineberg den Dieb, und Törless schaut dabei zu. Seine Beobachtungen und Gedanken hält er in einem Heft schriftlich fest.

Während Reiting und Beineberg immer neue demütigende Schikanen für Basini aushecken, sucht der junge Törless den Mathematiklehrer (Jean Launay) auf und fragt ihn, wie es möglich sei, mit imaginären Zahlen zu rechnen. Der Lehrer meint jedoch nur, dass Törless auf seinem jetzigen Wissensstand nicht in der Lage sei, eine Erklärung zu verstehen und sich deshalb gedulden müsse.

Beineberg weist Törless darauf hin, dass Basini von Reiting zu homosexuellen Handlungen gezwungen werde. Damit kann Beineberg nun auch Reiting unter Druck setzen.

Es gibt ein paar Tage Ferien, und die meisten Zöglinge reisen nach Hause, auch Reiting und Beineberg. Törless und Basini bleiben zurück. Als Törless nachts mit Basini in das Versteck unter dem Dach geht, zieht dieser unaufgefordert sein Nachthemd aus, aber Törless hat nicht vor, ihn anzufassen; er will erforschen, was Basini fühlt, wenn er gequält und erniedrigt wird. Der bodenständige Zögling, der über die Vorgänge nicht weiter nachdenkt, versteht den grüblerischen, verkopften Mitschüler jedoch nicht.

Nach den Ferien konstatieren Reiting und Beineberg, dass Basini sich an die Torturen gewöhnt habe und deshalb eine Steigerung erforderlich sei. Auf dem Dachboden versucht Beineberg, Basini zu hypnotisieren und sticht ihm dann eine heiß gemachte Nadel in den Oberarm. Reiting und Törless schauen zu. Als Beineberg den Mitschüler zum Schweben bringen will, stürzt dieser zu Boden und kommt wieder zu sich. Wütend prügelt Beineberg auf ihn ein.

Kurz darauf wird Törless im Park des Internats von Basini um Hilfe angefleht. Törless lehnt es ab, sich für seinen drangsalierten Mitschüler einzusetzen. Reiting sieht die beiden und schreitet ein. Da eröffnet Törless ihm, dass ihn die Quälerei Basinis inzwischen anwidere und er nicht länger zusehen wolle. Reiting und Beineberg drohen ihm daraufhin, ihn als Komplizen des Diebs Basini anzuprangern, aber Törless lässt sich nicht von ihnen einschüchtern.

Im Schlafsaal warnt Törless Basini und schlägt vor, alles dem Schulleiter (Fritz Gehlen) zu gestehen.

Bevor sie etwas unternehmen können, klären Reiting und Beineberg die ganze Klasse am nächsten Morgen darüber auf, wer der Dieb ist. Nachdem sich die Schüler in der Turnhalle verbarrikadiert haben, knebeln sie Basini und hängen ihn mit den Füßen an den Ringen auf. Vergeblich ergreift Törless Partei für ihn. Das Geschrei alarmiert den Rektor und die Lehrer. Sie brechen die Türe auf.

Im Zuge der Untersuchungen entdecken sie auch das Versteck auf dem Dachboden. Reiting und Beineberg behaupten vor der Lehrerkonferenz, sie hätten Basini aus Mitleid nicht als Dieb angezeigt und stattdessen versucht, ihn auf den rechten Weg zurückzuführen.

Der junge Törless läuft davon, geht zu Bozena und weiht sie in sein Vorhaben ein, das Internat zu verlassen. Dann kehrt er zurück und erläutert den Lehrern seine Beweggründe. Er habe herausfinden wollen, was geschieht, wenn jemand gequält und gedemütigt wird. Dabei will er erkannt haben, dass es nichts Besonderes ist, wenn ein grausamer Tyrann ein Opfer findet, das sich ihm unterwirft.

Die Lehrerkonferenz relegiert Thomas Törless. Seine Mutter holt ihn ab.

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Unter dem Titel „Der junge Törless“ verfilmte Volker Schlöndorff den 1906 veröffentlichten Roman „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“, in dem Robert Musil (1880 – 1942) wohl auch eigene Erlebnisse in den Kadettenanstalten von Eisenstadt (1892 – 1894) und Mährisch-Weißkirchen (1894 – 1897) verarbeitete. Es ist eine kongeniale Adaption ohne Effekthascherei.

Im Mikrokosmos eines Internats veranschaulichen Robert Musil und Volker Schlöndorff die Bildung einer autoritären Gesellschaftsstruktur. Unter den Zöglingen herrscht eine Hackordnung, in der Basini ziemlich weit unten steht. Während es sich bei Reiting um einen Sadisten mit homosexuellen Neigungen handelt, der Spaß daran hat, einem Unterlegenen seine Macht aufzuzwingen, rechtfertigt Beineberg die Quälerei Basinis mit einem höheren Zweck: Er will die Seele aufspüren und sich weiterentwickeln, indem er Gefühle wie Mitleid in sich abtötet. Der junge Törless, ein außergewöhnlich sensibler, grüblerischer Adoleszent, nimmt bei den Vorgängen die Position eines mehr oder weniger passiven Beobachters (innere Emigration) bzw. Mitläufers ein.

Auf äußere Ereignisse kommt es weder im Roman „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ noch im Film „Der junge Törless“ besonders an; im Fokus stehen die psychologischen und gruppendynamischen Vorgänge sowie die Zusammenhänge zwischen charakterlichen Dispositionen und totalitären Gesellschaftsformen.

Den Roman „Die Verwirrungen des Zöglings Törless“ gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Ulrich Tukur.

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Inhaltsangabe und Filmkritik: © Dieter Wunderlich 2009

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