Diplomatie

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Diplomatie – Originaltitel: Diplomatie – Regie: Volker Schlöndorff – Drehbuch: Cyril Gely und Volker Schlöndorff, nach dem Theaterstück "Diplomatie" von Cyril Gely – Kamera: Michel Amathieu – Schnitt: Virginie Bruant – Musik: Jörg Lemberg – Darsteller: André Dussollier, Niels Arestrup, Burghart Klaußner, Robert Stadlober, Charlie Nelson, Jean-Marc Roulot, Stefan Wilkening, Thomas Arnold, Lucas Prisor, Attila Borlan, Claudine Acs, Dominique Engelhardt, Johannes Klaußner, Charles Morillon u.a. – 2014; 85 Minuten

Inhaltsangabe

In der Nacht vom 24./25. August 1944 taucht Raoul Nordling, der schwedische Konsul in Paris, bei General Dietrich von Choltitz auf, dem deutschen Stadt­komman­dan­ten von Paris, der die französische Metropole noch in der Nacht zerstören will, wie es von Hitler befohlen wurde. Alles ist für die Sprengungen vorbereitet. Nordling zieht alle Register, um die herrliche Stadt vor dem Untergang zu bewahren. Von Choltitz gibt sich entschlossen, obwohl er zögert. Er weiß, dass der Krieg so oder so verloren ist ...
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Kritik

Bei der Verfilmung des Theater­stücks "Diplomatie" von Cyril Gely durch Volker Schlöndorff handelt es sich beinahe um ein Kammerspiel. Im Mittelpunkt steht ein Rededuell der beiden von André Dussollier und Niels Arestrup überzeugend verkörperten Hauptfiguren.
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Die am 6. Juni 1944 in der Normandie gelandeten Alliierten kämpfen sich nach Osten vor und stehen unmittelbar vor Paris. Die Stadt wird von den Deutschen nicht zu halten sein. Hitler befiehlt am 23. August 1944 die Verwüstung der Metropole. Dietrich von Choltitz (Niels Arestrup), seit 1. August General und Stadtkommandant von Groß-Paris, ordnet die Verminung von 43 Seine-Brücken und zahlreicher historischer Bauwerke an. Am Abend des 24. August meldet Hauptmann Werner Ebernach (Burghart Klaußner), dass alles vorbereitet ist, und der kollaborierende französische Bauingenieur Jacques Lanvin (Jean-Marc Roulot) versichert, dass ein Großteil des Stadtkerns durch die von den Brückensprengungen ausgelöste Flutwelle in der Seine zerstört wird.

General von Choltitz weiß, dass die Vernichtung der herrlichen Stadt keinen militärischen Zweck hat und vermutet, dass Hitler den Befehl nur deshalb gegeben hat, weil er den Gedanken nicht erträgt, dass Paris noch existiert, während Berlin in Trümmern liegt und die Reichshauptstadt Germania ein Traum geblieben ist. Aber der General fühlt sich verpflichtet, auch diesen Befehl auszuführen.

Als er allein in der zum Amtssitz des Stadtkommandanten umfunktionierte Suite im Hotel Le Meurice zurückgeblieben ist, steht unvermittelt der schwedische Generalkonsul Raoul Nordling (André Dussollier) vor ihm. Dietrich von Choltitz wundert sich darüber, wie der Besucher unbemerkt die Wachen passierte, aber der Diplomat zeigt ihm die in der Bücherwand versteckte Türe und den von Napoleon III. angelegten Geheimgang, durch den er kam. Der deutsche Stadtkommandant ist entsetzt: Wie leicht hätte sich statt des schwedischen Diplomaten ein bewaffnetes Mitglied der Résistance bei ihm einschleichen und ihn töten können!

Die Herren kennen sich bereits, denn Raoul Nordling vermittelte bei den Verhandlungen der deutschen Besatzer mit der Résistance über die Freilassung gefangener Widerstandskämpfer.

Der Schwede Raoul Nordling, der in Paris geboren wurde, weist den deutschen Befehlshaber, der erst seit Anfang des Monats hier ist, auf die Schönheit der Stadt hin und bittet darum, sie zu verschonen. Davon will der General nichts wissen, denn das wäre Befehls­ver­weige­rung. Nordling, der sich offenbar gründlich über die Verhältnisse informiert hat, beschreibt die Stärke der gegnerischen Kräfte, und als von Choltitz mit den SS-Divisionen prahlt, die aus Däne­mark abgezogen wurden, um seine Einheiten in Paris zu verstärken, erwähnt er nur flüchtig, dass sie nördlich von Soisson feststecken. Der Konsul des neutralen Königreichs Schweden überbringt einen Brief des Résistance-Generals Jacques-Philippe Leclerc für den deutschen Stadtkommandanten, aber General von Choltitz zerreißt ihn, ohne auch nur das Kuvert geöffnet zu haben. Er weiß auch so, dass es sich um eine Aufforderung zur Kapitulation handelt. Laut sagt er, es sei nicht üblich, dass feindliche Generale sich Briefe schreiben.

Oberleutnant Hegger (Thomas Arnold) meldet telefonisch, dass drei Männer aufgegriffen wurden, die eine der Sprengladungen im Parlamentsgebäude unschädlich machen wollten. Ohne zu zögern, befiehlt General von Choltitz, die drei französischen Saboteure zu erschießen, und Hegger führt den Befehl sogleich aus.

Die Zerstörung von Paris würde nicht nur eine spätere Aussöhnung des deutschen und des französischen Volkes nahezu unmöglich machen, sondern Deutschland auch für lange Zeit aus der Völkergemeinschaft verbannen, argumentiert Raoul Nordling und appelliert an General von Choltitz, die langfristigen und schwer­wiegenden Folgen seiner Entscheidung zu bedenken. Während man die Bombardierung deutscher Städte nicht mit einer bestimmten Person assoziiere, sagt er, ginge Dietrich von Choltitz als der Verbrecher in die Geschichte ein, der eine grandiose Metropole mit ihren historischen Bauwerken zerstörte. Würde der Stadtkommandant jedoch die von Hitler befohlene Verwüstung von Paris verhindern, wäre er für alle Zeiten ein Held.

Zwei SS-Offiziere (Lucas Prisor, Attila Borlan) treffen aus Berlin ein. Sie haben die Front überquert, um dem Stadtkommandanten die Bitte Heinrich Himmlers zu überbringen, einige aufgelistete Werke noch rasch vor der Zerstörung der Stadt aus dem Louvre zu holen und ihm zu schicken. Außerdem überbringen die beiden Männer die Nachricht, dass General Carl-Heinrich von Stülpnagel in Berlin-Plötzensee an einem Fleischerhaken aufgehängt worden sei. [Tatsächlich wurde Carl-Heinrich von Stülpnagel am 30. August 1944 hingerichtet.] Angewidert wendet sich Dietrich von Choltitz von den SS-Offizieren ab, die gierig das servierte Essen verschlingen und den erlesenen Wein aus der Flasche trinken.

Durch den Hinweis auf General von Stülpnagels Schicksal aufgeschreckt, erklärt General von Choltitz dem schwedischen Diplomaten, dass Hitler nach dem fehlgeschlagenen Attentat am 20. Juli 1944 über alle Verdächtigen die Sippenhaft verhängte. Falls er sich dem Befehl zur Zerstörung von Paris widersetze, werde die Gestapo unverzüglich seine Ehefrau und seine drei Kinder in Baden-Baden abholen, sagt er. Und das wolle er nicht riskieren.

Als Raoul Nordling seinen Hut in die Hand genommen hat und zur Tür geht, krümmt Dietrich von Choltitz sich plötzlich: ein Asthmaanfall! Der Gepeinigte drängt seinen Besucher, ihm Tabletten aus einer Schublade zu bringen. In der Schublade liegt auch eine Pistole, aber der Diplomat beachtet sie nicht weiter. Als von Choltitz sich wieder erholt hat, fragt er, warum Nordling ihm geholfen habe. Das sei für ihn selbstverständlich gewesen, erklärt der Schwede.

Ein Soldat fragt, wo er sich mit den 20 noch im Hotel verbliebenen Kameraden verbarrikadieren soll. Der Stadtkommandant ordnet an, dass alle Männer, die jünger als 20 sind – das sind fast alle –, unverzüglich abrücken und versuchen, sich nach Osten durchzuschlagen.

Dann erzählt er dem schwedischen Konsul, dass er zwei Wochen nach dem Attentat vom 20. Juli in der Wolfschanze bei Rastenburg war und mit eigenen Augen sah, dass aus Hitler ein sabberndes und nervös zuckendes Wrack geworden ist. Nur aus Sorge um seine Familienangehörigen widersetze er sich nicht dem Befehl, Paris zu zerstören, erklärt er. Nordling verspricht ihm, Frau von Choltitz und die Kinder persönlich über die Grenze in die Schweiz zu schmuggeln und behauptet, er habe seine eigene jüdische Ehefrau erst kürzlich nach Lausanne gebracht. Dietrich von Choltitz vertraut ihm seinen Ehering an, damit er sich gegenüber seiner Frau Huberta ausweisen kann.

Im Morgengrauen des 25. August geht der General in Begleitung des Konsuls aufs Dach des Hotels hinauf und erteilt per Funk den Befehl, die Sprengungen zu unterlassen.

Oberleutnant Hegger akzeptiert die Zurücknahme des Befehls nicht und will die vorbereiteten Zerstörungen dennoch auslösen. Aber Jacques Lanvin verhindert das, indem er ihn erschießt.

Die Kirchenglocken läuten. Sie verkünden die Befreiung der Stadt durch die Alliierten.

Durch die Schlussszene begreifen wir, dass der Concierge des Hotels (Charlie Nelson) mit Raoul Nordling konspirierte und dieser gar keine Möglichkeit hat, Angehörige des Generals aus Deutschland zu schmuggeln.

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Am 1. Oktober 2011 wurde das Theaterstück „Diplomatie“ von Cyril Gely (* 1968) am Théâtre de la Madeleine mit André Dussollier und Niels Arestrup in den Hauptrollen uraufgeführt. Mit Volker Schlöndorff zusammen adaptierte Cyril Gely sein Bühnenstück dann fürs Kino.

Während das Theaterpublikum jeweils beide Kontrahenten aus einiger Entfernung sieht, nutzt Volker Schlöndorff die Möglichkeiten des Films: Schnitt und Gegenschnitt, Abwechslung von ruhigeren und schnelleren Schnittfolgen, Kamerabewegungen, die dem lauernden Blick des Diplomaten entsprechen, Gesichter in Nahaufnahmen … Außerdem sehen wir immer wieder ein Panorama von Paris. Eher störend in diesem Kammerspiel wirken dagegen die eingeblendeten Szenen aus dem Parlamentsgebäude, wo Oberleutnant Hegger mit seinen Männern bereitsteht, die Sprengungen auszulösen.

Die in der Nacht vom 24./25. August 1944 in Paris spielende Geschichte wird aus der Perspektive Raoul Nordlings, des schwedischen Generalkonsuls in Paris, erzählt.

Zu Beginn denkt er an die Zerstörung Warschaus. Wir sehen die Ruinen und hören dazu den Beginn des zweiten Satzes der 7. Sinfonie von Ludwig van Beethoven.

André Dussollier verleiht dem aus einer Geheimtüre in den Raum tretenden Diplomaten Raoul Nordling dämonische Züge. In dem Rededuell mit dem vergleichsweise biederen deutschen Stadtkommandanten zieht er alle Register, um ihn davon abzubringen, die Stadt zu zerstören. Beschwörung, Drohung und Verlockung wechseln sich ab; Raoul Nordling schreckt auch nicht vor Finesse, Lüge und Täuschung zurück. Sein Erfolg demonstriert, was durch diplomatisches Geschick und Beharrlichkeit zu erreichen ist.

Dietrich von Choltitz wird von Niels Arestrup weder als tragischer Held noch als gewissenloser Schurke dargestellt, sondern als Zweifelnder, der durch forsches Auftreten über seine Unschlüssigkeit hinwegzutäuschen versucht. Er weiß längst, dass der Krieg für Deutschland verloren ist, fühlt sich aber nach wie vor an seinen Eid gebunden und will seine Familienangehörigen nicht gefährden.

Das Gedankenspiel einer verbalen Auseinandersetzung der Figuren Raoul Nordling und Dietrich von Choltitz macht „Diplomatie“ zum packenden Gewissensdrama.

Die anderen Figuren ergänzen das Bild. Hauptmann Werner Ebernach (Burghart Klaußner) steht für Feigheit: Er versucht sich vor dem anrückenden Feind in Sicherheit zu bringen. Leutnant Bressensdorf (Robert Stadlober) repräsentiert den prinzipienlosen Mitläufer und Befehlsempfänger. Oberleutnant Hegger (Thomas Arnold) dagegen gehört zu den fanatischen Nationalsozialisten, die selbst in aussichtsloser Situation noch möglichst viel zerstören wollen. Die beiden barbarisch fressenden und saufenden SS-Offiziere sind allerdings plumpe Karikaturen aus dem Komödienstadel.

Die Dreharbeiten für „Diplomatie“ fanden vom 19. August bis 21. September 2013 unter der Regie von Volker Schlöndorff in Paris statt.

Übrigens befassten sich auch Larry Collins und Dominique Lapierre in ihrem Tatsachenroman „Paris brûle-t-il?“ mit den Vorgängen im August 1944 in Paris („Brennt Paris?“, Übersetzung: Dieter Flamm, Gretel Spitzer, Alfred P. Zeller, Scherz Verlag, Bern / München / Wien 1964). René Clément verfilmte den Roman.

Brennt Paris? – Originaltitel: Paris brûle-t-il? – Regie: René Clément – Drehbuch: Gore Vidal, Francis Ford Coppola, Jean Aurenche, Pierre Bost, Claude Brulé, nach dem Roman „Brennt Paris?“ von Larry Collins und Dominique Lapierre – Kamera: Marcel Grignon – Schnitt: Robert Lawrence – Musik: Maurice Jarre – Darsteller: Jean-Paul Belmondo, Charles Boyer, Leslie Caron, Jean-Pierre Cassel, Bruno Crémer, Claude Dauphin, Alain Delon, Kirk Douglas, Pierre Dux, Glenn Ford, Billy Frick, Gert Fröbe, Ernst Fritz Fürbringer, Günter Meisner, Hannes Messemer, Harry Meyen, Yves Montand, Michel Piccoli, Anthony Perkins, Simone Signoret, Jean-Louis Trintignant, Marie Versini, Orson Welles u.a. – 1966; 175 Minuten

Sowohl in „Brennt Paris?“ als auch in „Diplomatie“ werden historische Tatsachen mit fiktiven Handlungen verknüpft. Zu den Fakten gehört, dass Hitler am 23. August 1944 die Zerstörung von Paris befahl: „Paris darf nicht oder nur als Trümmerfeld in die Hand des Feindes fallen.“

Dietrich von Choltitz (1894 – 1966) war nach dem gescheiterten Stauffenberg-Attentat vom 20. Juli 1944 einer der wenigen hohen Militärs, denen Hitler noch vertraute – obwohl er möglicherweise zumindest zum Kreis der Mitwisser gehörte. Am 1. August 1944 beförderte Hitler ihn zum General der Infanterie und ernannte ihn als Nachfolger von Hans von Boineburg-Lengsfeld (Reichsfreiherr von Boineburg-Lengsfeld, 1889 – 1980) zum Kommandierenden General und Wehrmachtbefehlshaber von Groß-Paris. Am 9. August traf General von Choltitz in Paris ein und bezog seinen Amtssitz im Hôtel Le Meurice. Um einen Aufstand der durch die Landung der Alliierten am 6. Juni in der Normandie und deren Vormarsch ermutigten Bevölkerung zu verhindern, demonstrierte der neue Stadtkommandant einerseits Stärke, verhandelte aber gleichzeitig mit der Résistance. Dabei half der in Paris geborene und mit einer Französin verheiratete schwedische Generalkonsul Raoul Nordling (1881 – 1962) als Vermittler. Am 17. August einigten sich die Parteien ohne Einschaltung der deutschen Heeresleitung auf die Freilassung politischer Gefangener, und als es am Tag darauf dennoch zu Straßenkämpfen kam, vermittelte Raoul Nordling am 19. August eine Abmachung über eine Waffenruhe der Résistance (die allerdings nicht eingehalten wurde). Als die Alliierten am Abend des 24. August die Vororte von Paris erreichten, läuteten die Kirchenglocken.

Das nächtliche Rededuell zwischen Raoul Nordling und Dietrich von Choltitz ist fiktiv, aber der Stadtkommandant übergab Paris tatsächlich am Nachmittag des 25. August 1944 unzerstört. Charles de Gaulle betrachtete diesen Schritt später als Grundlage der deutsch-französischen Aussöhnung.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2015

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