Enigma. Eine uneingestandene Liebe

Enigma. Eine uneingestandene Liebe

Enigma. Eine uneingestandene Liebe

Originaltitel: Enigma. Eine uneingestandene Liebe - Regie: Volker Schlöndorff - Drehbuch: Volker Schlöndorff, nach dem Theaterstück "Variations Enigmatiques" ("Enigma") von Eric-Emmanuel Schmitt - Kamera: Tomas Erhart - Schnitt: Heidi Handorf - Musik: Benedikt Schiefer - Darsteller: Mario Adorf, Justus von Dohnányi u.a. - 2005; 80 Minuten

Inhaltsangabe

Ausgerechnet Erik Larsen, der sich als Provinzjournalist ausgibt, erhält von dem Literaturnobelpreisträger Abel Znorko, der sich auf eine norwegische Insel zurückgezogen hat, die Zusage für ein Interview. Znorkos neuestes Buch – "Die uneingestandene Liebe" – besteht aus dem Briefwechsel eines Mannes und einer Frau. Gewidmet ist es "H. M." Wie in einem Duell umkreisen sich die beiden Männer, bis Znorko verrät, wer mit den Initialen gemeint ist und Larsen seine wahre Identität aufdeckt ...
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Kritik

Volker Schlöndorff verfilmte das Theaterstück "Enigma" von Eric-Emmanuel Schmitt, das er zuvor bereits in Berlin auf der Bühne inszeniert hatte. Bei "Enigma" handelt es sich um ein spannendes verbales Duell von zwei Männern, die von Mario Adorf und Justus von Dohnányi hervorragend gespielt werden.
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Der Literaturnobelpreisträger Abel Znorko (Mario Adorf) hat sich vor zehn Jahren auf eine norwegische Insel zurückgezogen, liest keine Zeitungen, hat weder ein Radio- noch ein Fernsehgerät und empfängt niemanden außer dem Besitzer eines Fischerboots, der ihm liefert, was er benötigt, darunter auch immer wieder eine Prostituierte. „Aber niemals dieselbe ein zweites Mal“, erläutert der Fischer dem Fremden, den er zu der Insel hinüberbringt. Erik Larsen (Justus von Dohnányi) ist eigens dreihundert Kilometer weit gefahren, um Znorko zu besuchen.

Als er zu dem einzigen Haus auf den Felsen hinaufklettert, schießt Znorko mit einem Gewehr auf ihn. Larsen erinnert ihn daran, dass er ihm in einem Brief ein Exklusivinterview versprochen habe. Mürrisch bittet der Misanthrop den Besucher daraufhin ins Haus und legt sein Gewehr weg: „Leiche oder Gast. Nachdem ich sie nicht erschossen habe, sind Sie jetzt mein Gast.“

Znorko hat soeben sein einundzwanzigstes Buch veröffentlicht: „Die uneingestandene Liebe“. Es handelt sich um einen Briefroman, um die Korrespondenz zwischen einem Mann namens Abel Znorko und eine Frau, die im Buch Eva Lamort heißt. Die meisten Literaturkritiker halten „Die uneingestandene Liebe“ für Znorkos bestes, wahrhaftigstes, intimstes Werk und fragen sich, wieviel Autobiografisches darin verborgen ist. „Die uneingestandene Liebe“ ist „H. M.“ gewidmet. Wer damit gemeint sei, fragt Larsen. „Wenn ich gewollt hätte, dass man es erfährt, hätte ich den Namen ausgeschrieben“, antwortet Znorko. Aber dann tut er doch so, als ob er Larsen ein Geheimnis verraten wolle und behauptet, das Buch seinem inzwischen verstorbenen ersten Verleger – Henri Metzger – gewidmet und aus Rücksicht auf seinen derzeitigen Verleger nur die Initialen verwendet zu haben.

Larsen wundert sich darüber, dass ein Menschenfeind, der seit Jahren allein auf einer Insel wie in einer Festung lebt, differenziert und präzise über menschliches Verhalten schreiben kann. Auch von der Liebe handeln Znorkos Bücher, und dabei behauptet dieser doch, die Liebe sei bloß eine Perversion der Sexualität, eine Komplikation, mit der er nichts zu tun haben wolle.

Als Larsen fragt, was Znorko mit dem vielen Geld mache, das er für seine Bücher bekommt, behauptet der Schriftsteller lachend, er horte es. Aber sein Besucher kennt das Geheimnis: Znorko spendet fast seine gesamten Einnahmen für die Krebsforschung.

Die beiden Männer haben offenbar eine gemeinsame Bekannte in der Provinzstadt, aus der Larsen kommt: die Lehrerin Helene Metternach. Znorko versucht zwar zu verbergen, wie sehr er sich für die Frau interessiert, aber es gelingt ihm nicht ganz. War das der Grund dafür, dass der Journalistenhasser Znorko ausgerechnet dem Reporter eines Provinzblättchens ein Interview zusagte?

Ob „H. M.“ für Helene Metternach stehe, fragt Larsen. Da gesteht Znorko, dass „Die uneingestandene Liebe“ Helene Metternach gewidmet ist. Er lernte sie vor fünfzehn Jahren bei einem literarischen Kongress kennen, lud sie in ein Restaurant ein, und danach nahm sie ihn mit in ihre Wohnung, die sie dann fünf Monate lang kaum noch verließen. Sie liebten sich mehrmals am Tag. Warum Znorko die Frau nicht geheiratet habe, will Larsen wissen. „Ich ziehe einen kurzen Rausch einer langen Dummheit vor“, antwortet Znorko. Um sich über die „Bocksprünge“ zu erheben, beschlossen Znorko und Helene damals, sich zu trennen und ihre Liebe in einem Briefwechsel zu kultivieren. Seit damals schrieben sie sich beinahe täglich. Doch seit vier Monaten sind seine Briefe unbeantwortet geblieben. Deshalb soll Larsen als Gegenleistung für diese exklusiven Informationen Helene Metternach einen bereits kuvertierten Brief persönlich überbringen.

Offensichtlich hört Larsen nicht unbeteiligt zu. Als Znorko sich nach dem Grund seiner Erregung erkundigt, eröffnet Larsen ihm, dass er kein Journalist, sondern Musiklehrer und Helenes Ehemann sei. Weil Znorko es nicht glauben will, zeigt er ihm das zwölf Jahre alte Hochzeitsfoto und die Heiratsurkunde. Nach dem ersten Schock meint Znorko: „Vergleichen Sie doch ihre unbedeutende Ehe nicht mit einer fünfzehnjährigen großen Liebe!“

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Larsen händigt Znorko ein Bündel ungeöffneter Briefe aus: Seit der Veröffentlichung der Korrespondenz in „Die uneingestandene Liebe“ habe er Znorkos Briefe abgefangen und ungeöffnet aufbewahrt. Durch diesen Briefroman sei Helene getötet worden, sagt Larsen, bevor er Znorko darüber aufklärt, dass Helene nach einem drei Monate langen Todeskampf an Lungenkrebs gestorben ist. Znorko ist macht sich Vorwürfe, in der Stunde ihres Todes nicht bei seiner großen Liebe gewesen zu sein. Larsen erzählt ihm, nach dem Tod seiner Frau habe er die Briefe gefunden und verstanden, dass Helene mit ihm den Alltag und mit Znorko ihre leidenschaftlichen Gefühle teilte. Znorko erinnert sich: Vor zehn Jahren erwähnte Helene in ihren Briefen, dass sie an Krebs erkrankt war, aber damals überwand sie offenbar die Krankheit. Deshalb spendet er seither seine Einnahmen für die Krebsforschung. Znorko schluchzt vor Erschütterung und beschließt, Larsen zu begleiten und Blumen auf das Grab der Verstorbenen zu legen.

Helene starb nicht erst jetzt, sondern bereits vor zehn Jahren! Betroffen setzt Znorko sich hin. Am Tag nach der Beerdigung sei er auf die Briefe gestoßen, erzählt Larsen. Damit Helene in gewisser Weise weiterleben konnte, ahmte er von da an ihre Schrift nach, schlüpfte in ihre Rolle und führte die Korrespondenz mit Znorko weiter, als sei nichts geschehen. Der Schriftsteller kann es nicht fassen: Das Buch, von dem er behauptete, es sei fiktiv, obwohl er selbst es für authentisch hielt, ist in Wirklichkeit noch fiktiver, als er sich das hätte vorstellen können. Zehn Jahre lang hat er ein Phantom geliebt!

Nur wegen einer einzigen Frage sei er gekommen, fährt Larsen fort. „Warum haben Sie den Briefwechsel veröffentlicht?“ Die Antwort steht in dem Brief, den Larsen Helene überbringen sollte. Znorko hat Lungenkrebs und lässt sich nicht behandeln. Um Helene vor seinem Tod noch einmal zu sehen, wollte er sie durch das Buch provozieren und auf diese Weise ein persönliches Treffen herbeiführen.

Zum Abschied sagt Znorko zu Larsen: „Ich will Ihnen schreiben.“

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Eric-Emmanuel Schmitt schrieb das 1996 in Paris uraufgeführte Theaterstück „Variations enigmatiques“ (deutsche Übersetzung von Annette und Paul Bäcker: „Enigma“). Die Rolle des Abel Znorko spielten Alain Delon in Paris, Donald Sutherland am Braodway, Max von Sydow in Stockholm – und Mario Adorf 2004 am Berliner-Renaissance-Theater, in einer Inszenierung von Volker Schlöndorff. Um das Zwei-Mann-Stück mit einer Naturkulisse aufzuladen, adaptierte Volker Schlöndorff es fürs Fernsehen und drehte mit Mario Adorf und Justus von Dohnányi in vierzehn Tagen auf der norwegischen Insel Måløy (Außenaufnahmen) und in Berlin (Innenaufnahmen) „Enigma. Eine uneingestandene Liebe“.

Das Stück wirkt ein wenig konstruiert, und auch aufgrund der Theatersprache kommt erst gar nicht der Eindruck auf, dass es sich um reales Geschehen handelt. Wie wir es von Eric-Emmanuel Schmitt gewohnt sind, ist „Enigma“ nicht frei von Kitsch. Aber es handelt sich um ein spannendes verbales Duell mit mehreren unerwarteten Wendungen, das von zwei hervorragenden Darstellern gespielt wird. Die Rolle des egomanischen Nobelpreisträgers Abel Znorko – „ein Kerl wie eine Festung: uneinnehmbar, kantig, schroff“ (Christine Dössel in: Süddeutsche Zeitung, 9. September 2005) – ist grandios. Es ist sehenswert, wie dieser Felsen im Verlauf der Auseinandersetzung in der Brandung brüchig wird. Der anfangs hilflos unterlegen wirkende Besucher Erik Larsen bringt Abel Znorko schließlich sogar zum Weinen – und zu der schmerzlichen Einsicht, dass er von seiner großen Liebe nur wenig wusste, dass sie ihm unbekannte Facetten aufwies und je nach Partner verschiedene Rollen spielte. Was aber ist dann die Wahrheit?

Die im Film zu hörenden „Enigma Variationen, op. 36“ des englischen Komponisten Edward Elgar (1857 – 1934) wurden vom Bournemouth Symphony Orchestra unter Leitung von George Hurst eingespielt. Der Originaltitel des am 19. Juni 1899 uraufgeführten, später mehrmals überarbeiteten Stückes lautete „Variations on an Original Theme“. Es besteht aus vierzehn Variationen über ein musikalisches Thema, das weder zu Beginn noch an anderer Stelle hervortritt. Die „Enigma Variationen“ sind geheimnisvoll (Enigma bedeutet Rätsel), nicht nur wegen des verborgenen Themas, sondern auch, weil jede Variation mit anderen Initialen überschrieben ist und Edward Elgar nicht verriet, wen er damit meinte.

„Enigma. Eine uneingestandene Liebe“ wurde erstmals am 9. September 2005 zu Ehren des am Vortag fünfundsiebzig Jahre alt gewordenen Mario Adorf im Ersten Programm des Deutschen Fernsehens ausgestrahlt.

Das Theaterstück „Enigma“ von Eric-Emmanuel Schmitt gibt es auch als Hörbuch, gesprochen von Jürgen Hentsch und Winfried Glatzeder (DAV, 2001, ISBN 3-89813-151-3).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005

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