Frederick Forsyth : Die Akte Odessa
Inhaltsangabe
Kritik
Am 22. November 1963 wird US-Präsident John F. Kennedy in Dallas erschossen.
Peter Miller, ein neunundzwanzig Jahre alter freiberuflicher Sensationsreporter in Hamburg, hört die Nachricht im Radio seines schwarzen Jaguar XK 150S. Ebenso wie andere Autofahrer, die ihr Radio eingeschaltet haben, hält er an, denn die Meldung ist zu schockierend, um einfach weiterzufahren.
Kurz darauf wird er von einem Krankenwagen mit eingeschaltetem Blaulicht überholt. Miller folgt ihm in der Hoffnung, eine Story über einen spektakulären Unfall schreiben zu können. Der Krankenwagen hält vor einem Haus, und die Polizei hat die Schaulustigen bereits zurückgedrängt. Zum Glück kennt Miller einen der Beamten: Mit dem Polizeiinspektor Karl Brandt ging er zur Schule. So erfährt er, dass sich ein einsamer Mieter mit Gas das Leben nahm [Suizid]. Wenn jemand sich im Treppenhaus eine Zigarette angezündet hätte, wäre das Gebäude womöglich explodiert. Enttäuscht fährt Miller nach Hause.
Seine Lebensgefährtin Sigrid („Sigi“) Rahn erwartet er erst in den frühen Morgenstunden zurück, denn sie arbeitet als Stripperin und Animierdame in St. Pauli. Eigentlich ist sie Sportlehrerin, aber im Nachtlokal verdient sie deutlich mehr Geld.
Am nächsten Tag verabredet Karl Brandt sich mit Peter Miller und übergibt ihm einen Schnellhefter mit Aufzeichnungen des sechsundfünfzig Jahre alten Selbstmörders Salomon Tauber. Den fand er neben dem Toten und nahm ihn heimlich an sich. Nachdem er den Text noch in der Nacht gelesen hat, hofft er, dass der Reporter daraus einen Zeitungsartikel macht.
Ohne große Begeisterung nimmt Miller das Manuskript mit nach Hause und liest es.
Salomon Tauber wurde als Sohn einer jüdischen Arbeiterfamilie in Hamburg geboren und wuchs hier auf. Seine Eltern starben kurz nach der Machtergreifung Hitlers. Ende der Dreißigerjahre heiratete Tauber eine junge Frau namens Esther. Trotz der Judenverfolgung konnte er in einem Architekturbüro arbeiten, bis ihn die Nationalsozialisten 1941 während eines Aufenthalts in Berlin festnahmen und ins Baltikum deportierten. Am 18. August 1941 traf er zusammen mit zahlreichen anderen Juden in einem aus Viehwaggons zusammengestellten Sonderzug in Riga ein.
Die Wehrmacht hatte Riga am 1. Juli 1941 erobert. Zwei Wochen später erreichten die ersten Vorauskommandos der SS die Hauptstadt Lettlands. Am 1. August wurde das mit Stacheldraht abgeriegelte Ghetto in Riga als Durchgangslager eingerichtet. Bis zum 14. Oktober 1944 wurden 200 000 deutsche und österreichische Juden nach Riga verschleppt. 80 000 von ihnen starben dort, die anderen 120 000 transportierte man weiter in die Vernichtungslager.
Kommandant des Ghettos war von Anfang an der SS-Hauptsturmführer Eduard Roschmann, der „Schlächter von Riga“. Sein Sadismus war gefürchtet.
Jeden Abend standen Roschmann und einige seiner Schergen am Haupttor und machten Stichproben bei den Kolonnen, die [vom Arbeitseinsatz] ins Lager zurückkehrten. Sie riefen willkürlich einen Mann, eine Frau oder ein Kind aus der Kolonne heraus und befahlen ihnen, sich neben dem Tor auszuziehen. Wurde eine Kartoffel oder ein Stück Brot gefunden, so musste die betreffende Person zurückbleiben, während die anderen zum Abendappell auf den Blechplatz weitermarschierten.
Wenn alle dort versammelt waren, kam Roschmann mit den SS-Wachen und den zumeist etwa zehn bis fünfzehn des Lebensmittelschmuggels überführten Häftlingen die Straße zum Appellplatz entlang stolziert. Als erste bestiegen die männlichen Delinquenten das Galgengerüst; mit der Schlinge um den Hals mussten sie das Ende des Appells abwarten. Dann schritt Roschmann ihre Front ab. Er grinste den Todeskandidaten ins Gesicht und trat einem nach dem anderen den Stuhl unter den Füßen weg. Er hatte seinen Spaß daran, dies von vorn zu tun, damit der betreffende Häftling dabei sein Gesicht sehen konnte. Gelegentlich tat er auch nur so, als trete er den Stuhl weg, und zog überraschend seinen Fuß zurück. Er lachte schallend, wenn seinem Opfer, das sich schon am Strick zu hängen glaubte, klar wurde, dass es noch immer auf dem Stuhl stand, und heftig zu zittern begann.
Anfang März 1942 fuhr ein fensterloser Lastwagen im Ghetto von Riga vor. Es hieß, dass Arbeitskräfte für eine Fischkonservenfabrik in Dünamünde benötigt würden. Hundert rasch ausgewählte Häftlinge – vorwiegend Ältere und Schwächere – kletterten auf den Lastwagen, der keinen Auspuff hatte. Als der Lastwagen am 3. März zum zweiten Mal vorfuhr, wussten alle, dass darin Menschen vergast wurden. Während der Selektion der Häftlinge, die dieses Mal in den Tod geschickt werden sollten, fiel Roschmann eine Frau Mitte sechzig auf, die versuchte, jünger auszusehen. Er ließ sie vortreten, befahl ihr zu tanzen und schoss immer wieder dicht vor ihren Füßen in den Boden, bis sie vor Erschöpfung zusammenbrach. Daraufhin musste Tauber die Frau, die dreißig Jahre älter war als er, zum Lastwagen tragen.
Nach diesem schockierenden Erlebnis begann Tauber, sich heimlich Daten und Stichwörter in die Haut zu tätowieren. Er nahm sich vor, alles zu tun, um das „Dritte Reich“ zu überleben und danach Zeugnis über die Barbarei ablegen zu können, denn Verbrecher wie Eduard Roschmann sollten nicht ungeschoren davonkommen. Um seine Überlebenschancen zu erhöhen, ließ er sich am 1. April 1942 zum Kapo ernennen.
Am 29. August 1942 musste er Häftlingen helfen, in den Vergasungswagen zu klettern. Unter ihnen war auch seine Ehefrau Esther.
Die Juden aus dem Ghetto wurden in das im März 1943 errichtete und ebenfalls von Eduard Roschmann geleitete Konzentrationslager Kaiserwald in Riga gebracht.
Am 11. Oktober 1944 mussten die verbliebenen viertausend Häftlinge des KZ Kaiserwald zum Hafen marschieren. Dort wurden gerade Verwundete an Bord eines Frachters gebracht. Plötzlich tauchte Roschmann auf und befahl, die Verwundeten sofort wieder auszuladen. Das Schiff sei für ihn und seine Männer vorgesehen, erklärte er und geriet darüber in Streit mit einem Hauptmann der Wehrmacht, der das Ritterkreuz mit Eichenlaub trug. Als der SS-Hauptsturmführer den Wehrmachts-Offizier ohrfeigte, schlug dieser ihn mit einem Kinnhaken zu Boden und ging weiter. Am Boden liegend zog Roschmann seine Pistole, zielte sorgfältig und erschoss den Hauptmann ohne Warnung von hinten. Dann befahl er, die Verwundeten vom Schiff zu holen und die Häftlinge aus dem KZ Kaiserwald in die Frachträume zu sperren, denn sie sollten als lebendes Schutzschild dienen.
Kurz bevor der Frachter am 14. Oktober in Danzig anlegte, hatte die Rote Armee Riga eingenommen.
Salomon Tauber kam ins Konzentrationslager Stutthof östlich von Danzig. Im Januar 1945 wurde es geräumt, und die Häftlinge mussten nach Westen marschieren. Als die Kolonnen Magdeburg erreichten, setzten Roschmann und die anderen SS-Angehörigen sich ab.
Am 3. April 1945 sah Tauber den Schlächter von Riga zufällig noch einmal: Roschmann saß mit drei anderen SS-Offizieren in einem nach Süden fahrenden Jeep, und sie trugen statt SS- Wehrmachtsuniformen.
Amerikanische Militäreinheiten eroberten am 19. April 1945 die westlichen Vororte von Magdeburg, rückten jedoch vereinbarungsgemäß nicht weiter nach Osten vor. Am 5. Mai besetzte die Rote Armee die ostelbischen Gebiete der Stadt. Die britischen Truppen, die die Amerikaner am 1. Juni ablösten, übergaben die von ihnen kontrollierten Teile von Magdeburg am 1. Juli den Sowjets.
Tauber kam ins Krankenhaus. Sobald er sich ein wenig erholt hatte, schlug er sich nach Hamburg durch, aber das Haus, in dem er gewohnt hatte, war zerbombt. Er wurde noch einmal in ein Krankenhaus eingeliefert und blieb dort zwei Jahre lang, zunächst als Patient, dann als Pfleger. 1947 mietete er ein Zimmer und begann, einen Bericht über seine Erlebnisse während des Zweiten Weltkriegs zu schreiben.
Als seine Hoffnung zerrann, dass man Eduard Roschmann noch zur Rechenschaft ziehen würde, ergänzte er seine Aufzeichnungen durch einen Epilog und drehte den Gashahn auf.
Während der Lektüre des erschütternden Berichts nimmt Peter Miller sich vor, Eduard Roschmann aufzuspüren.
Seine verwitwete Mutter ist entsetzt, als er ihr erzählt, was er vorhat. Man solle die Vergangenheit ruhen lassen, statt alles wieder auszugraben, meint sie. Sie will nicht an die schreckliche Zeit erinnert werden, etwa an den Tag, als sie die Nachricht vom Tod ihres Mannes bekam. Hauptmann Erwin Miller sei am 11. Oktober 1944 in Kurland gefallen, hieß es.
Auch Hans Hoffmann, der Herausgeber einiger auflagenstarker Zeitschriften, darunter der Illustrierten „Komet“, für die Miller häufig schreibt, hält nichts von dessen Vorhaben. Die Leser würden sich weder für die Judenverfolgung im „Dritten Reich“ noch die Verbrechen der SS interessieren, sagt er. Außerdem will er keinen Ärger wie ihn Hans Habe hatte. Der gab nach dem Krieg mehrere Zeitungen und Zeitschriften heraus. Als er im „Echo der Woche“ eine Artikelserie über ehemalige SS-Offiziere veröffentlichte, die sich unbehelligt in der Bundesrepublik Deutschland bewegten, zogen Anzeigenkunden ihre Aufträge zurück und die Bank kündigte seine Kredite. 1953 musste Hans Habe das „Echo der Woche“ aufgeben.
Salomon Tauber hinterließ keine Verwandten, aber Miller findet einen jüdischen Greis, der ihn kannte. Von ihm erfährt er, dass Tauber den früheren SS-Hauptsturmführer Eduard Roschmann vor einem Monat in Hamburg auf der Straße sah. Der Verbrecher lebt also noch.
Vom Justiziar des „Komet“ lässt Miller sich erklären, dass die Staatsanwaltschaften der Länder in der Bundesrepublik für die Aufklärung von Kriegsverbrechen zuständig sind. Sie haben sich auf eine Art Arbeitsteilung geeinigt. So bearbeitet beispielsweise die Staatsanwaltschaft in Stuttgart Fälle, die sich auf Italien, Griechenland oder Polnisch-Galizien beziehen, die Kollegen in Frankfurt am Main sind für Auschwitz zuständig, und Taten im Baltikum sollen von der Staatsanwaltschaft in Hamburg aufgeklärt werden.
Erst nach mehreren Anläufen erhält Peter Miller einen Termin bei dem für die Ahndung von Kriegsverbrechen im Baltikum zuständigen Oberstaatsanwalt in Hamburg. Als er nach Eduard Roschmann fragt, behauptet der Staatsanwalt, man arbeite an dem Fall, doch um die Ermittlungen nicht zu gefährden, könne er nichts weiter dazu sagen.
Als Nächstes fährt Miller zur Stelle der Landesjustizverwaltungen (kurz: Zentralstelle) nach Ludwigsburg. Dort gehen achtzig Kriminalbeamte und fünfzig Staatsanwälte Hinweisen auf Kriegsverbrechen nach. Auskünfte werden allerdings nur an andere Behörden gegeben. Miller fragt seinen Gesprächspartner:
„Wo in Westdeutschland kann man sich denn heute über den Fortgang der Ermittlungen gegen Kriegsverbrecher informieren? Wie kann man sich Informationen über polizeilich gesuchte SS-Angehörige besorgen?“
Der Staatsanwalt sah etwas verlegen aus. „Ich fürchte, für einen Druchschnittsbürger besteht dazu keine Möglichkeit“, sagte er.
Von Ludwigsburg fährt Miller nach Berlin. Nachdem er dort am 17. Dezember eingetroffen ist, ruft er Karl Brandt in Hamburg an. Widerstrebend bittet der Polizeiinspektor einen Bekannten, den Kriminalinspektor Volkmar Schiller, den Reporter bei Nachforschungen im amerikanischen Document Center behilflich zu sein. In Begleitung Schillers sieht Miller die über Eduard Roschmann angelegte Akte ein.
Eduard Roschmann wurde am 25. August 1908 in Graz als Sohn eines Braumeisters geboren. Weil er das Referendar-Examen nicht bestand, brach er sein Jurastudium 1933 ab. 1937 wurde er Mitglied der in Österreich seit 19. Juni 1933 verbotenen NSDAP. 1939 meldete er sich freiwillig zur Waffen-SS. Im Juli 1941 richtete er die erste Dienststelle des SD in Riga ein, und einen Monat später wurde er Kommandant des Ghettos.
Miller fällt ein Vermerk auf, demzufolge im Dezember 1947 eine Kopie der Akte der britischen Besatzungsmacht übersandt wurde.
Er ahnt nicht, dass ihn ein anderer Besucher des Document Center beobachtet, das Kennzeichen seines Jaguar notiert und telefonisch einem Rechtsanwalt in Nürnberg darüber berichtet, der unter dem Codenamen „Werwolf“ als Deutschlandchef der Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen (Odessa) fungiert.
Dabei handelt es sich um ein internationales Netzwerk, das NS-Verbrechern nach dem Krieg bei der Flucht von Deutschland nach Südamerika half und seine Aktivitäten mittlerweile auch zum Beispiel auf die Unterstützung von Unternehmern ausgeweitet hat, die für rechtsradikale Kreise Geld spenden.
Im November 1963 traf Werwolf sich in Madrid mit Richard Glücks, dem früheren Chef des Reichswirtschaftshauptamtes und Generalinspekteur der Konzentrationslager, der mit einem argentinischen Pass auf den Namen Ricardo Suertes in Buenos Aires lebt. Glücks unterrichtete Werwolf über ein aktuelles Odessa-Projekt, nämlich die Entwicklung von Steuersystemen für Raketen, mit denen Israel vernichtet werden soll.
Schon 1952 entwickelten die beiden Deutschen Paul Goerke und Rolf Engel in Ägypten Pläne für eine Fabrik zur Herstellung von Raketen. Als der ägyptische Staatspräsident Gamal Abdel Nasser 1961 einsah, dass Moskau ihm die gewünschten Raketen nicht liefern würde, griff er die Baupläne auf, ließ weitere deutsche Experten anwerben und in Helwan, einer Industriestadt 30 Kilometer südlich von Kairo, eine Fabrik errichten. Bei einer Militärparade am 23. Juli 1962 wurden bereits zwei Raketen präsentiert: „El-Kahir“ (Eroberer) und „El-Safir“ (Sieger). Dabei handelte es sich allerdings nur um die Ummantelung. Inzwischen lagern vierhundert Stück davon in der Fabrik in Helwan. Die Sprengköpfe sollen mit Beulenpest-Erregern oder radioaktivem Atommüll versehen werden. Allerdings fehlt es noch an Systemen, mit denen die Raketen zuverlässig in ihre Ziele in Israel gelenkt werden können. Diese Steuerungen werden gerade in einem deutschen Unternehmen entwickelt, das zur Tarnung Transistorradios produziert. Verantwortlich dafür ist der Direktor, der in der Odessa den Codenamen „Vulkan“ benutzt.
Die ägyptischen Raketenpläne sind der israelischen Regierung nicht entgangen. Im Mai 1962 unterrichtete nämlich der österreichische Physiker Otto Joklik in Wien den Mossad darüber, dass man ihn für das Projekt hatte anwerben wollen. Die israelische Regierung befürchtet, dass die Raketen von Helwan Anfang 1967 einsatzbereit sein könnten. Dann wäre es nicht mehr möglich, sie zu zerstören, denn die Ägypter werden sie an verschiedenen Orten in unterirdischen Silos lagern. Statt zu warten oder die Fabrik in Helwan zu bombardieren, versucht der israelische Geheimdienst, die deutschen Experten von der Fertigstellung der Raketen abzuhalten.
Am 27. November 1962 öffnete Hannelore Wende, die Sekretärin des in Ägypten tätigen Raketentechnikers Professor Wolfgang Pilz, ein Paket aus Hamburg – und wurde durch eine Explosion schwer verletzt. Ein zweites Paket tötete einen Tag später fünf Männer in der Poststelle und verletzte zehn weitere. Am 29. November wurde ein Sprengstoffpaket entschärft. (Pilz und seine erblindete Sekretärin verließen Ägypten im September 1963.) Im Februar 1963 wurde in Lörrach auf den Elektronik-Experten Hans Kleinwächter geschossen. Am 2. März 1963 wurde Heidi Goerke, die Tochter des Steuerungsexperten Paul Jens Goerke, von zwei Männern in Basel aufgefordert, ihren Vater zur Abreise aus Ägypten zu bewegen. Die beiden israelischen Agenten konnten festgenommen werden. In dem Prozess gegen sie, der am 10. Juni 1963 begann, deckte Otto Joklik als Zeuge das ägyptische Raketenprojekt öffentlich auf. Die Angeklagten wurden daraufhin freigesprochen. Wegen des Skandals musste allerdings der Mossad-Chef Isser Harel am 20. Juni 1963 seinen Stuhl für General Meir Amit räumen. Premierminister David Ben-Gurion, der die Ablösung veranlasst hatte, wurde am 26. Juni von Levi Eshkol abgelöst.
Nachdem Werwolf die Nachricht erhalten hat, dass jemand im Document Center die Akte über Eduard Roschmann studierte, setzt er den Privatdetektiv Heinz Memmers, der ebenfalls bei der SS war, darauf an, den Fahrer des auffälligen Autos ausfindig zu machen.
Peter Miller fährt inzwischen nach Bonn und spricht mit dem Presseattaché der britischen Botschaft. Der klärt ihn darüber auf, dass für Ermittlungen gegen Kriegsverbrecher in der britischen Zone die Dienststelle des Chefs der Militärpolizei zuständig gewesen war, die jedoch nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland alle Unterlagen den zuständigen deutschen Staatsanwaltschaften übergab. Der Botschaftsangehörige verweist seinen Besucher an Anthony Cadbury, der seit Kriegsende als britischer Auslandskorrespondent in Bonn tätig ist.
Cadbury findet in seinem Privatarchiv einen Zeitungsausschnitt vom 23. Dezember 1947, demzufolge Eduard Roschmann damals von den Briten in Graz festgenommen wurde. Und er rät Miller, sich mit Edward Frederick Langley Russell, Baron Russell of Liverpool, in Verbindung zu setzen, dem früheren Rechtsberater des britischen Militärgouverneurs in Deutschland und Autor des Buches „The Scourge of the Swastika. A Short History of Nazi War Crimes“. Cadbury gibt Miller ein Empfehlungsschreiben für den in Wimbledon lebenden Ruheständler mit.
Heinz Memmers berichtet Werwolf, dass es sich bei dem Jaguar-Fahrer um den freiberuflichen Reporter Peter Miller aus Hamburg handelt. Durch einen Anruf erfährt er von Sigrid Rahn, dass Miller sich gerade im Hotel Dreesen in Bonn aufhält.
Nachdem Miller am 30. Dezember einen Flug von Köln-Bonn nach London für den nächsten Tag gebucht hat, wird er in der Hotelhalle von einem „Dr. Schmidt“ angesprochen. Zu Millers Verwunderung weiß der Unbekannte, dass er sich für Eduard Roschmann interessiert. Der sei 1945 gefallen, behauptet Schmidt. Miller hält ihm entgegen, dass Roschmann am 20. Dezember 1947 in Graz verhaftet wurde und überführt ihn der Lüge. Statt sich einschüchtern zu lassen, warnt Schmidt den Reporter vor weiteren Nachforschungen.
Aufgrund des Berichts aus Bonn setzt Werwolf den früheren SS-Unterscharführer Mackensen als Auftragskiller auf Peter Miller an.
Von Lord Russell erfährt Miller am 31. Dezember in Wimbledon, was die Briten damals über Eduard Roschmann herausfanden. Der SS-Hauptsturmführer versuchte sich in einer Wehrmachtsuniform von Magdeburg nach Graz durchzuschlagen. Kurz vor dem Ziel fiel er am 6. Mai 1945 einer britischen Patrouille auf und erlitt einen Lungendurchschuss. Dennoch konnte er sich in einem Gebüsch verstecken und zu einem Bauernhof schleppen. Drei Monate später, im August 1945, als er sich von der Verletzung erholt hatte, stellte er sich als angeblicher Unteroffizier der Wehrmacht den Besatzern und wurde in ein Kriegsgefangenenlager in Graz gebracht. Nach seiner Entlassung im August 1947 zog er sich vorsichtshalber wieder auf einen Bauernhof zurück. Erst am 17. Dezember besuchte er seine Eltern und seine Ehefrau Hella in Graz, um mit ihnen Weihnachten zu feiern. Auf der Straße vor dem Haus erkannte ihn jedoch ein Überlebender aus dem Rigaer Ghetto wieder. Der alarmierte die britische Feldpolizei, die Roschmann daraufhin verhaftete. Als die Briten vom Document Center in Berlin eine Kopie der Akte über ihn anforderten, wurden die Amerikaner auf Roschmann aufmerksam. Er sollte als Zeuge gegen andere SS-Angehörige vernommen werden, gegen die wegen Verbrechen im Ghetto Riga ermittelt wurde. Bei der Überstellung von Graz nach Dachau am 8. Januar 1948 gelang es Roschmann jedoch, kurz vor Salzburg aus dem Toilettenfenster des Zuges zu springen.
Lord Russell rät seinem Besucher, auch mit Simon Wiesenthal zu sprechen, dem Gründer und Leiter des Dokumentationszentrums des Bundes Jüdischer Verfolgter des Naziregimes in Wien.
Am 3. Januar 1964 trifft Miller in Wien ein.
Simon Wiesenthal klärt ihn über die Bedeutung des Reichswirtschaftsverwaltungshauptamtes (WVHA) in Berlin auf. Während das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) das Aufspüren, die Deportationen und die Vernichtung von Juden [Holocaust] besorgte, war das WVHA für die wirtschaftliche Ausbeutung der Opfer verantwortlich, also für die Konfiszierungen jüdischen Eigentums, die Aussortierung des Handgepäcks der Deportierten, ihren Arbeitseinsatz und die Verwertung der Todgeweihten bzw. Leichen (Haare, Schuhe, Kleidung, Zahngold).
Wiesenthal weiß auch über Eduard Roschmann Bescheid. Nach der Flucht aus dem Zug versteckte er sich zunächst auf einem Bauernhof und als Arbeiter einer Ziegelei. Die Odessa ließ ihn und fünf andere Nazis schließlich in Ostermiething bei Braunau von einem französischen Fremdenlegionär abholen und mit gefälschten Papieren nach Meran bringen. Im Oktober 1948 schrieb Roschmann seiner Frau in Graz unter seinem neuen Namen Fritz Bernd Wegener einen Brief aus einem Internierungslager in Rimini, wo ihm die erfrorenen Zehen des rechten Fußes amputiert wurden. Mit Hilfe des deutschen Bischofs Alois Hudal in Rom, der die Nationalsozialisten als Bollwerk gegen den Kommunismus schätzte, gelang vielen ehemaligen SS-Offizieren die Flucht von Neapel nach Buenos Aires. Auch Eduard Roschmann hielt sich vorübergehend in einem Franziskanerkloster in Rom auf und reiste dann nach Argentinien. Dort erhielt er Anfang 1949 von Gesinnungsgenossen 50 000 Dollar, mit denen er die Firma „Stemmler und Wegener“ gegründete, die Hartholz nach Europa exportierte. Obwohl er von seiner Ehefrau Hella nicht geschieden war, heiratete er Anfang 1955 seine Sekretärin Irmtraut Sigrid Müller. Weil er nach dem Tod von Evita Perón am 26. Juli 1952 den Sturz des Staatspräsidenten Juan Perón befürchtete und sich in Argentinien nicht mehr sicher fühlte, setzte er sich im Sommer 1955 mit seiner zweiten Ehefrau nach Ägypten ab, und ein Vierteljahr später ließ sich das Paar in der Bundesrepublik Deutschland nieder. Als Hella Roschmann erfuhr, dass ihr Ehemann in Argentinien seine Sekretärin geheiratet hatte, zeigte sie ihn wegen Bigamie an und verriet der Polizei seinen Tarnnamen. Allerdings wurde er nicht aufgespürt, weil er seine Identität inzwischen noch einmal geändert hatte.
Als Miller sich im jüdischen Gemeindehaus in München nach Olli Adler erkundigt, einem Überlebenden des Ghettos Riga, wird er von einem Mann namens Mordechai („Motti“) angesprochen, der behauptet, in Riga gewesen zu sein. Motti lockt Miller jedoch in eine Falle: Auf der Straße wird er in ein Auto gezerrt und mit verbundenen Augen in einen Kellerraum gebracht. Leon, der Anführer einer jüdischen Rachegruppe, der dort sein Büro hat, überredet Miller, sich in die Odessa einschleusen zu lassen. Man bringt ihn nach Bayreuth, wo ihm der ehemalige SS-Offizier Alfred Oster, der nun mit den Juden gegen die Nazis zusammenarbeitet, in mehreren Wochen alles beibringt, was er als angeblicher SS-Angehöriger wissen muss.
In der Nacht vom 8./9. Januar 1964 stirbt im Bremer Zentralkrankenhaus der neununddreißigjährige Krebspatient Rolf Günther Kolb, der bei der SS war. Der Pfleger David Hartstein nimmt seinen Führerschein an sich, bevor er den Todesfall meldet. Am 13. Januar findet Leon in München den Führerschein und ein erklärendes Schreiben Hartsteins in der Post. Nachdem er sich vergewissert hat, dass Kolb nicht auf den Fahndungslisten der Polizei steht, beschließt er, dass Miller dessen Identität annehmen soll. Parallel dazu gibt sich jemand im Bremer Zentralkrankenhaus am 22. Januar als Arzt aus, lässt sich Kolbs Krankenakte geben und tauscht das letzte Blatt aus. Nun heißt es, der Patient habe überraschend gut auf die Medikamente angesprochen und sei am 16. Januar in die Arcadia-Klinik in Delmenhorst verlegt worden.
Während Peter Miller den Lebenslauf studiert, unterrichtet Werwolf am 28. Januar Vulkan telefonisch über den Reporter, der Nachforschungen über Eduard Roschmann durchführt.
Der Mossad wird darüber informiert, dass Miller bei der Odessa eingeschleust werden soll. Die Leitung des israelischen Geheimdienstes befürchtet, dass die jüdische Untergrundorganisation in München einen Rachefeldzug gegen Nazis plant und schickt deshalb den Agenten Major Uri Ben Shaul, der 1930 unter dem Namen Josef Kaplan als Sohn eines jüdischen Schneiders in Karlsruhe geboren wurde, nach Deutschland. Er soll Miller beschatten.
Der verabschiedet sich am 19. Februar von Alfred Oster. Statt auf seinen Ausbilder zu hören und den Zug zu nehmen, fährt er mit seinem Jaguar nach Nürnberg, um sich dort bei einem Rechtsanwalt zu melden, der als einer der führenden Köpfe der Odessa gilt. Vorsichtshalber stellt er den Wagen einen halben Kilometer entfernt von der Villa ab. Miller alias Kolb übergibt dem Anwalt ein gefälschtes Schreiben von Joachim Eberhardt. Der ehemalige SS-Standartenführer betreibt inzwischen in Bremerhaven eine Bäckerei. In dem Brief heißt es, Kolb sei ein früherer SS-Angehöriger, der seit 1945 als Bäckergeselle bei ihm arbeitet und Hilfe benötigt, weil er kürzlich von einem Juden erkannt wurde. Dass Eberhardt mit seiner Ehefrau am 16. Februar eine vierwöchige Kreuzfahrt antrat, wusste Leon bereits, als er das Schreiben fälschen ließ. Der Rechtsanwalt – es handelt sich um Werwolf – ruft in der Bäckerei Eberhardt, im Bremer Zentralkrankenhaus und in der Arcadia-Klinik in Delmenhorst an, um die Angaben seines Besuchers zu überprüfen. Außerdem fragt er ihn zwei Stunden lang über frühere Zeiten aus und vergewissert sich durch Augenschein, dass er nicht beschnitten ist. Schließlich schickt er Kolb nach Stuttgart. Dort soll er sich ein Hotelzimmer nehmen und mit einem Kameraden namens Franz Bayer in Verbindung setzen. Der werde ihm einen neuen Pass verschaffen, verspricht er.
Auch nach Stuttgart fährt Miller mit dem Wagen statt mit der Bahn. Er parkt in vermeintlich sicherer Entfernung von Bayers Haus – aber zufällig kommt Bayers Frau vorbei, und der Sportwagen fällt ihr auf. Als Werwolf am Abend anruft, um nachzufragen, ob Kolb eingetroffen ist, hebt Frau Bayer ab und sagt ihm nicht nur, dass ihr Mann mit dem Besucher zum Essen ging, sondern erwähnt auch den schwarzen Sportwagen. Sie weiß zwar nicht, dass es sich um einen Jaguar handelt, aber aufgrund ihrer Beschreibung gibt es für Werwolf keinen Zweifel daran, dass er auf den Hamburger Reporter hereinfiel.
Er schickt Mackensen nach Stuttgart.
Bayer nutzt die Gelegenheit des gewissermaßen dienstlichen Restaurantbesuchs, um eine Menge Wein zu trinken. Und als sein Gast so tut, als würde er bezweifeln, dass es in Stuttgart ein Nachtleben gibt, geht er mit ihm anschließend in ein Striptease-Lokal. Um 2 Uhr nachts überredet Miller alias Kolb den Betrunkenen dazu, noch mit aufs Hotelzimmer zu kommen, um dort weiterzutrinken.
Inzwischen ist Mackensen in Stuttgart eingetroffen. Er beobachtet die beiden und stellt fest, in welchem Fenster das Licht angeht. Dann holt er ein Gewehr aus dem Kofferraum und legt sich damit in einem halbfertigen Neubau gegenüber dem Hotel auf die Lauer.
Er kann allerdings nicht in das Zimmer sehen, in dem Bayer von Miller auf einen Stuhl gefesselt wird. Miller will wissen, wer die Pässe fälscht. Um Bayer zum Reden zu bringen, droht er ihm damit, die Glühbirne aus der Nachttischlampe zu schrauben und seinen Penis in die Fassung zu drücken. Aber erst als er ihm einen Finger bricht, verrät Bayer, dass der Fälscher Klaus Winzer heißt und in Osnabrück wohnt. Nachdem Miller den Gefesselten wieder geknebelt und den Stuhl so verkantet hat, dass Bayer nicht damit herumhüpfen kann, verlässt er das Hotel unbemerkt durch einen Nebenausgang und macht sich auf den Weg nach Osnabrück.
Bayer benötigt mehrere Stunden, um sich zu befreien. Als er das Fenster öffnet, um frische Luft zu atmen, erschießt Mackensen ihn. Im selben Augenblick ahnt er, dass er einen Fehler machte, denn die Figur des Opfers passt nicht zu der Beschreibung, die Werwolf ihm von Miller gab. Doch wo ist Miller? Mackensen eilt zu dem Ort, an dem er den Jaguar zuletzt sah – aber der Wagen ist nicht mehr da.
Werwolf tobt, als Mackensen ihm von dem Fehlschlag berichtet. Nachdem er sich halbwegs beruhigt hat, überlegt er, was Miller von Bayer erfahren haben könnte und vermutet, dass es der Name des Fälschers sein könnte. Deshalb schickt er Mackensen nach Osnabrück.
Klaus Winzer wurde 1924 in Wiesbaden geboren. Da er zwar homosexuell, dick und unsportlich, aber auch ein begnadeter Fälscher war, nahm ihn die SS auf, und das RSHA in Berlin beauftragte ihn, britische Fünfpfundnoten und amerikanische Hundertdollarscheine nachzumachen, mit denen die feindlichen Volkswirtschaften ruiniert werden sollten. Nachdem es Klaus Winzer Anfang 1943 gelungen war, ein Verfahren für die Fälschung dieser Banknoten zu entwickeln, begann die Herstellung im KZ Sachsenhausen unter dem Kommando von Sturmführer Bernhard Krüger („Aktion Bernhard“). Ende 1944 wurden in der Fälscherwerkstatt auch Ausweispapiere hergestellt, denn die SS-Offiziere bereiteten sich darauf vor, beim Zusammenbruch des Deutschen Reiches ihre Identitäten zu ändern. Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Aktion Bernhard in eine Brauerei in Oberösterreich verlegt. Klaus Winzer sah dort zu, wie die nutzlos geworden Pfund- und Dollarscheine in einem See versenkt wurden. Nach dem Krieg fälschte er Lebensmittelkarten und Benzingutscheine, die er auf dem Schwarzmarkt verhökerte. Im Frühjahr 1948 hatte er bereits ein Vermögen von 5 Millionen Reichsmark angehäuft. Nachdem es durch die Währungsreform am 20. Juni 1948 vernichtet worden war, bewarb Klaus Winzer sich mit gefälschten Papieren in der Passabteilung der britischen Militärregierung in Hannover. Dort zweigte er innerhalb von sechzig Wochen sechzig Blankopässe ab und kopierte das Amtssiegel. Dann verließ er Hannover, verkaufte in Antwerpen ein Diamantarmband, das ihm der ehemalige SS-Offizier Herbert Molders für einen gefälschten Pass gegeben hatte, und eröffnete mit dem Geld eine Druckerei in Osnabrück. Ende 1950 trat die Odessa an ihn heran, und bis Frühjahr 1964 stellte er 42 Pässe aus. Weil er den Mitgliedern der Untergrundorganisation nicht traute, behielt er von jedem der Ausweisfotos eine Kopie und notierte sich die Angaben in den falschen Pässen. Ein Exemplar der Mappe mit Fotos und Daten bewahrt er in seinem Wandsafe auf, ein zweites hinterlegte er bei einem Rechtsanwalt in Zürich.
Nach einem Anruf Werwolfs am 20. Februar frühmorgens packt Klaus Winzer rasch einen Koffer und erklärt seinem überraschten Hausmädchen Barbara, er habe sich kurzfristig entschlossen, ein paar Tage Urlaub in Österreich zu machen.
Als Miller klingelt, erfährt er von Barbara, dass Klaus Winzer vor einer Stunde wegfuhr. Die arglose junge Frau erzählt Miller von dem unvermittelten Entschluss ihres Arbeitgebers, Urlaub zu machen. Sie wundert sich darüber, dass er Urlaub macht, während seine langjährige Haushälterin, die er bisher jeden Tag im Krankenhaus besuchte, im Sterben liegt. – Winzer wurde also gewarnt.
Miller quartiert sich im Hotel Hohenzollern in Osnabrück ein. Im Krankenhaus gibt er sich als Neffe der vierundfünfzigjährigen Haushälterin aus. Von der durch Schmerzmittel verwirrten Sterbenden, die ihn für einen Geistlichen hält, erfährt er, dass Winzer eine Mappe mit Fotos und Daten der gefälschten Pässe anlegte.
Mackensen entdeckt den Jaguar auf dem Parkplatz vor dem Hotel. Er nimmt sich ebenfalls ein Zimmer und bastelt eine Bombe.
Miller telefoniert mit Viktor Koppel, einem Hamburger Kleinkriminellen, dessen Ehefrau er kurz vor Weihnachten 1961 aus Mitleid mit Geld aushalf, nachdem Koppel zu einer Haftstrafe verurteilt worden war. Koppel nimmt den nächsten Zug nach Osnabrück. Um 2 Uhr nachts bricht er mit Miller zusammen in Winzers Haus ein und knackt den Code des Wandsafes. Darin liegen eine Mappe und einige Banknotenbündel. Miller nimmt die Mappe an sich und überlässt dem Einbrecher das Geld. Dann bringt er Koppel zum Bahnhof und kehrt ins Hotel zurück. Auf einem der Passfotos erkennt er Eduard Roschmann. Den falschen Namen hat er schon einmal gehört: Es handelt sich um den Chef einer bekannten Firma, die Transistorradios herstellt. Am Morgen ruft er dort an und erfährt, dass der Direktor das Wochenende vom 22./23. Februar in seinem Landhaus bei Schmitten im Taunus verbringen wird.
Mackensen folgt Miller bis zum Stadtrand von Osnabrück. Dann ruft er Werwolf an und berichtet, dass er die Bombe unter der Kühlerhaube des Jaguar angebracht habe. In die Federung der Radaufhängung montierte er zwei Metallplatten, die sich berühren und den Stromkreislauf der Zündung kurzschließen, sobald das Glas der dazwischen eingeklemmten kleinen Glühlampe zerbricht und herausfällt. Bis Miller über eine Unebenheit fahre und die Explosion auslöse, werde es nicht lange dauern, meint er. Er ahnt nicht, dass der Sportwagen sehr viel härter als eine Limousine gefedert ist.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.
Ohne etwas von der Bombe in seinem Wagen zu ahnen, fährt Miller nach Wiesbaden, nimmt sich dort ein Hotelzimmer und fordert Sigi telefonisch auf, ihm seine Pistole und seine Handschellen aus Hamburg zu bringen. Während er auf sie wartet, schreibt er eine Erklärung zu Winzers Fotos und Notizen und schiebt alles zusammen in ein großes Kuvert, das er an die Zentralstelle in Ludwigsburg adressiert.
Werwolf ruft Winzer in einem Hotel bei Regensburg an und teilt ihm mit, er könne nach Hause zurückkehren, denn man habe Miller inzwischen ausgeschaltet.
Der Mossad-Agent Uri Ben Shaul, der sich für die Dauer seines Einsatzes in der Bundesrepublik wieder Josef Kaplan nennt, weiß bereits, dass Miller mit dem Jaguar statt mit der Bahn nach Nürnberg und Stuttgart fuhr. Falls er damit von einem der Nazis gesehen wurde, ist er enttarnt, denn ein Bäckergeselle kann sich so einen Sportwagen nicht leisten.
Barbara schläft noch, als Winzer am Sonntagmorgen (23. Februar) nach Hause kommt. Sobald sie ihn hört, berichtet sie ihm von dem Einbruch. Ein Blick in den Safe bestätigt Winzers Verdacht, dass seine Mappe fort ist. Nachdem er Werwolf gewarnt hat, erschießt er sich.
Werwolf versucht Eduard Roschmann alias Vulkan zu warnen. Aber die Telefonverbindung in dessen Wochenendhaus ist offenbar gestört. Er schickt Mackensen nach Schmitten.
Bevor Peter Miller das Hotel in Wiesbaden verlässt und nach Schmitten fährt, schärft er Sigi ein, das große Kuvert um 12 Uhr in einen Briefkasten zu werfen, falls er bis dahin nicht zurück ist.
Das letzte Stück zum Wochenendhaus des Fabrikdirektors ist ein Privatweg. Vorsichtig fährt Miller über einen quer über den Weg gestürzten Telefonmast. Als Roschmann öffnet, spricht Miller ihn mit dem richtigen Namen an. Mit vorgehaltener Pistole zwingt er ihn im Arbeitszimmer, die Textstelle aus den Aufzeichnungen von Salomon Tauber vorzulesen, in der geschildert wird, wie er am 11. Oktober 1944 im Hafen von Riga einen Hauptmann der Wehrmacht hinterrücks erschoss. Das muss Peter Millers Vater gewesen sein, denn es ist höchst unwahrscheinlich, dass an dem Tag im Baltikum zwei deutsche Hauptleute getötet wurden, die das Ritterkreuz mit Eichenlaub trugen. Nun begreift Roschmann, warum dieser Reporter hinter ihm her ist.
Weil die Telefonleitung unterbrochen ist, will Miller nach Schmitten zurückfahren und von dort die Polizei anrufen. Mit den Handschellen fesselt er Roschmann ans stabile Kamingitter. Und er erklärt ihm, dass seine Freundin Winzers Mappe um 12 Uhr in einen Briefkasten wirft, wenn er bis dahin nicht zurück ist.
Als der das Arbeitszimmer verlassen will, raubt ihm ein kräftiger Schlag das Bewusstsein. Roschmanns Leibwächter Oskar war mit dem Fahrrad nach Schmitten gefahren, um die Störung der Telefonverbindung zu melden. Als er zurückkam, wunderte er sich über den Jaguar vor dem Eingang. Roschmann tobt, denn Miller wird längere Zeit nicht mehr zu sich kommen, kann also nicht verhindern, dass Winzers Mappe an die Zentralstelle in Ludwigsburg geschickt wird. Er lässt sich von Oskar eine Feile geben und befiehlt ihm, Werwolf telefonisch über die neueste Entwicklung zu unterrichten. Oskar steigt aufs Fahrrad, aber als er sieht, dass der Zündschlüssel des Jaguar steckt, nimmt er den Wagen und rast damit los. Beim Überqueren des Telefonmastes zerbricht die Glühbirne in der Radaufhängung.
Roschmann hört die Explosion. Er befreit sich mit der Feile, radelt nach Schmitten, lässt sich von einem Taxi zum Rhein-Main-Flughafen bringen und fliegt nach Madrid. Von dort wird er eine Maschine nach Buenos Aires nehmen.
Mackensen sieht den zerfetzten Jaguar und die Leiche, stellt jedoch aufgrund der Körpergröße sofort fest, dass es sich nicht um Miller handelt. Den findet er im Wochenendhaus bewusstlos auf dem Boden liegend vor. Nachdem Mackensen die zerrissene Telefonleitung geflickt hat, alarmiert er Werwolf. Der Odessa-Deutschlandchef ist schon dabei, alle Betroffenen zu warnen. Danach wird er das Land verlassen. Mackensen soll zuvor noch den Reporter töten und sowohl die beiden Leichen als auch das Autowrack wegschaffen.
Als Mackensen mit seiner Pistole auf Miller zielt, taucht ein Fremder in der Tür auf. Mackensen hält ihn für einen Kameraden und warnt ihn:
„Wenn Ihr Name in dieser Akte aufgeführt ist, sollten Sie zusehen, dass Sie so schnell wie möglich rauskommen aus der Bundesrepublik.“
„In was für einer Akte?“
„In der Akte ODESSA.“
„Da steht nichts über mich drin“, sagte der Mann. […]
„Kommen Sie aus Buenos Aires?“, fragte er [Mackensen].
„Nein.“
„Woher denn?“
„Aus Jerusalem.“
Bevor Mackensen seine Luger hochreißen kann, erschießt Josef Kaplan ihn.
Im Städtischen Krankenhaus in Frankfurt-Höchst kommt Peter Miller wieder zu sich. Kaplan ist bei ihm und erzählt ihm, was während seines Blackouts passierte. Der Sensationsreporter kündigt einen groß aufgemachten Zeitungsbericht an, aber der Mossad-Agent macht ihm klar, dass es keine Story geben wird. Die Akte Odessa befindet sich bei der Zentralstelle, und Salomon Taubers Aufzeichnungen wird Kaplan mit nach Israel nehmen. Also fehlen Miller die Beweise. Offiziell heißt es, Peter Miller sei von einem Anhalter mit einem Schraubenschlüssel niedergeschlagen worden. Der Kriminelle habe den Jaguar gestohlen und sei damit verunglückt. Die Leiche und das Wrack fand man ihn einer Schlucht.
Major Uri Ben Shaul kehrt zu seiner Ehefrau Rivka und den sechs bzw. zwei Jahre alten Söhnen Shlomo und Dov nach Israel zurück.
Die überdimensionierte Forschungsabteilung in der deutschen Fabrik, die Transistorradios herstellt, wird nach einer polizeilichen Durchsuchung aufgelöst.
Der Mordfall Franz Bayer bleibt unaufgeklärt.
Peter Miller und Sigrid Rahn heiraten. Im Sommer 1970 erwarten sie ihr drittes Kind.
Frederick Forsyth hat es sich mit „Die Akte Odessa“ nicht leicht gemacht, sondern eine immense Fülle von Tatsachen in die fiktive Romanhandlung eingebaut. Er schildert die grauenhaften Verhältnisse im Ghetto Riga, die Flucht von NS-Kriegsverbrechern nach Südamerika, die Einstellung der Deutschen in der Nachkriegszeit gegenüber dem Holocaust, das Wegsehen auch der zuständigen Staatsanwaltschaften, Aktivitäten jüdischer Rachekommandos und Mossad-Anschläge auf deutsche Wissenschaftler, die sich am Raketenbau in Ägypten beteiligten. Angesichts der aktuellen Frage, wie Israel und der Westen die atomare Aufrüstung des Iran verhindern können, ist eine Passage in dem Roman „Die Akte Odessa“ brisant: Anfang der Sechzigerjahre wird in israelischen Regierungskreisen über das ägyptische Raketenbauprogramm diskutiert. Sobald die vierhundert Raketen fertiggestellt und in unterirdischen Silos gelagert werden, die über das ganze Land verstreut sind, kann die israelische Luftwaffe sie nicht mehr zerstören. Israel muss also aktiv werden, solange sich die unfertigen Raketen noch in einer Fabrik in Helwan befinden.
Ob es die Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen (Odessa) gegeben hat, ist unbewiesen. Es soll sich um eine Untergrundorganisation gehandelt haben, die NS-Verbrechern wie Adolf Eichmann und Josef Mengele nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches dabei half, auf sogenannten Rattenlinien nach Südamerika zu fliehen und dort unter falschem Namen ein neues Leben aufzubauen. Möglicherweise handelt es sich bei der Odessa um einen Mythos, aber Netzwerke und Seilschaften ehemaliger SS-Angehöriger gab es sehr wohl.
Auch wenn die Romanhandlung fiktiv ist, sind einige Figuren in „Die Akte Odessa“ keine reinen Erfindungen von Frederick Forsyth. Eduard Roschmann, Richard Glücks, Alois Hudal, Paul Goerke, Wolfgang Pilz, Isser Harel, Meir Amit, Simon Wiesenthal, Hans Habe sind einige der Personen, die auch in Wirklichkeit lebten.
Eingeflochtene Tatsachen und präzise Namens-, Orts- und Zeitangaben lassen die (fiktive) Handlung authentisch wirken. Der häufige Wechsel zwischen den verschiedenen Handlungssträngen sorgt für Tempo und Spannung. „Die Akte Odessa“ ist ein komplexer und informativer, spannender und unterhaltsamer Roman, kein sprachliches oder gar literarisches Meisterwerk, aber ein unbedingt lesenswerter Politthriller.
Ronald Neame verfilmte „Die Akte Odessa“ von Frederick Forsyth:
Der Fall Odessa – Originaltitel: The Odessa File – Regie: Ronald Neame – Drehbuch: Kenneth Ross, George Markstein, nach dem Roman „Die Akte Odessa“ von Frederick Forsyth – Kamera: Oswald Morris – Schnitt: Ralph Kemplen – Musik: Andrew Lloyd Webber – Darsteller: Jon Voight, Maximilian Schell, Maria Schell, Mary Tamm, Derek Jacobi, Peter Jeffrey, Klaus Löwitsch, Kurt Meisel, Hannes Messemer, Garfield Morgan, Shmuel Rodensky, Ernst Schröder, Günter Strack, Noel Willman, Martin Brandt, Hans Caninenberg, Gunnar Möller u.a. – 1974; 120 Minuten
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2010
Textauszüge: © Piper Verlag
Eduard Roschmann (Kurzbiografie)
Richard Glücks (Kurzbiografie)
Alois Hudal (Kurzbiografie)
Ghetto Riga
Aktion Bernhard
Netzwerke für Nationalsozialisten
Frederick Forsyth: Der Schakal (Verfilmung)
Frederick Forsyth: In Irland gibt es keine Schlangen