Judenverfolgung im "Dritten Reich"
Seit April 1933 wurden jüdische Geschäfte, Arztpraxen und Anwaltskanzleien im Deutschen Reich boykottiert. Durch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 hatten die Nationalsozialisten Juden vom Staatsdienst ausgeschlossen. Aufgrund der „Nürnberger Gesetze“ vom 15. September 1935 waren sowohl der Geschlechtsverkehr als auch Eheschließungen zwischen „Juden und Staatsangehörigen deutschen und artverwandten Blutes“ bei Strafe verboten. Juden verloren zugleich das Wahlrecht. Ab 15. April 1937 durften sie nicht mehr promovieren. Eine Verordnung vom 26. April 1938 verpflichtete Juden zur Anmeldung ihres Vermögens, und vom 25. Juli 1938 an durften jüdische Ärzte keine Nicht-Juden mehr behandeln.
Einen ersten Exzess erreichte die Judenverfolgung mit einem Pogrom in der Nacht vom 9./10. November 1938 („Reichskristallnacht“).
Nachdem das NS-Regime die Auswanderung von Juden aus Deutschland am 23. Oktober 1941 untersagt hatte, gelang es noch schätzungsweise 300 000 Juden, über die Grenze zu entkommen. 165 000 blieben im Deutschen Reich zurück, viele von ihnen in Berlin. Sie mussten alle seit 1. September 1941 ein handtellergroßes auf die Oberbekleidung genähtes Stück gelben Stoffes in der Form eines sechszackigen Sterns an der linken Brust tragen („Judenstern“), durften keine Theater, Kinos, Konzerte mehr besuchen und hatten ihre Radios und Führerscheine abgeben müssen. Jüdische Schulen wurden geschlossen, aber deutsche Schulen durften die jüdischen Kinder auch nicht besuchen.
Niemand sorgte eifriger für die Entfernung der Juden aus deutschen Städten als Joseph Goebbels in seiner Funktion als Berliner Gauleiter. Bereits am 20. August 1941 meinte Goebbels: „Das öffentliche Leben in Berlin muss schleunigst von ihnen [den Juden] gereinigt werden […] Berlin muss eine judenreine Stadt werden […] Sie [die Juden] verderben nicht nur das Straßenbild, sondern auch die Stimmung […] Wir müssen an dies[es] Problem ohne jede Sentimentalität herangehen […] Ich habe den Kampf gegen das Judentum in Berlin im Jahre 1926 aufgenommen, und es wird mein Ehrgeiz sein, nicht zu ruhen und nicht zu rasten, bis der letzte Jude Berlin verlassen hat.“
Im Februar 1943 wurden zahlreiche noch in Berlin verbliebene Juden im Rahmen einer Großrazzia an den Arbeitsplätzen und in den Wohnungen festgenommen, in Sammellager gebracht oder gleich in Vernichtungslager deportiert („Fabrik-Aktion“; vgl.: Frauen protestieren in der Rosenstraße). Am 19. Mai 1943 behauptete Goebbels, Berlin von den Juden befreit zu haben. Offiziell gab es zu diesem Zeitpunkt nur noch 4000 Juden in Berlin, fast ausschließlich solche, die vor den „Nürnberger Gesetzen“ arische Partner geheiratet hatten.
Tatsächlich lebten noch immer weit mehr Juden in Berlin, und die Zahl der im gesamten Reichsgebiet untergetauchten Juden („U-Boote“) wird auf 10 000 bis 12 000 geschätzt.
Einige von ihnen wohnten unter falschen Namen und ohne Judenstern unter den Deutschen mit „Ariernachweis“. Da ihre Kennkarten mit einem großen „J“ gestempelt waren, mussten sie sich ohne Ausweis oder mit gefälschten Papieren durchschlagen. Auf der Straße war ständig zu befürchten, dass sie jemandem begegneten, der sie von früher kannte und ihre falsche Identität durchschaute.
Wer sich im Wald, in Schrebergarten-Lauben, auf Dachböden oder anderswo versteckte, konnte bei Fliegerangriffen nicht einen Luftschutzbunker aufsuchen, sondern musste während der Bombardierungen im Versteck ausharren. Kranke konnten nicht in ein Krankenhaus, sondern allenfalls einen vertrauenswürdigen Arzt rufen.
Ohne Hilfe von „Ariern“ war es kaum möglich, zu überleben, denn die Untergetauchten benötigten nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch etwas zu essen. Grundnahrungsmittel gab es jedoch nur gegen Lebensmittelmarken, die selbstverständlich offiziell registrierten Bürger vorbehalten blieben. Die Helfer hatten verschiedene Motive: Viele von ihnen handelten aus Mitleid und Mitmenschlichkeit, aber es gab auch Personen, die aus der Not der Juden Kapital schlugen, Geld oder Wertsachen verlangten, ihre Schützlinge hart arbeiten ließen oder zum Sexualverkehr zwangen.
Alle Untergetauchten lebten in ständiger Furcht, von Helfern, Nachbarn oder jüdischen Spitzeln denunziert zu werden. Die Zahl der Eingeweihten so klein wie möglich zu halten, war deshalb eine Frage des Überlebens.
Besonders gefährlich waren jüdische Spitzel („Greifer“), die das Milieu gut kannten, weil sie in der Regel selbst im Untergrund gelebt hatten, bevor sie von der Gestapo aufgegriffen und vor die Wahl gestellt worden waren: Zusammenarbeit oder Deportation in ein Vernichtungslager.
© Dieter Wunderlich 2006
Jo Baier: Nicht alle waren Mörder
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