Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner - Originaltitel: The Quiet American - Regie: Phillip Noyce - Drehbuch: Christopher Hampton und Robert Schenkkan, nach dem Roman "Der stille Amerikaner" von Graham Greene - Kamera: Christopher Doyle - Schnitt: John Scott - Musik: Craig Armstrong - Darsteller: Michael Caine, Brendan Frazer, Do Thi Hai Yen, Rade Serbedzija, Robert Stanton, Tzi Ma, Quang Hai, Ferdinand Hoang, Pham Thi Mai Hoa u.a. - 2002; 100 Minuten

Inhaltsangabe

Saigon 1952. Während die französischen Kolonialherren in Vietnam durch die Kommunisten aus dem Norden unter Druck geraten, befreundet sich ein junger, idealistischer Amerikaner mit einem älteren, desillusionierten Engländer und verliebt sich in dessen vietnamesische Lebensgefährtin. Anders als der Amerikaner glaubt der Brite, politisch neutral bleiben zu können. Doch am Ende ergreift er Partei ...
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Kritik

Meisterhafte Verfilmung des Romans "Der stille Amerikaner" von Graham Greene. Mit Ausnahme eines brillant inszenierten Bombenanschlags auf dem Hauptplatz von Saigon gibt es kaum "Action", sondern das komplexe Geschehen spielt sich im Wesentlichen in den Dialogen, Gesten und Gesichtsausdrücken der drei Hauptfiguren ab.
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Saigon 1952. Die Franzosen, die seit 1946 versuchen, ihre durch die Japaner im Zweiten Weltkrieg beendete Kolonialherrschaft in Vietnam zurückzugewinnen, geraten durch die aus dem Norden angreifenden Kommunisten immer stärker unter Druck. [Indochina-Krieg]

Thomas Fowler (Michael Caine), ein 58-jähriger, desillusionierter Engländer, schreibt für „The Times“, aber er nennt sich nicht „Korrespondent“, sondern „Berichterstatter“, denn seine Maxime ist es, ausschließlich eigene Beobachtungen wiederzugeben und dabei keine Partei zu ergreifen. „Ich bin nur ein Reporter. Ich nehme keinen Standpunkt ein. Ich halte mich raus.“ Fowler ist in London verheiratet, aber er lebt in Saigon mit einer attraktiven 22-jährigen Vietnamesin namens Phuong (Do Thi Hai Yen) zusammen, der Tochter eines Professors, die nach dem Tod ihres Vaters ihren Lebensunterhalt in einem Tanzsalon verdiente.

Als er wie üblich („Ich bin Engländer. Ich habe Gewohnheiten“) um 11 Uhr vor dem Hotel Continental Tee trinkt, fällt ihm ein junger US-Amerikaner auf, der in dem Buch „The Dangers To Democracy“ liest. Sie machen sich miteinander bekannt. Alden Pyle (Brendan Frazer) traf gerade erst in Vietnam ein. Er ist Mitglied einer Wirtschaftshilfe-Delegation und soll ein medizinisches Hilfsprojekt voranbringen. Im Gegensatz zu dem melancholischen Journalisten ist Pyle Idealist und hält es für erforderlich, auch politisch Partei zu ergreifen. Obwohl er den Franzosen nicht zutraut, dass sie das Land konsolidieren können, hält er nichts von ihrer Ablösung durch die USA: „Wir sind doch keine Kolonialherren!“ Um die Kommunisten daran zu hindern, die Franzosen zu vertreiben und Vietnam zu übernehmen, befürwortet er einen „dritten Weg“: Die Herrschaft eines nicht kommunistischen Vietnamesen.

Die beiden grundverschiedenen Männer befreunden sich. Als Pyle zum ersten Mal Phuong sieht, verliebt er sich auf der Stelle in sie. Obwohl er ein schlechter Tänzer ist, tanzt er an diesem Abend wiederholt mit der schönen Vietnamesin. Deren ältere Schwester, Miss Hei (Pham Thi Mai Hoa), die den doppelt so alten besitzlosen und obendrein verheirateten Briten für eine schlechte Partie hält, ermutigt den jungen Amerikaner, Phuong den Hof zu machen.

Weil Fowler in diesem Jahr erst drei Zeitungsartikel abgeliefert hat, fordert die Redaktion ihn telegrafisch zur Rückkehr nach London auf: Es sei preiswerter, die Korrespondentenberichte der Nachrichtenagenturen zu übernehmen. Um bei Phuong und in Saigon bleiben zu können, will Fowler einen Bericht über den Krieg an der Front im Norden schreiben und fährt dazu mit französischen Soldaten nach Phat Diem. Zu seiner Überraschung trifft er kurz vor dem Zielort Pyle, der ihm mit einem Boot folgte. Die Bewohner von Phat Diem sind offenbar einem Massaker zum Opfer gefallen: Ihre Leichen liegen auf dem vom Dauerregen aufgeweichten Boden. Die französischen Soldaten behaupten sofort, zu einer solchen Untat seien Franzosen nicht fähig. Fowler bezweifelt jedoch, dass Kommunisten die Menschen abgeschlachtet haben, denn das Bekanntwerden der brutalen Morde würde ihre Landsleute gegen sie aufbringen.

In einem umkämpften Unterstand gesteht Pyle seinem Freund, dass er sich in Phuong verliebt habe. Durch den drohenden Verlust merkt der alternde Engländer, wie sehr er Phuong liebt: Der Verlust der Geliebten wäre für ihn der Beginn seines Sterbens.

Sobald sie wieder in Saigon sind, besucht Pyle das Paar und macht Phuong im Beisein ihres Geliebten einen Heiratsantrag. Sie lehnt ab, und Pyle verabschiedet sich höflich.

General Thé (Quang Hai), ein machtbesessener Warlord, der eine Alternative zu Kommunisten und Kolonialherren verspricht, lässt sich bei einer Parade bejubeln. Fowler fährt in das Camp des Generals, um ein Interview mit ihm zu führen. Überraschend trifft er dort auf Pyle. Nur durch dessen Vermittlung ist General Thé zu einem Interview bereit. Der Unternehmer Muoi (Ferdinand Hoang), der den General finanziell unterstützt, fungiert als Dolmetscher. Als Fowler auf das Massaker von Phat Diem zu sprechen kommt, droht General Thé den Journalisten zu ohrfeigen und bricht das Interview wütend ab.

Pyle bittet Fowler, ihn im Auto mit zurück nach Saigon zu nehmen. Unterwegs ist plötzlich der Tank leer: Offenbar hat jemand im Militärlager Benzin gestohlen. In einem Wachturm suchen die beiden Männer Schutz für die Nacht. Im Dunkeln werden sie von einer militärischen Einheit angegriffen, und bei der Flucht verstaucht Fowler sich den linken Knöchel. Pyle schärft ihm ein, liegen zu bleiben und läuft weiter, um eine französische Patrouille zu finden und Hilfe zu holen. Selbstlos rettet er seinem Freund und Rivalen das Leben. (Später stellt sich heraus, dass der Angriff von General Thé befohlen worden war.)

Vor einigen Tagen hatte Fowler seiner Frau geschrieben und sie um die Einwilligung zur Scheidung gebeten. Nach seiner Rückkehr aus dem Feldlager des Generals gibt Phuong ihm einen inzwischen aus London eingetroffenen Brief. Er öffnet ihn und behauptet, seine Frau habe der Scheidung so gut wie zugestimmt. Phuong ist glücklich über die unerwartete Wendung und läuft später mit dem Brief heimlich zu ihrer Schwester. Miss Hei, der Pyle inzwischen eine Stelle in der amerikanischen Botschaft verschaffte, kann Englisch und versteht, dass Fowlers katholische Frau eine Scheidung kategorisch ablehnt. Sie alarmiert Pyle, und zu dritt suchen sie Fowler auf, um ihn wegen seiner Lüge zur Rede zu stellen. Er habe Phuong nicht verlieren wollen, verteidigt er sich kleinlaut. Genau das geschieht jetzt: Phuong verlässt ihn und zieht zu Pyle, der ihr die Eheschließung in den USA verspricht.

Fowler wird von seinem Mitarbeiter Hinh (Tzi Ma) in ein Lager des Unternehmers Muoi geführt. Dort entdecken sie Kisten, die über die Grenze ins Land geschmuggelt wurden. Fowler merkt sich die Aufschrift „Diolacton“ und fragt später Pyle nach der ihm unbekannten Substanz. Man verwende das Material zur Herstellung von Brillengestellen, antwortet der Amerikaner.

Als Fowler wie gewohnt vor dem Hotel Continental sitzt, explodieren auf dem belebten Platz vor ihm zwei Autobomben. Fassungslos geht der Journalist, der sich rechtzeitig in Deckung werfen konnte, zwischen den Leichen herum. Da beobachtet er Pyle, der einen Pressefotografen zu einem Mann dirigiert, der vor den Augen seiner Familie an den Folgen seiner Verletzungen stirbt. Ein Polizist, der den Reporter verjagen will, wird von Pyle beschimpft und abgedrängt. Dabei spricht der Amerikaner plötzlich vietnamesisch! Vergeblich versucht Pyle, seine von Blut besudelte weiße Hose zu säubern.

Hinh bestätigt Fowlers Verdacht, dass es sich bei Pyle um einen CIA-Agenten handelt, der den Auftrag hat, in Vietnam den Hass auf die Kommunisten zu schüren und General Thé die zum Bau von Bomben verwendete Substanz besorgte, die sie in Muois Lager entdeckten. Hinh gibt sich als Kommunist zu erkennen und bittet Fowler, den inzwischen von Leibwächtern beschützten amerikanischen Provokateur in eine Falle zu locken. Fowler legt sich zunächst nicht fest. Er schickt Pyle eine Nachricht und bittet ihn zu sich, um mit ihm über seine tatsächliche Rolle zu sprechen. Pyle gibt alles zu und rechtfertigt selbst den blutigen Bombenanschlag als politisch sinnvoll. Da ergreift Fowler auch Partei und verabredet sich mit Pyle zum Abendessen in einem Restaurant – wie Hinh es vorgeschlagen hatte.

Von seinem Tisch aus beobachtet Fowler, wie Pyle vor dem Restaurant von vier Männern abgedrängt wird. Kurz darauf erblickt er die Leiche des Erstochenen im Saigonfluss.

Er unterrichtet Phuong über den Tod Pyles und bestätigt ihr, dass der Amerikaner sie geliebt habe. Phuong zieht sich zu ihrer Mutter zurück.

Inspektor Vigot (Rade Serbedzija) untersucht den Mord, bittet Fowler, die Leiche seines Freundes zu identifizieren und befragt ihn. Bei seinen Ermittlungen findet er heraus, dass Fowler nur einen Tisch für eine Person reserviert hatte. Aber er kann dem Journalisten nichts anhaben.

Fowler beschließt, in Saigon zu bleiben. In einem Tanzsalon sieht er Phuong wieder. Er löst eine Karte, die es ihm erlaubt, sie zum Tanz aufzufordern …

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Von 1952 bis 1955 arbeitete Graham Greene an einem Roman, der unter dem Titel „The Quiet American“ veröffentlicht wurde (deutsch: „Der stille Amerikaner“, 1958). Laut Michael Caine, der mehrmals mit Graham Greene sprach, handelt es sich um eine teilweise autobiografische Geschichte. (Deshalb orientierte er sich in seiner Rolle an dem englischen Schriftsteller und Journalisten).

Joseph L. Mankiewicz verfilmte den Roman 1958. In dieser Filmversion lässt die Begegnung mit dem jungen, idealistischen Amerikaner den korrupten englischen Journalisten Fowler verbittert über sein eigenes Alter und den Verfall des britischen Weltreichs nachdenken. Aus Eifersucht verrät Fowler den Amerikaner an die Kommunisten.

Während einer Vietnamreise geriet Phillip Noyce 1995 zufällig noch einmal an Graham Greenes Roman „Der stille Amerikaner“, den er schon einmal gelesen hatte. In Ho Chi Minh-Stadt nahm er sich das Zimmer im Hotel Continental, das Graham Greene während seiner Saigon-Aufenthalte in den Fünfzigerjahren bewohnt hatte und beschloss eine Neuverfilmung.

Gedreht wurde in Sydney (Innenaufnahmen) und sechs Wochen in Hanoi und Ho Chi Minh-Stadt.

Am 10. September 2001 fanden die ersten Previews statt. Wegen des Anschlags am folgenden Tag zog Harvey Weinstein, der Chef der Produktionsgesellschaft Miramax, den Film zurück, denn er wollte seinen traumatisierten Landsleuten keinen Film über die Verstrickung der CIA in Bombenattentate zumuten. Erst 2002 (Deutschland: 22. Mai 2003) kam „Der stille Amerikaner“ ins Kino.

„Nicht noch ein weiterer Film über den Vietnam-Krieg!“, wehrt man vielleicht ab. Aber „Der stille Amerikaner“ ist ganz anders als zum Beispiel „Apocalypse Now“ (Francis Ford Coppola, 1979), „Platoon“ (Oliver Stone, 1986) oder „Full Metal Jacket“ (Stanley Kubrick, 1987), denn es handelt sich beinahe um ein Kammerspiel. Mit Ausnahme eines brillant inszenierten Bombenanschlags auf dem Hauptplatz von Saigon gibt es kaum „Action“, sondern das komplexe Geschehen spielt sich im Wesentlichen in den Dialogen, Gesten und Gesichtsausdrücken der drei Hauptfiguren ab.

Eine melodramatische Dreiecksgeschichte zwischen einem Briten, einem Amerikaner und einer Vietnamesin ist mit der politischen Entwicklung im Indochinakrieg verknüpft. Das geht weit stärker unter die Haut als apokalyptischer Schlachtenlärm.

Phuong symbolisiert das von der alten Kolonialmacht England und der neuen Weltmacht USA umworbene Vietnam. Das klingt nach einer Konstruktion. Aber Graham Greene lässt nicht einfach drei repräsentative Figuren auftreten, sondern drei Charaktere mit Fleisch und Blut, Schwächen und Stärken: die Vietnamesin Phuong, den Engländer Fowler und den Amerikaner Pyle.

Während der etwas tapsige Pyle in der Dreiecksgeschichte mit offenen Karten spielt, arbeitet er – von idealistischem Eifer getrieben – heimlich im Auftrag der CIA mit einem vietnamesischen Warlord zusammen, um den Hass auf die Kommunisten zu schüren. Es ist der Beginn des amerikanischen Engagements in Vietnam. Am Ende des Films deuten die Schlagzeilen über den von Fowler verfassten Artikeln in „The Times“ an, wie es weiterging: Rückzug der gescheiterten französischen Kolonialherren aus Vietnam (1955), Bombardierung Nordvietnams durch die Amerikaner (ab 1964) … [Indochina-Kriege]

Eine Weltmacht (die USA) glaubt, ein Volk vor dem Kommunismus bewahren und ihm zu westlichen Werten wie Freiheit und Demokratie verhelfen zu müssen, unterstützt zunächst einheimische antikommunistische Kriegsfürsten und lässt sich dann immer stärker in das Bürgerkriegsgeschehen hineinziehen. (Wohlgemerkt: Graham Greene veröffentlichte seinen Roman 1955, lange bevor die USA Krieg in Vietnam führten.)

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob der Zweck die Mittel heiligt – im politischen wie im persönlichen Bereich. Es geht auch um Liebe, Freundschaft und Loyalität. Der englische Journalist, dessen Maxime es ist, neutral zu berichten, ergreift am Ende doch noch Partei – und verrät den Mann, der ihm einmal das Leben rettete. Dabei ist er sich selbst nicht über seine Motive im Klaren: Tat er es im Dienst der Humanität, für Vietnam oder letztlich doch, um seinen Rivalen auszuschalten?

Phillip Noyces Film „Der stille Amerikaner“ beginnt damit, dass Fowler die Leiche seines amerikanischen Freundes und Rivalen im Saigonfluss sieht und wenig später von Inspektor Vigot gebeten wird, sie zu identifizieren. Nachdem er Phuong über den Tod ihres Bräutigams unterrichtet hat, erinnert er sich an das, was während der letzten Wochen geschah. Die Handlung wird also in einer Rückblende aus der Perspektive Fowlers erzählt, und zwar in dunklen, ruhigen Bildern, die etwas von der Schwüle und Exotik Vietnams wiedergeben.

Mit „Der stille Amerikaner“ ist Phillip Noyce ein komplexer, nachdenklicher und „stiller“, spannender und eindringlicher Film gelungen, der zwischen Melodram und Politthriller changiert.

Die unter mehr als 500 Kandidatinnen ausgesuchte vietnamesische Schauspielerin Do Thi Hai Yen – die sich gar nicht selbst beworben, sondern ihren Verlobten Quang Hai (der General Thé spielt) zum Casting begleitet hatte –, erwies sich als hervorragende Besetzung für die Rolle der Phuong: Überzeugend verkörpert sie Würde und Schönheit. Am eindrucksvollsten spielt Michael Caine, der mit sparsamer Mimik und Gestik die Zwiespältigkeit des Charakters von Thomas Fowler darstellt und dafür mit einer „Oscar“-Nominierung belohnt wurde.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003

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