Ulla Hahn : Das verborgene Wort

Das verborgene Wort
Das verborgene Wort Originalausgabe: Deutsche Verlags-Anstalt, München 2001 ISBN: 3-421-05457-6, 595 Seiten dtv, München 2003 ISBN: 978-3-423-21055-3, 623 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Hildegard Palm wächst in der Adenauer-Ära in einer rheinischen Kleinstadt auf. Ihre ungebildeten Eltern und Großeltern reagieren bis auf einen Großvater verständnislos auf die Fantasie und den Wissensdurst des Mädchens. Zuflucht findet Hildegard in Geschichten und Büchern. Ein Lehrer überredet die Eltern, sie wenigstens die mittlere Reife machen zu lassen. Durch den Besuch der Realschule entfremdet Hildegard sich noch mehr von ihrer Familie ...
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Kritik

"Das verborgene Wort" ist ein bewegender Entwicklungsroman und zugleich eine detailreiche Milieustudie. Ulla Hahn schreibt aus der subjektiven Perspektive der Hauptfigur. Das wirkt authentisch und tragikomisch.
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Lommer jonn, sagte der Großvater, lasst uns gehen, griff in die Luft und rieb sie zwischen den Fingern. (Seite 7)

Der vor langer Zeit aus der Schweiz ins Rheinland ausgewanderte Großvater Hildegards und ihres jüngeren Bruders Bertram, der bei seiner Tochter Maria, ihrem Ehemann Josef Palm und den Enkeln in einem Haus in Dondorf zwischen Köln und Düsseldorf wohnt, geht oft mit den Kindern am Rhein spazieren. Hin und wieder hebt er einen Kieselstein auf, behauptet, es handele sich um einen „Boochsteen“ (Buchstein) und „liest“ daraus eine Geschichte vor. Er erklärt Hildegard aber auch, wie ein „Wootsteen“
(Wutstein) funktioniert: Wenn sie sich über jemanden geärgert hat, soll sie einen Stein so lange anschauen, bis sie darauf das Gesicht sehe und ihn dann mit aller Kraft in den Rhein werfen. Während der Großvater viel Verständnis für die Kinder aufbringt, schimpft die bigotte Großmutter, „es Heldejaad“ sei „däm Düvel us dä Kiep jesprunge“ (Seite 15). Vor ihrer Heirat war sie Dienstmädchen beim Bürgermeister Waldemar Vischer. Josef Palm verdient sein Geld als ungelernter Arbeiter in der Kettenfabrik, und Maria – die von den Alteingesessenen noch immer nach ihren Eltern „Kringlis Maria“ genannt wird – trägt mit Putzen und Heimarbeit zum Lebensunterhalt der Familie bei.

Fließendes Wasser gibt es nur am Spülstein in der Küche. Die Notdurft wird im Plumpsklo verrichtet, und nur wenn besonderer Besuch kommt, stellt die Mutter eine Rolle Toilettenpapier neben den Deckel. Die Familienmitglieder nehmen zurechtgeschnittenes Zeitungspapier mit, wenn sie zu dem Häuschen im Garten gehen. Gebadet wird einmal in der Woche, und die Haare kriegt Hildegard noch seltener gewaschen.

Jeden Samstag gab es im alten Schweinestall eine sargförmige Zinkwanne voll für alle, der Vater zuerst, die Kinder zuletzt. Kam ich an die Reihe, war das Wasser schon von einem schlierigen Film bedeckt, auf dem dunkle Klümpchen aus Haut und Dreck schwammen. Anschließend wurden in dä Bütt die Blaumänner des Vaters eingeweicht. (Seite 248)

Handtücher verschlissen kaum, da wir nur einmal wöchentlich in ein und demselben Wasser und mit einem Tuch für alle badeten. Nur die dunkelblau karierten für die Hände zerfransten mit der Zeit. (Seite 119)

Nur alle paar Monate, wenn das Jucken unerträglich geworden war, wurden ein paar Töpfe heißes Wasser gemacht, das Haar eingeseift und mit immer neuen Güssen aus der Milchkanne gespült. Das Auskämmen besorgte die Großmutter unter Gebeten mit einem dichtgezähnten Kamm, der für ihre schütteren Strähnen ausreichte. Schrie ich, unterbrach sie ihre „Gegrüßet seist du, Maria“: Unser Herrjott hat noch mehr gelitten. Denk an die Dornenkron. (Seite 52)

Geheizt wird mit einem Kohlenherd, der in der Küche steht, in der sich die Familienmitglieder für gewöhnlich aufhalten. Das kleinere Wohnzimmer wird nur bei besonderen Anlässen benutzt.

Liebevoll umsorgen Hildegard und Bertram das Kaninchen, das sie von einer Tante geschenkt bekamen. Als das „Hänsjen“ eines Tages nicht mehr im Stall ist, beten die Kinder für das Tier. Am Sonntag sehen sie es wieder, als Braten auf dem Tisch.

Gott hatte mein Gebet erhört. Ich hatte Hänschen wiedergesehen. Aber ich hatte nicht für einen Braten gebetet. Von nun an formulierte ich meine Gebete so genau wie möglich. Wenn man im Himmel etwas erreichen wollte, musste man den lieben Gott festnageln, durfte ihm kein Schlupfloch lassen für irgendwelche Alleingänge. Zu der ohnmächtigen Wut über die Erwachsenen kam ein fast verächtlicher Zorn auf den lieben Gott. Er war ein Trickser. (Seite 31)

Als Josef Palm elf Jahre alt war, schnitt sich sein Vater nach der Geburt des dreizehnten Kindes die Kehle durch [Suizid]. Seine Mutter heiratete daraufhin den Großknecht, den die Enkel heimlich „falschen Großvater“ nennen, um ihn vom Großvater Kringli zu unterscheiden. Er lebt in Rüpprich. Als der „falsche Großvater“ seiner Enkelin eine Puppe kaufen möchte, sucht sie sich die einzige schwarze aus. Der Großvater protestiert, aber seine Tochter Angela stimmt ihn um:

Woröm soll dat Kenk dann keen Näjerpopp han?, mischte sich jetzt Tante Angela ein. Sie hatte sofort begriffen, dass dieser Ladenhüter weit billiger war als alle anderen. (Seite 44)

Also bekommt Hildegard die gewünschte Puppe – und dazu noch einen Rosenkranz, weil einer ihrer Cousins meint:

Nä, Heldejaad, wat wills de dann mit nem Näjer, do musste ävver lang für bäde, bes dat dä wieß wird. (Seite 44)

Am Ende sagt der Großvater:

Dann wolle mer ens affwade, ob du et wieß jebät krischs. (Seite 44)

Hildegard und Bertram taufen das Heidenkind in der Regentonne auf den Namen Fritz. Als sich die Hautfarbe durch die Gebete nicht ändert, legt Hildegard die Puppe in der Kirche zum Christkind in die Krippe und verursacht damit einen Aufruhr unter den Kirchenbesucherinnen.

Dä, sagte die Kohlenhändlersfrau, dä. Dat ist doch die Höhe, Herr Pastor, dat is eine Entweihung. Vor dem Krippschen kann unsereins doch nit mehr beten. Und hie dem Blaach jehört die Popp. Maria, wandte sie sich an meine Mutter, nu sach doch ens jett. (Seite 47)

Pastor Kreuzkamp zeigt Verständnis für das Kind.

Glaubst du wirklich, der liebe Gott hätte die Schwarzen schwarz gemacht, wenn er sie lieber weiß gehabt hätte? (Seite 49)

Und zur Mutter sagt er:

Liebe Frau Palm […], Ihre Tochter hat eine ganz ungewöhnlich lebhafte Fantasie. Sie können stolz sein auf Ihre Tochter. (Seite 49)

Als Hildegard in die Schule kommt und der Lehrer fragt, wer schon lesen könne, meldet sie sich und „liest“ einen Buchstein vor. Es dauert einige Zeit, bis sie den Unterschied zwischen dem Erzählen einer Geschichte und dem Lesen eines Buches begreift. Sobald sie jedoch in der Lage ist, Bücher zu lesen, verbringt sie jede freie Minute damit, und Annemarie, die Schwester des Kaplans, versorgt sie mit Nachschub aus der Borromäusbücherei.

Weil Hildegard lieber liest als mit den anderen Kindern herumzutollen, gilt sie als Außenseiterin. Mitschülerinnen lauern ihr auf und verprügeln sie. Als Annemarie erfährt, dass Hildegard sich nicht wehrte, erklärt sie ihr, dass das nicht richtig gewesen sei. Kurze Zeit fallen die Mitschülerinnen über ihre Freundin Birgit Iffler her. Da kämpft Hildegard mit Schlägen und Tritten.

Auf Anordnung der Besatzungsmacht wird in der Schule ein Film gezeigt, in dem Berge von ausgemergelten Toten in einem Konzentrationslager zu sehen sind.

Einmal besucht Hildegard ihre Mitschülerin Irene Hieber. Deren Vater wird vermisst. Frau Hieber lebt mit ihrer Tochter in einer Reihenhaus-Siedlung für Flüchtlinge außerhalb des Dorfes. Hildegard staunt über das gekachelte Bad mit Badewanne und WC.

Wenn ein Bettlaken in der Mitte zu dünn geworden ist, wird es durchgeschnitten und an den Außenrändern wieder zusammengenäht. Viermal im Jahr kommt der Wäschemann mit zwei Koffern voller Ware aus Roningen nach Dondorf. Das ist für die Frauen ein besonderes Ereignis. Verwandte und Nachbarinnen versammeln sich in Hildegards Elternhaus, und die Großmutter holt ihren Aufgesetzten aus dem Keller.

Wie ein Zauberer das Kaninchen an den Ohren, schnellte der Wäschemann einen Büstenhalter an seinen Trägern aus dem Koffer, hielt ihn vor den Anzug und wackelte mit den Hüften. Die Frauen kreischten. (Seite 120)

Erst durch eine Todesanzeige erfahren die Frauen, dass der Wäschemann Friedrich Mertens hieß.

Der Großvater beginnt zu kränkeln. Daraufhin füllen Hildegard und Bertram in der Kirche heimlich Weihwasser ab und mischen es ihm unbemerkt in Speisen und Getränke. Enttäuscht stellen sie fest, dass auch eine Erhöhung der Dosis erfolglos bleibt. Als Hildegard das Monatsblatt des Frauenvereins austrägt, entdeckt sie bei Resi Pihl – der Mutter ihrer Mitschülerin Hannelore – eine Marienstatue aus „Lurdäs“. Der Kopf ist abschraubbar, und die Figur ist mit Weihwasser gefüllt, von dem Resi Pihl glaubt, dass es ihr gegen ein Ekzem hilft, vor allem, wenn sie einen Esslöffel Klosterfrau Melissengeist dazugibt. Am nächsten Vormittag steckt Hildegard Hannelores Rechenbuch ein, und unter dem Vorwand, ihr das „versehentlich“ mitgenommene Buch zu bringen, geht sie noch einmal zu ihr und ihrer Mutter. Während Bertram die beiden durch ein plötzliches Geschrei ins Freie lockt, kippt Hildegard rasch etwas von dem Wasser aus Lourdes in ein mitgebrachtes Fläschchen und füllt die Marienstatue mit Leitungswasser wieder auf.

Drei Tage lang wurde das Madonnenwasser von uns bebetet und bekreuzigt. Dann setzten wir alles auf eine Karte. Das ganze heilige Wasser auf einmal schüttete ich dem Großvater ins Glas für seine Tabletten.
Der Großvater schluckte die Tabletten hinunter, nippte an dem Glas und verzog das Gesicht.
Opa, trink aus, bettelte ich.
Trink, Opa, echote der Bruder.
Nä, Kenger, dat schmeck nit. Dat schmeck jo wie ahle Schoh. Un de Tablette sind jo och ald em Mage.
Opa, du musst dat drenke.
Jo, Opa, drenk.
Die Großmutter trat dazwischen.
Wat quäls de dann dä Opa met dem Wasser? Jank, un hol em e Jläsje Appelsaff.
Die Großmutter griff das Wasserglas vom Nachttisch und goss es im hohen Bogen aus dem Fenster in den Rhabarber. (Seite 124)

Nach dem Fehlschlag sammelt Hildegard in der Fastenzeit alle ihr zugesteckten Süßigkeiten in einem Glas und verteilt sie am Karsamstag an andere Kinder.

Bes de verröck jewode, fuhr die Mutter mich an. All dä Krom ze verschenke. Dä hät Jeld gekoss. Jäff dat Jlas her. (Seite 135)

Waat, bes dä Papp no Huus kütt. (Seite 42)

Abends verprügelt Josef Palm seine Tochter mit einem hinter der Standuhr aufbewahrten Stöckchen. Hildegard nimmt die Schmerzen hin und hofft, dass ihr Martyrium den geliebten Großvater wieder gesund macht.

Hannelore Pihl ist nach Hildegard die zweitbeste Schülerin in der Klasse, doch ihr Vater, ein ungelernter Arbeiter wie Josef Palm, lässt sie nicht auf eine höhere Schule wechseln. Stattdessen wird sie Verkäuferin. Später heiratet Hannelore. Als sie schwanger ist, lässt sich ihr Mann von ihr scheiden, weil er keine Kinder will. Der zu früh geborene Säugling lebt allerdings nur ein paar Tage.

Auch in Hildegards Familie denkt niemand daran, sie weiter zur Schule gehen zu lassen, aber der Klassenlehrer überredet die Eltern, die begabte Tochter nach den Sommerferien auf die Realschule zu schicken, und die Gemeinde erklärt sich bereit, das Schulgeld zu bezahlen.

Vorher wird noch Hildegards Kommunion gefeiert. Unter den Geschenken für das „Kummelejonskenk“ befindet sich sogar ein Buch. Darin wird über Leben der Hildegard von Bingen berichtet.

Wozu waren all die Onkel, Tanten, Cousinen und Cousins gekommen? Um zu essen, um zu trinken, um zu klagen. Herzhaft, saftig, mit Genuss und in aller Ausführlichkeit. und nie unterließen sie es, ihre Klagen zu beenden mit der Versicherung: Ävver mer wolle nit klage. (Seite 141)

Zufällig hört Hildegard, wie eine Tante aus Rüpprich zu einer anderen Verwandten sagt:

E Weet op de Scholl ze schecke. Wo se doch nix an de Föß han. (Seite 149)

Trotz aller Bemühungen Hildegards stirbt der Großvater.

Der Leichenwagen war schon vorgefahren. Gezogen von Karrenbroichs Schimmeln und nicht von den fetten Brauereipferden […] Zwei Messdiener vorneweg, stürmte der Pastor herbei. Die Trauergäste, die in einer dicken Traube ums Gartentor hingen, machten ehrfürchtig Platz. Dem Pastor folgten Böckers Willi, der den Sarg geliefert hatte, und sechs kräftige Burschen aus dem Kolpingverein, die Leichenträger.
Mit dem gleichen großen Schwung, mit dem er Kühe und Schweine, Fahrräder, Autos und die Christengemeinde besprengte, holte der Pastor für den toten Großvater aus, tauchte sein Aspergill ins Silbereimerchen, das ein Messdiener hielt, bis dem Großvater das Weihwasser wie Schweißperlen auf der Stirn stand […] Mit langen, goldblitzenden Stiften nagelte Böckers Willi Ober- und Unterteil zusammen […]
Zujleisch, gab Böckers Willi seinen Kolpingbrüdern das Kommando. Sie gingen in die Knie, stemmten den Sarg von den Holzböcken auf die Schultern, kamen hoch. Die angeschmolzenen Eisstangen platschten in die Bütten, dass sie überschwappten. Die Mutter rannte raus und kam mit einem Putzlappen wieder […]
Hie kumme mer nit erus […] Der Flur war zu eng.
[…] Der Sarg aus Eiche konnte etwas aushalten, aber an der Türfüllung splitterte der Lack bis aufs Holz. Die Frauen kreischten. (Seite 153f)

Schließlich hieven die Männer den Sarg durchs Fenster und lassen ihn senkrecht an der Außenwand hinunter, der Großvater im Sarg mit dem Kopf voran.

Für Weihnachten wünscht Hildegard sich von ihrem „falschen Großvater“ eine Geige. Im November beobachtet sie, wie der Vater mit einer Kiste auf dem Fahrrad aus Rüpprich kommt und die Mutter mit dem Organisten Honigmüller redet. Die Vorfreude ist groß. Umso heftiger ist die Enttäuschung, als sich unter dem Christbaum herausstellt, dass die Kiste keine Geige, sondern einen Quetschebüggel enthält, den eine Cousine vor zwei Jahren als Weihnachtsgeschenk bekam. Der Organist bezeichnet das Instrument jedoch als Akkordeon und zeigt Hildegard, dass man auf dem Instrument auch schöne Musik spielen kann. Sie übt Stücke von Bach und Buxtehude, bis sich ihre Eltern und ihre Großmutter über die „Katzenmusik“ beschweren und von ihr verlangen, stattdessen zwei oder drei derbe Stücke für den 70. Geburtstag des „falschen Großvaters“ einzustudieren. Nach dem Vortrag lässt Hildegard den Quetschebüggel einfach im Garten des Großvaters stehen. Der Vater fährt noch einmal zurück nach Rüpprich, aber das Instrument ist fort. (Jahre später findet man es in der Hinterlassenschaft eines Onkels, der sich erhängte.)

Hildegard geht nun nicht mehr en de Scholl, sondern op de Scholl (Seite 239). In der Realschule („Meddelschull“) lernt sie Hochdeutsch.

Ich bin mit den Hausaufgaben fertig und gehe jetzt mit Birgit spielen, sagte ich an diesem Nachmittag zur Mutter.
Wie kallst du?, fauchte die zurück. Wat is dann en desch jefahre?
Gar nichts Mama, ich bin jetzt fertig. Bis heute Abend.
Mamm, rief die Mutter, kumm ens. Jitz es et övvergeschnapp! Waat, bes dä Papp no Huus kütt! (Seite 183)

Beim Tischgebet am Abend fällt Hildegard erneut ins Hochdeutsche.

Der Vater sah mich an. Wat sull dat?
Das ist richtig, sagte ich.
Ach, nä, äffte er. Dat es reschtesch, un wie mer kalle, dat es nit reschtesch.
Nein, sagte ich.
Dat heesch: Nä! Die Stimme des Vaters begann zu zittern. Nä heesch dat! Nä! Nä! Nä!
Der Bruder lachte und machte Mäh, mäh, mäh.
Ruhe, brüllte der Vater, wat jidd et do ze lache! Nä heesch dat, han esch jesäät!
Nein, sagte ich.
Josäff, sagte die Mutter. Nu äss doch jet. Du häs doch Honger. He häs de dat Bruut un de Woosch. Der Vater griff zu. Wat denks de ejentlich, wer de bes! Denks de, dat de jet Besseres bes? Denk jo nit, dat de jet Besseres bes. Janix bes de, janix! (Seite 183f)

Als Hildegard bei ihrer Mitschülerin Doris Granderath eingeladen ist, deren Vater je ein Schuhgeschäft in Großenfeld und in Dodenrath besitzt, gibt es Würstchen. Sie stupst ihres in den Senf und beißt davon ab. Dann merkt sie, dass die anderen mit Messer und Gabel essen. Nachdem sie das Essen mit Besteck geübt hat, verwendet sie auch zu Hause Messer und Gabel.

Es gab Rinderbraten, Erbsen, Soße und Kartoffeln, als ich beim Sonntagessen zeigte, was ich konnte. Es war nicht leicht, die Erbsen auf die Gabel und mit links in den Mund zu bugsieren, ohne dass die Hälfte wieder herunterkullerte […] Niemand schien mich zu beachten. Der Vater quetschte wie immer Gemüse, Kartoffeln und Soße zu einem Brei, schnitt das Fleisch klein, belud die Gabel mit hohen Haufen und schaufelte diese, den Kopf in die linke Hand dicht über den Teller gestützt, den rechten Unterarm vom aufgesetzten Ellenbogen aus kaum hebend und senkend, in den Mund […] Ich hatte meinen Teller halb leer gegessen, als plötzlich eine Hand meine Linke umklammerte. Ich schrie auf, ließ die Gabel fallen.
Ach nä, höhnte der Vater und ergriff meine Gabel. Met ner Javvel ze ässe es der wall nit fürnähm jenuch. Dann brochs de so jo och nit.
Der Vater warf die Gabel auf den Boden, setzte den Fuß darauf. Es knirschte. Josäff, die Javvel, schrie die Mutter.
Haal de Muul, sagte der Vater. Eh dä Teller hie nit leer es, steht dat Blaach hie nit op. (Seite 187)

Einige Zeit später gibt es eine Suppe mit Buchstaben-Nudeln. Hildegard und Bertram wetteifern, wer von ihnen das längere Wort legen könne. Bertram hat bereits „Hasenst“ am Tellerrand liegen, Hildegard sucht noch R, K, R, O, N und E für ihr „Engelshaa“. Da packt der Vater sie im Nacken und drückt ihr den Kopf in die heiße, fettige Suppe. Wütend verlässt er das Haus.

Bloß kene Dokter! Wat sulle mer däm saje, zeterte die Mutter. Wat sulle de Lück denke.
Mein Gesicht wurde gewaschen, in kalte Tücher gepackt, mit Butter eingeschmiert, messerrückendick mit guter Butter.
Brandblasen gab es nicht. Aber rote Flecken auf Wangen und Nase von erweiterten Gefäßen. Lebenslänglich. (Seite 189)

Am nächsten Abend kommt der Vater früher als sonst nach Hause und arbeitet auch nicht mehr im Garten des Prinzipals, sondern bringt Hildegard das Fahrradfahren bei.

In der Schule spricht Hildegard Hochdeutsch, zu Hause und mit Mädchen, die sie von früher kennt, jedoch weiterhin Kölsch. Schwierig wird es, als sie zum ersten Mal anlässlich der Feier ihres Namenstages einige andere Mädchen einladen darf, von denen die einen Kölsch, die anderen Hochdeutsch sprechen.

Sollte ich „Kuchen“ anbieten oder „Kooche“, „Guten Appetieth“ wünschen, wie in Doris‘ Familie, „Lodd et ösch schmecke“ sagen oder sprachlos über die Platten herfallen? (Seite 190)

Die einen sagen Heldejaad zu ihr, die anderen Hildegard. Um einen für alle geeigneten Namen zu haben, beschließt sie, sich fortan Hilla zu nennen.

So, sagte der Vater […] So, dinge Name es der jitz och nit mieh jut jenuch. Mach, wat de wells. Du blievs doch, wat de bes, dat Kenk vun nem Prolete.
Prolete, zischte die Großmutter, mer sin ken Prolete, mer sin kattolesch! (Seite 191)

Bertram geht nun auch auf die höhere Schule. Seine Patentante bezahlt das Schulgeld.

Hildegards ältere Cousine Hanni verliebt sich in Ferdi. Der ist zwar ein Flüchtling – ein „Müpp“ –, wäre aber eine gute Partie, weil ihm die Frau des an der Ostfront vermissten Peter Henkel alle Rechte in ihrem Friseursalon eingeräumt hat. Ferdi ist gewissermaßen auf dem Sprung vom Müpp zum Dondorfer. Eine eheliche Verbindung ihrer Tochter mit Ferdi kommt für Tante Berta dennoch nicht in Frage, denn er ist evangelisch. Hildegard weiß Rat. Sie überredet die Cousine, Pastor Kreuzkamp die Ringparabel aus „Nathan der Weise vorzulesen. Es funktioniert: der Geistliche redet mit Hannis Mutter. Die kommt aufgeregt zu ihrer Schwester Maria gelaufen:

Esch kumm jrad vum Pastur. Dä hät jesäät, et künnt dänn hierode, wenn hä sesch kattolesch traue löt und de Kenger kattolesch jedöv wäde. Nä! Nä! Nä! […] Wat soll userens dann do noch jlöve? (Seite 212)

Hannis Glück hält nicht lange an: Ferdi wird beim Überqueren der Gleise von einem Güterzug erfasst. Sie hat bereits ihre Arbeitsstelle in der Weberei gekündigt. Nach dem Tod ihres Bräutigams bittet sie um eine Wiedereinstellung, wird jedoch nur noch als Küchenhilfe genommen. Von dem niedrigen Lohn kann sie kaum das Fahrgeld bezahlen. Sie zögert deshalb nicht lang, als Rudi Kürten ihr einen Antrag macht. Kürten ist das einzige Kind eines kleinen, in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs gefallenen Bauern. Als die Felder als Bauland ausgewiesen werden, lässt Rudi sich in Düsseldorf zum Reitlehrer ausbilden und eröffnet in Dondorf eine Reitschule in einer eigens dafür gebauten Reithalle. Die Dondorfer staunen, als tatsächlich Leute aus Köln und Düsseldorf mit ihren Pferden kommen.

Bei Hannis Schwester Maria wird Brustkrebs diagnostiziert. Die Fünfundzwanzigjährige ist mit Heribert Engel verlobt, dessen Mutter im Möhlerather Krankenhaus an Brustkrebs starb. Er soll die Elektrohandlung seines Vaters übernehmen. Nach der Operation in einem Krankenhaus in Düsseldorf besuchen Hildegard, ihre Mutter, Tante Berta und Cousine Hanni die Patientin in ihrem Acht-Betten-Zimmer.

Esch han et em Krüx, sagte sie [Hanni], sich aufrichtend. Das war das Stichwort. Die Frauen erzählten von Krankheiten, eine schauriger als die andere. Alle hörten der Tante zu, bis das Keuchen im Bett hinter der Tür immer lauter und schneller wurde. Do muss doch eener die Schwester holle, unterbrach sich die Tante, Heldejaad, jank ens lure, wo de Schwester es. (Seite 254)

Beim Aufstehen stößt Hildegard versehentlich an das Bett der Röchelnden. Da schießt eine Hand unter der Bettdecke hervor, packt sie und lässt sie nicht mehr los.

Die Verwandten sprangen auf, eine Schwester stürzte herein. Loslassen, Oma, rief die dicke Person, blond mit rotfleckigem Gesicht und der geschäftigen Munterkeit ihres Berufsstandes. (Seite 254)

Erst als ein Arzt der Greisin ein Beruhigungsmittel injiziert, lockert sich der Griff, und Hildegard kann sich befreien.

Heribert besucht seine Verlobte nur ein einziges Mal im Krankenhaus. Auch als sie wieder in Dondorf ist, lässt er sich nicht mehr sehen. Hildegards Mutter hat dafür Verständnis:

Sujet, sagte sie und ruckte an ihrer rechten Brust, es enem Mann nit zozemode. (Seite 262)

Hildegard beginnt für Friedrich Schiller zu schwärmen.

Am Rheinufer trifft sie zufällig vier Mitschülerinnen. Helmi, Birgit, Gretel und Sigrid fordern sie auf, mitzukommen. Sie sind mit den italienischen Gastarbeitern Roberto, Carlo, Sergio und Constantino verabredet. Ein fünfter Mann, der zufällig auch dabei ist, stellt sich Hildegard als Federico vor. Sie behauptet zur Sicherheit, Maria zu heißen. Während die anderen im Gebüsch herumknutschen, setzt Federico sich mit Hildegard ins Gras, öffnet ihre Zöpfe, zieht eine Plastikscheibe mit Noppen aus der Tasche und zieht sie vorsichtig durch Hildegards Haar.

Auch bei jeder weiteren Verabredung beschränkt Federico sich darauf, Hildegards Haar zu kämmen. Sonst macht er keinen Versuch, sie zu berühren. Als die anderen Mädchen Hildegard fragen, was Federico mit ihr machte, antwortet sie:

Er bürstet mich, sagte ich. Stundenlang. (Seite 269)

Sigrid meint verblüfft:

Ävver dat du desch böschte lös, nä, dat hät esch nit von dir jedacht! (Seite 270)

Durch das Missverständnis qualifiziert Hildegard sich dafür, von den vier anderen Mädchen auf den Levisberg mitgenommen zu werden. An diesem verrufenen Ort, einem von den Nationalsozialisten verwüsteten Judenfriedhof, hat Jo Kackaller, der Sohn eines verwahrlosten Gelegenheitsarbeiters, eine Vorstellung angekündigt. Auch andere Kinder sind gekommen, um zuzusehen. Jo hat ein Huhn bei sich. Er macht sich an der Kloake des Tiers zu schaffen, öffnet schließlich seine Hose und presst das Huhn an sich.

Das Huhn zuckte. Jo Kackaller schüttelte sich. Er schleuderte den Kadaver in den Ginster, ein Mückenschwarm stob auf. Was ihm da aus dem roten Busch stand und langsam in sich zusammensank, war über und über mit Blut und Kot verschmiert. (Seite 272)

Kurz darauf berichtet die „Rheinische Post“ von fünf italienischen Gastarbeitern, die sich in einer Dondorfer Eisdiele mit einheimischen jungen Männern prügelten. Vier der Ausländer seien in Begleitung Dondorfer Schulmädchen gewesen, heißt es.

Mit fünfzehn wird Hildegard bei der Maternus KG als Ferienarbeiterin genommen. Während ihre Mitschülerinnen mit den Eltern verreisen, verpackt sie Pillen („Pelle packe“) wie die Frauen, die hier dauerhaft beschäftigt sind.

Ob man einen ranlassen würde, unter Umständen ranlassen, jemals ranlassen, eventuell ranlassen, niemals ranlassen würde; ob einer rankommen wollte, ob er noch nicht oder schon oder beinah rangekommen sei, machte den Hauptgesprächsstoff aus. (Seite 284)

Einen mitzukriegen, den man vorher rumkriegen musste, ohne ihn ranzulassen, war das Ziel. (Seite 288)

Den Ehemann so selten wie möglich ranzulassen war offenbar eine Frage der Ehre. (Seite 284)

Von ihrem ersten Lohn kauft Hildegard sich „Pömps“, Perlonstrümpfe und einen Büstenhalter.

Während der Ferien arbeitet auch Georg Schöne bei Maternus. Er studiert in Köln Mathematik und wohnt in Möhlerath bei seiner verwitweten Mutter. Sein Vater war in Tobruk gefallen. Nachdem Georg einige Male mit Hildegard spazieren gegangen ist, stellt er sie seiner verbitterten Mutter vor.

In der Straße, in der Hildegard wohnt, zieht Dr. Mix, der neue Chefingenieur der Raffinerie, mit seiner Frau und dem Sohn Sigismund ein. Sobald die Werkswohnung fertig ist, will die Familie, die in dieser Umgebung aus dem Rahmen fällt, noch einmal umziehen.

Als Hildegard den neuen Nachbarjungen auf seinem Fahrrad sieht, tänzelt sie mit einem Hula-Hoop-Reifen herum. Er bremst, weicht aus, trifft den Bordstein, rutscht auf abgefallenem Laub aus und bleibt mit einem gebrochenen Schienbein liegen.

Hildegard besucht ihn regelmäßig und hilft ihm, den versäumten Schulunterricht so gut wie möglich zu Hause nachzuholen. Bei Diskussionen über die Novelle „Michael Kohlhaas“ lernen sie sich näher kennen.

Bei Maria werden Metastasen festgestellt. Tante Berta reist gegen Ratenzahlung nach Lourdes und bringt ein Dutzend mit Weihwasser gefüllte Madonnenfiguren mit, die sie an andere Dondorfer Frauen verkauft, die Maria daraufhin für so gut wie geheilt halten. Als es dann doch heißt, sie müsse zur „Schemeterepie“, wird sie wie eine Aussätzige gemieden. Es muss ja einen Grund haben, dass das „heilige Wasser“ bei ihr nicht wirkt. Offenbar handelt es sich bei Maria um eine schwere Sünderin.

Diesmal bringen die Frauen der Patientin eine Strickmütze mit und reden statt über Krankheiten übers Kochen. Hanni schaut sich regelmäßig die Sendung des Fernsehkochs Clemens Wilmenrod an, aber ihre Mutter staunt nur, wenn er ein Hähnchen mit Cognac übergießt.

Besser gefiel der Tante, ein Stück Weißbrot zu nehmen, Butter drauf, aber nicht zu knapp, dann gekochter Schinken und darüber eine Scheibe Käse, am besten Emmentaler. Das Ganze fünf Minuten in den Ofen. Un dann, die Tante machte eine Pause und erhob die Stimme. En Schiev Ananas. Op dä Kies! Un dann, die Tante war jetzt so laut, dass alle ihr zuhörten, op die Ananas jehööt en Keesch! Ävver nit nur su vom Boom! Et muss en Marokkanerkirsche sin! En Marokkanerkirsche, wiederholte die Mutter andächtig. Un dat Janze, krönte die Tante ihren Leckerbissen, heesch: Toost Hawajih. (Seite 348)

Nach dem Besuch knurrt Marias Mutter:

Mer wös ald jän, wie lang et noch durt […] Die Tante war für klare Verhältnisse. Im Leben und beim Sterben auch. (Seite 352

Auch als Sigismund wieder laufen kann, trifft er sich weiterhin mit Hildegard und spielt mit ihr Tischtennis, obwohl seine Mutter das gar nicht gerne sieht. Hildegard hat sich in ihn verliebt, aber vor Berührungen scheut sie zurück.

Mein Herz suchte Nahrung, keine Sättigung. Ich wollte träumen, nicht leben, ersehnen, nicht erlangen. (Seite 328)

Ich wusste zuviel. Und zuwenig. Was ich wusste, gefiel mir nicht. Was ich nicht wusste, ängstigte mich. (Seite 469)

Die verliebten Mädchen ritzen und schneiden sich die Initialen der von ihnen Angebeteten in Handrücken, Arme oder Beine. Weil Doris sonst an Hildegards Liebe zweifeln würde, ritzt sich schließlich auch Hildegard an der Innenseite des linken Oberschenkels ein S in die Haut. Um die Erwartungen ihrer Freundin nicht zu enttäuschen, erzählt sie von heißen Küssen Sigismunds.

Als Sigismund Freikarten für „Nathan der Weise“ in einem Theater in Düsseldorf hat, nimmt er Hildegard mit. Sie fahren mit einem Bus. Ihrer Mutter sagt Hildegard, sie besuche eine kranke Mitschülerin. Drei Wochen später erfährt Maria Palm, dass ihre Tochter sie belogen hat, aber diesmal schimpft sie nicht.

Dä Sijismund, sagte die Mutter, es ene feine Jong. Und dann erst dä Vater. Eine feine Familie.
Maria, fuhr die Großmutter dazwischen. Die sin doch evanjelisch!
Da mät nix, die Mutter spitzte verschwörerisch die Lippen und blinzelte mir zu. Dann losse se sesch kattolesch traue, und die Kenger wäde kattolesch jedöv. Dat es doch hück alles nit mi esu streng. (Seite 368)

Die Sommerferien verbringt Sigismund in Loret de Mar und San Sebastian. Hildegard ist eifersüchtig, zumal sie erfahren hat, dass auch die Unternehmertochter Beate Maternus zu der Reisegruppe gehört.

Peter Bender, der seiner verwitweten Mutter beim Betrieb der familieneigenen Gärtnerei hilft, nutzt Sigismunds Abwesenheit, um Hildegard den Hof zu machen und geht mit ihr spazieren. Er ist schüchtern und verklemmt, doch wenn er von Pflanzen spricht, lässt er sich von seiner Begeisterung fortreißen, und Hildegard merkt erstaunt, dass er auch die lateinischen Namen kennt. Sie stellt sich vor, wie im Dorf getratscht wird:

Do jeht dat Weet vom Kringlis Maria met dem Benders Pitter. Dä hät jet an de Föß. Dä kööf jitz och noch der ganze Kiesbersch […] Wer dä Peter mal krischt, der krischt dat jroße Los. Dat muss sisch de Häng nit mi dräckisch mache. (Seite 395)

Peters Mutter tut alles, um die Beziehung der beiden jungen Leute zu fördern.

Hildegard arbeitet auch diesmal wieder in den Ferien bei Maternus. Aufgrund einer Reha-Studie wurde inzwischen die Geschwindigkeit des Fließbandes erhöht. Die Frauen legen schließlich die Arbeit nieder und protestieren. Hildegard ruft:

Lööf dat Band ze flöck, wäde mer verröck! (Seite 410)

Dat Band muss langsam loofe, mir losse us nit för domm verkoofe! (Seite 410)

Der Unternehmensleitung bleibt nichts anderes übrig, als das Fließband wieder langsamer laufen zu lassen.

Tagelang sprach das Dorf von nichts anderem als von die Wiever beim Maternus, die et denne do ovve gezeigt hatten. (Seite 413)

Überraschend wartet eines Abends Hildegards Mutter neben Peter am Fabriktor. Sie hat einen geöffneten, an ihre Tochter adressierten Brief in der Hand. Aus Italien. Von einem Federico. Er schreibt:

Verehrte Fräulein, Maria liebe, ein Jahr vorbei und ich nix kann vergessen. Du und ich am Rhein in Wiese. Ich dich bürsten male viele. So schön, so lang. Ich nix vergesse. (Seite 421)

Met nem Italjäner, nem Itacker, rief die Mutter ein ums andere Mal. Un för sujet schecke mer desch op de Scholl. (Seite 421)

Nachdem Maria Palm Frau Bender von dem Brief erzählt hat, verbietet die Gärtnereibesitzerin ihrem Sohn den weiteren Umgang mit Hildegard.

Dat kütt hi nit mieh en et Huus. (Seite 423)

Doris ärgert sich darüber, dass ihr Freund Robert angeblich keine Zeit mehr für sie hat, aber gesehen wurde, wie er mit der Schuhverkäuferin Monika Schwamm im Gebüsch verschwand. Sie werde dafür sorgen, dass ihr Vater die Rivalin entlässt, kündigt sie Hildegard an. Als diese einmal bei ihr übernachtet, nimmt Doris ihre Hand und führt sie unter der Bettdecke über ihren nackten Körper. Widerstrebend lässt Hildegard es geschehen. Sie spürt, wie Doris‘ Brustwarzen und dann auch ihre Klitoris hart werden. Mit einem Schrei reißt sie ihre Hand zurück, aber Doris macht allein weiter, bis zum Orgasmus.

Josef Palm gewinnt in einer Tippgemeinschaft mit acht Arbeitskollegen zusammen im Lotto. Daraufhin fährt er mit Hildegard nach Köln und kauft ihr außer drei Kleidern und einem Mantel eine Hose, obwohl seine Schwiegermutter sagte:

Wenn die Fraue en Männerkleider jehen, is dat Ende der Welt nahe. (Seite 492)

Außerdem bestellt er ein Fernsehgerät. Das wird in der Küche aufgestellt. Die füllt sich nun allabendlich mit Nachbarn. In der ersten Tagesschau spricht Konrad Adenauer über den gerade in Jerusalem stattfindenden Eichmann-Prozess. Einige Zeit später wird vom Bau der Berliner Mauer berichtet.

Nachdem der Schulzahnarzt schon vor einiger Zeit festgestellt hatte, dass Hildegard eine Zahnregulierung benötigt, lässt der Vater eine Zahnspange für sie machen. Sie kostet 900 DM, das sind für ihn drei Monatslöhne.

Weil Hildegard auch in der Abschlussklasse die besten Noten hat, darf sie bei der Abschlussfeier eine Rede halten. Dennoch bestehen ihre Eltern darauf, dass sie nun endlich arbeiten geht.

Sie bekommt eine Lehrstelle als Industriekaufmannsgehilfin bei der Papier und Pappe GmbH. Der Vater hebt den Notgroschen ab und kauft ihr für den Weg ein Fahrrad.

Hildegard wird Frau Wachtel zugeteilt, einer verbitterten Kettenraucherin, die selbst bei schönem Wetter das Bürofenster geschlossen hält. Als Frau Wachtel sie nach einer Woche zum ersten Mal zu Dr. Viehkötter mitnimmt, vergisst Hildegard vor Aufregung, die Zahnspange herauszunehmen. Er fordert sie auf, Platz zu nehmen. Hildegard sagt: „Tschanke.“ Auf die Frage, wie die erste Woche gewesen sei, antwortet sie: „Guthsch.“ Was sie gemacht habe, möchte er wissen.

Abschlage gemaschtsch und Bschriefe geschriebschen.
Was ist denn mit der los?, wandte sich Dr. Viehkötter, alle höflichen Floskeln vergessend, an Frau Wachtel. So was von Sprachfehler. Das ist doch eine schwere Behinderung. Wie kommt so was hierher? (Seite 529)

Da erklärt Hildegard:

Itsch tschrage eine Tschkahnkschjammer […]
Itsch kschann die Kschjammer herautschnehmen. (Seite 530)

Frau Wachtel sorgt dafür, dass das Personalbüro sich in einem Brief an Josef Palm über Hildegards Betragen und Leistungen beschwert und mit dem Abbruch der Ausbildung droht. In seiner Wut reißt der Vater ihr die Zahnklammer aus dem Mund und zerquetscht das teure Stück in seinen Händen.

Auf dem Weg zum Personalbüro, wo Hildegard den von ihrem Vater unterschriebenen Brief abgeben muss, wird sie von Elli Zipf abgefangen. Die Kollegin gießt ihr aus ihrer Thermoskanne ein Glas mit einer braunen Flüssigkeit ein. Aber es ist kein Kräutertee, wie Hildegard annimmt, sondern Underberg. „Reine Medizin“, versichert Elli Zipf. Nach dem ersten Schreck geht Hildegard sehr viel entspannter weiter.

Ich war stark und schön, Kräutergeister aus dreiundvierzig Ländern durchströmten mich. (Seite 554)

Dr. Wadepohl, der Personalleiter, diktiert ihr zur Probe drei Briefe. Sie stenografiert und tippt fast fehlerfrei. Daraufhin versichert Wadepohl, das Schreiben an ihren Vater sei voreilig gewesen und beauftragt seine Sekretärin, Frau Wachtel zu rufen.

Im Labor kriegt Hildegard Alkohol aus einem Reagenzglas zu trinken.

Und sie kauft sich „Escorial grün“.

Der grüne Geist hatte den der Bücher fast verzehrt. Wozu der Umweg über die Buchstaben, um die Welten zu wechseln, um aus der einen Wirklichkeit in eine andere überzusiedeln, die Dinge abzustreifen, in Bildern aufzugehen? (Seite 570f)

Peter Bender lädt sie ins Schlosscafé in Mühlerath ein und rät ihr, „Könijinpastetschen“ oder „Ragu fäng“ zu bestellen. Aber Hildegard möchte nichts essen. Stattdessen trinkt sie mehrere Gläser „Escorial grün“, bis sie einen Schluckauf und einen Lachkrampf bekommt. Entgeistert drängt Peter zum Aufbruch. Als er aufsteht, fällt ein Kästchen mit einem Ring auf den Boden.

In der Berufsschule freundet sich Hildegard mit Trudi Kluthe an. Die vertraut ihr nach einigen Monaten an, sie sei schwanger und berichtet ihr, wie es dazu kam. Ein ungelernter Maurer aus Hölldorf namens Heinz Holl habe sie betrunken gemacht, erzählt sie. Als sie das Wirtshaus „Vater Rhein“ in Ringheim verließen, wurde ihr übel. Sie taumelte ins Gestrüpp am Wegrand. Ihre Knie gaben nach. Auf die Hände gestützt übergab sie sich. Zwar merkte sie, dass er Kerl sich an ihr zu schaffen machte, doch da sie weiter kotzte und betrunken war, reagierte sie nicht darauf. Dann brach sie zusammen. Als sie wieder zu sich kam, lag sie mit dem Gesicht im Erbrochenen, und der Kerl war fort. Nun befürchtet Trudi, dass ihr Vater sie totschlägt, wenn er merkt, dass sie schwanger ist. Hildegard meint, da gebe es nur eine Lösung: Dieser Heinz Holl müsse Trudi heiraten. Am nächsten Sonntag passt sie ihn zusammen mit Trudi nach dem Kirchgang ab. Sein älterer Bruder Walter ist bei ihm. Hildegard fordert die beiden Männer auf, mit ihr und Trudi zum „Vater Rhein“ zu fahren. Auf der Höhe des Gestrüpps vor dem Eingang der Gaststätte beschuldigt Hildegard Heinz Holl, Trudi vergewaltigt und geschwängert zu haben. Kleinlaut gibt er zu, sich an der Wehrlosen vergangen zu haben. Sein Bruder teilt Hildegards Meinung und verlangt von ihm, dass er Trudi auf der Stelle und unter Zeugen die Ehe verspricht.

Sigismund wird allmählich zudringlicher und will sich nicht mehr mit Küssen begnügen. Als er Hildegards Büstenhalter öffnet, bäumt er sich auf, stöhnt, und an seiner Hose breitet sich ein Fleck aus.

In Düsseldorf wird „Ein Sommernachtstraum“ gespielt. Hildegard steigt allein in den Bus, denn Sigismund behauptete, an dem Abend verhindert zu sein. Doch er sitzt mit Beate Maternus im Bus.

Beim ersten Treffen der Abschlussklasse merkt der Lehrer Rosenbaum, was mit Hildegard los ist und bittet sie, an einem der nächsten Abende zu ihm und seiner Frau zu kommen. Hildegard folgt der Einladung. Zunächst verwahrt sie sich gegen die Unterstellung, sie sei zur Trinkerin geworden, aber dann erzählt sie ihrem früheren Lehrer, wie das alles kam. Er kündigt an, mit ihren Eltern zu reden und nimmt ihr das Versprechen ab, mit dem Alkoholmissbrauch aufzuhören.

Wie versprochen, kündigt Rosenbaum in einem Brief Hildegards Eltern seinen Besuch an. Er kommt allerdings nicht allein, sondern bringt seinen Kollegen Mohren und Pastor Kreuzkamp mit. Die drei Herren erreichen, dass die Siebzehnjährige sich zur Aufnahmeprüfung fürs Wilhelm-von-Humboldt-Aufbaugymnasium in Riesdorf anmelden darf.

Daraufhin wirft sie die letzte Flasche Schnaps im hohen Bogen in den Rhein.

Lommer jonn. (Seite 620)

Fortsetzung: „Aufbruch“

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Hildegard Palm wächst in der Adenauer-Ära in einer Kleinstadt zwischen Köln und Düsseldorf auf. Ihre Eltern und Großeltern gehören zu den Gesellschaftskreisen, die man heute als bildungsfern bezeichnen würde. Bis auf einen Großvater reagieren sie verständnislos auf die außergewöhnliche Fantasie und den Wissensdurst des Mädchens. Zuflucht findet Hildegard in Geschichten und Büchern. Ein Lehrer überredet die Eltern, die hervorragende Schülerin wenigstens noch die mittlere Reife machen zu lassen, bevor sie sich einen Arbeitsplatz suchen muss. Durch den Besuch der Realschule entfremdet Hildegard sich noch mehr von ihrer Familie.

Ulla Hahn erzählt in ihrem Roman „Das verborgene Wort“ nicht nur die bewegende Geschichte dieses Mädchens, sondern vermittelt zugleich ein detailreiches Bild des rheinisch-katholischen Arbeitermilieus in den Fünfzigerjahren. Beides wirkt authentisch.

Wie weit „Das verborgene Wort“ autobiografisch ist, wissen wir nicht, aber die Parallelen zwischen Hildegard (Hilla) Palm und Ulla Hahn sind nicht zu übersehen. Der fiktive Ort Dondorf entspricht dabei Ulla Hahns Geburtsort Monheim zwischen Köln und Düsseldorf.

Hilde Palm war übrigens der bürgerliche Name der ab 1936 mit Erwin Walter Palm verheirateten Lyrikerin Hilde Domin (1909 – 2006).

So wie das Mädchen Hildegard Palm Geschichten liebt und erfindet, wird die Autorin Ulla Hahn offenbar von der Freude am Erzählen getrieben. „Das verborgene Wort“ beeindruckt mit einer überbordenden Fülle von Episoden.

Die Form des Romans „Das verborgene Wort“ ist konventionell. Ohne den Text in Kapitel zu gliedern, schreibt Ulla Hahn chronologisch in der Ich-Form, also aus der subjektiven Perspektive der Hauptfigur und kommentiert das Geschehen nur selten als Erwachsene.

Woröm soll dat Kenk dann keen Näjerpopp han?, mischte sich jetzt Tante Angela ein. Sie hatte sofort begriffen, dass dieser Ladenhüter weit billiger war als alle anderen. (Seite 44)

Die Charaktere und die gut beobachteten Szenen wirken anschaulich, farbig und lebendig. Das einfühlsam dargestellte Verhalten der Figuren ist gut nachvollziehbar, und die realistischen Dialoge – viele davon in Mundart – überzeugen. Obwohl der Inhalt im Grunde nicht lustig ist, erzählt Ulla Hahn mit sehr viel Humor und Sinn für Komik.

Mit ihrem Roman „Aufbruch“ knüpfte Ulla Hahn an „Das verborgene Wort“ an. Mit „Spiel der Zeit“ (2014) und „Wir werden erwartet“ (2017) wurde daraus eine Tetralogie.

Den Roman „Das verborgene Wort“ von Ulla Hahn gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Ulla Hahn (Regisseur: Uwe Kossack, Berlin 2000, 2 CDs, ISBN: 3-89813-149-1).

Hermine Huntgeburth verfilmte den Roman „Das verborgene Wort“ von Ulla Hahn unter dem Titel „Teufelsbraten“. 2016 folgte „Aufbruch“.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2010 / 2015
Textauszüge: © Deutsche Verlags-Anstalt

Hermine Huntgeburth: Teufelsbraten

Ulla Hahn: Aufbruch
Ulla Hahn: Spiel der Zeit
Ulla Hahn: Wir werden erwartet

Charlotte Link - Das Echo der Schuld
"Das Echo der Schuld" ist ein komplexer, spannender Thriller mit unerwarteten Wendungen. Charlotte Link entwickelt mehrere Handlungsstränge nebeneinander und arbeitet die Motivation der differenzierten Charaktere sorgfältig heraus.
Das Echo der Schuld