Konrad Adenauer

Konrad Adenauer wurde am 5. Januar 1876 – fünf Jahre nach der Gründung des Deutschen Reichs – als drittes von fünf Kindern des Gerichtssekretärs Johann Konrad Adenauer (1833 – 1906) und dessen Ehefrau Helene (1849 – 1919) in Köln geboren. Konrad Adenauer senior war der Sohn eines Bäckermeisters und brachte es am Kölner Appellationsgericht zum Kanzleirat. Weil das Einkommen kaum für den Lebensunterhalt reichte, nahm Helene Adenauer Näharbeiten an und die Familie stellte eineinhalb Stockwerke ihres Hauses Untermietern zur Verfügung.

Nach dem Abitur am Apostelgymnasium in Köln fing Konrad Adenauer junior aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten am 1. April 1894 eine Banklehre an, statt zu studieren. Doch als sein Vater von einer Stiftung ein Stipendium für ihn bekam, brach er die Ausbildung nach zwei Wochen ab und immatrikulierte sich für ein Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Freiburg, das er in München und Bonn fortsetzte und im Herbst 1901 in Berlin mit dem Assessorexamen abschloss – allerdings nur mit »ausreichend«, einer Note, die seine Hoffnung auf eine Karriere als Richter zunichte machte. Seine ersten Berufserfahrungen sammelte Konrad Adenauer 1901 bis 1906 in Köln, und zwar bei der Staatsanwaltschaft, in einer Anwaltskanzlei und beim Landgericht.

Am 28. Januar 1904 heiratete der Achtundzwanzigjährige, der auf dem Hochzeitsfoto noch mit einem nach oben gezwirbelten Kaiser-Wilhelm-Bart abgebildet ist, die lebensfrohe, vier Jahre jüngere Tochter eines inzwischen verstorbenen Kölner Galeristen: Emma Weyer. Sie wurde fünf Jahre später vom ersten ihrer drei Kinder entbunden und begann dann zu kränkeln. Konrad Adenauer hielt die beiden Söhne und die Tochter nicht zuletzt durch das eigene Beispiel zu einer pflichtbewussten und sparsamen Lebensführung an.

In die Politik ging Konrad Adenauer am 7. März 1906, als er sich für die Zentrumspartei mit Unterstützung der Liberalen zum Beigeordneten der Stadt Köln wählen ließ. Drei Jahre später avancierte er zum Ersten Beigeordneten und übernahm die Verantwortung für das Finanz-, Personal- und Ernährungsdezernat.

1916 starb seine seit Jahren kranke Frau im Alter von sechsunddreißig Jahren und ließ ihn mit den drei unmündigen Kindern zurück.

Im Sommer 1917 verunglückten Konrad Adenauer – der übrigens nie in seinem Leben selbst Auto fuhr – und sein Chauffeur bei einer Fahrt ins Rathaus: Der Dienstwagen wurde bei einem Zusammenstoß mit einer entgegenkommenden Straßenbahn zertrümmert. Während der Fahrer mit Hautabschürfungen davonkam, wurde Adenauer schwer verletzt. »Adenauer kroch bluttriefend unter dem Wrack hervor, brachte es aber in seiner typisch würdevollen und energischen Haltung fertig, sich selbst auf die Beine zu stellen, und bestand darauf, zu Fuß zum nahe gelegenen Dreifaltigkeis-Krankenhaus zu gehen. Jochbein und Nasenbein waren gebrochen, der Unterkiefer zerschmettert und ausgerenkt, mehrere Zähne ausgeschlagen, seine Sehkraft beeinträchtigt und die Kopfhaut von tiefen Wunden aufgerissen […] Adenauer musste ohne Narkose genäht werden […] Als alles vorbei war, fiel er in Ohnmacht […] Durch den Autounfall gewann er das Aussehen eines Indianerhäuptlings oder chinesischen Mandarins.« (Terence Prittie)

Während des Ersten Weltkriegs, am 18. September 1917, wurde Konrad Adenauer zum Kölner Oberbürgermeister gewählt. In dieser Funktion lud er am 1. Februar 1919 die Oberbürgermeister der besetzten Städte am Rhein und die aus dem Rheinland stammenden Abgeordneten der gerade gewählten Deutschen Nationalversammlung ins Kölner Rathaus ein, um mit ihnen über die Zukunft der preußischen Territorien am Rhein zu sprechen. Er trat dafür ein, durch die geplante Reichsverfassung innerhalb des Deutschen Reichs eine entmilitarisierte »Westdeutsche Republik« zu gründen, um »die Beherrschung Deutschlands durch ein vom Geiste des Ostens, vom Militarismus beherrschtes Preußen unmöglich« zu machen und den Franzosen die Furcht vor einem weiteren Krieg mit dem Nachbarland zu nehmen. Er war jedoch kein Fantast, sondern beschränkte sich auf das politisch Machbare, und als die Nationalversammlung in Weimar am 31. Juli 1919 eine Verfassung verabschiedete, in der kein rheinischer Freistaat vorgesehen war, legte er seine Idee erst einmal auf Eis.

Der Witwer, der für drei Kinder zu sorgen hatte, vermählte sich am 25. September 1919 mit Auguste (»Gussie«), einer der beiden Töchter des Dermatologen Ferdinand Zinsser aus dem Nachbarhaus. Gussie, die zwanzig Jahre jünger als ihr Mann und nur zehn Jahre älter als dessen Sohn Konrad war, brachte bis 1931 drei Jungen und zwei Mädchen zur Welt. Das erste Kind starb allerdings schon nach drei Tagen.

Trotz seines außergewöhnlichen politischen Gespürs sah auch Konrad Adenauer die Katastrophe, die mit Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 begann, zunächst nicht voraus. Aber er geriet innerhalb weniger Tage mit den Nationalsozialisten in Konflikt: Am 6. Februar widersetzte sich Konrad Adenauer – der seit 1921 Präsident des Preußischen Staatsrates war – der vorzeitigen Auflösung des Preußischen Landtags, und als Adolf Hitler am 19. Februar nach Köln flog, fehlte der Oberbürgermeister bei der Begrüßung auf dem Flughafen. Hitler sei ja nicht als Reichskanzler, sondern als Wahlkämpfer unterwegs, meinte Konrad Adenauer. Am 6. März 1933, einen Tag nach der Reichstagswahl, bei der die NSDAP 43,9 Prozent der Stimmen erhalten hatte, besetzte ein Kommando der SA Adenauers Privathaus in Köln, angeblich, um ihn vor dem »Volkszorn« zu schützen. Nachdem die Zentrumspartei der NSDAP bei der Kommunalwahl am 12. März in Köln unterlegen war, verkündete der Kölner Gauleiter die Absetzung des Oberbürgermeisters, und Hermann Göring, der kommissarische preußische Innenminister, entließ Konrad Adenauer fristlos aus dem Beamtenverhältnis.

Für ein Jahr zog Konrad Adenauer sich in die Benediktinerabtei Maria Laach zurück. Dann mietete er für sich und seine Familie eine Villa in Neubabelsberg bei Potsdam. Dort goss er am Abend des 30. Juni 1934 gerade Blumen, als die Gestapo ihn festnahm. Kurz darauf hörten seine Angehörigen in der Nähe mehrere Schüsse. Aber man hatte nicht Adenauer, sondern den früheren Reichskanzler Kurt von Schleicher und dessen Ehefrau Elisabeth erschossen – und zwar im Zuge der Zerschlagung der SA (»Röhm-Putsch«). Konrad Adenauer kam glimpflich davon: Er wurde im Polizeipräsidium von Potsdam verhört und nach zwei Tagen ohne weitere Erklärungen freigelassen.

Einen Monat nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944, mit dem man ihn fälschlicherweise in Verbindung brachte, wurde Konrad Adenauer erneut verhaftet und in ein Lager auf dem Messegelände in Köln-Deutz gesperrt. Als er in das Konzentrationslager Buchenwald verlegt werden sollte, sorgte sein kommunistischer Mithäftling Eugen Zander dafür, dass er stattdessen in eine Krankenstation kam. Von dort konnte er zwar flüchten, aber die Gestapo nahm seine Frau fest und setzte ihr so lange zu, bis sie das Versteck ihres Mannes verriet. In der Nister Mühle, einem Gasthaus im Westerwald, verhaftete die Gestapo ihn am 26. September und brachte ihn in das Zuchthaus Brauweiler bei Köln. Auf den Tag genau zwei Monate später ließ man ihn wieder frei.

Nach dem Einmarsch der Amerikaner in Köln war Konrad Adenauer 1945 noch einmal fünf Monate lang Oberbürgermeister von Köln. Dann knüpfte er an seine alten Vorstellungen an und arbeitete konsequent auf einen westdeutschen, mit Frankreich versöhnten Staat hin. Dabei schreckte er auch vor einer Spaltung Deutschlands nicht zurück. »Das Beste wäre, wenn die Russen nicht mittun wollen, sofort wenigstens aus den drei westlichen Zonen einen Bundesstaat zu bilden«, erklärte er ausländischen Journalisten. »Um aber den Sicherheitswünschen Frankreichs gegenüber einem solchen westdeutschen Bundesstaat zu genügen, müsste man die Wirtschaft dieses westdeutschen Gebiets mit der Frankreichs und Belgiens so eng wie möglich verflechten, denn gemeinsame wirtschaftliche Interessen sind die beste Grundlage für die Annäherung der Völker und die Sicherung des Friedens.«

Zielstrebig rückte Konrad Adenauer in der 1945 aus verschiedenen regionalen Ansätzen entstandenen »Christlich-Demokratischen Union« (CDU) an die Spitze vor und ließ sich dabei auch von Jakob Kaisen (1888 – 1961) nicht aufhalten. Der aufgrund einer Anordnung der drei westlichen Militärbefehlshaber von den inzwischen neu bzw. wieder existierenden Ländern einberufene »Parlamentarische Rat« wählte in seiner konstituierenden Sitzung am 1. September 1948 Konrad Adenauer – dessen Ehefrau ein halbes Jahr vorher gestorben war – zum Präsidenten. Das von diesem Gremium ausgearbeitete »Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland« trat am 23. Mai 1949 in Kraft. Nachdem Konrad Adenauer bei den Wahlen für den ersten Deutschen Bundestag am 14. August 1949 ein Direktmandat errungen hatte, ließ er sich am 15. September zum ersten Regierungschef der Bundesrepublik Deutschland wählen – übrigens mit der Mehrheit einer einzigen Stimme: seiner eigenen.

»Demokratie ist mehr als eine parlamentarische Regierungsform, sie ist eine Weltanschauung, die wurzelt in der Auffassung von der Würde, von dem Werte und den unveräußerlichen Rechten eines jeden einzelnen Menschen«, schrieb Konrad Adenauer später in seinen »Erinnerungen«.

In der Praxis kam es ihm jedoch vor allem darauf an, Mehrheiten für seine einsamen Beschlüsse zu bekommen – und da er in dieser Kunst unübertroffen war, kam der Begriff »Kanzlerdemokratie« auf. Konrad Adenauer war überzeugt davon, dass er besser als jeder andere wusste, was gut für Deutschland war, und er wollte sich von niemandem – schon gar nicht von den Medien – in eine andere Richtung drängen lassen. Bei einer seiner ersten Begegnungen mit Carlo Schmid im Parlamentarischen Rat sagte er zu dem SPD-Politiker: »Entscheidend zwischen uns ist nicht der Unterschied der Generationen. Entscheidend ist etwas anderes: Sie glauben an die Menschen, ich nicht.«

Während Konrad Adenauer sich die Außenpolitik bis 1955 selbst vorbehielt, zog er sich aus der Wirtschaftspolitik zurück, sobald die grundsätzliche Entscheidung gegen die anfangs sowohl in SPD- wie auch in CDU-Kreisen angestrebte Planwirtschaft und für die »soziale Marktwirtschaft« gefallen war. Der ordoliberale Wirtschaftswissenschaftler Ludwig Erhard (1897 – 1977), der am 2. März 1948 im Vereinigten Wirtschaftsgebiet der amerikanischen und britischen Besatzungszonen (»Bizone«) zum Direktor der Verwaltung für Wirtschaft ernannt worden war und mit der Währungsreform im Juni 1948 ein »Wirtschaftswunder« ausgelöst hatte, leitete von 1949 bis 1963 das Wirtschaftsministerium und versprach auf der Grundlage eines allgemeinen Wirtschaftswachstums, das er als Universalmittel zur Lösung sozialer Probleme ansah, »Wohlstand für alle«.

Der Vorschlag des französischen Außenministes Robert Schuman (1886 – 1963), die deutsch-französische Kohle- und Stahlproduktion der Kontrolle einer supranationalen Behörde zu unterstellen, lag genau auf der Linie Konrad Adenauers, der durch den Verzicht auf die Verfügungsgewalt über die für jede Kriegsvorbereitung unerlässlichen Schlüsselindustrien die friedlichen Absichten der Bundesregierung unter Beweis stellen wollte. Er griff den Vorschlag sofort auf. Am 18. April 1951 unterzeichneten die Regierungen Frankreichs, Italiens, der Benelux-Staaten und der Bundesrepublik Deutschland in Paris das Abkommen über die »Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl« (EGKS; Montanunion).

Auch nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der »Deutschen Demokratischen Republik« (DDR) behielten die Alliierten sich die Rechte in Bezug auf die in vier Sektoren geteilte Stadt Berlin und Deutschland als Ganzes vor. Die Siegermächte hatten zwar alle erwachsenen Deutschen nach dem Grad ihrer Beteiligung an den Verbrechen der Nationalsozialisten klassifiziert (»Entnazifizierung«), in Nürnberg ein Tribunal eingerichtet und einige der Hauptschuldigen gehängt, aber sie bestanden nicht – wie nach dem Ersten Weltkrieg – auf einer förmlichen Anerkennung der Kriegsschuld. England und Frankreich gehörten zwar zu den Siegern, aber als Weltmächte oder – wie es jetzt hieß: Supermächte – wurden sie von den USA und der UdSSR abgelöst. Deren Rivalität und Feindschaft führte zu einem noch nie dagewesenen Wettrüsten, weil beide Lager überzeugt waren, nur durch eine »Diplomatie der Abschreckung« die jeweils andere Seite von einem atomaren Erstschlag abhalten zu können »Kalter Krieg«. Der »Eiserne Vorhang« zwischen der »freien Welt« und dem kommunistischen Machtblock verlief nicht nur quer durch Europa, sondern auch mitten durch Deutschland und Berlin. Weil die Amerikaner die Bundesrepublik Deutschland als Bollwerk gegen die tatsächlichen oder vermeintlichen Expansionsbestrebungen der Kommunisten betrachteten, unterstützten sie den Wiederaufbau mit Geldern aus dem »European Recovery Program« (»Marshall-Plan«).

Konrad Adenauer nutzte den »Ost-West-Konflikt«, um die Bundesrepublik in das westliche Lager einzubinden: Obwohl sein Antikommunismus »weit weniger emotional und orthodox als der vieler seiner Anhänger« (Gösta von Uexküll) war, warnte er unermüdlich vor der »roten Gefahr«. Die Verteufelung der Sowjetunion und die Wiederbewaffnung betrieb er nicht nur, um sich den Westmächten im Kalten Krieg andienen zu können, sondern auch, um Pläne von Politikern zu vereiteln, die eine Wiedervereinigung Deutschlands durch die Verpflichtung zur Neutralität zwischen den Machtblöcken ermöglichen wollten. Die Remilitarisierung im Rahmen einer »Europäischen Verteidigungsgemeinschaft«, die Adenauer anstrebte, um dem französischen Sicherheitsbedürfnis Rechnung zu tragen, scheiterte zwar, weil die französische Nationalversammlung das Konzept am 30. August 1954 verwarf, aber stattdessen wurde die Bundesrepublik am 9. Mai 1955 in die NATO aufgenommen.

Vier Tage zuvor hatte die Bundesrepublik Deutschland mit dem Inkrafttreten einiger im Oktober 1954 in Paris ausgehandelter Verträge bis auf wenige Einschränkungen die Souveränität erhalten.

Nachdem Konrad Adenauer sein wichtigstes Ziel – die feste Verankerung der Bundesrepublik im westlichen Bündnissystem – erreicht hatte, flog er im September 1955 überraschend nach Moskau und stimmte als Gegenleistung für die Freilassung der letzten deutschen Kriegsgefangenen der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik zu.

In seiner Regierungserklärung über die Moskaureise stellte Konrad Adenauer klar, dass die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu einem Staat, der den Alleinvertretungs-Anspruch der Bundesrepublik in Frage stellte, eine Ausnahme war. Am 21. Oktober 1949 hatte er im Bundestag erklärt: »Die Bundesrepublik Deutschland ist […] bis zur Erreichung der deutschen Einheit insgesamt die alleinige legitimierte staatliche Organisation des deutschen Volkes.« Jeder Staat außer der UdSSR musste für den Fall einer Anerkennung der DDR mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland rechnen (»Hallstein-Doktrin«).

1956 erreichte Adenauer, dass der Aufbau einer »Bundeswehr« und die Einführung der Wehrpflicht beschlossen wurden. Außerdem befürwortete der Bundeskanzler die Stationierung von Atomwaffen auf deutschem Gebiet und erklärte am 4. April 1957 in einer Pressekonferenz: »Die taktischen Atomwaffen sind im Grunde nichts anderes als eine Weiterentwicklung der Artillerie.« Gegen diese bewusste Verharmlosung der Kernwaffen protestierten am 12. April 1957 achtzehn namhafte deutsche Naturwissenschaftler in Göttingen.

Am 25. März 1957 unterzeichneten Konrad Adenauer und seine Amtskollegen aus den anderen Mitgliedsstaaten der Montanunion die »Römischen Verträge« über die Gründung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG).

1959 lief die zweite Amtszeit des Bundespräsidenten Theodor Heuss ab; eine dritte war nach dem Grundgesetz ausgeschlossen. Obwohl Adenauer bereits dreiundachtzig Jahre war, verfolgte er die Absicht, sich zum Bundespräsidenten und den ihm treu ergebenen Bundesfinanzminister Franz Etzel zum Bundeskanzler wählen zu lassen. Als er jedoch merkte, dass sich sein Wunschkandidat nicht gegen Ludwig Erhard durchsetzen ließ, widerrief er seine Bewerbung nach zwei Monaten und löste damit eine heftige Kontroverse aus (»Präsidentschaftskrise«).

Als die DDR am 13. August 1961 damit begann, eine 45 Kilometer lange Mauer quer durch Berlin zu ziehen, um eine weitere Auszehrung der Gesellschaft durch die Absetzbewegung in den Westen zu unterbinden (Der Bau der Berliner Mauer), war Konrad Adenauer gerade im Bundestagswahlkampf unterwegs und hielt es zunächst nicht für erforderlich, sich in der geteilten Stadt sehen zu lassen. Erst am 22. August flog er nach Berlin. Das verübelten ihm viele, und bei den Bundestagswahlen am 17. September 1961 verlor die CDU/CSU die absolute Mehrheit. Um noch einmal die Regierung bilden zu können, war Konrad Adenauer auf eine Koalition mit der FDP angewiesen. Die Freien Demokraten hatten zwar im Wahlkampf klargestellt, dass sie nicht mit Adenauer regieren wollten (»Mit der CDU, aber ohne Adenauer!«), aber vor die Wahl Oppostion oder Regierungsbeteiligung gestellt, änderte der FDP-Vorsitzende Erich Mende seine Meinung. Nur wenige wussten damals, dass die FDP immerhin auf einer Verpflichtung Adenauers bestanden hatte, während der Legislaturperiode Platz für einen Nachfolger zu machen. Am 7. November 1961 wurde Konrad Adenauer mit 259 von 499 Stimmen zum vierten Mal als Bundeskanzler gewählt. Mindestens 49 Abgeordnete der Koalition hatten gegen ihn votiert.

Einen letzten großen Erfolg konnte Konrad Adenauer zweieinhalb Wochen nach seinem 87. Geburtstag verbuchen, als der französische Staatspräsident Charles de Gaulle mit ihm am 22. Januar 1963 in Paris einen Freundschaftsvertrag schloss. Auch wenn es de Gaulle darum ging, durch eine Achse Paris-Bonn mehr Gewicht gegenüber London und Washington zu erlangen: Die endgültige Aussöhnung der beiden früheren Erzfeinde war ein historischer Schritt.

Obwohl Konrad Adenauer niemanden für fähig hielt, sein Lebenswerk fortzusetzen, musste er am 15. Oktober 1963 Platz für seinen Nachfolger Ludwig Erhard machen.

Zweieinhalb Jahre später gab er auch den CDU-Parteivorsitz ab.

Am 19. April 1967 starb Konrad Adenauer im Alter von einundneunzig Jahren in Rhöndorf.

Beate Teresa Hanika - Das Marillenmädchen
Beate Teresa Hanika wechselt zwischen drei Zeitebenen hin und her, ohne die Sprünge deutlich zu machen; sie gehen fließend ineinander über, so wie sich Erinnerungen und Einbildungen in die Gedanken der Ich-Erzählerin mischen. "Das Marillenmädchen" ist eine mitreißende, lebensbejahende und kunstvoll gestaltete Lektüre.
Das Marillenmädchen