Philip Roth : Professor der Begierde

Professor der Begierde
Originalausgabe: The Professor of Desire Farrar, Straus & Giroux, New York 1977 Professor der Begierde Übersetzung: Werner Peterich Carl Hanser Verlag, München / Wien 1978 Rowohlt Taschenbuch, Reinbek 1998 ISBN 3-499-22285-X, 318 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

David Kepesh, Enkel jüdischer Emigranten, wird nach dem Studium Literaturprofessor zuerst in Kalifornien und dann in New York. Der im Grunde einsame Egomane wird von seiner sexuellen Begierde umgetrieben und findet erst zu sich selbst, als er nach seiner Ehescheidung in der Lehrerin Claire Ovington eine verständnisvolle Lebensgefährtin findet.
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Kritik

"Professor der Begierde" ist zwar nicht Philip Roths Meisterwerk, aber ein burlesker, unterhaltsamer Roman mit einigen recht komischen Szenen und selbstironischen Formulierungen.
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Die Eltern von David Kepesh betreiben in den Catskill-Mountains an der Ostküste der USA ein Ferienhotel: das „Hungarian Royale“. Mit achtzehn zieht David nach Syracuse, um Literatur zu studieren. Er ist überrascht und erschrocken, als Kommilitonen ihn darüber aufklären, dass sein bester Freund – Louis Jelinek – homosexuell ist. Aber die Freundschaft ist ohnehin nur von kurzer Dauer, denn Louis wird von der Universität relegiert und verschwindet aus Syracuse, ohne sich von David zu verabschieden. David Kepesh wird für einen Verführer gehalten, aber in Wirklichkeit hat er lediglich mit zwei Kommilitoninnen richtig geschlafen und mit ein paar anderen herumgefummelt. Marcella („Silky“) Walsh aus Plattsburg, New York, lässt ihn gerade mal ihren Bauchnabel küssen.

Mit einem Fulbright-Stipendium reist David Kepesh für ein Studienjahr nach London. Über das ihm zugeteilte Quartier bei einem Captain der Army im Ruhestand und dessen Frau ist er entsetzt. Am ersten Abend gibt es Spaghetti aus der Dose und Toast.

[…] sie duldeten keinerlei Geschlechtsverkehr in ihrer Wohnung, nicht einmal ihren eigenen. (Seite 40)

Aus Verzweiflung geht er nach dem Essen erstmals zu den Straßenmädchen und macht es mit einer besonders großbrüstigen Hure, die mit der Hand nachhilft, damit es schneller geht.

Am nächsten Tag isst er im Restaurant „Midnight Sun“, dessen Bedienungen „sexbesessene junge skandinavische Göttinnen“ sein sollen. Dort lernt er die Schwedin Elisabeth Elverskog kennen, die sich von der Universität Lund beurlauben ließ, um in London ihr Englisch aufzupolieren. Sie wohnt mit einer anderen Schwedin zusammen in einem Souterrain-Zimmer. Birgitta Svanström kam vor zwei Jahren von der Universität Upsala nach London, ebenfalls um ihre englischen Sprachkenntnisse zu verbessern, blieb dann einfach hier und verdient ein wenig Geld, indem sie im Green Park Liegestühle vermietet. In den ersten Wochen tut Birgitta so, als ob sie schliefe, wenn David und Elisabeth so tun, als ob sie nicht miteinander schliefen, aber dann verstellen sie sich nicht mehr und treiben es zu dritt.

David entgeht, dass Elisabeth von morgens bis abends über Selbstmord nachdenkt. Am siebzehnten Tag seines Verhältnisses mit ihr wirft sie sich vor einen Lkw, überlebt aber mit einer Gehirnerschütterung und einer Armfraktur. Während sie im Krankenhaus ist und sich anschließend bei ihren Eltern auskuriert, schläft David in ihrem Bett und mit Birgitta.

Am Ende des Semesters trampen David und Birgitta durch Europa. Abends sprechen sie fremde Mädchen an und nehmen sie mit aufs Hotelzimmer und in ihr Bett.

David Kepesh hat sein Studium vernachlässigt und das Fulbright-Stipendium verplempert. Er bedauert es und gesteht sich ein, dass es mit ihm und Birgitta nichts Dauerhaftes werden kann, denn zu zweit wäre es ihnen zu langweilig. Also trennt er sich von ihr und studiert in Kalifornien weiter.

Kurz vor dem Abschlussexamen begegnet er Helen Baird. Als Achtzehnjährige war sie mit einem doppelt so alten Journalisten nach Hongkong durchgebrannt, wo ihr Geliebter eine Ehefrau und drei Kinder hatte. Vor einem halben Jahr kehrte sie von ihrem achtjährigen Aufenthalt in Hongkong zurück, weil der letzte ihrer Liebhaber – Jimmy Metcalf, der Sohn und Erbe des Gründers der MacDonald-Metcalf-Reederei – seine Frau umbringen wollte, um ungestört mit Helen zusammensein zu können. Nachdem David drei Jahre lang gezaudert hat, heiratet er Helen – aber damit macht er einen Fehler.

Worüber streiten wir denn am meisten? Zu Anfang – wie jedermann erraten haben wird, der sich nach drei Jahren des Zögerns mit Haut und Haar, aber nur halb überzeugt den Flammen der Ehe überantwortet hat – zu Anfang streiten wir über den Toast. Warum, frage ich, kann das Brot nicht in den Toaster getan werden, während die Eier kochen, statt schon vorher? Dann könnten wir unsen Toast warm statt kalt essen. „Ich glaube nicht, dass ich darüber diskutieren möchte“, sagte Helen. „Das Leben ist schließlich kein Toast“, schreit sie mich zuletzt an. „Doch ist es das!“, höre ich mich behaupten. „Wenn man sich hinsetzt, um Toast zu essen, ist das Leben Toast, und wenn du den Müll runterträgst, ist das Leben Müll. Du kannst den Müll nicht auf halbem Weg auf der Treppe stehenlassen, Helen […]“ Sie vergisst, die Schecks zu unterschreiben, die sie ausstellt, und die Briefe zu frankieren, die sie abschickt, wohingegen die Briefe, die ich ihr zum Einstecken mitgebe, mit schöner Regelmäßigkeit Monate, nachdem sie das Haus verlassen hat, um sie in den Briefkasten zu werfen, in den Taschen von Regenmänteln und Hosen auftauchen […]
Statt ihr […] ihre Fehler und Versäumnisse unter die Nase zu reiben, […] bereite […] bald ich den Toast, koche ich die Eier, bringe ich den Müll runter, bezahle ich die Rechnungen und trage ich die Briefe zum Briefkasten […] Von dem Tag an, wo sie kurz nach Abheben einer Summe vom Sparbuch ihr Portemonnaie verliert, übernehme alle Dinge, die mit der Bank zu tun haben, ich. Von dem Tag an, da sie die Fische unterm Fahrersitz liegen lässt […], übernehme ich auch das Einkaufen […] Was zur Folge hat, dass ich nach Ablauf eines Jahres rund sechzehn Stunden am Tag damit beschäftigt bin zu unterrichten und meine Dissertation über die romantische Desillusionierung in den Geschichten von Anton Tschechow […] zu einem Buch umzuarbeiten […], während Helen immer mehr dem Alkohol und den Drogen zuspricht. (Seite 86ff)

David und Helen Kepesh sind drei Jahre verheiratet, und David Kepesh ist inzwischen als Literaturprofessor in Stanford tätig, als der Investmentbanker Donald Garland, einer der homosexuellen Freunde Helens in Hongkong, zu Besuch kommt. Kurz darauf ist sie fort. Einige Tage später erfährt David, dass sie in Hongkong im Gefängnis sitzt. Nach ihrer Ankunft in Hongkong nahm sie am Flughafen ein Taxi zum Landhaus ihres früheren Liebhabers Jimmy Metcalf. Weil man sie dort nicht einließ, ging sie zur Polizei und zeigte Jimmy wegen seiner Mordpläne an. Der Kommissar, der sie verhörte, führte ein Telefongespräch und danach fand man ein Päckchen Kokain in ihrer Handtasche. Sie wurde festgenommen.

Und was tut der Ehemann einer Abenteurerin, wenn seine Frau im Fernen Osten im Gefängnis sitzt? Nun, zum Abendessen mache ich mir ein Omelett, gebe mir dabei besonders viel Mühe […] (Seite 107)

Davids Euphorie hält nicht lang an. Mit der nächsten Maschine fliegt er nach Hongkong. Das Geld für das Ticket muss er sich von seinem Kollegen Arthur Schonbrunn leihen, denn Helen hat vor ihrer Abreise das gemeinsame Bankkonto leergeräumt. Mit Donald Garlands Hilfe kommt Helen frei. Auf dem Heimflug trinkt sie, bis die Stewardess ihr nichts mehr gibt.

„Ich habe ihn nur verlassen, um ihn nicht zum Mörder werden zu lassen. Und jetzt hasst er mich, weil ich zu anständig bin, und du hasst mich, weil ich unanständig bin.“ (Seite 113)

David Kepesh lässt sich von Helen nach drei Jahren Ehe scheiden – und versucht, durch die Psychotherapie Dr. Frederick Klingers über die Einsamkeit hinweg und mit sich selbst wieder ins Reine zu kommen.

Er zieht nach Manhattan, in die Wohnung eines schwulen Schauspielers, der sein Glück in Hollywood versucht. Dessen Freunde rufen nachts an oder melden sich über die Gegensprechanlage. Das ist recht peinlich, als Davids Eltern für ein paar Tage zu Besuch kommen.

Zwei Monate später stirbt seine Mutter, und Abe Kepesh verkauft das Hotel.

David wechselte inzwischen von Stanford zur State University of New York auf Long Island. Sein Ordinarius ist Arthur Schonbrunn, der bereits vor ihm einem Ruf an die Ostküste gefolgt war.

Während eines Besuchs bei einem Kollegen und dessen Frau in Cape Cod kommt David Kepesh mit der neun Jahre jüngeren Lehrerin Claire Ovington ins Gespräch, und es ist nicht nur der üppige Busen, der ihn an ihr fasziniert. Claire machte mit einundzwanzig an der Cornell University ihren Bachelor in Experimentalpsychologie und danach an der Columbia University ihren Master in Pädagogik. Jetzt arbeitet sie an einer Privatschule in Manhattan.

Spüre ich so etwas wie eine Erneuerung von Begierde, von Zutrauen, von Kraft? (Seite 184)

David fliegt mit Claire nach Europa. Zehn Jahre nach seiner Reise mit Birgitta schaut er sich mit Claire die Sehenswürdigkeiten in Norditalien an, reist dann weiter mit ihr über Wien nach Prag, wo sie das Grab Franz Kafkas besuchen. David träumt davon, einer ebenso schamlosen wie geschäftstüchtigen Greisin vorgestellt zu werden, die behauptet, sie sei Franz Kafkas Hure gewesen. Mit Aufenthalten in Paris und Brüssel beschließen David und Claire die Reise.

Sie bleiben zusammen.

Für das Erstsemester wählt David Kepesh ausschließlich Lektüre, in der es um erotische Begierde geht, und bald heißt das Literaturseminar 341 nur noch „Begierde 341“.

Unerwartet kommt Helen mit ihrem zweiten Ehemann – Les Lowery – zu Besuch. Sie verrät David, dass sie schwanger ist und noch nicht gewagt hat, es ihrem Mann zu sagen, weil sie nicht weiß, ob sie das Kind abtreiben lassen oder austragen soll. Als David und Claire wieder allein sind, gesteht Claire, dass sie nach der Europareise schwanger war und den Fetus heimlich abtreiben ließ.

Helen ist im zweiten Monat, und ich bin der einzige Mensch, der das weiß. Claire bekam ein Kind von mir, und ich hatte nichts davon gewusst. (Seite 269)

Als Abe Kepesh mit seinem ebenfalls verwitweten Freund Barbatnik zu Besuch bei ihnen ist, fasst David für Claire die Geschichte „Das Leben, das ich früher führte“ von Anton Tschechow zusammen:

Zwei alte Männer fahren aufs Land und besuchen ein schönes, gesundes, junges Paar, das von Zufriedenheit überströmt. Der junge Mann ist Mitte dreißig und hat sich endlich von den Fehlern erholt, die er in den Zwanzigern gemacht hat. Die junge Frau ist in den Zwanzigern und hat eine schmerzliche Kindheit und Jugend überstanden. Sie haben allen Grund anzunehmen, dass sie es geschafft haben. Beide haben sie das Gefühl, dass es so aussieht, als wären sie gerettet, und zwar weitgehend einer durch den anderen. Sie lieben sich. Doch nach dem Abendessen erzählt einer der alten Männer aus seinem Leben, berichtet von der vollständigen Verwüstung einer Welt und von den Schlägen, die nach wie vor fallen. Das ist alles. (Seite 314)

David schließt mit dem Zitat des letzten Satzes aus „Die Dame mit dem Hündchen“ von Anton Tschechow:

Und doch war ihnen beiden unendlich klar, dass es bis zum Ende noch weit sei und dass das Allerverwickeltste und Schwierigste jetzt eben erst begonnen hätte. (Seite 314f)

Der jetzt Vierunddreißige befürchtet, dass seine sexuelle Begierde innerhalb eines Jahres erlöschen wird.

Sie stirbt schon jetzt, und ich fürchte, es gibt nichts, was ich dagegen unternehmen kann, um sie zu retten […] Das Fleisch, auf das ich aufgepfropft worden bin und aus dem ich die Kraft gezogen habe, mein Leben einigermaßen wieder zu meistern, wird keine Begierde mehr in mir wecken. (Seite 316)

David Kepesh muss wohl lernen, ohne Begierde an der Seite Claires zu leben.

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Protagonist des Romans „Professor der Begierde“ ist David Kepesh, der nach dem Studium Literaturprofessor wird. Der im Grunde einsame Egomane wird von seiner sexuellen Begierde umgetrieben und findet erst zu sich selbst, als er nach seiner Ehescheidung in der neun Jahre jüngeren Lehrerin Claire Ovington eine verständnisvolle Lebensgefährtin findet.

Über die weitere Entwicklung seines Alter Ego David Kepesh schreibt Philip Roth in „Die Brust“ (1972) und „Das sterbende Tier“ (2001).

Philip Roth versteht es, auch Nebenfiguren mit wenigen Strichen lebendig werden zu lassen. „Professor der Begierde“ ist zwar nicht sein Meisterwerk, aber ein burlesker, unterhaltsamer Roman mit einigen recht komischen Szenen und selbstironischen Formulierungen.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005
Textauszüge: © Carl Hanser Verlag

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