Philip Roth : Die Brust

Die Brust
Originaltitel: The Breast Holt, Rinehart & Winston, New York 1972 Die Brust Übersetzung: Kai Molvig Carl Hanser Verlag, München / Wien 1979 Rowohlt Taschenbuch, Reinbek 2004 ISBN 3-499-23833-0, 94 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Eines Morgens stellt der hypochondrische Literaturprofessor David Kepesh in New York fest, dass er sich – nein, nicht in einen Käfer, wie Gregor Samsa, sondern in eine 70 kg schwere weibliche Brust verwandelt hat und die Reizung der Brustwarze außergewöhnliche Lustempfindungen auslöst ...
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Kritik

Die von Philip Roth intelligent gesetzte Komik macht den Kurzroman "Die Brust" zu einem außergewöhnlichen Lesevergnügen.
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David Alan Kepesh, ein achtunddreißigjähriger hypchondrischer und von seiner Frau Helen geschiedener Literaturprofessor in New York, verspürt seit einer Woche ein „Kribbeln zwischen den Beinen“ und entdeckt „eine kaum wahrnehmbare Rötung der Haut unter [s]einem kraus-schwarzen Schamhaar“. Er ist allein, weil seine dreizehn Jahre jüngere Partnerin Claire Ovington in ihrer eigenen Wohnung an einem Rechenschaftsbericht für irgendein Komitee arbeitet. Nach drei Jahren war seine Leidenschaft für Claire bereits abgeflaut, zumal sie sich seinen Wünschen nach Analsex strikt verweigert und Fellatio offenbar widerlich findet. Seit drei Wochen erlebt er allerdings eine verblüffende Steigerung seines Lustgefühls, wenn er mit ihr im Bett ist.

Ich überraschte mich dabei, wie ich keuchend meine eigene Schulter leckte. (Seite 14)

Einige Stunden, nachdem David Alan Kepesh die Rötung am Penisansatz entdeckt hat, verwandelt er sich in eine Brust.

Ich bin eine Brust. Ein Phänomen, das mir unter anderem als ‚geballte hormonale Ausschüttung‘, als ‚endokrine Katastrophe‘ und/oder als eine ‚hermaphroditische Explosion der Chromosomen‘ beschrieben worden ist, hat am 18. Februar 1971, zwischen Mitternacht und vier Uhr morgens, in meinem Körper stattgefunden und mich in eine jeglicher menschlichen Form entbehrende Milchdrüse verwandelt, in eine Brust, wie sie eigentlich nur im Traum oder auf einem Bild von Dalí denkbar ist. Man sagt mir, dass ich nun ein Organismus von schwammiger Beschaffenheit […] sei, ich wöge annähernd 140 Pfund (vorher waren es 145), meine Größe (resp. Länge) betrage nach wie vor 1,78 […] Der Hauptteil meiner Körpermasse besteht aus fetthaltigem Gewebe. Am einen Ende hin abgerundet wie eine Wassermelone, am anderen laufe ich in eine zylindrisch geformte Brustwarze aus, die 12,5 cm aus meinem ‚Körper‘ herausragt und deren Spitze siebzehn Öffnungen aufweist […] (Seite 16f)

Durch die Kanäle in der Brustwarze kann David Kepesh sich verständlich machen und – wenn auch sehr gedämpft – hören, was um ihn herum geschieht bzw. gesprochen wird. Allerdings vermag er weder zu sehen, noch zu riechen, zu schmecken oder sich zu bewegen. Betreut von dem Arzt Dr. Gordon und dem Psychiater Dr. Klinger, liegt er im Lenox Hill-Krankenhaus in einer Art Hängematte. An sechs Tagen in der Woche wird er morgens von Miss Clark gewaschen, sonntags von dem schwarzen Krankenpfleger Brooks.

Als er Claire bei einem ihrer Besuche erzählt, dass er in eine „ungeheuer starke sexuelle Erregung“ gerät, wenn Miss Clark ihm nach dem Waschen die Brustwarze und den Hof mit Hautöl einreibt, bietet sie sich an, an seiner Brustwarze herumzuspielen. David hält es kaum aus und klagt Dr. Klinger, was er durchmacht:

„Es ist zuviel verlangt. Es ist zu grässlich, es muss ein Ende haben. Ich möchte, dass sie es immerzu tut, jede einzige Minute, die sie hier ist. Ich möchte nicht, dass sie mir vorliest – ich höre ja gar nicht zu. Es macht mir sogar keinen Spaß mehr, mich mit ihr zu unterhalten. Ich will einzig und allein, dass sie mich drückt und mich leckt und an mir saugt. Ich kann nicht genug davon kriegen. Ich ertrage es nicht, wenn sie damit aufhört […] Ich kann mir Claire vorstellen, ich sehe sie vor mir – ich sehe, wie sie an mir saugt! Ich möchte, dass sie sich auszieht – aber ich hab Angst! Ich will sie nicht von mir treiben – es ist so schon gerade grotesk genug, und doch stell ich mir vor, dass sie nackt ist […] Oh, Doktor, wissen Sie, was ich eigentlich möchte? Ich möchte sie ficken! Ich möchte, dass dieses große Mädchen sich am Kopfende der Hängematte vorbeugt und sich meine Brustwarze von hinten in die Fotze steckt. Und dann auf ihr reitend, rauf und runter – ich möchte, dass meine Brustwarze sie ganz verrückt macht. Aber ich hab Angst, ihr das zu sagen – es wird sie von mir treiben! Sie wird davonlaufen und nie wiederkommen!“ (Seite 38f)

David wagt zwar nicht, Claire aufzufordern, sich von seiner Brustwarze penetrieren zu lassen, aber eines Morgens, als Miss Clark ihn wäscht, verliert er die Selbstbeherrschung:

„Wissen Sie, woran ich denke, wenn Sie mich waschen – so wie eben?“
„Woran denn, Mr Kepesh?“
„Ich würde Sie gern mit meiner Brustwarze ficken, Miss Clark.“
„Ich kann sie nicht verstehen, Mr Kepesh.“
„Es regt mich so auf, dass ich Sie ficken möchte. Ich möchte, dass Sie sich auf meine Brustwarze setzen – mit Ihrer Fotze!“
Ohne sich ihre Worte auch nur eine Sekunde zu überlegen (Ausbildung bleibt Ausbildung), sagte sie: „Nur einen Augenblick noch, Mr Kepesh. Ich bin gleich fertig.“
Mich windend, rufe ich: „Hast du nicht gehört, was ich sagte, du Hure!“
„Wir sind gleich fertig, nur einen Augenblick noch …“ (Seite 42f)

Schließlich besprüht man die Brustwarze samt dem Hof vor dem Waschen mit einem milden Lokalanästhetikum und ersetzt Miss Clark durch einen Pfleger. Auf diese Weise ist es David möglich, die Selbstbeherrschung zurückzuerlangen.

Nach einiger Zeit besucht ihn Arthur Schonbrunn, der Dekan der Philosophischen und Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität von Stony Brook, der ihn vor acht Jahren bewogen hatte, Stanford mit Stony Brook zu vertauschen. David nimmt an, dass der fast Fünfzigjährige es noch zum Präsidenten der Universität bringt, und Arthurs Ehefrau Debbie – „die Lady Macbeth von Long Island“ (Seite 54) – wird wohl erst Ruhe geben, wenn er als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika mit ihr ins Weiße Haus einzieht. Eigentlich kommt Arthur vorbei, um mit David darüber sprechen, in welcher Weise sich dessen Mitarbeit auch in der neuen Situation fortsetzen ließe. Vielleicht könnte Claire ihm die Referate der Studenten vorlesen, und er würde ihr dann die Korrekturen diktieren. Aber dazu kommt es nicht, denn beim Anblick der riesigen Brust muss der Dekan laut lachen, und weil er damit nicht mehr aufhören kann, bricht er seinen Besuch nach zwei Minuten ab und entschuldigt sich dafür später schriftlich.

David überlegt, wieso er sich in eine weibliche Brust verwandelt hat und erinnert sich, wie er mit Claire am Strand lag, mit ihren nackten Brüsten spielte, selbst Brüste haben wollte und sich wünschte, eine von ihren Brüsten zu sein. Hat dieser Brust-Neid die Verwandlung herbeigeführt?

Nach einem halben Jahr stellt er die Realität des Ganzen in Frage, „weil es eine physiologische und biologische und anatomische Unmöglichkeit darstellt“ (Seite 61). David ist nun überzeugt, dass es sich um einen Traum handelt, aber als er merkt, dass er nicht schläft, hält er seine Verwandlung in eine Frauenbrust für die Wahnvorstellung eines Irren und sagt zu Dr. Klinger:

„Ich habe den Verstand verloren, aber jetzt weiß ich es!“ (Seite 67)

„Ich bin also verrückt – nicht wahr?“
„Nein.“
Der Rückschlag war nur von kurzer Dauer: mir ging auf, dass er „ja“ gesagt haben musste, und ich hatte es augenblicklich ins Gegenteil verkehrt, so, wie wir das Bild, das verkehrt herum auf unsere Netzhaut fällt, umdrehen.
„Ich möchte Ihnen sagen, dass ich, obwohl Sie es soeben bejahten, als ich Sie fragte, ob ich verrückt sei, dass ich Sie ’nein‘ sagen hörte.“
„Ich habe nein gesagt. Sie sind nicht verrückt. Sie sind nicht in den Fängen einer Wahnvorstellung und waren es bis jetzt auch nicht. Sie haben keinen sogenannten schizophrenen Zusammenbruch erlitten. Sie sind sozusagen eine Brust. Sie haben heroische Anstrengungen gemacht, sich diesem mysteriösen Missgeschick anzupassen. Ich verstehe die Versuchung, ja, bis zu einem gewissen Grade sogar die Notwendigkeit, der verlockenden Vorstellung nachzugeben, dass das alles bloß ein Traum ist, eine Halluzination, eine Sinnestäuschung […] Aber es ist nichts von alledem. Es ist etwas, das Ihnen zugestoßen ist. Und was zum Wahnsinn führt, Mr Kepesh, hören Sie? – was in den Wahnsinn führt, ist, so zu tun, als verhalte es sich anders […] Sie sind nicht verrückt, und so zu tun, als seien Sie es, wird Sie zugrunde richten. Wahnsinn ist keine Lösung, weder eingebildeter Wahnsinn noch tatsächlicher.“ (Seite 68f)

David lässt sich von Dr. Klinger nicht überzeugen. Mit aller Kraft versucht er, die vermeintliche Wahnidee zu überwinden und sowohl geistig als auch körperlich wieder gesund zu werden.

Eine Woche bevor er sich in eine Brust verwandelte, hatte er noch zu seinen Studenten über die Verwandlungsfantasien Kafkas („Die Verwandlung“) und Gogols („Die Nase“) gesprochen. Hat die Literatur ihm das einbrockt? Dr. Klinger glaubt es nicht:

„Hormone sind Hormone, Kunst ist Kunst […]“
„Aber“, sage ich, „es wäre doch möglich, dass das meine Art ist, ein Kafka zu sein, oder ein Gogol oder ein Swift. Die konnten sich diese fantastischen Verwandlungen erdenken – sie waren Künstler. Ihnen war die Sprache gegeben und jene besessenen, kreativen Gehirne. Mir nicht. Also musste ich die Sache leben.“ (Seite 88)

Fünfzehn Monate nach der Verwandlung hat David sich damit abgefunden, eine weibliche Brust zu sein. Er träumt nun davon, das Krankenhaus zu verlassen und als Sensation in der Öffentlichkeit aufzutreten.

[…] ich werde jede Menge Geld machen. Ich glaube nicht, dass das allzu schwierig sein dürfte. Wenn die Beatles das Shea Stadion füllen können, so kann ich es auch […] Ich werde Hunderttausende von Dollars verdienen. Und dann werde ich Mädchen haben, ich will zwölf- bis dreizehnjährige Mädchen. Ich will drei, vier, fünf und sechs Mädchen zugleich. Ich will, dass sie alle zugleich an meiner Brustwarze lecken. Ich will, dass sie mich, nackt und kichernd, tagelang streicheln und an mir saugen […] Wenn die Rolling Stones sie auftreiben, wenn Charles Manson sie auftreibt, können wir das auch. Es werden sich auch Frauen finden, die bereitwillig ihre Schenkel öffnen – für etwas so Neues und Aufregendes wie meine Brustwarze […] Und ich werde irrsinnig glücklich sein […] Das hier […] ist das Land der günstigen Gelegenheiten im Zeitalter der Selbstverwirklichung, und ich bin David Alan Kepesh, die Brust, und ich habe vor, nach meiner eigenen Façon selig zu werden!“ (Seite 90f)

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Philip Roth erzählt in „Die Brust“ von der Verwandlung des New Yorker Literaturprofessors David Alan Kepesh in eine weibliche Brust, als ob es sich um eine plausible Geschichte handeln würde. Auf diese Weise entsteht die Komik, die diesen Kurzroman zu einem nicht alltäglichen Lesevergnügen macht.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004
Textauszüge: © Carl Hanser Verlag
Die Seitenangaben beziehen sich auf das Rowohlt-Taschenbuch.

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