Patrick Modiano : Villa Triste

Villa Triste
Villa Triste Éditions Gallimard, Paris 1975 Villa Triste Übersetzung: Walter Schürenberg Ullstein Verlag, Berlin - Frankfurt/M – Wien 1977 ISBN 978-3-550-06270-4, 172 Seiten Taschenbuch Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M 1988 ISBN 978-3-518-38084-0, 142 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der Erzähler erinnert sich an den Sommer vor 12 Jahren mit der vier Jahre älteren Filmschauspielerin Yvonne Jacquet in Savoyen. Damals, mit 18, Anfang der 60er-Jahre, wollte er mit ihr in die USA, aber sie versetzte ihn am Bahnhof. Was aus ihr geworden ist, weiß er nicht. Der schwule Arzt, der zu ihrer Entourage gehörte und wohl im Zusammenhang mit dem Algerienkrieg konspirierte, hat sich gerade das Leben genommen.
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Kritik

In seinem melancholischen Roman "Villa Triste" erzählt Patrick Modiano von einer flüchtigen Liebesbeziehung in Savoyen zur Zeit des Algerienkriegs. Patrick Modiano lässt fast alles in der Schwebe. Das gibt dem Roman etwas Poetisches und macht ihn zu etwas Besonderem.
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Yvonne

Der durch den Algerienkrieg um seine Sicherheit besorgte jüdische Erzähler verlässt Paris um 1960 und reist nach Savoyen, um sich notfalls ins Ausland absetzen zu können. Der 18-Jährige quartiert sich in einer Familienpension (Lindenpension) am Ufer eines Sees ein, dessen gegenüberliegende Seite zur Schweiz gehört.

In dem Badeort freundet er sich mit der vier Jahre älteren Schauspielerin Yvonne Jacquet an, die gerade in dem 20 Kilometer entfernten Skiort La Clusaz mit dem österreichischen Regisseur Rolf Madeja den Kinofilm „Liebesbriefe aus den Bergen“ gedreht hat. Sie wohnt in Genf, wuchs aber hier am Ort auf. Der 18-Jährige gibt sich als Victor Chmara aus, fügt einen Grafentitel hinzu und behauptet, mit seiner Großmutter aus Russland nach Paris gekommen zu sein. Nach ein paar Tagen verlässt Victor die Lindenpension und zieht zu Yvonne in ihre von der Filmgesellschaft gemietete Suite im Luxushotel Hermitage.

Der Cup Houligant

Yvonne hat eine Dogge. Und zu ihrer Entourage gehört Dr. René C. Meinthe, der in Genf eher nebenbei als Facharzt für Osteopathie praktiziert. Sein verstorbener Vater Henri Meinthe gehörte der Résistance an und wurde auch als Arzt hoch geschätzt. René Meinthe und Yvonne kennen sich seit sechs Jahren. Er war damals 20, vier Jahre älter als Yvonne. Ein Liebesverhältnis haben die beiden nicht, denn René Meinthe ist schwul.

In diesem Sommer findet der Cup Houligant für Schönheit und Eleganz unter dem Vorsitz von André de Fouquières in diesem Badeort statt. Daniel Hendrickx hat den Cup Houligant vor fünf Jahren ins Leben gerufen – nicht zuletzt, um schöne Frauen anzulocken.

René Meinthe assistiert Yvonne bei dem Wettbewerb, und sie gewinnt den Preis.

Villa triste

Wenn René Meinthe andernorts zu tun hat, bittet er Yvonne und Victor, in seinem von ihm bewohnten Elternhaus zu übernachten und Anrufe entgegenzunehmen. An die Tür hat er „Villa triste“ geschrieben.

Und wirklich ging von dieser Villa nichts Heiteres aus. Nein. Dennoch habe ich anfangs geglaubt, das Eigenschaftswort „triste“ passe nicht zu ihr. Doch dann ist mir schließlich klargeworden, dass Meinthe damit recht hatte, wenn man nämlich in dem hellen lang des Wortes etwas Liebliches, Kristallklares mitschwingen hört. Wenn man die Schwelle der Villa überschritten hatte, ergriff einen leichte Melancholie.

Anrufe kommen nie vor Mitternacht. Dann meldet sich ein Mann namens Henri Kustiker und fordert Victor auf, dem Doktor auszurichten, wo und wann er in den nächsten Tagen erwartet wird. Hat das mit dem Algerienkrieg zu tun? Victor wird nie erfahren, ob sein Verdacht zutrifft, dass René Meinthe zu einem Agenten-Netzwerk gehört.

Traum von einer gemeinsamen Zukunft

Victor sieht sich und Yvonne bereits ähnlich wie Arthur Miller und Marilyn Monroe: ein erfolgreicher jüdischer Schriftsteller und eine gefeierte Schauspielerin. Er möchte mit Yvonne in die USA und geht davon aus, dass seine dort lebende Cousine Bella Darvi ihnen den Weg ebnen wird.

Aber am Bahnsteig wartet Victor vergeblich auf Yvonne. Er lässt sein Gepäck unbeaufsichtigt stehen und sucht nach ihr.

Wieder habe ich mein Gepäck gemustert. Drei- oder vierhundert Kilo, die ich immer mit mir herumschleppte. Warum eigentlich?

Von einem Bekannten erfährt er, dass Yvonne mit Daniel Hendrickx abgereist sei.

Erinnerungen

Zwölf Jahre später liest der Erzähler in der Zeitung, dass sich der 37-jährige Arzt Dr. René Meinthe mit Gas getötet habe. Das veranlasst ihn, sich an die Erlebnisse in dem Badeort in Savoyen zu erinnern. Er versucht auch, den Kinofilm „Liebesbriefe aus den Bergen“ zu bekommen, aber der ist ebenso unbekannt wie der Regisseur.

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In seinem melancholischen Roman „Villa Triste“ erzählt Patrick Modiano von einer flüchtigen Liebesbeziehung. Der Erzähler – von dem wir nur den erfundenen Namen Victor Graf Chmara erfahren – erinnert sich zwölf Jahre später an den Sommer Anfang der Sechzigerjahre mit Yvonne in Savoyen.

Den Kinofilm, den sie damals drehte, sucht er allerdings vergeblich. Er weiß nicht, was aus ihr geworden ist. Der schwule Arzt, der zu ihrer Entourage gehörte, hat sich gerade das Leben genommen. Dr. René Meinthe scheint im Zusammenhang mit dem Algerienkrieg konspiriert zu haben, aber der Erzähler hat nur vage Vorstellungen darüber.

Ebenso wenig wie wir den tatsächlichen Namen des Erzählers erfahren, können wir den Handlungsort identifizieren. Ein See in Savoyen, dessen östliches Ufer in der Schweiz liegt? Den gibt es nicht.

Gerade diese Unklarheit trotz konkreter Details macht den Reiz des Romans „Villa Triste“ von Patrick Modiano aus.

„Villa triste“ steht an der Tür des Elternhauses von René Meinthe. Als „Villa triste“ werden aber auch Gebäude in Italien bezeichnet, in der Gegner der Faschisten von der Milizia Volontaria Sicurezza Nazionale gefoltert und ermordet wurden.

1976 erhielt Patrick Modiano für „Villa Triste“ den Prix des Libraires.

Patrice Leconte verfilmte den Roman „Villa Triste“ unter dem Titel „Das Parfum von Yvonne“.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2024
Textauszüge: © Ullstein Verlag

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Der Roman "Halbschatten" ist polyphon, multiperspektivisch und fragmentarisch. Uwe Timm webt einen Klangteppich aus Stimmen. Mit den Stimmen historischer und fiktiver Personen wechseln fortwährend Orte, Zeiten und Perspektiven.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.