Berlin: Invalidenfriedhof
Friedrich der Große ließ 1746 – nach den Schlesischen Kriegen – in der Nähe der Charité in Berlin ein Haus für Kriegsinvaliden bauen. Es wurde am 15. November 1748 eingeweiht. Zu der Anlage gehörte ein Friedhof, auf dem noch im selben Jahr – am 20. Dezember – der katholische Unteroffizier Hans Michael Neumann aus Bamberg beerdigt wurde. Damit zählt der Invalidenfriedhof in Berlin-Mitte zu den ältesten Friedhöfen der Stadt.
Der preußische König Friedrich Wilhelm III. ordnete 1824 den Verkauf eines großen Teils des zum Invalidenhaus gehörenden Landes an. Auf dem restlichen Grundstück bauten die Invaliden weiterhin Nahrungsmittel für ihre eigene Versorgung an. Aber 1843 legte man stattdessen – vermutlich nach Plänen von Peter Joseph Lenné – den Invalidenpark an, der ab 1850 öffentlich zugänglich war.
Die Gemeinde aus Kriegsinvaliden, Handwerkern, Händlern und Gastwirten vergrößerte sich bis zum Ersten Weltkrieg.
1925 bezeichnete der Friedhofinspektor Karl Friedrich Treuwerth den Invalidenfriedhof in Berlin als „eine Stätte preußisch-deutschen Ruhmes“ und verwies auf die zahlreichen hier bestatteten berühmten Generäle und Offiziere.
Am 20. November 1925 wurden die aus Frankreich überführten sterblichen Überreste des als Held verehrten Jagdfliegers Manfred von Richthofen („Der rote Baron“) bei einem Staatsakt in Anwesenheit des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg auf dem Invalidenfriedhof beigesetzt.
Fast auf den Tag genau 16 Jahre später fand auf Hitlers Anweisung ein Staatsbegräbnis für den nach Manfred Richthofen berühmtesten Fliegerhelden aus dem Ersten Weltkrieg auf dem Invalidenfriedhof statt. Generaloberst Ernst Udet, der Generalluftzeugmeister und Chef des Planungsamtes der Luftwaffe im Reichsluftfahrtministerium, hatte sich erschossen, aber der Suizid wurde der Öffentlichkeit verheimlicht. Der Jagdflieger Werner Mölders starb am 22. November 1941 auf dem Weg zu Ernst Udets Staatsbegräbnis bei einem Flugzeugabsturz. Er fand seine letzte Ruhestätte ebenfalls auf dem Invalidenfriedhof.
Bereits im Februar 1933 war der am 30. Januar unter ungeklärten Umständen getötete SA-Führer Hans Maikowski auf dem Invalidenfriedhof beerdigt worden, und Joseph Goebbels hatte in seiner Funktion als Gauleiter von Berlin die Totenrede gehalten. Für Reinhard Heydrich, den Leiter des Reichssicherheitshauptamtes und stellvertretenden Reichsprotektor für Böhmen und Mähren, der am 4. Juni 1942 an den Folgen eines eine Woche zuvor auf ihn verübten Attentats starb, planten die Nationalsozialisten ein monumentales Grabmal auf dem Invalidenfriedhof. Allerdings ließ sich das Vorhaben wegen des Krieges nicht verwirklichen.
Neben führenden Vertretern des NS-Regimes liegen auch Widerstandskämpfer auf dem Invalidenfriedhof, so Oberstleutnant Fritz von der Lancken (1890 – 1944) und Oberst Wilhelm Staehle (1877 – 1945). Fritz von der Lancken hatte sich am gescheiterten Stauffenberg-Attentat beteiligt, Sprengstoff aufbewahrt und Claus Schenk Graf von Stauffenberg seine Villa in Potsdam für konspirative Treffen zur Verfügung gestellt. Er war am 29. September 1944 zum Volksgerichtshof zum Tod verurteilt und noch am selben Tag in Plötzensee hingerichtet worden. Wilhelm Staehle hatte zum Solf-Kreis gehört und Kontakte zum Widerstand in den Niederlanden geknüpft. Nach dem geplanten Umsturz vom 20. Juli 1944 hätte er die Militärführung in Holland und Belgien übernehmen sollen. Am 12. Juni 1944 war er verhaftet und am 16. März 1945 vom Volksgerichtshof zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Aber in der Nacht auf den 23. April 1945 erschoss ihn ein Sonderkommando des Reichssicherheitshauptamts.
Beim Kampf um Berlin wurde auch der Invalidenfriedhof durch Granaten und Bomben verwüstet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel das Areal des Invalidenfriedhofs an die Groß-Berliner Grundstücksverwaltung AG. Obwohl der Alliierte Kontrollrat am 17. Mai 1946 die Entfernung aller „militaristischen und nationalsozialistischen Denkmäler“ auch auf Friedhöfen verlangte, blieb der Grabstein für Hans Maikowski auf dem Invalidenfriedhof in Berlin unangetastet.
1950 übernahm das Bezirksamt Berlin-Mitte den Invalidenfriedhof. Im Jahr darauf beschloss der Berliner Magistrat, ab 1. Mai 1951 keine Toten mehr auf dem Invalidenfriedhof zu beerdigen. Der renommierte Gynäkologe Walter Stoeckel (1871 – 1961), der neben seiner 1946 verstorbenen Ehefrau auf dem Invalidenfriedhof beigesetzt werden wollte, erreichte schließlich, dass Ehepartner in Einzelfällen auch weiterhin in bereits vorhandenen Gräbern bestattet werden durften.
Insgesamt dürften um die 30 000 Tote auf dem Invalidenfriedhof ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.
Die Demarkationslinie zwischen dem sowjetisch besetzten Teil Berlins und den drei westlichen Sektoren verlief am Westufer des Berlin-Spandauer Schifffahrtskanals. Nachdem die DDR am 13. August 1961 die Grenze abgeriegelt
und mit dem Bau der Berliner Mauer begonnen hatte, durfte der in unmittelbarer Nähe auf Ostberliner Seite liegende Invalidenfriedhof ab November 1961 nicht mehr ohne Berechtigungsmarke betreten werden. Die „Königslinde“ auf dem Invalidenfriedhof – unter der Friedrich der Große gerastet haben soll – wurde im Zuge des Ausbaus der Grenzanlagen gefällt. Etwa ein Drittel des Friedhofsgeländes wurde für den Todes- und Kontrollstreifen, die Licht- und Betontrasse sowie die Laufanlage für Wachhunde planiert. Den übrig gebliebenen Friedhof trennte man zuerst durch einen Stacheldrahtzaun und dann durch eine Betonmauer vom Grenzstreifen ab.
Am 23. Mai 1962 versuchte der 14-jährige Schüler Wilfried Tews, über den Invalidenfriedhof und den Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal in den Westen zu fliehen. Grenzsoldaten schossen auf ihn, und Westberliner Polizisten erwiderten das Feuer. Letztere bargen schließlich den durch sieben Schüsse schwer verletzten Flüchtling am westlichen Ufer. Ein Grenzsoldat (Peter Göring) starb bei dem Schusswechsel, zwei seiner Kameraden wurden verletzt.
Zwei Jahre später, am 22. Juni 1964, wurde der 29-jährige Maurergehilfe Walter Heike bei einem Fluchtversuch auf dem Invalidenfriedhof erschossen.
Von den 3000 Gräbern, die vor dem Mauerbau noch existiert hatten, gab es nach der Wiedervereinigung Deutschlands nur noch 230.
1990 wurde der Invalidenfriedhof unter Denkmalschutz gestellt. Ein Förderverein bemüht sich seit 1992 um die Bewahrung und Restaurierung der Anlage.
Der Invalidenfriedhof in Berlin zeugt von den preußischen Befreiungskriegen, den beiden Weltkriegen, der Spaltung und Wiedervereinigung Deutschlands.
Der Roman „Halbschatten“ von Uwe Timm spielt auf dem Invalidenfriedhof in Berlin.
© Dieter Wunderlich 2012
Uwe Timm: Halbschatten