Charles Jackson : Das verlorene Wochenende

Das verlorene Wochenende
Originalausgabe: The Lost Weekend Farrar & Rinehart, New York 1944 Fünf Tage Übersetzung: Renate Hertenstein Alpha Verlag, Zürich 1946 Das verlorene Wochenende Neuübersetzung: Bettina Abarbanell Nachwort: Rainer Moritz Dörlemann Verlag, Zürich 2014 ISBN: 978-3-03820-007-9, 352 Seiten ISBN: 978-3-908778-44-8 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

New York, 1936. Der 33-jährige mittellose Schriftsteller Don Birnam verspricht seinem Bruder Wick, das verlängerte Wochenende mit ihm auf dem Land zu verbringen. Doch als Wick ihn abholen will, hat er – drei Tage nach dem letzten Absturz – erneut mit dem Trinken angefangen und wartet, bis Wick ohne ihn losfährt. Don erlebt das lange Wochenende als Höllenritt, in dem sich Allmachts­fantasien mit Depressionen abwechseln. Der Alkohol weckt bittere Erinnerungen und verzerrt die Wahr­neh­mung bis zum Delirium tremens ...
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Kritik

"Das verlorene Wochenende" ist ein intensiver, schonungsloser Roman mit autobiografischen Zügen. Charles Jackson entwickelt das minuziöse, überzeugende und aufwühlende Porträt eines Trinkers aus der subjektiven Perspektive des Protagonisten.
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Don Birnam liebt klassische Musik und anspruchsvolle Literatur, aber der 33-jährige Schriftsteller ist nicht mehr in der Lage, selbst etwas zu schreiben, denn er hat mehrere alkoholische Abstürze hinter sich.

Seit seiner Kindheit bestand seine Bilanz in (absichtlich?) verpassten Gelegenheiten.

Wiederholt und vorsätzlich hatte er jede Chance zerstört, die sich ihm je geboten hatte […].

Sein jüngerer Bruder Wick hat eigens eine Wohnung in Manhattan gemietet und ihn aufgenommen, um ihm beistehen zu können. Er überlässt Don das Schlaf­zimmer, begnügt sich zum Schlafen mit dem Sofa und bestreitet auch den Lebensunterhalt für sie beide. Ebenfalls Sorgen macht sich Dons Freundin Helen, die trotz allem an ihm festhält.

Drei Tage nach einem weiteren Alkoholexzess, an einem Donnerstag im Oktober 1936, wollen Wick und Helen mit Don in die Wagner-Oper „Tristan und Isolde“, aber er bleibt lieber zu Hause:

„Wick, ich könnte nie bis zum Ende durchhalten. Ich würde es dir und Helen verderben und mich elend dabei fühlen.“

Immerhin verspricht er Wick, das verlängerte Wochenende mit ihm auf dem Land zu verbringen. Wick will ihn nach der Oper abholen und dann bis Dienstag auf einem Bauernhof bleiben.

Als Wick fort ist, öffnet Don das an Mrs Foley adressierte, auf dem Küchentisch liegende Kuvert und zieht vier Fünf-Dollar-Scheine heraus: den Monatslohn der Haushälterin. Nachdem er das Geld eingesteckt und den Umschlag weggeworfen hat, sucht er Sam’s Bar auf und bestellt Rye Whiskey. Schon nach den ersten Gläsern fühlt er sich zum ersten Mal seit Tagen so entspannt, dass es sich beinahe wie Müdigkeit anfühlt.

Eigentlich wollte er nur kurz in der Bar bleiben, aber nach ein paar Stunden gerät er in Panik: Wick könnte vor ihm zu Hause sein! Auf dem Rückweg kauft er in einem Spirituosenladen eine Flasche Whiskey der billigsten Sorte. Weil das Auto des Bruders bereits vor dem Haus steht und im Fenster Licht zu sehen ist, wagt Don sich nicht hinauf, bis der Wagen endlich fort ist. Auf dem Wohnzimmertisch liegt eine Nachricht: Wick ist ohne ihn aufs Land gefahren und hat Dons Hund mitgenommen.

„Ich hätte dir Mac gern hiergelassen, aber ich dachte, du vergisst vielleicht, ihn zu füttern.“

Für Don kommt es nun darauf an, sich einen ausreichenden Alkoholvorrat zu besorgen. Vom Monatslohn der Haushälterin sind noch 15 Dollar übrig. Weil er glaubt, noch mehr zu benötigen, geht er zu Mrs Wertheims Wäscherei und erzählt ihr, sein Bruder sei übers Wochenende verreist und habe das Scheckbuch mitgenommen. Mit dieser Lüge bringt er sie dazu, ihm 20 Dollar zu leihen. Am Montag werde er ihr das Geld zurückbringen, verspricht er.

In Jack’s Bar sitzend, trinkt er Martini und beobachtet die Gäste.

[…] dass sein Verstand messerscharf arbeitete, in Bestform, mit jener Hyper-Bewusstheit, die gerade noch diesseits des Rausches lag. Nun, er würde zusehen, dass sie auf dieser Seite blieb, denn er fühlte sich sehr gut, genoss seine Distanz zu allem, was um ihn herum geschah.
[…] er war der einzig lebendige Mensch hier, der einzig Sehende. Ihre Beschäftigung miteinander, seine Solidarität, seine Vollkommenheit, Selbstgenügsamkeit und Unnahbarkeit gaben ihm ein nahezu gottgleich erhabenes, überlegenes Gefühl. […]
Wie achtlos und unaufmerksam die Leute waren – und wie geschickt, diskret, allsehend er selbst.

Neben ihm sitzt ein junges Paar. Nachdem er die Handtasche der Frau zu sich herübergezogen und unter dem Mantel versteckt hat, steht er auf und geht. Aber am Ausgang holen ihn der Kellner, der Barmixer, der junge Mann und die junge Frau ein. Nachdem er die Tasche zurückgegeben hat, versetzt ihm der Türsteher einen Stoß.

Am nächsten Tag wacht Don verkatert und vollständig bekleidet auf dem Sofa im Wohnzimmer auf.

Ihm wurde übel vor Verzweiflung und Reue, allein schon, weil er wieder angefangen hatte.

Zugleich kannte er sich auch gut genug, um zu wissen, dass er, wenn er erst einmal angefangen hatte, bis zum Ende weitermachen musste, es gab jetzt kein Halten mehr.

Erst in zwei Stunden werden die ersten Kneipen und Spirituosenläden öffnen. Solange muss er durchhalten.

In einer Grill-Bar bestellt er einen Whiskey.

Der Barkeeper sah ihn an. „Einen doppelten?“
Er bezwang den Impuls, sich aufzurichten. „Nein!“ Wie kam der Kerl denn auf die Idee? Den müsste man mal in die Schranken weisen. Nur weil einer morgens um acht Uhr soundso vorbeikam, hieß das doch nicht sogleich –

Als er ein Filmplakat des Films „Die Kameliendame“ mit Greta Garbo in der Hauptrolle sieht, geht er ins Kino, aber es handelt sich um eine Doppelvorstellung, und erst einmal läuft ein Gefängnisfilm. Irgendwann schafft Don es nicht mehr, noch länger auf „Die Kameliendame“ zu warten. In der Kneipe nebenan bestellt er einen Drink.

Dann geht er wieder zu Sam’s. Dort unterhält er sich mit der jungen Animierdame Gloria. Er erzählt ihr, er sei verheiratet und habe zwei vier bzw. sechs Jahre alte Söhne. Seine Frau heiße Theodora, aber er nenne sie Teddy. Er besitze ein kleines Haus im New Yorker Stadtteil Sutton Place und ein großes in Greenwich/Connecticut. Schließlich fragt er Gloria, ob er sie zum Abendessen ausführen dürfe, und nachdem sie sich vom Wirt die Erlaubnis dazu geholt hat, verabreden sie sich für 20 Uhr. Er werde sie pünktlich abholen, verspricht er.

Auf der Straße merkt er schlagartig, wie betrunken er ist.

An der Theke einer anderen Bar spricht ihn ein Gast an. Es stellt sich heraus, dass sie beide zur gleichen Zeit in Philadelphia studierten. Als Brad behauptet, der Verbindung Kappa U angehört zu haben, wird Don misstrauisch, denn er kannte alle zwölf Füchse.

„Aber ich erinnere mich nicht, dass Sie dort waren.“
„Ah, jetzt verstehe ich. Sie kannten sie nur als Füchse, im ersten Studienjahr. Und ich wurde erst im Mai aufgenommen. Sie hatten kurz vor der Osterwoche jemanden rausgeschmissen, und dadurch war Platz für mich.“

Brad ahnt nicht, dass es sich bei dem hinausgeworfenen 17-jährigen Studenten um Don handelte. Don hatte damals für den Kommilitonen Tracey Burke geschwärmt, und der hatte einen Brief Dons herumgezeigt. Daraufhin musste Don die Verbindung verlassen, denn Homoerotik oder gar –sexualität wurde nicht geduldet.

Das Klingeln des Telefons weckt Don am nächsten Vormittag. Es ist halb zehn. Eine leere Liter-Whiskeyflasche steht auf dem Tisch.

Würde er es je lernen? Wäre er je eines Abends, oder Tages, weise und schlau und nüchtern genug, um etwas für den Morgen danach aufzusparen? Musste er immer alles ganz austrinken? Würde er wieder und wieder in die Falle tappen […]?

Gott sei Dank war er angezogen, musste nicht das ganze Ankleiden durchstehen, den Kampf mit Knöpfen, das unlösbare Rätsel der Schnürsenkel. Er zitterte wie ein nervöser Terrier – sein ganzer Körper bebte von lauter feinen Zuckungen, eine kleine Schüttellähmung.

Sein ganzes Geld ist weg. Er kann sich nicht vorstellen, dass er es ausgegeben hat. Um sich Alkohol kaufen zu können, braucht er erst einmal neues Geld. Also geht er mit seiner tragbaren Remington-Schreibmaschine in das nahe Viertel der jüdischen Antiquitätenhändler und Pfandleiher. Schon an der ersten Straßenecke schwitzt er wie ein Mann in der Fieberkammer.

An der 56sten blieb er am Fußgängerüberweg stehen. Er war so nervös, dass er seinen Sinnen nicht traute. Ängstlich blickte er wieder und wieder zur Ampel, bevor er den sicheren Bordstein verließ, und selbst dann war ihm noch bang. Er trat auf die Straße, dann schnell wieder zurück auf den Bordstein. Er war ja nicht blind, konnte niemanden bitten, ihn über die Straße zu führen. Außerdem war er ohnehin nicht in der Lage, jemanden anzusprechen. Er ging erneut los, und sofort kreischten wütende Hupen, und Bremsen wurden durchgetreten, dass das Gummi quietschte.

Wieso sind die Geschäfte geschlossen? Es ist doch erst Samstag, nicht schon Sonntag. Schließlich erklärt ihm jemand, dass die Juden Jom Kippur feiern.

Nachdem er sich zu Hause die durchgeschwitzten Sachen vom Leib gerissen und geduscht hat, will er zu einem Bekannten, um sich 10 Dollar zu borgen. Als er im Treppenhaus an zwei Nachbarinnen und ihrem Hund vorbei will, stürzt er.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


In einem Krankenhausbett kommt er zu sich. Es ist bereits Sonntag. Trotz seiner Kopfschmerzen will er keine Behandlung und sofort weg. Wenigstens lässt er sich noch von einer transsexuellen Krankenschwester Paraldehyd verabreichen. Als ihm seine Kleidung gebracht wird, sucht er in den Taschen nach Geld, findet jedoch nur ein paar Münzen.

Wo soll er ohne Geld Nachschub bekommen? Er geht zu Sam’s Bar. Die öffnet zwar erst in einer halben Stunde, aber Sam kommt zu einer Seitentür. Obwohl er eine Schublade voller Armbanduhren hat, lässt er sich überreden, für Dons Uhr eine Flasche Whiskey herauszugeben. Don wundert sich über Glorias seltsame Bemerkungen. Er habe sie versetzt, behauptet sie. Was soll das? Als sie das Hämatom an seinem Auge sieht, sagt sie:

„Mann, was für ein Veilchen! Hat Teddy Ihnen das verpasst?“
Sofort misstrauisch, sah er sie an. „Wer ist Teddy?“
„Ihre Frau, Sie Depp.“
Was sagte sie da, wovon zum Teufel redete sie? Machte sie sich über ihn lustig? Sam erschien mit der eingetüteten Flasche in der Tür. Er entriss sie ihm, sagte „Danke“ und lief hinaus. Spinnerin! Wie in Gottes Namen kam sie auf die absurde Idee, dass er eine Frau hatte? …

Zu Hause fällt er vom Sofa. Er trinkt die Flasche aus, tastet sich ins Schlafzimmer und lässt sich aufs Bett fallen. Nachts glaubt er, Leute vor der Wohnungstüre flüstern zu hören: „Was machen wir bloß mit Don?“

Am Montag wacht er um 8.10 Uhr auf. Wie soll er an Alkohol kommen?

Er hätte niemals die Treppe hinuntergehen, geschweige denn sich vorher anständig herrichten können. Er war an jenem Tag angekommen, den er von Anfang an gefürchtet hatte, dem Tag der Verzweiflung und äußersten Entkräftung, an dem er körperlich nicht mehr imstande war, sich aus seiner Zwangslage zu befreien.

Da er unfähig war, loszugehen und sich Alkohol zu kaufen, und den ganzen Tag ohne einen Tropfen hier drinnen eingesperrt wäre, wie sollte bloß die Nacht werden? Es war eine so entsetzliche Aussicht.

Immer wieder klingelt das Telefon, aber er bleibt im Sessel sitzen.

Der Lärm stach ihm in die Blase und badete seine Schenkel in heißen Urin, aber er war unfähig, sich zu rühren oder sich deswegen aufzuregen.

Ohne aufzustehen, streift er die eingenässten Sachen ab: Hose und Unterhose.

Seit Donnerstag hat er nichts gegessen.

Mittags klingelt und klopft es an der Tür. Helen ruft: „Don. Don. Bist du da, Don?“ Sie war gewiss auch die Anruferin. Jetzt, in ihrer Mittagspause, ist sie selbst vorbeigekommen. Aber er rührt sich nicht.

Am Abend, nach Büroschluss, versucht sie es erneut, und als er wieder nicht öffnet, lässt sie sich vom Hausmeister aufschließen. Don, der gerade noch beabsichtigte, sich das Leben zu nehmen, bevor Helen hereinkommt, hängt hilflos im Sessel, schweißgebadet, unfähig, etwas zu tun. Ein Beben schüttelt ihn. Vor Scham wäre er am liebsten gestorben.

Hilflose Wut schoss in ihm hoch, weil er jetzt plötzlich schluchzte und nicht aufhören konnte.

Ohne irgendeinen Vorwurf hebt Helen die nasse Unterhose und Hose auf und trägt sie ins Badezimmer. Mit frischer Wäsche und Kleidung kommt sie zurück.

Sein Atem wurde schwerer und schneller, als er die Anstrengung unternahm, sich die Unterhose über die Beine zu ziehen. Aber mehr schaffte er nicht. Er konnte noch nicht einmal den Hintern heben. Jetzt hingen sie ihm um Knie und Schenkel. Was war aus all seinem Widerstand, seiner Wut, seinem Trotz geworden, der Drohung und Verheißung, zu sterben? Nichts konnte erbärmlicher sein als diese verachtenswerte, beschämende, hilflose Kreatur, die er war. Er konnte noch nicht einmal protestieren; und er wusste – ganz egal, wie sehr er fluchte oder weinte oder den Kopf schüttelte –, dass er in einer Stunde in Helens Bett liegen und froh darüber sein würde.

Er war zu schwach, um etwas anderes zu tun, als es zu akzeptieren, hätte sich sowieso nicht wehren oder protestieren oder weglaufen können. Es war zum Verrücktwerden, ihrem Willen und Befehl so hilflos ausgeliefert zu sein; aber in gewisser Hinsicht war es auch das, was er wollte. Für alles andere war er zu erschöpft und entkräftet.

Helen nimmt Don mit in ihr Apartment und überlässt ihm ihr Bett. Sie wird die Nacht auf dem Sofa verbringen.

Er war sich schmerzlich bewusst, was für ein Leben er ihr bereitete, wieviel Schmerz er ihr zumutete und wie ausgeschlossen es war, dass sie durch ihn je glücklich werden würde. Er liebte Helen, er brauchte sie, brauchte sie viel mehr als sie ihn […].

Vom Bett aus sieht er eine Maus an der Zimmerwand und beobachtet, wie sie von einer eingeschwebten Fledermaus zerfetzt wird.

Am Dienstagvormittag findet er einen Zettel von Helen vor. Sie ist längst im Büro. Um 10.30 Uhr komme ihre Putzfrau Holy Love, steht da. Don hört sie; es muss also bereits nach 10.30 Uhr sein. Die Vorratskammer, in der er Alkohol vermutet, ist abgeschlossen. Holy Love behauptet, keinen Schlüssel zu haben. Er glaubt ihr nicht, und als sie vor dem Kamin kniet, um die Asche herauszufegen, spielt er mit dem Gedanken, die Bronzeskulptur auf dem Kaminsims zu packen und ihr den Schädel einzuschlagen. Stattdessen nimmt er Helens Leopardenjacke an sich und geht. Fünf Dollar gibt ihm der Pfandleiher dafür. Als er die Scheine in die Brusttasche des Jacketts steckt, fühlt er Bündel Banknoten: 27 Dollar. Das vermisste Geld!

Davon kauft er sechs Flaschen Rye Whiskey. Als er nach Hause kommt, ist der Hund da. Wick ist offenbar noch einmal weggegangen. Don giert nach einem ersten Schluck, aber er beherrscht sich, versteckt erst einmal zwei Flaschen im Wasserkasten der WC-Spülung, hängt dann zwei weitere Flaschen an Schnüren aus dem Fenster, stellt eine hinter die Bücher im Regal, wo Wick garantiert suchen wird, öffnet dann erst die sechste Flasche und fängt mit dem Trinken an.

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Am Beispiel eines selbstzerstörerischen Trinkers in New York veranschaulicht Charles Jackson in seinem Roman “ The Lost Weekend “ / „Das verlorene Wochenende“ die Haltlosigkeit des urbanen Menschen. Don Birnam – Birnam wie der Wald in Shakespeares Drama „Macbeth“ – erlebt ein auf fünf Tage verlängertes Wochenende im Oktober 1936 als Höllenritt, in dem sich Allmachtsgefühle mit Depressionen, Verzweiflung und Selbstmordgedanken abwechseln. Der Alkohol spült nicht nur Erinnerungen an frühere Zeiten ins Bewusstsein – etwa wie der Vater die Familie verließ, als Don zehn Jahre alt war –, sondern verzerrt auch die Wahrnehmung bis zum Delirium tremens. „Das verlorene Wochenende“ ist ein nuancenreiches Porträt eines Alkoholkranken. Charles Jackson entwickelt das minuziöse, überzeugende und aufwühlende Protokoll konsequent aus der subjektiven Perspektive des Protagonisten, erzählt jedoch nicht in der Ich-Form, sondern in der dritten Person Singular.

Einen ähnlich intensiven und schonungslosen Roman über einen Trinker hat Malcolm Lowry 1947 veröffentlicht: „Unter dem Vulkan“.

Don Birnam, die Hauptfigur in „Das verlorene Wochenende“, weist unverkennbar Übereinstimmungen mit der Biografie des Autors auf.

Charles Reginald Jackson wurde am 6. April 1903 in Summit/New Jersey geboren. Vier Jahre später zogen die Eltern Frederick George und Sarah Williams Jackson nach Newark. 1916 kamen Charles‘ ältere Schwester Thelma und der jüngere Bruder Richard bei einem Verkehrsunfall ums Leben.

Nach dem Schulabschluss begann Charles Jackson an der Syracuse University zu studieren und wurde Mitglied einer Verbindung, die er allerdings verlassen musste, als seine homoerotische Schwärmerei für einen Kommilitonen für einen Skandal sorgte. Auch das hat er in „Das verlorene Wochenende“ verarbeitet – ebenso wie die Sanatoriumsaufenthalte unter anderem in Davos von 1927 bis 1931 wegen einer Tuberkuloseerkrankung.

Am 4. März 1938 heiratete Charles Jackson die Journalistin Rhoda Booth. Das Paar bekam zwei Töchter: Sarah (* 1940) und Kate (* 1943). Die Ehe war konfliktreich, nicht nur wegen Charles Jacksons Bisexualität, sondern vor allem auch wegen seiner Alkoholkrankheit.

Er schrieb für Zeitungen und strebte eine Karriere als Schriftsteller an. „The Lost Weekend“ / „Das verlorene Wochenende“ war im Januar 1944 sein Debütroman. Es blieb sein einziger großer Erfolg.

Die letzten Lebensjahre verbrachte Charles Jackson mit seinem Lebensgefährten Stanley Zednik, einem 25 Jahre jüngeren Fabrikarbeiter. Am 21. September 1968 verübte er mit dem Schlafmittel Seconal Selbstmord.

Alfred Hitchcock hätte „Das verlorene Wochenende“ gern verfilmt, aber die Rechte bekam Billy Wilder. Die Premiere der Verfilmung mit Ray Milland in der Hauptrolle fand im November 1945 statt, weniger als zwei Jahre nach der Veröffentlichung des Romans. Der Film „Das verlorene Wochenende“ wurde mit vier „Oscars“ ausgezeichnet: Bester Film, Bestes Drehbuch, Beste Regie, Bester Hauptdarsteller.

Das verlorene Wochenende – Originaltitel: The Lost Weekend – Regie: Billy Wilder – Drehbuch: Charles Brackett, Billy Wilder nach dem Roman „Das verlorene Wochenende“ von Charles Jackson – Kamera: John F. Seitz – Schnitt: Doane Harrison – Musik: Miklós Rózsa, Giuseppe Verdi – Darsteller: Ray Milland, Jane Wyman, Phillip Terry,Howard Da Silva, Doris Dowling, Frank Faylen, Mary Young, Anita Sharp-Bolster, Lillian Fontaine, Lewis L. Russell, Frank Orth u.a. – 1945; 95 Minuten

Eine von Renate Hertenstein erste Übertragung des Romans „The Lost Weekend“ von Charles Jackson ins Deutsche erschien 1946 unter dem Titel „Fünf Tage“ in Zürich. Die von Bettina Abarbanell übersetzte Neuausgabe trägt den Titel „Das verlorene Wochenende“.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2017
Textauszüge: © Dörlemann Verlag

Alkoholkrankheit

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