Gaito Gasdanow : Die Rückkehr des Buddha

Die Rückkehr des Buddha
Originalausgabe: 1949/50 Die Rückkehr des Buddha Übersetzung: Rosemarie Tietze Carl Hanser Verlag, München 2016 ISBN: 978-3-446-25047-5, 221 Seiten ISBN: 978-3-446-25187-8 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der Ich-Erzähler, ein einsamer russischer Student, lebt Ende der 20er-Jahre in Paris. Zufällig trifft er einen älteren Landsmann wieder, der ihn vor zwei Jahren angebettelt hatte. Der damalige Clochard hat sich in einen gut gekleideten Herrn verwandelt. Eine Erbschaft ermöglichte es. Die beiden Exilrussen werden Freunde. Eines Tages wird der Student verhaftet. Man fand die Leiche des Älteren, und die Polizei hält dessen Freund für den Mörder ...
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Kritik

"Die Rückkehr des Buddha" ist ein Kriminalroman, aber Gaito Gasdanow geht es weniger um die Aufklärung eines Mordfalls, als um Zufall und Schicksal. Sein Augenmerk gilt dem Ich-Erzähler, aus dessen subjektiver Perspektive die Geschichte erzählt wird.
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Der russische Ich-Erzähler, dessen Namen wir nicht erfahren, lebt Ende der Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts in Paris und studiert an der historisch-philologischen Fakultät. Seit er sich von seiner Freundin Catrine getrennt hat, ist er einsam. Er verfolgt keine konkreten Pläne und wundert sich darüber, wie gleichgültig ihm alles ist. Immer wieder verliert er sich in Tagträumen.

Nun spüre ich in allen Verhältnissen die ungewöhnliche Phantomhaftigkeit meines eigenen Lebens […] Die Welt bestand für mich aus Dingen und Empfindungen, die ich wiedererkannte, wie wenn ich sie vor langer Zeit schon einmal erlebt hätte und die jetzt zu mir zurückkehrten, gleichsam aus einem in der Zeit verlorenen Traum.

Während er im Jardin du Luxembourg auf einer Parkbank sitzt und ein Buch liest, wendet sich ein russischer Clochard in unnatürlich korrektem Französisch an ihn. Weil der Student keine Münzen bei sich hat und sein gesamtes Vermögen aus einem 100- und einem 10-Francs-Schein besteht, gibt er dem Bettler die kleinere der beiden Banknoten. Erstaunt über die Selbstsicherheit des Bettlers blickt er ihm nach.

Doch selbst an seinem Rücken war nichts von dem verschreckten Auf-der-Hut-Sein oder dem körperlichen Bankrott, die für Menschen dieser Kategorie typisch sind.

Als der Student zwei Jahre später in einem Café sitzt, kommt ihm eine Männer­stimme bekannt vor, und er dreht sich um. Es ist der damals Obdachlose, dem er die zehn Francs gab. Aber nun ist er gut gekleidet, trägt eine Brille, hat ein Buch vor sich liegen und unterhält sich mit einer Malerin. Als die Künstlerin weg­ge­gangen ist, spricht der Student den Landsmann an, und der erinnert sich ebenfalls an ihn.

Er heißt Pawel Alexandrowitsch Schtscherbakow und wurde in Sewastopol geboren. Wegen einer unglücklichen Liebe verfiel er der Trunksucht, bis er ins Krankenhaus kam und ein Arzt ihm klarmachte, dass ihn jedes weitere Glas Alkohol töten könne. Seither lebt er abstinent, aber er blieb einige Jahre mittel- und obdachlos. Seine Lage änderte sich, als sein im Baltikum lebender, geiziger und hartherziger Bruder beim Schwimmen im Meer ertrank und er als einziger lebender Verwandter das Vermögen erbte, obwohl auch er keinen Kontakt mehr zu seinem Bruder gehabt hatte. Er wohnt nun in der Rue Molitor. Dort soll ihn der Student besuchen.

In einer menschenleeren Gasse wird der Student überfallen, aber es gelingt ihm, den Angriff abzuwehren, und er erwürgt den Mann. Kurz darauf verliert er durch einen Schlag auf den Kopf das Bewusstsein. In einem Untersuchungsgefängnis des Zentralstaats kommt er wieder zu sich. Er wird des Hochverrats beschuldigt und soll einen Staatsbediensteten ermordet haben, dessen Name seltsamerweise von einem Untersuchungsrichter mit Ertel, von einem anderen mit Rosenblatt angegeben wird. Der Häftling weiß, dass der Justizapparat des Zentralstaats nicht der Gerechtigkeit dient, sondern auf Verurteilungen ausgerichtet ist. Die Unschuld eines Angeklagten ist nichts weiter als eine theoretische Möglichkeit. Der Student hat allerdings Glück: Sein Zellengenosse hypnotisiert den Untersuchungsrichter und bringt ihn dazu, sie beide freizulassen. Um sich zu orientieren, sucht der Student nach einem Straßenschild und liest verblüfft: Rue Molitor. Er befindet sich in Paris! Aber was er in diesem Viertel wollte, fällt ihm zunächst nicht ein.

Am nächsten Tag geht er erneut hin. Inzwischen weiß er wieder, warum er in die Rue Molitor wollte. Er trifft Pawel Alexandrowitsch Schtscherbakow nicht allein an. Ein anderer Russe sitzt bei ihm und klagt, er habe in Lyon versehentlich einen Fußgänger mit dem Motorrad angefahren und sei deshalb zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Weil ihm nach der Freilassung die Papiere geraubt worden seien, könne er keine Arbeit finden. Es sei ausweglos. Ihm bleibe nur der Selbstmord. Aber was werde dann aus seiner armen, von ihrem zweiten Ehemann – seinem Vorgänger – mit Syphilis infizierten Frau? Pawel Alexandrowitsch lässt sich nicht täuschen: Er weiß, dass sein Gegenüber Kalinitschenko heißt und nicht in Lyon sondern wegen Diebstahls in Paris inhaftiert war. Der durchschaute Betrüger schleicht davon.

Einige Zeit später trifft der Student zufällig einen früheren Mitschüler vom Gymnasium wieder. Als Mischka nach Frankreich kam, arbeitete er zunächst in Fabriken. Dann ließ er sich von einer wohlhabenden Frau aushalten, aber als er sie mit einer anderen betrog, warf sie ihn hinaus. Er war alkoholkrank, verbrachte einige Zeit im Gefängnis und kam nicht wieder auf die Beine. Als der Ich-Erzähler ihn besucht, sitzt eine ältere Frau mit lückenhaftem Gebiss bei ihm am Bett. Nachdem sie sich verab­schiedet hat, klärt Mischka seinen Besucher darüber auf, dass Sina früher ein begehrtes Aktmodell war. Inzwischen, sagt Mischka, lebe sie mit einem Schnorrer zusammen, der überall herumerzähle, er habe in Lyon einen Passanten mit einem Motorrad angefahren. Aber das sei Bestandteil einer von Alexej Alexejewitsch Tschernow erfundenen Geschichte.

Einen Monat später stirbt Mischka an Schwindsucht.

Erst nach einigen Besuchen bei Pawel Alexandrowitsch Schtscherbakow begegnet der Student der bei ihm wohnenden Frau. Es handelt sich um Sinas 26-jährige Tochter Lida. Sie lässt sich von ihrem 30 Jahre älteren Liebhaber aushalten.

Lida wuchs auf dem Land auf. Im Alter von zwölf Jahren kam sie zu ihrer Mutter nach Paris, und zwei Jahre später wurde sie die Geliebte des Schnorrers Kalinitschenko. Als Sina das herausfand, kam es zu einer heftigen Aus­einander­setzung. Lida riss aus und schlug sich über Marseille nach Tunis durch. Vier Jahre später kam sie zurück und heiratete einen jungen Franzosen, den die Familie deshalb verstieß und der bald darauf an einer Überdosis Morphium starb. Nun lebt sie mit Pawel Alexandrowitsch Schtscherbakow zusammen, aber dessen neuer Freund erfährt von dem Landsmann Kostja Woronow, dass sie die Geliebte des Zuhälters Amar ist, dem Sohn einer Polin und eines Arabers, den sie in Tunis kennenlernte.

Als Pawel Alexandrowitsch übers Wochenende nach Fontainbleau fährt, um Datschen zu besichtigen, die er für den Sommer mieten könnte, träumt sein neuer Freund davon, ihn mit Lida in einem Hotelzimmer zu betrügen.

Am 11. Februar des folgenden Jahres entdeckt der Student in Pawels Wohnung eine golden glänzende Buddha-Statue. Die habe er in einem Antiquariat gekauft, sagt der Besitzer. Sie reden über den Buddhismus. Der Besucher denkt, es wäre unerträglich für ihn, die Vergreisung und das Sterben des älteren Freundes mit ansehen zu müssen. Für Pawel wäre es viel besser, wenn er jetzt – gesund und glücklich – sterben würde.

Am nächsten Tag wird der Student verhaftet. Pawels Haushälterin fand am Morgen die Leiche ihres Arbeitgebers. In einem Sessel sitzend, wurde er mit einem Messerhieb in den Nacken ermordet. Die Polizei weiß, dass der Student bis nach Mitternacht bei ihm war und hält den jungen Russen deshalb für den Mörder. Als die Ermittler dann auch noch herausfinden, dass Pawel Alexandrowitsch Schtscherbakow seinen Freund als Alleinerben einsetzte, scheint auch das Mordmotiv klar zu sein.


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Der Verdächtige zeigt sich vom Inhalt des Testaments überrascht und beteuert seine Unschuld. Ohne es auszusprechen, bedauert er inzwischen seinen gut gemeinten Todes­wunsch. Pawel wurde das Recht auf den eigenen Tod genommen, ebenso wie die Möglichkeit, schrittweise auf alles zu verzichten und sich dem Nirwana zu nähern. Während einer Vernehmung erwähnt der Mordverdächtige die Buddha-Figur. Bei der Spurensicherung fiel eine staubfreie Fläche in einem Regal auf, deren Umriss zu der von dem Inhaftierten beschriebenen Figur passt. Inspektor Prunier sucht nach der vermutlich vom Mörder gestohlenen Buddha-Statue, die er sich von dem Antiquar, der sie verkaufte, beschreiben ließ.

Drei Wochen lang findet er keine Spur davon. Dann bemerkt er in einer Bar, in der er einen Traubensaft trinkt, ein von einem Gast vergessenes Paket, und als er es mit dem Wirt zusammen auswickelt, kommt die Buddha-Figur zum Vorschein. Bei dem Gast, der sie stehen ließ, handelt es sich um den 40-jährigen Amerikaner Thomas Wilkins, den Inhaber eines großen Blumengeschäftes in Chicago, der in Paris Urlaub macht. Er behauptet, den Buddha von einer „Dame“ gekauft zu haben. Bei der Frau handelt es sich um das Straßenmädchen Gaby. Die Prostituierte sagt aus, sie habe den Buddha von ihrem Zuhälter Gugusse bekommen, und der gibt bei der Vernehmung an, ein Bekannter namens Amar habe ihm die Statue zur Aufbewahrung gegeben.

Der Inhaftierte wird daraufhin freigelassen. Ihm ist klar, dass er ohne den Buddha und die Verkettung einer Reihe von zufälligen Ereignissen zum Tod verurteilt worden wäre. Er selbst konnte nichts bewirken.

Weil Amar sich versteckt, dauert es ein paar Tage, bis er festgenommen wird.

Die Ermittlungen ergeben folgendes Bild: Das Geld, das Sina mit ihrer Tochter und ihrem Liebhaber durch Straßenmusik verdienten, wurde für Alkohol und Pferdewetten ausgegeben. Auch die Zuwendungen, die Lida von Pawel Alexandrowitsch Schtscherbakow bekam, reichten nicht. Sina drängte ihre Tochter deshalb, ihrem Liebhaber einzureden, er müsse endlich ein Testament aufsetzen. Die Frauen zweifelten nicht daran, dass Lida die Alleinerbin sein würde. Nachdem Pawel bei einem Notar ein Testament hinterlegt hatte, planten Sina, Lida und Amar seine Ermordung. Zunächst dachten sie an Gift oder Gas, aber dann handelte Amar allein. Während er mit Lida beim Tanzen war, nahm er unbemerkt die Schlüssel aus ihrer Handtasche an sich, rief ein Taxi und wartete in der Rue Molitor, bis Pawels junger Freund das Haus verließ. Eine Viertelstunde später drang er in die Wohnung ein und ermordete den in einem Sessel eingeschlafenen Russen mit einer schweren dreikantigen Waffe, die er aus einem Schlachthof in Tunis mit nach Paris gebracht hatte. Eigentlich wollte Amar nichts mitnehmen, aber dann konnte er der Versuchung nicht widerstehen, die goldene Buddha-Statue zu rauben. Die vertraute er Gugusse an, bevor er zur Tanzveranstaltung zurückkehrte.

Weil Amars Plan vorsah, dass der mit Pawel Alexandrowitsch Schtscherbakow befreundete Student wegen des Mordes verurteilt wurde, spricht der Staatsanwalt von einem ausgeführten und einem versuchten Mord.

Der Verteidiger stellt es so dar, als habe Amar lediglich einen Mordplan der beiden Frauen ausgeführt. Aber er kann das Todesurteil nicht verhindern. Amar wird bald darauf hingerichtet. Aber er wäre ohnehin wenig später an Schwindsucht gestorben.

Der russische Student zieht in die verwaiste Wohnung in der Rue Molitor und braucht sich keine finanziellen Sorgen mehr zu machen.

Er geht zu Catrines Adresse. Dort erfährt er, dass sie vor einem Jahr einen englischen Maler heiratete und mit ihm nach Australien auswanderte.

Ein Jahr nach Pawels Ermordung erhält er einen Brief aus Australien. Catrine teilt ihm mit, dass ihr Ehemann nach England zurückgekehrt sei und sie die Scheidung eingereicht habe. Weil ihr das Geld dafür fehle, könne sie nicht nach Europa kommen. Ihr damaliger Freund und Kommilitone war mittellos, und sie nimmt deshalb an, dass er sich auch keine Australien-Reise würde leisten können.

Da täuscht Catrine sich: Ein paar Tage, nachdem er den Brief erhielt, macht er sich auf den Weg zu ihr.

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„Die Rückkehr des Buddha“ ist ein Kriminalroman, in dem eine Statue eine Schlüsselrolle spielt – wie der Malteser Falke in Dashiell Hammetts Klassiker. Allerdings geht es Gaito Gasdanow in „Die Rückkehr des Buddha“ weniger um die Aufklärung eines Mordfalls, als um den Gegensatz zwischen Zufall und Schicksal. Sein Hauptinteresse gilt der Hauptfigur, einem entwurzelten, heimatlosen Studenten im Milieu russischer Emigranten in Paris, aus dessen subjektiver Perspektive die Geschichte in der Ich-Form erzählt wird.

Die altmodische, aber auch stringente Sprache des Ich-Erzählers kontrastiert mit dessen Ziel- und Haltlosigkeit.

„Ich starb“ lauten die beiden ersten Worte von „Die Rückkehr des Buddha“. Der Protagonist stürzte beim Klettern im Gebirge ab – jedoch nur im Traum. Auch später verliert er sich in Träumen und Halluzinationen. Einmal glaubt er, im „Zentralstaat“ wegen Hochverrats angeklagt zu sein. Mit diesem Staat, in dem die Justiz nicht der Gerechtigkeit, sondern der Politik dient, könnte Gaito Gasdanow die UdSSR gemeint haben.

Ein Happy End wäre nach der Trostlosigkeit und grüblerischen Melancholie nicht zu erwarten gewesen.

Die Übersetzerin Rosemarie Tietze meint im Nachwort, die beiden Romane „Das Phantom des Alexander Wolf“ und „Die Rückkehr des Buddha“ von Gaito Gasdanow kämen ihr wie Zwillinge vor.

Nicht dass sie sich allzu ähnlich wären, schon gar nicht täuschend ähnlich; jeder steht für sich, auf eigenen Füßen, hat sein eigenes Profil. Aber es durchzieht sie ein Geflecht von Spiegelungen, Parallelen und Gegensätzen, das auf nahe Verwandtschaft hindeutet und das aufzudecken der Lektüre zusätzliche Würze verleiht.
In beiden Romanen geht es um einen Mord, der eine stellt sich als vermeintlich heraus, der andere wird dem Ich-Erzähler fälschlich zugeschrieben.

„Die Rückkehr des Buddha“ erschien erstmals 1949/50 in zwei Ausgaben der russischen Exilzeitschrift „Nowy Schurnal“ / „The New Review“ in New York (Nr. 22/1949 und Nr. 23/1950).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016
Textauszüge: © Carl Hanser Verlag

Gaito Gasdanow (kurze Biografie)

Gaito Gasdanow: Das Phantom des Alexander Wolf
Gaito Gasdanow: Nächtliche Wege

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