Happy Birthday, Türke!

Happy Birthday, Türke!

Happy Birthday, Türke!

Originaltitel. Happy Birthday, Türke! - Regie: Doris Dörrie - Drehbuch: Doris Dörrie, nach dem Roman "Happy Birthday, Türke!" von Jakob Arjouni - Kamera: Helge Weindler - Schnitt: Raimund Barthelmes und Hana Müllner - Musik: Peer Raben - Darsteller: Hansa Czypionka, Özay Fecht, Lambert Hamel, Ömer Simsek, Doris Kunstmann, Ulrich Wesselmann, Christian Schneller, Meret Becker, Nina Petri, Emine Sevgi Özdamar, Helen Vita, Stefan Wigger, Oliver Nägele, Joachim Król, Emin Boztepe, Michael Hannemann u.a. - 1992; 105 Minuten

Inhaltsangabe

Kemal Kayankaya ist Türke, aber er spricht kein Wort türkisch. Er wurde in Deutschland geboren. Als er drei Jahre alt war, starb sein Vater, und zwei Jahre später verlor er auch die Mutter. Bei den Pflegeeltern lernte er nur Deutsch. Polizist sollte er werden. Weil daraus nichts wurde, richtete er eine Privatdetektei ein. Das stellte er sich so ähnlich vor wie die Aufgabe eines Hausarztes: Man kann zwar nicht viel ändern, aber für den einen oder anderen könnte es wichtig sein, dass man da ist.
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Kritik

Mit einer Detektivstory leuchtet Doris Dörrie das Unterweltmilieu einer Großstadt aus und veranschaulicht, welcher Zerreißprobe Ausländer durch die Konfrontation mit einer fremden Lebensweise ausgesetzt sind: "Happy Birthday, Türke!"

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Der Film beginnt mit der Großaufnahme einer ausgetretenen Zigarette im Treppenhaus einer Frankfurter Mietskaserne. Frühmorgens zieht der Hausmeister (Oliver Nägele) mit Kreide einen Kreis um das Corpus Delicti und eine Linie zur Wohnungstür von Kemal Kayankaya (Hansa Czypionka).

Kemal Kayankaya ist Türke, aber er spricht kein Wort türkisch. Er wurde in Deutschland geboren. Als er drei Jahre alt war, starb sein Vater, und zwei Jahre später verlor er auch die Mutter. Bei den Pflegeeltern lernte er nur Deutsch. Polizist sollte er werden. Weil daraus nichts wurde, richtete er eine Privatdetektei ein. Das stellte er sich so ähnlich vor wie die Aufgabe eines Hausarztes: Man kann zwar nicht viel ändern, aber für den einen oder anderen könnte es wichtig sein, dass man da ist.

Endlich schlug ich die Augen auf […] Den Spiegel mied ich. Ich ging in die Küche, setzte Wasser auf und suchte Filtertüten. Das lief noch eine Weile so, bis heißer Kaffee vor mir dampfte. Es war der elfte August neunzehnhundertdreiundachtzig, mein Geburtstag.
Die Sonne stand schon weit oben und blinzelte mir zu. Ich trank Kaffee, spuckte Satz auf die Küchenkacheln und versuchte, mich an den letzten Abend zu erinnern. Ich hatte mir eine Flasche Chivas geleistet, um den folgenden Tag in angemessener Weise einzuleiten. Das war sicher, denn die leere Flasche stand vor mir auf dem Tisch […] (Jakob Arjouni: Happy Birthday, Türke!)

An seinem Geburtstag kommt eine Türkin in sein Büro. Illter (Özay Fecht) spricht türkisch, wechselt jedoch ins Deutsche, als sie merkt, dass Kayankaya keine andere Sprache versteht. Ihr Ehemann Ahmed ist seit vier Wochen verschwunden. Am gleichen Tag, als Illter ihren Mann zum letzten Mal sah, kam ihr Vater Vasif bei einem Autounfall ums Leben: Aus irgendeinem Grund war er nach Kronberg gefahren und hatte unterwegs einen Hochspannungsmasten gerammt. Der Detektiv soll Ahmed suchen und ermitteln, wie es zu dem tödlichen Unfall Vasifs kam. Obwohl ihr Mann arbeitslos gemeldet ist und auch vorher nur als Arbeiter in einer Müllverbrennungsanlage gearbeitet hatte, macht sich Illter keine Kopfzerbrechen über das Honorar und zieht auch gleich einen Tausendmarkschein als Anzahlung aus der Tasche.

Der Beamte in der zuständigen Polizeiwache (Joachim Król) verweist Kayankaya an seine Frankfurter Kollegen. Dort gibt sich der Detektiv als Beauftragter der türkischen Botschaft aus, aber Paul Futt (Lambert Hamel), der Leiter der Mordkommission, dem er auf dem Korridor begegnet, kennt ihn von früher und begleitet ihn zum Ausgang.

Illter wohnt mit Mutter, Bruder, Schwester und drei Kindern zusammen. Die Mutter (Emine Sevgi Özdamar) und der Bruder Yilmaz (Ömer Simsek) behaupten, Ahmed treibe sich nur herum. Mit der Schwester, die sich in einem anderen Zimmer aufhält, darf Kayankaya nicht sprechen. Angeblich leidet sie unter Depressionen. Er fragt Illter nach einem Bild ihres Mannes. Sie gibt ihm ein Hochzeitsfoto. Ob sie kein Bild von ihm allein habe? Da reißt sie das Foto in der Mitte durch und gibt ihm die linke Hälfte.

Als der Detektiv im Frankfurter Bahnhofsviertel herumfragt, ob jemand den Mann auf dem Foto kennt, wird er darauf aufmerksam gemacht, dass Ahmed (Emin Boztepe) gerade vorbeiläuft. Weil drei ausländerfeindliche Jugendliche Kayankaya ein Bein stellen und er stürzt, verliert er den Gesuchten allerdings bald schon wieder aus den Augen.

In einer Stripbar lernt er die Prostituierte Margrit alias Susi (Nina Petri) kennen und erfährt von ihr, dass Ahmeds Freundin Hanna Hecht (Meret Becker) auf dem Babystrich anschafft.

Wenig später sieht Kayankaya den Gesuchten mit einem Messer im Rücken tot auf der Straße liegen. Auch Kommissar Futt und dessen Assistent Harry Eiler (Ulrich Wesselmann) sind zur Stelle.

In einer Kneipe findet Kayankaya Hanna Hecht. Er gibt sich als Freund Ahmeds aus, und sie nimmt ihn mit in ihre Wohnung. Doch als er ihr die Wahrheit sagt, holt sie ihren Freund zu Hilfe, der den Besucher mit vorgehaltener Pistole hinauswirft. Dem ist allerdings nicht entgangen, dass Hannas Arme zerstochen sind.

Illters Mutter kritisiert Kayankaya: „Sie sind nicht sehr klug. Sie sehen nur mit den Augen.“ Später wird Futts Frau zu ihm sagen: „Man darf seinen Augen nicht trauen.“

Von Illter erfährt er schließlich, dass sie heiraten musste, weil Yilmaz – der als Koch in der Kantine des Hessischen Rundfunks arbeitet – die Spielschulden ihres Vaters nicht mehr bezahlen konnte. Ihr Vater sei durch die Konfrontation mit dem westlichen Lebensstil aus der Bahn geworfen worden, berichtet sie. Ihr Mann habe dann angefangen, mit Drogen zu handeln, um das erforderliche Geld aufzutreiben. Auch ihre Schwester ist süchtig.

Die einzige Zeugin des Unfalls, bei dem Vasif ums Leben kam, eine Bauerntochter, wurde neben einem Haus, dessen Dach gerade neu gedeckt wurde, tot aufgefunden. Man nahm an, dass ihr ein Ziegel auf dem Kopf gefallen war. Es könne sich jedoch auch um einen heftigen Schlag mit einem Knüppel gehandelt haben, räumt der Arzt ein, als Kayankaya nachfragt.

Jemand versucht, ihn mit dem Auto zu überfahren. Im letzten Augenblick springt er zur Seite.

Daraufhin lässt er sich von Margrit eine Pistole geben, dringt in die Wohnung Hannas ein und schlägt deren Freund nieder. Hanna klärt ihn darüber auf, dass Ahmed beabsichtigte, seine Schwägerin in einem Sanatorium unterzubringen und mit der Familie seiner Frau aus Frankfurt wegzuziehen. Nicht er, sondern sein Vater war ihr Geliebter.

Kayankaya wendet sich an Futts Vorgänger, den Pensionär Löff (Stefan Wigger). Mit dessen Hilfe findet er heraus, dass Harry Eiler das Protokoll über Vasifs Unfall verfasste und Paul Futt das Papier abzeichnete. Die beiden waren auch zur Stelle, als Ahmed erstochen aufgefunden wurde! Zufällig trifft Kayankaya den Chef der Mordkommission und Hosch (Christian Schneller), den Leiter des Rauschgiftdezernats, in einer italienischen Kneipe. „Ohne Ausländer wäre es langweilig“, stichelt Futt. Kayankaya entgegnet: „Ohne Ausländer würden Sie als erstes an Ihrer eigenen Scheiße ersticken.“

In das Büro des Privatdetektivs wurde eingebrochen. Alles ist durchwühlt. Als Kayankaya zu Hause in der Badewanne liegt und mit Hilfe eines Kasettenrekorders Türkisch lernt, überfallen ihn zwei vermummte Männer und prügeln mit Schlagstöcken auf ihn ein.

Ausgerechnet der Hausmeister, der ständig nörgelt, der Türke müsse sich endlich an die deutsche Sauberkeit gewöhnen, bringt den Verletzten ins Krankenhaus. Nachdem man Kayankaya dort verbunden hat, fährt er mit Löff zur Materialausgabe des Polizeipräsidiums. Wurde die Unfallzeugin nicht möglicherweise durch einen heftigen Schlag auf den Kopf umgebracht? Eiler hat sich mit Futts Genehmigung zur fraglichen Zeit einen neuen Schlagstock aushändigen lassen!

Kayankaya läutet an Futts Wohnungstür. Dessen Ehefrau (Doris Kunstmann) erwartet gerade ihren Liebhaber Horst. Sie hält den Detektiv nicht davon ab, in der Wohnung herumzusuchen. Er findet einen Erpresserbrief mit Buchstaben, die aus einer Zeitschrift ausgeschnitten wurden. Da rast er zu Hanna. Dort trifft er auf Eiler und Hosch, die Hanna und ihren Freund zusammengeschlagen haben. Hanna ist noch in der Lage, gemeinsam mit Kayankaya die beiden Beamten zu überwältigen und zu fesseln. Jetzt sollen sie reden. Hanna hilft nach, indem sie abwechselnd Eilers Ohren und Finger in den glühenden Toaster zwängt. Schließlich gesteht er, dass Futt, Hosch und er mit Rauschgift gehandelt haben.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

In Futts Wohnung findet der Showdown statt. Frau Futt, ihr Geliebter, Löff, Kayankaya und Staatsanwalt Münster (Michael Hannemann) warten auf den Leiter der Mordkommission. Futt gibt nichts zu und wehrt die verzweifelten Liebkosungen seiner Frau ab, demütigt sie vor den anderen – bis sie in ihrem Jähzorn das Fernsehgerät eintritt, in dem er Goldbarren versteckt hatte.

Als Kayankaya noch einmal Illter und ihre Familie besucht, trifft er Yilmaz im Treppenhaus. Er weiß, dass dieser seinen Schwager erstochen hat, weil er Ahmed für den Zerfall der Familie verantwortlich machte, aber Kayankaya verspricht, Yilmaz nicht zu verraten.

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Doris Dörrie verfilmte „Happy Birthday, Türke!“, einen Band aus der Romanreihe, die der Jakob Arjouni über den Privatdetektiv Kemal Kayankaya geschrieben hat (Diogenes Verlag, Zürich 1985).

Die Detektivstory dient vor allem dazu, das Unterweltmilieu einer Großstadt wie Frankfurt am Main auszuleuchten und zu veranschaulichen, welcher Zerreißprobe Ausländer durch die Konfrontation mit einer fremden Lebensweise ausgesetzt sind. Atmosphäre und Charaktere sind Doris Dörrie wichtiger als die Handlung. „Happy Birthday, Türke!“ ist nicht ihr bester Film, aber sehenswert ist er allemal.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002

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