Bertolt Brecht : Dreigroschenroman

Dreigroschenroman
Dreigroschenroman Originalausgabe: Allert de Lange, Amsterdam 1934 © Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M Lizenzausgabe in der von Walter Jensund Marcel Reich-Ranicki herausgegebenen"Bibliothek des 20. Jahrhunderts", o. J., 474 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

London 1902. Während Peachum es durch die Mitleid erregende Ausrüstung der Bettler zu großem Reichtum brachte, beherrscht Macheath die Einbrecher und schaltete durch eine eigene Ladenkette die Zunft der Hehler aus. Als Peachum von dem gerissenen Makler Coax übervorteilt wird, will er ihm seine Tochter Polly zur Frau geben, um den drohenden Bankrott abzuwenden, aber die hat sich inzwischen heimlich mit Macheath vermählt ...
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Kritik

Die Figuren im "Dreigroschenroman" wirken zynisch gebrochen, und die Zusammenhänge von Kriminalität und Kapitalismus sind satirisch übersteigert. Stilistisch knüpft Bertolt Brecht in seinem einzigen Roman an das Genre des Thrillers an, aber es geht nicht um Unterhaltung, sondern um gesellschaftliche Missstände.
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Jonathan Jeremiah Peachum hat es durch eine clevere Geschäftsidee zu einem Vermögen und mehreren Häusern gebracht: Er kontrolliert die Bettler in London, weist ihnen die Plätze zu und stattet sie so aus, dass sie Mitleid erregen.

Um der zunehmenden Verhärtung der Menschen zu begegnen, hatte der Geschäftsmann J. J. Peachum einen Laden eröffnet, in dem die Elendsten der Elenden sich jenes Aussehen erwerben konnten, das zu den immer verstockteren Herzen sprach. (Seite 23)

Jene Leute, die nur einen Arm hatten, besaßen nicht immer auch die Gabe, unglücklich zu wirken. Andererseits fehlte den Begabteren oft der Stumpf. Hier musste man eingreifen. (Seite 24)

Seiner dem Alkohol verfallenen Frau Emma verschweigt Peachum nicht, dass er sich nicht für sie, sondern nur für die gemeinsame Tochter Polly so abrackert. 1902 lässt er sich auf ein neues Geschäft ein und wird auf Anregung des zwielichtigen Maklers William Coax Gründungsmitglied der „Gesellschft zur Verwertung von Transportschiffen“. Zweck des Unternehmens ist es, der Regierung Ihrer Majestät, die Transportmöglichkeiten zur Verlegung zusätzlicher Truppen nach Kapstadt sucht, Schiffe anzubieten. Coax erklärt seinen Geschäftspartnern:

Der Geschäftsmann besorgt das Schiff, der Soldat besteigt es. Der Geschäftsmann ist findig, der Soldat ist tapfer. (Seite 43)

Gleich nach der Gründung der Gesellschaft steigt Coax als Teilhaber aus und versichert, er wolle sich mit einer Vermittlungsprovision begnügen. Allerdings verlangt er statt 10 Prozent das Zweieinhalbfache, und die Herren müssen seiner Forderung nachgeben, denn Coax kennt William Hale, der im Marineministerium für den Ankauf der Schiffe zuständig ist. Der Makler weist die Teilhaber der Gesellschft zur Verwertung von Transportschiffen darauf hin, dass die drei Schiffe „Schöne Anna“, „Junger Schiffersmann“ und „Optimist“ günstig zu erwerben sind, verschweigt aber, dass er sie bereits besichtigte und weiß, dass es sich um morsche Wracks handelt. Bei der Inspizierung der Schiffe durch die Gesellschaft zur Verwertung von Transportschiffen lässt er sich durch Krankheit entschuldigen. Einer der Teilhaber ist entsetzt über den Zustand der Schiffe und klagt beim Weggehen:

Es ist ungeheuerlich, wie die Konkurrenz hinter einem her ist. Es gibt kein Geschäft, das so gemein wäre, dass nicht sofort ein Anderer es macht, wenn man darauf verzichtet. Man muss ungeheuer schlucken können. Wenn man sich auch nur eine Sekunde auf menschliche Regungen einlässt, ist man glatt erschossen. Da hilft nur eiserne Disziplin und Selbstkontrolle. Andererseits kann man ja für nichts auch nichts verlangen. Wenn man das bleiben will, was man so im Volksmund anständig nennt, muss man eben Dreck schaufeln oder auf dem Bau arbeiten. Ja, man hat, sobald man einmal über das Mittelmaß hinaus ist, Sorgen, von denen sich der besitzlose Alltagsmensch nichts träumen lässt! (Seite 50)

Kurz darauf zeigt Coax sich überrascht über den schlechten Zustand der Schiffe und distanziert sich zum Schein von dem Geschäft. Er erinnert die Teilhaber der Gesellschaft daran, dass sie die Schiffe ohne ihn prüften und beschuldigt sie, die Regierung betrügen zu wollen. Damit setzt er die Herren gehörig unter Druck. Zu dem Preis für die Seelenverkäufer kommen teure Instandsetzungsarbeiten hinzu, damit der marode Zustand der Schiffe wenigstens nicht auf den ersten Blick auffällt. Bevor jemand von der Regierung den Betrug entdeckt, müssen drei besser erhaltene Schiffe gekauft und gegen die bereits im Hafen liegenden ausgetauscht werden. Dazu kommen Schmiergelder. Kurz: Das Geschäft droht die Beteiligten bis auf Coax zu ruinieren.

Polly Peachum lernt nach ihrem achtzehnten Geburtstag zwei Herren kennen: den reichen Holzhändler Jimmy Beckett und Smiles, einen Schreiber in einem Anwaltsbüro. Der zweite gefällt ihr besser, aber der Geschäftsmann wäre die bessere Partie.

Jimmy Beckett gesteht schließlich Pollys Mutter, er heiße in Wirklichkeit Macheath und sei der Besitzer der über ganz London verteilten B.-Läden. Er versichert Emma Peachum, ernste Absichten zu haben und bittet sie um Unterstützung bei seinem Vorhaben, Polly zu heiraten.

Emma ahnt nichts von der Vergangenheit des Geschäftsmanns. Vor einigen Jahren machte ein Raubmörder die Straßen unsicher, der eigentlich Stanford Sills hieß, den die Zeitungen jedoch „das Messer“ nannten. Obwohl 1895 ein Mann hingerichtet wurde, von dem die Polizei behauptete, es habe sich um Stanford Sills gehandelt, organisierte ein Mann, der sich „das Messer“ nannte, danach noch eine Einbrecherbande in London. Ende 1896 verschwand er. Zur gleichen Zeit eröffnete ein gewisser Jimmy Beckett in Soho eine Holz- und Pflasterstein-Handlung. Nach einigen Monaten verkaufte Beckett seine Lager an einen Mann namens Macheath und verschwand aus England. Der neue Besitzer konnte die Lager samt ihren Beständen gut gebrauchen, denn er baute gerade eine Kette so genannter „B.-Läden“ auf. Durch die Kooperation der ehemaligen „Messer“-Bande, die inzwischen alle Einbrecher in London kontrollierte, mit den B.-Läden konnte die Zunft der Hehler ausgeschaltet werden. Bei seinen Geschäften kam es Macheath von Anfang an zugute, dass er mit Freddy Brown, einem Chefinspektor bei Scotland Yard, befreundet ist. (Als Macheath und dessen Komplize Grooch allerdings bei der internationalen Kriminalausstellung in Liverpool einbrechen und das dort ausgestellte modernste Einbrecherwerkzeug rauben, ist Brown verärgert.)

Polly merkt, dass sie schwanger ist. Zunächst versucht sie, das ungeborene Kind mit Hausmitteln loszuwerden. Dann wendet sie sich an den Hausdiener George Fewkoombey, einen früheren Soldaten, der im Burenkrieg ein Bein verlor, und sucht mit ihm einen Arzt auf, von dem es heißt, er nehme illegale Abtreibungen vor. Der meint heuchlerisch:

Alles Leben ist heilig, ganz abgesehen davon, dass es polizeiliche Vorschriften gibt. (Seite 82)

Ohne Geld brauche Polly gar nicht wiederzukommen, sagt er zum Abschied. Daraufhin bringt Fewkoombey das Mädchen zu einer Engelmacherin, aber die ist Polly zu schmutzig. Statt abzutreiben, heiratet sie lieber Macheath. Weil ihr Vater bestimmt etwas dagegen hätte, verraten ihm weder Polly noch Emma etwas davon, und die Trauung findet ohne ihn statt. Als Ziel der Hochzeitsreise wählt Macheath Liverpool, weil er dort ohnehin etwas Geschäftliches zu erledigen hat.

Peachum hätte die Eheschließung tatsächlich nicht zugelassen, denn er betrachtet Polly als Kapital, und seit ihm auffiel, wie gierig Coax das Mädchen bei der ersten Begegnung begaffte, hofft er, den aufgrund seiner Beteiligung an der Gesellschft zur Verwertung von Transportschiffen drohenden Bankrott durch eine Vermählung seiner Tochter mit Coax abwenden zu können. Bestärkt wird er in seiner Zuversicht, als er mit Coax nach Southampton fährt, um Ersatzschiffe zu besichtigen. Im Hotel kommt es zu einem Eklat: Aus dem Zimmer des Maklers ist Geschrei zu hören. Jemand öffnet die Tür, um nachzusehen. Mitten im Raum steht eine bis auf die Strümpfe nackte Prostituierte, die sich über Coax beschwert:

Sie wies auf eine langjährige Praxis mit reichen Erfahrungen hin und betonte ihre absolute Vorurteilslosigkeit; als Zeugen dafür nannte sie allerhand Hafenarbeiter, auch Matrosen, weitgereiste und anspruchsvolle Herren. Aber nicht einmal eine gewisse bejahrte Gerichtsperson, die als Sau stadtbekannt war, habe es gewagt, für 10 Schillinge derartige Ansprüche zu stellen. (Seite 112f)

Der Geschlechtstrieb macht Coax auch sonst schwer zu schaffen:

Leider besaß er nicht immer die Kraft, seinen Prinzipien entsprechend zu leben. Zwischen seinen Ansichten über die Pflichten eines Gentleman dem weiblichen Geschlecht gegenüber und denen seiner Schwester bestand nicht der geringste Unterschied; genau wie seine Schwester, im Grund mit den gleichen Worten, verurteilte er selbst seine, leider ständigen, Verfehlungen auf diesem Gebiete. (Seite 69)

Nach dem Vorfall in Southampton rät Peachum seinem Geschäftspartner, zu heiraten, lenkt das Gespräch auf Polly und glaubt sich schon fast am Ziel. Als er nach Hause kommt und erfährt, dass Polly inzwischen Frau Macheath ist, wirkt das wie ein Keulenschlag:

Ich komme ins Zuchthaus, meine Tochter bringt mich ins Zuchthaus! […] Meine Tochter trank Milch literweise, Vollmilch! Sie sah nur Fürsorge und Freundlichkeit. Sie lernte Klavierspielen! Jetzt, ein einziges Mal, verlange ich etwas von ihr, sie soll einen tüchtigen Geschäftsmann heiraten, einen Mann mit Prinzipien, der sie auf Händen tragen wird! Er wird mich ins Zuchthaus bringen, weil ich ihretwegen ein Geschäft gemacht habe, von dem ich nichts verstehe, einzig um ihr eine Mitgift zu verschaffen! (Seite 121)

Peachum versucht, Coax mit Lügen hinzuhalten und denkt darüber nach, wie er Polly und Macheath zur Scheidung zwingen kann, damit das Mädchen für die Ehe mit Coax zur Verfügung steht. Nach einiger Zeit ist Polly bereit, ein Opfer für die Geschäfte ihres Vaters zu bringen und sucht Coax auf. Der Makler vergewissert sich, dass seine Schwester, mit der zusammen er wohnt, nicht daheim ist und fällt über das Mädchen her. Anfangs wehrt Polly sich ein wenig, dann fügt sie sich, „da er so außer sich [ist] und des Vergnügens wegen“. (Seite 141)

Macheath gewinnt Bloomsbury, einen dummen jungen Lord, der Jenny Month, „Frau Lexers bester Kraft“ (Seite 181), hörig ist, als Strohmann für sein neues Vorhaben: Lord Bloomsbury mietet Büroräume, in denen er dann sogleich zusammen mit Macheath und ein paar anderen Leuten die „Zentrale Einkaufsgesellschaft“ gründet. Zum Präsidenten wählen die Gründungsmitglieder Macheath, aber der legt Wert darauf, seine Beteiligung an der Zentralen Einkaufsgesellschaft geheim zu halten und lässt sich deshalb in den Protokollen als „Mr X“ führen.

Die Zentrale Einkaufsgesellschaft beliefert schließlich nicht nur die B.-Läden, sondern auch die Ladenkette des mit Macheath konkurrierenden Geschäftsmannes Aaron, der nicht ahnt, wer der Präsident der neuen Firma ist. Als Aaron eine Verkaufskampagne durchführt, sind die Läger der Zentralen Einkaufsgesellschaft plötzlich leer, und damit Aaron keinen Verdacht schöpft, drosselt die Zentrale Einkaufsgesellschaft auch die Belieferung der B.-Läden. Noch vor dem angeblichen Lieferengpass nahm Chreston, ein weiterer Konkurrent, einen Kredit auf, um mit einer Werbewoche und besonders niedrigen Einheitspreisen gegenzuhalten. Es fällt auf, dass unter den Kunden, die in Chrestons Läden drängen, mehr Männer als Frauen sind; sie achten kaum auf die Qualität der Ware, legen aber Wert auf Kassenquittungen. Bereits am ersten Abend ist Chreston ausverkauft. Kurz darauf setzt Macheath sich mit Chreston in Verbindung: Der kann die Behauptung nicht widerlegen, dass es sich bei der verkauften Ware um Diebesgut gehandelt habe. Mit der Drohung, zur Polizei zu gehen, zwingt Macheath seinen Konkurrenten, sich ab sofort ebenfalls von der Zentralen Einkaufsgesellschaft beliefern zu lassen. Mit diesen Schachzügen hat Macheath seine beiden gefährlichsten Konkurrenten in die Knie gezwungen. Die in Chrestons Läden rechtmäßig und gegen Kassenbelege erworbene Ware wird inzwischen in den B.-Läden angeboten.

Polly, die trotz ihrer Eheschließung weiterhin bei ihren Eltern wohnte, kommt eines Tages zu ihrem Mann und weint ihm etwas über die Zudringlichkeit des Maklers Coax vor, dem sie schutzlos ausgeliefert sei. Macheath nimmt seine Frau bei sich auf und hofft, dass seine Geliebte Fanny Crysler ihm das nicht verübelt.

Für Macheath scheint alles vorteilhaft zu laufen – bis die Leiche von Mary Swayer aus dem Hafenbecken gefischt wird.

Die vollbusige Blondine, eine frühere Geliebte von Macheath, war eifersüchtig, als dieser Polly zur Frau nahm. In ihrer Wut drohte sie Macheath, mit ihrem Wissen über seine Machenschaften zur Presse zu gehen. Bei der Toten wird nicht nur ein Zettel gefunden, auf dem Macheath ihr ein Treffen vorschlug, sondern auch Zeitungsausschnitte über den Raubmörder „Das Messer“ zusammen mit einem Brief von Mary an Macheath, in dem sie verlangte, anständiger behandelt zu werden. Mary war zwar auch in Geldschwierigkeiten, aber aufgrund der Indizien glaubt die Polizei nicht an einen Selbstmord, sondern hält Macheath für den Mörder. Brown kann nicht verhindern, dass sein Freund unter Mordverdacht verhaftet wird.

Macheath hätte zwar für die Tatzeit ein Alibi – eine Vorstandssitzung der Zentralen Einkaufsgesellschaft –, aber er will seine Rolle in der Firma noch eine Weile geheim halten und schweigt deshalb. Stattdessen verlässt er sich auf Zeugen, die bei der Polizei aussagten, Mary Swayer unmittelbar vor deren Tod allein im Hafen gesehen zu haben. Doch bei der Gerichtsverhandlung tauchen die Zeugen nicht auf; sie sind plötzlich verschwunden. Macheath, der daraufhin von der Jury für schuldig befunden wird, ahnt, dass Peachum die Zeugen fortschaffen ließ, zumal der „Bettlerkönig“ ihm durch einen Boten Entlastungsmaterial als Gegenleistung für die gewünschte Ehescheidung angeboten hatte und er nicht darauf eingegangen war. Sein Schwiegervater will ihn offenbar weiterhin unter Druck setzen, um ihn loszuwerden.

Peachum hat sich inzwischen von den anderen Teilhabern bevollmächtigen lassen, allein für die Gesellschaft zur Verwertung von Transportschiffen zu handeln. Eines Tages erzählt Coax ihm, Hale habe einen Erpresserbrief erhalten. Der Absender wisse offenbar, dass Hales Ehefrau Evelyn vor zwei Jahren bei einer Polizeirazzia in einem Stundenhotel mit einem Freund ihres Mannes im Bett erwischt wurde und Hale keine Konsequenzen zog. Peachum, der sich im Klaren darüber ist, dass das windige Geschäft mit den Schiffen im Falle eines Skandals um Hale sofort platzen würde, erkundigt sich zerknirscht, welchen zusätzlichen Geldbetrag Hale von der Gesellschaft erwarte.

Aufgrund der nicht enden wollenden Nachforderungen erschießt sich Albert Crowl, einer der Teilhaber der Gesellschaft zur Verwertung von Transportschiffen, im Büro des Maklers.

Obwohl Coax längst erfuhr, dass Polly mit Macheath verheiratet ist und kein Interesse an einer Eheschließung mit der Tochter eines Bankrotteurs hat, verkehrt er weiterhin mit der Familie Peachum. Erst als Coax den richtigen Zeitpunkt für gekommen hält, spielt er gegenüber Peachum den Entrüsteten:

Monatelang bringen Sie mich mit ihr zusammen. Auf diese Weise sichern Sie sich eine Sonderstellung in unserem Geschäft, halten mich ab, gegen Sie vorzugehen wie gegen die anderen Betrüger, zu denen Sie gehören. Heute früh erfahre ich, Ihre Tochter sei längst verheiratet, liege in Scheidung, und ihr Mann sei ein Verbrecher, der, wie man mir sagt, im Gefängnis sitzt. Sind Sie wahnsinnig, Herr? (Seite 351)

Entweder überlasse Peachum ihm das gesamte Kapital der Gesellschaft zur Verwertung von Transportschiffen, erklärt Coax, oder er bringe ihn wegen Betruges hinter Gitter. Verzweifelt geht Peachum zu seiner Bank, aber er kommt nicht an sein Geld und erfährt zu seinem Entsetzen, dass es sich bei dem neuen Bankdirektor um seinen ungeliebten Schwiegersohn handelt.

Obwohl Macheath im Gefängnis sitzt und auf den Urteilsspruch des Richters wartet, erreichte er durch geschickte Schachzüge, dass man ihn zum Direktor der National Deposit Bank ernannte. Das Geldinstitut war bis dahin von einem Prokuristen mit Namen Miller geleitet worden, der sich von dem Rechtsanwalt Hawthorne hatte beraten lassen, der wiederum der Vormund des siebenjährigen Mädchens ist, dem die Bank gehört.

Nun sieht Peachum keine Möglichkeit mehr, den Bankrott abzuwenden. Er klärt seinen Hausdiener George Fewkoombey über die finanzielle Misere auf und meint, er müsse ihn und weitere Angestellte entlassen – es sei denn, Coax stoße etwas zu. Fewkoombey weiß, was Peachum von ihm will: Er steckt ein Messer ein, sucht Coax und beschattet ihn. Nach kurzer Zeit stellt er fest, dass Coax von zwei weiteren Männern verfolgt wird. Einer von ihnen schlägt Coax in einer Seitengasse mit einem Sandsack nieder und läuft davon. Coax lebt aber noch und beginnt zu kriechen. Fewkoombey geht zu ihm, und weil er das Messer inzwischen verloren hat, schnallt er sein Holzbein ab, um Coax damit totzuschlagen.

Endlich wäre Macheath bereit, sich scheiden zu lassen, aber nach Coax‘ Ermordung gibt es für Peachum keinen Grund mehr, warum seine Tochter nicht mit dem reichen Geschäftsmann Macheath verheiratet bleiben sollte, zumal sie ihm inzwischen gestand, dass sie ein Kind erwartet. (Es wurde zwar nicht von Macheath, sondern von Smile gezeugt, aber das weiß außer Polly niemand.) Wenn Peachum es recht bedenkt, ist das Talent seines Schwiegersohns durchaus beachtlich.

Er hatte ihn unterschätzt, ihn für einen Verbrecher gehalten. Er war aber ein schwer arbeitender und unbedingt weit blickender Geschäftsmann. (Seite 372)

Es heißt, Coax sei von streikenden Dockarbeitern erschlagen worden.

Im Zusammenspiel mit Hale sorgt Peachum dafür, dass die drei morschen Schiffe von einer Regierungskommission abgenommen werden und auslaufen. Elf Stunden später sinkt die „Optimist“ mit Mann und Maus im Kanal. Ein Skandal! Peachum bereitet eine Demonstration vor und lässt Schilder malen, auf denen beispielsweise steht: „Wenn ihr uns schon in die Hölle schickt, dann sorgt wenigstens, dass wir dort ankommen!“ (Seite 412) Weil die Regierung eine Ausweitung der Affäre verhindern will, verhaftet die Polizei einen Kommunisten, der beschuldigt wird, die „Optimist“ vor dem Auslaufen angebohrt zu haben. Daraufhin sagt Peachum die Demonstration ab.

Peachum ist froh darüber, dass die Gesellschaft zur Verwertung von Transportschiffen ohne Verluste davonkommt:

Die Transportschiffeverwertungsgesellschaft, der ich vorstehe, erleidet glücklicherweise durch die so furchtbare Schiffskatastrophe keinen finanziellen Verlust. So kommen wenigstens zu den Opfern an Menschenleben nicht auch noch finanzielle Opfer. (Seite 437)

Nachdem Macheath seine Konkurrenten ausgeschaltet hat, kontrolliert er nicht nur die aus den drei Handelsunternehmen gebildete „ABC“-Ladenkette, sondern fungiert auch noch als Bankdirektor. Nun braucht er keine Nachteile mehr zu befürchten, wenn bekannt wird, dass er obendrein Präsident der Zentralen Einkaufsgesellschaft ist. Er legt also Richter Laughers das Protokoll vor, das beweist, dass er zur Tatzeit an einer Vorstandssitzung der Zentralen Einkaufsgesellschaft teilnahm. Der Richter ruft die anderen Vorstandsmitglieder als Zeugen auf und lässt sie das Alibi des Angeklagten bestätigen. Als er nach O’Hara fragt, teilt Macheath ihm mit, der frühere Einkaufsleiter befinde sich im Gefängnis. Er selbst habe ihn angezeigt, denn möglicherweise seien Waren dunkler Herkunft von O’Hara in den Verkehr gebracht worden.

Nach dem Freispruch treffen sich das Ehepaar Macheath, Peachum, die Herren von der National Deposit Bank und vom ABC-Laden-Syndikat in einem Restaurant, um ihre geschäftliche und im Fall Peachum und Macheath auch private Verbindung zu feiern.

George Fewkoombey, den man mehrmals zusammen mit Mary Swayer gesehen hatte, wird unter Mordverdacht festgenommen. Ein Rechtsanwalt plädiert:

Gerade der Gedanke, der es uns verbietet, zu glauben, dass der wohlsituierte Bankier Macheath die Kleingewerbetreibende Swayer ums Leben gebracht haben könnte, legt es uns nahe, dass es der mittellose verrohte ehemalige Soldat Fewkoombey gewesen sein muss. (Seite 376)

Fewkoombey wird zum Tod verurteilt und gehängt.

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Nach dem sensationellen Erfolg der am 31. August 1928 im Berliner Theater am Schiffbauerdamm uraufgeführten „Dreigroschenoper“ schrieb Bertolt Brecht zunächst ein Drehbuch für eine Verfilmung („Die Beule“), aber die Filmgesellschaft lehnte das Drehbuch ab und ließ Georg Wilhelm Pabst gegen Brechts Willen das Bühnenstück verfilmen („Die 3groschenoper“, 1931). Bertolt Brecht wiederum griff die Grundideen im „Dreigroschenroman“ erneut auf. Er schrieb das Manuskript 1933/34 im dänischen Exil. Veröffentlicht wurde der „Dreigroschenroman“ 1934 vom Verlag Allert de Lange in Amsterdam.

In seinem „Dreigroschenroman“ demonstriert Bertolt Brecht, dass einige Herren am Krieg verdienen und die Konkurrenz der Geschäftemacher einer Kriegsführung gleicht. Der Aufstieg von zwei kleinen Gaunern zu erfolgreichen Unternehmern symbolisiert Brechts Überzeugung, dass die Tätigkeit von Kapitalisten verbrecherisch ist.

Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? (Seite 293)

Einfache Leute tauchen im „Dreigroschenroman“ nur als unkritische Masse auf, die sich zu Streiks aufrufen lässt und nicht merkt, dass sie damit nur den privaten Interessen von Kapitalisten dienen, die sich weiter bereichern wollen.

Da klingt es schon sehr ironisch, wenn Macheath sagt:

Der Mensch hat doch Vernunft. Er folgt nicht seinen blinden Trieben, sondern Vernunftgründen. (Seite 405)

Beim Vergleich mit der „Dreigroschenoper“ fällt auf, dass Bertolt Brecht im „Dreigroschenroman“ die Welt der Bettler und Ganoven zurückgestellt hat. Im Vordergrund agieren Macheath, Peachum und Coax: Männer, die ihre kriminelle Energie einsetzen, um sich in der Geschäftswelt Vorteile zu verschaffen und andere finanziell zu vernichten.

Die Figuren, die sich durch ihre Reden selbst entlarven, wirken zynisch gebrochen, und die Zusammenhänge von Kriminalität, Korruption und Kapitalismus sind vereinfacht und satirisch übersteigert. Durch den Verzicht auf einen Protagonisten und dessen psychologische Entwicklung entspricht der „Dreigroschenroman“ den Grundideen des epischen Theaters, denn es fällt den Leserinnen und Lesern schwer, sich mit einer bestimmten Figur zu identifizieren, und sie werden auch nicht emotional in ein Geschehen hineingezogen. Stilistisch knüpft Bertolt Brecht in seinem einzigen Roman an das Genre des Thrillers an, aber es geht ihm selbstverständlich nicht darum, die Leserinnen und Leser spannend zu unterhalten. Stattdessen will er sie zum Nachdenken bringen.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006
Textauszüge: © Suhrkamp Verlag

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