Ketil Bjørnstad : Villa Europa

Villa Europa
Originalausgabe: Villa Europa Aschehoug & Co, Oslo 1992 Villa Europa Übersetzung: Ina Kronenberger Insel Verlag, Frankfurt/M 2004 ISBN: 3-458-17190-8, 536 Seiten Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt/M 2005 ISBN: 978-5-518-45730-6, 536 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Oscar ist gutmütig und verträumt. Anders missbraucht seine Macht als Theater­regisseur, um Frauen zu demütigen und seine Minderwertigkeitskomplexe zu kompen­sieren. Erik und Sigurd scheitern mit ihren hochfliegenden Geschäftsideen. Bis auf Stella sind die Frauen den Männern über­legen. Ovidia, Laura und Bene werden ver­gewaltigt, aber psychisch nicht gebrochen. Sie machen aus der von Nina gebauten Villa Europa ein Heim für Flüchtlinge und andere Bedürftige. Darüber hinaus engagiert sich Ovidia als Frauenrechtlerin ...
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Kritik

Mit überbordender Fabulierlaune präsentiert Ketil Bjørnstad in seinem Roman "Villa Europa" die Geschichte einer norwegischen Familie von 1892 bis 1991. Die Charaktere sind farbig, und die Stofffülle jedes Kapitels hätte für einen eigen­ständigen Roman ausgereicht.
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Erik

Erschütterndes war bereits vorgefallen. Die solidesten Ehen war geschieden worden, Väter, die in der Zeitung standen, wenn sie einen runden Geburtstag zu feiern hatten, machten Pleite, Mütter, die über keine anderen Erfahrungen verfügten, als Kinder und Haushalt sie ermöglichten, hatten angefangen, sich in die ökonomischen, politischen und nicht zuletzt emotionalen Angelegenheiten der Männer einzumischen. Bei den Bauern herrschte eine ganz neue Atmosphäre, und in Christiania stellten mittlerweile selbst die Prostituierten Forderungen.

Mit diesen Worten beginnt Ketil Bjørnstad seinen Roman „Villa Europa“.

Erik Ulven ist Mitte 40 und lebt 1892 mit seiner Ehefrau Nina in Bekkelaget, einem Stadtteil von Christiania (Oslo). Nina ist das einzige Kind des verwitweten Unternehmers Eilif Berg, der auch den Lebensunterhalt des Paars finanziert und es Nina sogar ermöglicht, ein Haus mit 15 Zimmern zu bauen.

Weil Erik die Abhängigkeit nicht länger erträgt, geht er heimlich an Bord eines Dampfschiffes, das ihn nach Antwerpen bringt, und von dort reist er weiter nach Italien, wo er westlich von Carrara einen Marmorbruch gekauft hat. Als er hinkommt, begreift er, dass er betrogen wurde, denn da ist kaum noch etwas, das abgebaut werden könnte.

In Rom nimmt er sich vor, einen Wald in Transsylvanien zu erwerben und die Papierproduktion in ganz Europa zu beliefern. Um die Reise antreten zu können, lässt er sich von Nina beziehungsweise ihrem Vater Geld schicken. Weil ein paar neue Bekannte etwas davon abhaben wollen, setzt Erik sich erst einmal nach Paris ab und vergnügt sich auch dort mit Huren, bis er schließlich nach Rumänien aufbricht, zu Marina Zamfirescu, die kürzlich Witwe wurde, ein Schloss bewohnt und einen Wald besitzt. Nach seiner Ankunft stellt Erik zwar fest, dass der Wald brandgeschädigt ist und der Hof heruntergewirtschaftet, aber er bleibt fünf Jahre lang bei Marina. In Ermangelung anderer Einnahmen verkauft er die Antiquitäten aus dem verfallenen Schloss. Als Erik genug von Marina hat, reist er über Berlin nach Antwerpen und wohnt dort bei der Hure Esther, die zwar an Syphilis erkrankt ist, aber weiß, wie sie ihn dennoch sexuell befriedigen kann.

Am 20. Dezember 1899 schifft Erik sich von Antwerpen nach Christiania ein. Der Kapitän, der Steuermann und ein Matrose ertrinken bei einem Schiffbruch im Sturm. Erik wird gerettet, und als er wieder zu sich kommt, steht eine junge Frau namens Ovidia Gjermundsen neben ihm. Er befindet sich in Lyngør. Von dort kehrt er am 23. Dezember, also gerade noch rechtzeitig vor Weihnachten, nach Bekkelager zurück. Aber Nina starb am Tag des Schiffbruchs an einem Blutsturz. Betroffen stellt Erik fest, dass seine Frau die Zimmer der „Villa Europa“ im Stil der von ihm bereisten Länder eingerichtet hat.

Am Neujahrstag 1900 lässt er Ovidia Gjermundsen aus Lyngør kommen und stellt sie als Dienstmädchen ein. Sein Schwiegervater redet nicht mehr mit ihm, aber Erik lebt weiterhin von Eilif Bergs Geld.

Die Jahre vergehen. 1905 befürchtet Erik, dass er umsonst gelebt haben könnte. Um sich vor seinem Tod wenigstens noch fortzupflanzen, vergewaltigt er Ovidia.

Ovidia

Zu Eriks Beerdigung kommt dessen Bruder Georg Ulven, der den Hof der Familie in Hov i Land bewirtschaftet. Aber nicht ihn, sondern das Dienstmädchen Ovidia Gjermundsen hat Erik als Alleinerbin eingesetzt. Für den Fall, dass sie ein Kind bekommt, ordnete er an, dass es den Familiennamen Ulven tragen dürfe.

Ovidia wurde tatsächlich bei der Vergewaltigung geschwängert. Ihr Freund Hjalmar beschimpft sie als Hure und will nichts mehr mit ihr zu tun haben. Sie gilt als ehrlos. Den Sohn, den sie zur Welt bringt, nennt sie Oscar. Sie hat nicht das Gefühl, die Villa Europa zu besitzen, sondern versteht sich eher als Verwalterin des Anwesens für Oscar.

Bald darauf wird Eilif Bergs Besitz zwangsversteigert, und der bankrotte Unternehmer sucht Zuflucht in der von seiner Tochter Nina gebauten Villa Europa. Ovidia nimmt ihn auf und richtet mit seiner Hilfe auch die restlichen Zimmer im Stil europäischer Länder ein.

Schließlich benötigt auch Georg Ulven eine Unterkunft in der Villa Europa. Er wollte eine Erntemaschine entwickeln, aber bei der Probefahrt wurde er schwer verletzt. Sein Gesicht ist nun schief. Aufgrund der gescheiterten Konstruktion musste er den von den Eltern übernommenen Hof aufgeben. Ovidia stellt ihm ein Zimmer in der Villa Europa zur Verfügung, und wenn er betrunkene Huren mitbringt, lässt sie auch diese in ihrem Haus übernachten.

Als ihre Mutter auf Lyngør im Sterben liegt, reist sie mit Oscar zusammen hin. Zwei Töchter der Familie Gjermundsen starben an Tuberkulose, zwei weitere – Ingeborg und Martha – sind unverheiratet und haben Anstellungen in Arendal. Weil Ovidia die älteste Tochter ist, erwartet der Vater von ihr, dass sie ihm den Haushalt führt. Aber dazu ist sie ebenso wenig bereit wie ihr Vater zu einem Umzug.

Ovidia kehrt nach Bekkelager zurück. Georg ließ inzwischen die Türschlösser der Villa Europa austauschen, und er verweigert Ovidia den Zutritt. Der verwitwete Advokat Fehn, der auch Eriks Testament eröffnete, nimmt Ovidia und ihren Sohn für die Nacht bei sich auf. Als Oscar schläft, schleicht Fehn sich zu Ovidia und erwartet Dankbarkeit von ihr. Nachdem er sie vergewaltigt hat, macht er ihr zwar einen Heiratsantrag, aber sie lehnt ab. Am nächsten Tag geht er mit ihr zur Polizei. Nachdem die Tür aufgebrochen wurde, werden Georg Ulven und die Hure Elvira von Gendarmen aus dem Haus gezerrt.

Fünf Tage später nimmt Ovidia Georg wieder in der Villa Europa auf.

Seine Huren berichten ihr von der Frauenrechtlerin Gina Krog, die auf Versammlungen spricht. Das weckt Ovidias Interesse, und sie beginnt, sich ebenfalls für die Rechte der Frauen zu engagieren.

Hjalmar versöhnt sich mit ihr und zieht nach Sandakerveien, einen anderen Stadtteil von Christiania. Einmal in der Woche schläft Ovidia mit ihm – nach dem sie jeweils für ihn gekocht, geputzt und gewaschen hat.

Oscar

Als der Erste Weltkrieg zu Ende ist, hält auch Ovidia Reden auf Versammlungen von Frauen.

Ingeborg und Martha Gjermundsen verlassen nach dem Tod des Vaters ihren Heimatort Lyngør und ziehen zu ihrer Schwester in die Villa Europa.

Georg Ulven stirbt.

Eilif Berg fährt noch einmal mit Oscar nach Østerdal und zeigt ihm aus einiger Entfernung den prächtigen Gutshof, den er früher besaß. Bald darauf stirbt auch er.

Die Stadt hat bereits wieder ihren ursprünglichen Namen angenommen – Oslo –, als Oscar seinen Wehrdienst ableisten muss. Dabei freundet er sich mit den Zwillingen Sindre und Vegard Gautefall an. Als er von Oberst Rohde, der eigentlich nur Leutnant ist, den Befehl erhält, auf einen Baum zu klettern, weigert Oscar sich. Daraufhin will ihm der Ausbildungsoffizier zeigen, wie es geht. Immer höher klettert er hinauf – bis die dünnen Zweige nachgeben und er sich nicht mehr halten kann. Unglücklicherweise fällt Oberst Rohde in das aufgepflanzte Bajonett des Gewehrs, das Sindre aufrecht in den Schnee gesteckt hat.

Während Vegard Gautefall nach dem Wehrdienst in Trondheim Maschinenbau studiert, nimmt sein Bruder Sindre Musikunterricht bei Max Friedrich in Dresden.

Oscar fängt 1927 in einer Autowerkstatt zu arbeiten an. Nach vier Jahren erklärt ihm der Besitzer Lydersen, aufgrund der Wirtschaftskrise müsse er ihn von der Arbeit suspendieren. Oscar eröffnet daraufhin eine eigene Werkstatt, und es gelingt ihm, Kunden von seinem bisherigen Arbeitgeber abzuziehen.

Als Deutschland in Polen einfällt, zieht Oscar heimlich eine Wand im Keller ein und baut auf diese Weise ein Versteck, von dem nicht einmal Ovidia etwas erfährt. „Andorra“ nennt er den Raum.

Sindre Gautefall sympathisiert zwar mit den Nationalsozialisten, verlässt jedoch 1930 Deutschland, übernimmt das Gut der Familie Gautefall in der Telemark und gründet eine Gesangsakademie. Er heiratet eine Frau namens Gerda und zeugt mit ihr vier Töchter. Während er zu Beginn der Vierzigerjahre nach Oslo zieht, bleibt die Familie in der Telemark zurück. Sindre Gautefall tritt immer häufiger als Sänger im Radio auf und wird dabei von der Pianistin Stella Birner am Flügel begleitet.

Sein Zwillingsbruder Vegard, der inzwischen ebenfalls verheiratet ist und mit seiner Frau Lise eine Tochter und zwei Söhne hat (Ingrid, Halvor und Henrik), macht Karriere bei der norwegischen Luftwaffe. Nachdem er irgendwie von dem Geheimraum im Keller der Villa Europa erfahren hat, bringt er Oscar Anfang 1943 dazu, dort einen Mann zu verstecken, den er nur „Dachs“ nennt. Bald merkt Oscar, dass der „Dachs“ über einen geheimen Sender verfügt und Botschaften an die Alliierten sendet. Die Deutschen durchsuchen zwar die Villa Europa, finden jedoch nichts. Danach verschwindet der „Dachs“. Sindre meint, Oscar müsse sich allmählich zwischen ihm und seinem Zwillingsbruder entscheiden.

Ingeborg und Martha sterben während des Krieges im Abstand von drei Wochen.

Nach dem Krieg wird Sindre als Kollaborateur verhaftet. Auch Stella und die mit ihr befreundete 25-jährige Geigerin Edith Sivertsen aus Tromsø werden aufgegriffen. Edith gelingt die Flucht von einem Lastwagen, und sie sucht Schutz bei Oscar in der Villa Europa, aber er macht ihr klar, dass es vernünftiger sei, sich zu stellen. Sie wird daraufhin ebenso wie Stella und über 900 andere Frauen auf Hovedøya interniert.

Oscar besucht Sindre im Gefängnis. Dessen Gut wurde zwangsversteigert. Seine Affäre mit Stella ist beendet, aber auch von seiner Frau Gerda und den Kindern hört er nichts mehr.

Als Edith an Weihnachten 1945 freikommt, zieht Oscar mit ihr zusammen in das Zimmer „Italien“ der Villa Europa. Einige Wochen später heiraten die beiden standesamtlich. Sie bekommen drei Kinder: Laura, Sigurd und Anders.

Vegard Gautefall setzt seine Karriere im nordeuropäischen Hauptquartier der NATO in Kolsås fort und zieht mit seiner Familie nach Bærum. Seine Frau Lise arbeitet schließlich wieder als Ärztin und eröffnet eine Privatpraxis in Asker.

Edith

Edith hält die Ehe mit dem ebenso gutmütigen wie langweiligen Oscar Ulven bald für einen Fehlgriff. Während er sich Mitte der Fünfzigerjahre wegen einer Magenkrebs-Erkrankung bestrahlen lässt, treibt sie es mit Vegard im Ehebett und beginnt eine Affäre mit dem hohen NATO-Offizier. Nach einiger Zeit ruft Stella an und sagt, sie wisse über Edith und Vegard Bescheid. Edith zieht ihren Geliebten zu Rate, und er verspricht, die Angelegenheit zu regeln. Nachdem er mit Stella gesprochen hat, berichtet er Edith, dass sie einsam und gebrochen, arbeitslos und alkoholkrank sei.

Als Oscar sich ein viertes Kind wünscht, ist Edith bereits schwanger, allerdings nicht von ihm, sondern von Vegard. Sie bringt eine Tochter zur Welt, die den Namen Bim erhält.

Während Vigard weiter aufsteigt, arbeitet sein Bruder Sindre nach der Haftentlassung als Kellner.

1959 erkrankt Sigurd an Kinderlähmung. Die Ärzte können Edith endlich auch das seltsame Verhalten des Jungen erklären, seine Verkrampfungen, heftigen Bewegungen, sein zeitweises Stottern und sein zwangsweises Beschimpfen von Frauen als „Fotzen“ und Männern als „Schwanzlutscher“: Sigurd leidet am Tourette-Syndrom. Dagegen verschreiben die Ärzte Tabletten. Als Edith vom Krankenhaus nach Hause kommt, verlässt gerade ein Krankenwagen das Anwesen. Bim ist tot. Die Kleine kippte im Hof mit dem Kinderwagen um. Edith lässt die anderen in dem Glauben, dass eine Windbö den Kinderwagen umgeworfen habe. Aber sie weiß es besser: Es war Stella in ihrer Eifersucht.

Edith beendet die Affäre mit Vegard.

Ihr neuer Liebhaber wird der Musikstudent Gerhard Wiik aus Nordstrand, dem sie Geigenunterricht erteilt.

Ohne etwas von der Untreue seiner Frau zu ahnen, beginnt Oscar mit dem Bau eines eigenen kleinen Hauses auf dem seiner Mutter gehörenden Grundstück, und er nennt es „Die Wahrheit“.

Nach dem Ungarnaufstand nahm Ovidia drei ungarische Flüchtlinge in der Villa Europa auf. Seither sind Flüchtlinge aus anderen Staaten dazugekommen. Die engagierte Frauenrechtlerin reist nach Indien und 1961 im Alter von 81 Jahren zur Frauenkonferenz nach Kairo.

Laura

Im Alter von 17 Jahren verlässt Laura Ulven das Haus „Die Wahrheit“ und zieht zu ihrer Großmutter in die Villa Europa. Während sich ihre Schulfreundin Berit Jørgensen, die Tochter eines Zahnarztehepaars in Oslo-Holtet, nach dem Abitur von den Eltern zu einer Zahnarztausbildung überreden lässt, fliegt Laura über Kopenhagen nach Athen. Auf der Fähre zur Insel Hydra lernt sie den etwa gleichaltrigen Griechen Elias Vanoulis kennen, der dort Landwirtschaft betreibt und sie einlädt, bei ihm und seiner Lebensgefährtin Agnes zu wohnen. Agnes stammt aus Korinth und hat in Athen Kunstgeschichte studiert. (Dass Elias ein griechischer Nationalist ist und für die CIA spioniert, wird Laura erst später herausfinden.)

Eines Tages verschwindet Agnes plötzlich. Kurz darauf wird Laura von Elias vergewaltigt. Danach reist sie sofort ab. In Bari wird sie von dem verklemmten Kirchendiener Alfonso Paparazzi und seiner verwitweten, als Schneiderin zu Hause arbeitenden Mutter in einer kleinen Altstadt-Wohnung aufgenommen. Laura erzählt den beiden ihre Geschichte. Sie ist schwanger. An eine Abtreibung ist in dieser erzkatholischen Umgebung gar nicht zu denken. Laura bringt eine Tochter zur Welt, der sie den Namen Bene gibt.

Sie lebt bereits fast zwei Jahre lang in Bari, als sie im April 1967 einen Brief ihrer Freundin Berit Jørgensen aus Cannes erhält. Berit hat die spießige Ausbildung ebenso abgebrochen wie ihr Kommilitone Jørn Nitteberg. Jørn ist Sänger, und Berit tritt inzwischen mit ihm zusammen auf. Als Laura ihre Absicht ankündigt, Bari zu verlassen, wird sie von Alfonsos Mutter, die sie mit ihrem Sohn verheiraten wollte, als Hure beschimpft.

Laura fährt mit ihrer kleinen Tochter nach Cannes, wo Berit und Jørn in einer Kommune wohnen. Bald nach ihrer Ankunft fängt der Kommunarde Toto eine Liebesbeziehung mit Laura an. Er stammt aus der Normandie. Sein Vater, ein Fischer, schlug Totos Brüder zu Idioten. Zwei von ihnen leben in einem Heim, der älteste Bruder bettelt als Straßensänger. Toto studierte Philosophie an der Sorbonne, hat aber erst einmal eine Pause an der Riviera eingelegt.

Nachdem im April 1968 in Berlin auf Rudi Dutschke geschossen wurde und sich vor allem in Paris Studentenunruhen anbahnen, reisen Toto und die meisten anderen Mitglieder der Kommune nach Paris, um bei der erwarteten Revolution dabei zu sein.

Laura kehrt wegen ihrer zweijährigen Tochter nach Hause zurück. Dort wusste vor ihrer Ankunft noch niemand, dass sie ein Kind hat.

Während Edith und Oscar auf Bene aufpassen, fährt Ovidia mit ihrer Enkelin nach Lyngør. Dort gefällt es Laura, und sie mietet das Haus, das Ovidia von ihrem Vater geerbt hat, für sich und Bene. Das Geld für den Lebensunterhalt verdient sie im Kindergarten von Arendal und als Aushilfe in einem Restaurant, in dem auch der gleichaltrige Nachbarsohn Simen Fjeld arbeitet.

Berit schreibt nach einem einjährigen Aufenthalt in den USA einen Brief.

Unerwartet taucht Toto im Februar 1970 in Lyngør auf. Laura fragt ihn arglos, wie lang er bleiben wolle und merkt an seiner Antwort, dass er sie als seine Lebensgefährtin betrachtet. Simen Fjeld zieht sich enttäuscht von ihr zurück.

Im Januar 1971 kommen Berit und Jørn zu einer Tournee nach Norwegen und besuchen auch Laura.

Alfonso Paparazzi sucht nach dem Tod seiner Mutter Zuflucht bei Laura. Von Lyngør aus fährt er jeden Tag zum Fischen aufs Meer hinaus – bis er nicht mehr zurückkommt und Suchtrupps seine Leiche im Wasser finden.

Als Laura Ende August 1972 in die Villa Europa zurückkehrt und sich auf die Aufnahmeprüfung für ein Jurastudium vorbereiten will, ist ihre Mutter bereits mit Gerhard Wiik durchgebrannt.

Sigurd

Sigurd Ulven ist inzwischen 25 Jahre alt und hat einen Abschluss der Wirtschaftsuniversität in Bergen. Seit seinem 16. Lebensjahr stiehlt er wertvolle Gegenstände aus der Villa Europa und verkauft sie. Er ist in Berit Jørgensen verliebt und hofft, sie gewinnen zu können, wenn er ihr mit viel Geld ein schönes Leben bieten kann.

Der von ihm gegründete Vertrieb für Zwiebelhackgeräte floriert allerdings nicht. Sigurd stößt ihn ab und reist nach Brüssel zu dem befreundeten Politiker Mads Bergersen, der bei der EG aufsteigt und sich für ihn einsetzt.

Nachdem Sigurd sich kurz mit seiner Mutter Edith in Kassel getroffen hat, reist er weiter: Schweiz, Österreich, Jugoslawien, Ungarn, Rumänien. In Bukarest wird er von dem norwegischen Botschaftssekretär Trond Vidar Sivertsen, den Mads Bergersen gebeten hat, seinem Freund behilflich zu sein, zu einem Empfang eingeladen, bei dem auch Mircea Popescu zugegen ist, ein Repräsentant des rumänischen Staatsbetriebs Kimika. Sigurd vereinbart mit Mircea Popescu die Lieferung von Toilettenpapier und gründet für dieses und weitere geplante Handelsgeschäfte im Ostblock die Firma Norwegen-Consult.

Leider scheitern die meisten anderen Projekte. Allerdings gerät Sigurd durch seine Ostblock-Geschäftsbeziehungen in den Fokus des norwegischen Geheimdienstes. Der Agent Asbjørn Lygre versucht zu klären, ob Sigurd Ulven für seine Geschäftspartner als Gegenleistung Landesverrat begeht.

Im Mai 1977 besucht Sigurd ein Konzert von Berit und Jørn in Oslo, wagt es aber nicht, seine Angebetete in der Garderobe aufzusuchen. Erst einige Zeit später lädt er Berit zum Essen ein und bietet sich als Impresario an. Er könne ihr einen Auftritt im Lenin-Stadion in Moskau vermitteln, behauptet er, da sei mit 500 000 Zuschauern zu rechnen. Aus PR-Gründen hält Berit allerdings nichts von einem Auftritt im Land der Altkommunisten, denn sie und Jørn stehen für einen modernen, gesellschaftskritischen Sozialismus. Dass sie sich unlängst eine mondäne Villa in Bærum kauften, verheimlichen sie in der Öffentlichkeit, bis Jørn schließlich Direktor einer multinationalen Plattenfirma wird und Berit als Sendeleiterin beim Fernsehen einsteigt.

1980 wird Sigurd im Obergeschoss der Villa Europa von seiner inzwischen erblindeten Großmutter überrascht. Mit einer für das Tourette-Syndrom typischen ruckartigen Armbewegung stößt er sie, und Ovidia stürzt über die Treppe hinunter. Dabei bricht sie sich das Genick. Alle glauben, dass die blinde Greisin versehentlich stolperte. Dennoch verschwindet Sigurd aus Oslo.

Anders

Sigurds ein Jahr jüngerer Bruder Anders Ulven ist inzwischen Mitte 30 und arbeitet als Theaterregisseur.

Die Villa Europa gehört seit Ovidias Tod nicht seinem Vater Oscar, sondern seiner Schwester Laura, die dort wie ihre Großmutter Bedürftige und Asylsuchende aufnimmt. Anders und seine Ehefrau, die Schauspielerin Liv Hellskog, wohnen mit ihren beiden Kindern Ranveig und Thias ebenfalls in der Villa.

Unterstützt von seiner Regieassistentin Tonje Haavik, studiert Anders gerade das Theaterstück „Nora oder Ein Puppenheim“ von Henrik Ibsen ein. Katja Berge und Even Langli spielen die Rollen von Nora und Torvald Helmer. Als Anders endlich die frisch von der Theaterschule gekommene Katja Berge ins Bett kriegt, gelingt es ihm nicht, sie zum Orgasmus zu bringen, und die junge Frau meint, sein Penis sei zu klein. Betroffen konsultiert Anders daraufhin den Urologen Yngve Leikanger, der ihm versichert, er liege mit seiner Penislänge eineinhalb Zentimeter über dem norwegischen Durchschnitt. Um sich für die Demütigung im Bett zu rächen, setzt Anders der unerfahrenen Schauspielerin bei den Proben so zu, dass sie schließlich hysterisch schluchzend in einer Ecke kauert. Da genießt er seine Macht als Regisseur.

Eigentlich lässt Anders sich nur auf kurze, unverbindliche Affären ein, aber Berit Jørgensen klammert sich an ihn, und er kommt nicht von ihr los. Sie weiß, dass sein Bruder Sigurd auf sie versessen ist, zieht ihm jedoch Anders vor.

Nach „Nora oder Ein Puppenheim“ beauftragt Anders Ulven den Autor Nordre Lund mit einem Musical. Es soll den Titel „Schattenland“ tragen und von dem Sänger Sindre Gautefall und der Pianistin Stella Birner handeln.

Es sollte etwas Neues werden. Es sollte anders werden. Hier sollte man eine Linie von Wagner via Ibsen und James Joyce zu Sigurd Hoel, Ionesco und Denver-Clan ziehen. Es würde ein „Frühlingsopfer“, eine „West Side Story“, ein „Cabaret“ und Alf Prøysen zugleich werden.

Die Rolle der Stella gibt Anders seiner Frau Liv. Dass er sich danach von ihr trennen will, verheimlicht er ihr. Um sie zu demütigen, redet er ihr ein, sie müsse die Rolle der Stella nackt und mit gespreizten Beinen spielen.

Das Stück wird verrissen. Liv lässt sich von Anders scheiden, der trotz des Misserfolgs zum Intendanten avanciert und schließlich Berit heiratet.

Bene

Die Flötistin und Musikstudentin Bene Ulven wird von einem Unbekannten mit Erektionsproblemen vergewaltigt. Weil es sich um den ersten Tag ihrer Menstruation handelt, ist danach alles voll Blut. Bene, die längst weiß, dass sie bei einer Vergewaltigung gezeugt worden war, möchte kein Opfer sein, aber Laura merkt es ihr sofort an und fährt mit ihr zur Polizei.

Laura ist inzwischen 43 Jahre alt. Simen Fjeld, der nach dem Auftauchen Totos durch Asien vagabundierte, kehrt zurück und zieht zu ihr in die Villa Europa.

Bene kauft sich ein Interrail-Ticket und fährt nach Kassel, um ihre Großmutter Edith zu besuchen, die inzwischen von Gerhard Wiik verlassen wurde. Am 9. November 1989 trifft Bene dort ein. Im Fernsehen wird über die Öffnung der Berliner Mauer berichtet. Von Kassel aus macht Bene deshalb noch einen Abstecher nach Berlin, bevor sie im Dezember weiter nach Bukarest reist, wo sie mit ihrem Onkel Sigurd verabredet ist. Er hat zwar ein Hotelzimmer für sie reserviert, ist aber nicht da. Kurz nach ihrer Ankunft hört Bene Schüsse und den Lärm von Straßenschlachten. Obwohl der Ausnahmezustand ausgerufen wurde, geht sie hinaus. Ein gleichaltriger Rumäne, der deutsch spricht, lotst sie schließlich aus der Gefahrenzone und nimmt sie mit in eine Zwei-Zimmer-Wohnung, in der sieben Menschen vor dem Fernsehgerät sitzen und den Kampf der Securitate gegen die Front zur Nationalen Rettung verfolgen.

Benes Retter heißt Michai Cassian. Sein 15-jähriger Bruder Grischa ist geistig behindert. Nach der Hinrichtung von Elena und Nicolaie Ceausescu am 25. Dezember kehrt Bene noch einmal ins Hotel zurück. Sigurd ist nicht mehr aufgetaucht. In seinem Zimmer findet sie einen an Mircea Popescu adressierten, nicht abgeschickten Brief vom 20. Dezember, in dem er seine Flucht über die rumänische Grenze ankündigt.

Bene fliegt nach Oslo. Weil die Tochter eines Griechen nicht wie eine typische Norwegerin aussieht, wird sie bei der Ankunft im Flughafen herausgegriffen und muss sich von einer Sicherheitskraft in die Vagina und den Anus greifen lassen.

Sigurd schreibt ihr aus Moskau. Seine Geschäfte in Rumänien hat er wegen des Umsturzes aufgeben müssen.

Am 2. August 1990 – dem Tag, an dem Saddam Hussein in Kuwait einmarschiert – sucht Michai Cassian mit seinem Bruder Grischa Zuflucht bei Bene in der Villa Europa. Die Rechtsanwältin Laura versucht alles, den beiden Flüchtlingen ein Bleiberecht in Norwegen zu verschaffen, aber es gelingt ihr nicht. Bevor Michai und Grischa abgeschoben werden können, tauchen sie in den Wäldern unter. Anfang 1991 spürt man sie auf. Grischa entkommt der Polizei zunächst und sucht erneut in der Villa Europa Schutz, aber drei Tage später wird er abgeführt, und zwar zusammen mit Bene, die sich mit Handschellen an ihn gekettet hat.

[…] die Mutter drückte ihr die Hand, fast wie ein Versprechen.
„Simen und ich kommen euch nach“, sagte sie.
Bene konnte nicht antworten. Sie ertrug weder die Hand ihrer Mutter noch Grischas Blick. Sie starrte zum Sternenhimmel und versuchte ihre Wut und ihre Tränen zurückzuhalten. In der Wahrheit stand Oscar mit seinem Fernrohr und suchte nach einem neuen Stern. Bene hoffte, dass er ihn fand. Sie hoffte es mit aller Kraft..

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Mit überbordender Fabulierlaune präsentiert Ketil Bjørnstad in seinem Roman „Villa Europa“ die Geschichte einer norwegischen Familie über vier Generationen, von 1892 bis 1991 und vor dem Hintergrund der zeitgeschichtlichen Ereignisse.

Die acht Kapitel des Romans „Villa Europa“ sind mit den Namen der Hauptfiguren überschrieben und werden aus deren Perspektive (aber nicht in der Ich-Form) erzählt: Erik, Ovidia, Oscar, Edith, Laura, Sigurd, Anders, Bene.

Die Stofffülle jedes Kapitels hätte für einen eigenständigen Roman ausgereicht.

Die Charaktere sind farbig und lebendig. Das gilt auch für die Männer, die allesamt den Frauen unterlegen sind. Oscar ist ebenso gutmütig wie verträumt. Anders missbraucht seine Macht als Theater­regisseur, um Frauen zu demütigen und seine Minderwertigkeitskomplexe zu kompensieren. Erik und Sigurd scheitern mit ihren hochfliegenden Geschäftsideen. Der Roman „Villa Europa“ von Ketil Bjørnstad handelt von der vergeblichen Suche der Männer nach dem Glück. Bis auf Stella sind die Frauen stärker als die Männer. Ovidia, Laura und Bene – Großmutter, Mutter und Tochter – werden vergewaltigt, aber psychisch nicht gebrochen. Sie machen aus der von Nina gebauten Villa Europa ein Heim für Flüchtlinge und andere Bedürftige. Darüber hinaus engagiert sich Ovidia als Frauenrechtlerin.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2015
Textauszüge: © Insel Verlag

Ketil Bjørnstad (kurze Biografie)

Ketil Bjørnstad: Oda
Ketil Bjørnstad: Vindings Spiel
Ketil Bjørnstad: Der Fluss
Ketil Bjørnstad: Die Frau im Tal
Ketil Bjørnstad: Die Unsterblichen

Veit Etzold - Blutgott
Die Grundidee des Thrillers "Blutgott" ist bestürzend, denn den Paragrafen 19 des Strafgesetzbuches gibt es tatsächlich. Der Plot bleibt einfach. An Gewaltexzessen und Splatter-Effekten mangelt es nicht. Veit Etzold setzt auf eine Kombination von Brutalität und schonungslos ausgebreitetem Wissen über Abgründe der menschlichen Existenz.
Blutgott

 

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.