Mario Vargas Llosa : Die große Versuchung
Inhaltsangabe
Kritik
Toño Azpilcueta
Toño Azpilcueta hat an der Universidad Nacional Mayor de San Marcos in Lima studiert und seine Abschlussarbeit über den peruanischen Vals geschrieben. Weil er als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge seines aus Altersgründen ausscheidenden Professors Hermógenes Aartajerjes Morones gilt, beginnt Toño mit einer Doktorarbeit über „Die Pregones von Lima“, aber als die Universität beschließt, den Lehrstuhl nicht fortzuführen, bricht er seine Dissertation ab.
Als Musikkritiker und mit Zeichen- und Musikunterricht am Colegio del Pilar verdient er nicht viel Geld, und die Familie mit zwei Töchtern ist deshalb auf Toños Ehefrau Matilde angewiesen, die sich tatkräftig Gelegenheitsjobs besorgt.
Immer wieder verabredet sich Toño mit der erfolgreichen Sängerin Cecilia Barraza in einem Café. Er träumt von Liebe, aber Cecilia stellt klar, dass es sich bei ihrer Beziehung um eine platonische Freundschaft handelt.
Lalo Molfino
Durch Dr. José Durand Flores wird Toño auf den jungen Gitarristen Lalo Molfino aufmerksam, und als er ihn spielen hört, ist er sofort überzeugt, den besten Musiker des Landes vor sich zu haben.
Er will ein Buch über Lalo Molfino schreiben, aber bevor er damit anfangen kann, erfährt er vom Tod des jungen Mannes im Hospital Obrero. Ob Lalo Molfino an Tuberkulose starb oder sich das Leben nahm, bleibt unklar. Weil es keine Angehörigen gibt, hat man ihn in einem Massengrab bestattet.
Die Mission
Lalo Molfino wurde in Pueto Eten südlich von Chiclayo geboren. In der Hoffnung, etwas über ihn herauszufinden, fährt Toño hin, muss jedoch feststellen, dass der begnadete Musiker dort völlig unbekannt ist.
Erst nach Tagen lernt Toño in Pueto Eten einen ehemaligen Mitschüler und Freund von Lalo Molfino kennen: Pedro Caballero. Von ihm erfährt er, dass Lalo als Säugling von Pater Malfino auf einer mit Ratten übersäten Müllhalde gefunden wurde. Der Geistliche nahm ihn zu sich und adoptierte ihn.
Toño schaudert es bei dem Gedanken, dass der geniale Musiker beinahe als Säugling von Ratten gefressen worden wäre, zumal er selbst überall am Körper Ratten zu spüren glaubt und sich blutig kratzt, wenn er aufgeregt ist.
Zurück in Lima, hört Toño, dass es sich bei Lalo Molfino um einen narzisstischen Individualisten handelte, der offenbar trotz Erektionen vor Geschlechtsverkehr zurückschreckte.
Toño schreibt weiter an seinem Buch über Lalo Molfino. Kernthese ist seine Überzeugung, dass die kreolische Musik die Menschen zusammenbringen kann.
Dass die kreolische Musik ein Faktor für die Einheit wäre, in einem Land, in dem es so viele soziale und ökonomische Unterschiede gibt. Um nicht zu sagen rassistische Ressentiments.
Dabei denkt er an ein befreundetes Paar. Toni Lagarde stammt aus Miraflores, dem Stadtteil der Reichen in Lima. Im Alter von 18 Jahren brach er sein Studium der Agrarwissenschaften ab, um Musik zu machen. Dabei verliebte er sich in die ein oder zwei Jahre jüngere Lala Solórzano, eine Negrita aus einer elenden Gegend. Sie wurden ein Paar, obwohl die Eltern sie beide hinauswarfen, seine wegen der Mesalliance, ihre, weil Toni und Lala ohne kirchliche Trauung zusammenlebten. Erst nach der Geburt ihrer Tochter waren sie alt genug, um heiraten zu können. Die Ehe dieser beiden ist dauerhaft und glücklich. Die Musik hat sie zusammengebracht.
Matilde ernährt die Familie, während Toño wie besessen an seinem Buch arbeitet. Schließlich lässt er das Manuskript abtippen und sucht einen Verlag für „Lalo Molfino und die stille Revolution“. Er erhält nur Absagen, bis sich der Buchhändler Antenor Cabada bei ihm meldet, der einen Verlag gründen möchte und bereit ist, Toños Buch zu veröffentlichen.
Die große Versuchung
„Lalo Molfino und die stille Revolution“ erweist sich als Erfolg: Antenor Cabada lässt eine zweite Auflage drucken.
Die Idee, dass die kreolische Musik das Zeug habe, die Peruaner zu vereinen, kam bei allen gut an.
Die Universidad Nacional Mayor de San Marcos richtet nun den Lehrstuhl für Peruanische Belange wieder ein und beruft Toño Azpilcueta, der gerade noch rechtzeitig seine Promotion nachholt, als Professor.
Zufällig belauscht er in einem Café zwei Herren, die sich über sein Buch unterhalten und meinen, der Autor sei nicht ganz richtig im Kopf. Außerdem stößt er auf abfällige Randnotizen eines Psychiaters in einem Exemplar seines Buches. Das spornt ihn dazu an, seine These über das die peruanische Gesellschaft einende Wesen der Volksmusik auf ganz Amerika, ja, auf die ganze Welt auszuweiten.
Zurück auf dem Boden
Antenor Cabada sträubt sich zunächst schon wegen der zusätzlichen Kosten, dem Buch in der dritten Auflage noch einmal 100 Seiten hinzuzufügen, aber am Ende tut er es doch – und bereut es, denn die überzogene Version von „Lalo Molfino und die stille Revolution“ verkauft sich nicht.
Der Misserfolg spricht sich herum, und die Universidad Nacional Mayor de San Marcos beschließt, Toño Azpilcuetas Lehrstuhl wieder abzuschaffen.
Matilde gründet mit zwei anderen Frauen einen kleinen Betrieb zum Ausbessern von Kleidung, und Toño Azpilcueta verdient wieder etwas Geld mit Musikkritiken. Immerhin reicht das Familieneinkommen, um die beiden Töchter studieren zu lassen.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)In „Die große Versuchung“, seinem voraussichtlich letzten Roman, schreibt Mario Vargas Llosa (*1936) von Versuchungen. Da sind die Begeisterung für die Kultur im Allgemeinen und die Musik im Besonderen, die Obsession einer Überzeugung, und das Unvermögen, bei der Verfolgung einer Idee Maß zu halten. Im Gegensatz zum Protagonisten Toño Azpilcueta verliert dessen Ehefrau Matilda nicht den Boden unter den Füßen.
Dass die These, die Musik könne die Menschen zusammenbringen und gesellschaftliche Konflikte, ökonomische und ethnische Unterschiede überwinden, naiv ist, zeigt Mario Vargas Llosa in „Die große Versuchung“ in einem Dialog von zwei Lesern des fiktiven Buches „Lalo Molfino und die stille Revolution“.
In „Die große Versuchung“ wechselt Mario Vargas Llosa kapitelweise zwischen der Handlung um seine Hauptfigur Toño Azpilcueta und essayischen Ausführungen über die peruanische Musikgeschichte. Fraglich ist, ob diese Zweiteilung eine gute Idee ist, zumal die eigentliche Handlung auch nicht besonders mitreißend und überzeugend ist.
Der Originaltitel „Le dedico mi silencio“ ließe sich mit „Ihnen widme ich mein Schweigen“ übersetzen. Stattdessen lautet der deutsche Titel „Die große Versuchung“.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2024
Textauszüge: © Suhrkamp Verlag
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