Mario Vargas Llosa : Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks
La Fiesta del Chivo Alfaguara, Madrid 2000 Das Fest des Ziegenbocks Übersetzung: Elke Wehr Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M 2001 ISBN 3 518 41232 9, 539 Seiten Taschenbuch: Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M 2008
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der dominikanische Diktator Rafael Leónidas Trujillo y Molina – "der Ziegenbock" – starb am 30. Mai 1961 bei einem Attentat. 35 Jahre später kehrt Urania Cabral aus dem Exil in die dominikanische Hauptstadt zurück, um ihren Vater Augustín zu besuchen, der zu den Günstlingen des Despoten gehört hatte. Weil er seit einem Gehirnschlag vor zehn Jahren stumm und gelähmt im Rollstuhl sitzt, vermag er auf Uranias Vorwürfe nicht zu antworten ...
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Kritik

Geschickt verknüpft Mario Vargas Llosa in seinem spannenden, fulminanten und komplexen Politthriller "Das Fest des Ziegenbocks" mehrere parallel entwickelte Handlungsstränge, die es ihm erlauben, das Geschehen aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten.
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Urania Cabral

Urania Cabral ist das einzige Kind des Witwers Agustín Cabral, eines früheren Senators der Dominikanischen Republik und Günstlings des Diktators Dr. Rafael Leónidas Trujillo y Molina. Anfang 1961 fiel Augustín Cabral – Spitzname: Cerebrito (das Köpfchen) – in Ungnade. Seine damals vierzehn Jahre alte Tochter erhielt Mitte Mai 1961 ein Stipendium für die Siena Heights University der Dominican Nuns in Adrian, Michigan, und die Schule bezahlte sogar das Flugticket, damit sie sofort kommen konnte. Urania Cabral promovierte in Harvard und wurde Juristin bei der Weltbank in New York.

1996, im Alter von neunundvierzig Jahren, kehrt Dr. Urania Cabral erstmals für einige Tage in die dominikanische Hauptstadt Santo Domingo de Guzmán zurück und besucht dort ihren seit einem Gehirnschlag vor zehn Jahren an den Rollstuhl gefesselten Vater.

Seit Jahren bezahlt Urania eine Pflegeschwester für ihren Vater – nicht aus Mitleid, sondern weil sie ihn hasst und hofft, dass er noch lange unter seiner Schuld leidet. Ob der Dreiundachtzigjährige Urania erkennt und versteht, was sie ihm vorwirft, ist nicht erkennbar.

„Weißt du, was in den Biografien über den Chef [Rafael Trujillo] steht, Papa? Dass er so wurde, als er erfuhr, dass seine Mutter bei seiner Geburt noch nicht mit Trujillo verheiratet war. Dass seine Depressionen anfingen, als man ihm sagte, dass sein wirklicher Vater Doktor Dominici war, dieser Kubaner, den Trujillo umbringen ließ, der erste Liebhaber von Doña María Martínez, als diese sich in ihren Träumen noch nicht als Vortreffliche Dame sah, in Armut lebte und unter dem Spitznamen „la Españolita“ einen zweifelhaften Lebenswandel führte.“ (Seite 133f)

„Warum bewahrte Don Froilán Trujillo eine hündische Treue? Er war treu bis zum Schluss, wie du. Er beteiligte sich nicht an der Verschwörung, du auch nicht. Er leckte dem Chef weiter die Hand, nachdem dieser in Barahona damit geprahlt hatte, er habe seine Frau gevögelt. Dem Chef, der ihn in Südamerika herumreisen, als Außenminister der Republik Regierungen besuchen ließ, von Buenos Aires nach Caracas, von Caracas nach Rio de Janeiro oder Brasilia, von Brasilia nach Montevideo, von Montevideo nach Caracas, nur um weiter in aller Ruhe unsere schöne Nachbarin vögeln zu können.“ (Seite 77)

Verschwörung

Am 30. Mai 1961 lauerten Salvador Estrella Sadhalá („der Türke“), Amado García Guerrero, Antonio („Tony“) Imbert, Antonio de la Maza, Pedro Livio Gedeño, Huáscar Tejeda Pimentel und Roberto („Fifí“) Pastoriza Neret an der Straße von Ciudad Trujillo nach San Cristóbal auf den Wagen des kolumbianischen Diktators Rafael Leónidas Trujillo y Molina. Der wegen seiner obsessiven Sexualität hinter vorgehaltener Hand „chivo“ (Ziegenbock) genannte „Benefactor de la Patria“ (Wohltäter des Vaterlandes) – so einer der offiziellen Titel – wollte an diesem Abend von seiner Residenz in Ciudad Trujillo zur Hacienda Fundación in San Cristóbal fahren und dort mit der siebzehnjährigen Yolanda Esterel ins Bett gehen. Der Neunundsechzigjährige litt seit einiger Zeit an Inkontinenz und Impotenz. Er wurde zornig, wenn er sich daran erinnerte, wie er zwei Wochen zuvor eine Vierzehnjährige mit den Fingern hatte deflorieren müssen, weil er anders nicht dazu in der Lage gewesen war.

Die meisten der sieben Verschwörer gehören zu den Günstlingen des Diktators, aber sie haben dafür einen hohen Preis bezahlt, wie zum Beispiel Amado García Guerrero: Als der junge Offizier heiraten wollte, bedeutete ihm der „Chef“ – so ließ sich Rafael Trujillo von seinen Vertrauten anreden –, dass seine Braut die Schwester eines Kommunisten und eine eheliche Verbindung deshalb ausgeschlossen sei. Amado García Guerrero gehorchte. Einige Zeit später erhielt er den Befehl, einen Gefangenen aus unmittelbarer Nähe zu erschießen. Erst danach erfuhr er, dass es sich bei dem „Staatsfeind“ um den jüngeren Bruder seiner früheren Braut gehandelt hatte. – Mehr als politische Überzeugungen motivieren persönliche Demütigungen die Verschwörer. So ist es auch erklärbar, dass sie sich kaum Gedanken darüber gemacht haben, was nach dem Tyrannenmord geschehen soll.

Als der Chevrolet des Diktators auftaucht, rasen ihm die Verschwörer nach und es kommt im Dunkeln zu einer chaotischen Schießerei, die Rafael Trujillo und dessen Fahrer Zacarías de la Cruz nicht überleben. Pedro Livio Gedeño wird versehentlich von Salvador Estrella Sadhalá angeschossen.

In der Aufregung vergessen die flüchtenden Attentäter eines ihrer drei Autos in der Nähe des Tatorts.

Gegenschlag

Sie bringen Pedro Livio Gedeño ins Krankenhaus. Bevor er operiert werden kann, taucht der Geheimdienstchef Oberst Johnny Abbes García persönlich bei ihm auf und will die Namen der anderen Attentäter wissen. Um den Schwerverletzten zum Reden zu bringen, drückt der Oberst eine Zigarette in dessen Gesicht aus. Halb bewusstlos verrät Pedro Livio Gedeño, dass General José René Román Fernández („Pupo“), der fünfundsechzig Jahre alte Kommandeur der Streitkräfte, von dem geplanten Anschlag wusste und nach dem Tod des Diktators die Macht an sich reißen wollte.

Nach dem General suchen die Attentäter vergeblich, obwohl abgemacht war, dass sie ihm die Leiche als Beweis des erfolgreichen Anschlags zeigen sollten. Der General verlor nach den ersten Meldungen über den Anschlag die Nerven und versucht nun, seine Beteiligung an dem Komplott zu vertuschen.

Das gelingt ihm nicht: Nach der Totenmesse für Rafael Trujillo wird General José René Román Fernández verhaftet. Inzwischen ist Ramfis Trujillo Martínez, der älteste Sohn des Ermordeten, aus Paris zurückgekehrt. Die Folterung des hohen Militärs überwacht er persönlich.

In El Nueve zogen sie ihn nackt aus und setzten ihn auf den angeschwärzten Stuhl, in der Mitte eines fensterlosen, kaum beleuchteten Raumes. Der starke Geruch nach Exkrementen und Urin verursachte ihm Übelkeit. Der Stuhl war unförmig und absurd mit seinen Zusätzen. Er war in den Boden eingelassen und hatte Riemen und Ringe, um die Fuß- und Handgelenke, den Brustkorb und den Kopf festzubinden. Seine Armlehnen waren mit Kupferplatten bedeckt, um den Fluss des elektrischen Stroms zu erleichtern […]
Ramis machte eine Kopfbewegung, und Pupo fühlte sich mit der Kraft eines Zyklons nach vorne geworfen. Der Stoß schien ihm sämtliche Nerven zu zerquetschen, vom Gehirn bis in die Füße. Riemen und Ringe schnitten ihm in die Muskeln, er sah Feuerkugeln, spitze Nadeln bohrten sich in seine Poren. Er widerstand, ohne zu schreien, er stöhnte nur. Obwohl er bei jedem Stromstoß – sie folgten mit Pausen aufeinander, in denen sie eimerweise Wasser über ihm ausschütteten, um ihn wiederzubeleben – das Bewusstsein verlor und blind war, kam er danach wieder zu sich […]
Zwischen den Sitzungen auf dem elektrischen Stuhl schleppten sie ihn nackt in ein feuchtes Verlies […] Um ihn am Schlafen zu hindern, klebten sie ihm die Augenlider mit Pflastern an den Augenbrauen fest […]
Bei diesem letzten Dialog mit Ramfis konnte er ihn schon nicht mehr sehen. Man hatte ihm die Pflaster entfernt und ihm dabei die Augenbrauen herausgerissen, während eine betrunkene, vergnügte Stimme ihm ankündigte: „Jetzt wird es dunkel werden, damit du schön schlafen kannst.“ Er spürte die Nadel, die seine Augenlider durchstach. Er rührte sich nicht, während sie ihn zunähten […]
Als sie ihn kastrierten, war das Ende nahe. Sie schnitten ihm die Testikel nicht mit einem Messer ab, sondern mit einer Schere, während er auf dem Thron saß […] Sie stopften ihm seine Testikel in den Mund […]
Einige Zeit danach – es konnten Stunden, Tage oder Wochen sein – hörte er einen Dialog zwischen einem Arzt des SIM und Ramfis Trujillo:
„Unmöglich, sein Leben zu verlängern, Herr General […] Es ist unglaublich, dass er vier Monate durchgehalten hat, Herr General.“ (Seite 439ff)

Amado García Guerrero flieht zu seiner Tante Meca. Deren Haus wird kurz darauf von einer Einheit der Geheimpolizei umstellt. Da stößt er die Tür auf, schießt wild um sich – und bricht zusammen, von Kugeln durchsiebt. Das von den Schergen angezündete Haus brennt bis auf die Grundmauern nieder.

Antonio de la Maza und der zur Verschwörung gehörende General Juan Tomás Díaz werden von Geheimpolizisten aufgespürt und sterben bei einer Schießerei auf offener Straße.

Joaquin Balaguer

Joaquin Videla Balaguer, der unter Rafael Trujillo zuletzt Marionettenpräsident war, bringt es in diesen Tagen unaufgeregt, umsichtig, geduldig und mit großem politischen Gespür zum einflussreichsten Politiker des Landes.

Sein Amt war dekorativ, gewiss. Aber nach dem Tod Trujillos wurde es real. Es hing von seinem Verhalten ab, ob er aufhören würde, eine bloße Randfigur zu sein, und zum wirklichen Staatschef der Dominikanischen Republik aufstiege. (Seite 463)

Durch einen Anruf bei General Virgilio García Trujillo, dem Befehlshaber des Luftwaffenstützpunkts San Isidro, verhindert Joaquin Balaguer die geplante Ermordung des inhaftierten Bischofs Tomás F. Reilly aus San Juan de la Maguana, denn er weiß, dass der Tod des amerikanischen Staatsbürgers seiner Absicht im Weg stünde, die ausländischen Vorbehalte gegen die Dominikanische Republik abzubauen. Es gelingt Joaquin Balaguer, Ramfis Trujillo Martínez und dessen Mutter, Doña María Martínez, davon zu überzeugen, dass er der richtige Mann sei, um den Staat aus dem durch das Machtvakuum entstandenen Chaos herauszuführen und die Beziehungen zu anderen Regierungen zu normalisieren. Mit der Rückendeckung von Ramfis Trujillo Martínez setzt er seinen Rivalen Johnny Abbes García als Geheimdienstchef ab und schickt ihn als Konsul nach Japan. (Statt den neuen Posten anzutreten, wird Johnny Abbes García schließlich Berater von Präsident François Duvalier in Haiti und kurze Zeit später aufgrund seiner Verwicklung in Putschpläne von Tontons Macoutes erschossen.)

Es waren nicht mehr als fünf Wochen seit dem Tod des Generalissimus vergangen, und die Veränderungen waren beträchtlich. Joaquín Balaguer konnte sich nicht beklagen: In dieser kurzen Zeit war aus ihm, dem Marionettenpräsidenten, dem Niemand, der wirkliche Staatschef geworden; er bekleidete ein Amt, das die Vertreter aller Lager und vor allem die Vereinigten Staaten anerkannten. Obwohl sie anfänglich, als er dem neuen Konsul seine Pläne erklärte, zurückhaltend reagiert hatten, nahmen sie sein Versprechen, das Land allmählich, geordnet, ohne den Kommunisten eine Chance zu geben, in eine volle Demokratie zu führen, jetzt sehr viel ernster. (Seite 482)

Antonio Imbert wird von seinem Cousin, dem Arzt Manuel Durán Barreras, zu dessen Schwägerin gebracht, der Ärztin Gladys de los Santos. Weil die Geheimpolizei kurz darauf Manuel Durán Barreras festnimmt, kann Antonio Imbert nicht länger bei Gladys de los Santos bleiben, und er schlägt sich zu dem Zahnarzt Francisco Rainieri durch, dessen Frau Vanecia mit Tonys Frau Guarina Tessón befreundet sind. Freudig überrascht stellt er fest, dass Guarina und die Tochter Leslie bereits dort sind. Weil der Aufenthalt des Attentäters bei der Zahnarztfamilie zu gefährlich erscheint, überredet Francisco Rainieri einen Beamten der italienischen Botschaft, Antonio Imbert zu verstecken.

Als Salvador Estrella Sadhalá erfährt, dass seine Frau, sein vierzehnjähriger Sohn Luis und seine vierjährige Tochter Carmen Elly festgenommen wurden, stellt er sich. Im Kerker begegnet er seinem bereits fast zu Tode gefolterten Bruder General Guarionex Estrella Sadhalá.

Im Herbst 1961 sieht Pedro Livio Gedeño, der sich inzwischen von seinen Schussverletzungen erholt hat, Salvador Estrella Sadhalá, Huáscar Tejeda Pimentel und Roberto Pastoriza Neret im Gefängnis wieder. Auch Tunti Cáceres, ein Neffe von Antonio de la Maza, und einige andere Angehörige wurden eingesperrt. Einer der Mithäftlinge heißt Miguel Ángel Báez Díaz. Ihm bringen die Wärter eines Tages einen Topf mit Fleischstücken. Nachdem er sich gierig sattgegessen hat, klärt man ihn darüber auf, dass das Fleisch von der Leiche seines ältesten Sohnes Miguelito stammte. Der Schock verursacht bei Miguel Ángel Báez Díaz einen tödlichen Herzanfall.

Ramfis Trujillo Martínez rächt den Tod seines Vaters auf ebenso grausame wie ungesetzliche Weise an den festgenommenen Verschwörern. Regierungschef Joaquin Balaguer will davon nichts wissen, um nicht kompromittiert zu werden und glaubhaft machen zu können, dass er dabei sei, die Dominikanische Republik zu demokratisieren. Am 2. Oktober 1961 räumt er auf einer Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York ein, dass das Regime von Rafael Trujillo ein Anachronismus gewesen sei.

Mitte November sollen die Attentäter Salvador Estrella Sadhalá, Pedro Livio Gedeño, Huáscar Tejeda Pimentel und Roberto Pastoriza Neret sowie Tunti Cáceres und der zur Verschwörung gehörende Modesto Díaz angeblich verlegt werden, aber sie erreichen den Zielort nicht: Unterwegs werden die drei Wachsoldaten erschossen. Polizeichef Oberst Marcos A. Jorge Moreno behauptet, die Häftlinge seien ausgebrochen und hätten sich den Weg freigeschossen. Wer die Meldung in den Nachrichten hört, ahnt, dass die angeblich Geflüchteten nie wieder auftauchen. Um ihre Ermordung zu vertuschen, mussten auch drei Soldaten sterben.

Mit Ramfis und Radhamés Trujillo Martínez und ihren Angehörigen verlassen am 18. November 1961 die letzten Mitglieder der Familie Trujillo die Dominikanische Republik. Die Witwe María Martínez, die vorübergehend in Paris lebt, verschweigt ihren Söhnen oder ihrer Tochter Angelita argwöhnisch die Codewörter für ihre Nummernkonten in der Schweiz. Als sie in Panama stirbt, bleiben die Millionen deshalb unauffindbar.

Nach der Abreise der beiden Söhne des toten Diktators verkündet Joaquin Videla Balaguer eine Amnestie für politische Häftlinge. Daraufhin kommen die einzigen beiden überlebenden Verschwörer aus ihren Verstecken: Antonio Imbert und Don Luis Amiama Tió. Joaquin Balaguer lädt sie zu einem Empfang ein, und Senator Henry Chirinos initiiert ein Gesetz, mit dem die beiden Männer wegen außergewöhnlicher Verdienste zu Drei-Sterne-Generälen ernannt werden.

Uranias Trauma

Am Abend vor ihrer Abreise erzählt Urania ihrer verwitweten Tante Adelina, deren Töchtern Lucindita und Manolita sowie Manolitas Tochter Marianita, was vor fünfunddreißig Jahren geschehen war und erklärt den bis dahin ahnungslosen Frauen, warum sie ihrem Vater nicht verzeihen kann und männliches Begehren sie in Panik versetzt.

Senator Cabral war über seinen ebenso unerwarteten wie unerklärlichen Absturz in der Gunst des Diktators so verzweifelt, dass er sich von seinem Freund Manuel Alfonso überreden ließ, dem „Ziegenbock“ seine Tochter anzubieten, die gerade erst ihre Menarche gehabt hatte. Ohne Urania darauf vorzubereiten, was sie erwartete, ließ er sie im Mai 1961 von Manuel Alfonso zur Hacienda Fundación in San Cristóbal fahren. Dort wurde sie von der Haushälterin Benita Sepúlveda empfangen und zu Rafael Trujillo gebracht. Als der Neunundsechzigjährige keine Erektion bekam, befahl er Urania, seinen Penis in den Mund zu nehmen, aber nichts half. Erbittert deflorierte er das Mädchen mit den Fingern und schickte es fort. Weil Urania ihren Vater daraufhin nicht mehr sehen wollte, bat sie den Fahrer des Jeeps, der sie nach Hause bringen sollte, stattdessen zur Santo-Domingo-Schule in Ciudad Trujillo zu fahren. Dort kümmerte sich Sister Mary darum, dass Urania wenige Tage später in die USA fliegen konnte.

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Rafael Leónidas Trujillo y Molina (1891 – 1961) beherrschte die Dominikanische Republik von 1930 bis zu seinem Tod am 30. Mai 1961 und verschaffte seiner Familie nahezu den gesamten im Land verfügbaren Besitz. In dem Roman „Das Fest des Ziegenbocks“ zeigt der peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa ihn als ebenso perfiden wie raffinierten Tyrannen, der seine Günstlinge manipulierte, aber auch vor grotesk inszenierten politischen Morden nicht zurückschreckte. Noch zu seinen Lebzeiten entstanden Legenden, denen zufolge Rafael Trujillo nie schwitzte und sich so gut wie keinen Schlaf erlaubte, um jede Minute für das Wohl des dominikanischen Volkes zu arbeiten. Strenge Disziplin, penible Ordnung und makellose Kleidung gingen ihm über alles. Aufgrund seiner obsessiven Sexualität nannten ihn die Untertanen hinter vorgehaltener Hand „chivo“ (Ziegenbock): Wenn ihm eine Frau gefiehl, wollte er sie haben, gleichgültig ob es sich um eine pubertierende Jungfrau oder die Ehefrau eines anderen Mannes handelte. Um so schlimmer litt der „Ziegenbock“ im Alter unter Impotenz und Inkontinenz. In diesem Zusammenhang gibt ihn Mario Vargas Llosa – der ansonsten ein facettenreiches Bild des Diktators zeichnet – der Lächerlichkeit preis.

Der „Ziegenbock“ steht nicht allein im Zentrum der Handlung: Mario Vargas Llosa erzählt auch von privilegierten Weggefährten des Diktators, von den Männern, die Rafael Trujillo am 30. Mai 1961 erschossen und danach von dessen Renegaten gejagt und zu Tode gefoltert wurden, von Joaquín Videla Balaguer, der nach dem Attentat die Zügel in die Hand nahm sowie von einer fiktiven Figur namens Urania Cabral, die kurz vor dem Attentat das Land verließ und fünfunddreißig Jahre später erstmals wieder in die Dominikanische Republik reist. Mit diesen teils zeitgeschichtlichen, teils erfundenen Biografien entwirft Mario Vargas Llosa aus einer auktorialen Perspektive ein fulminantes Panorama einer Diktatur, mit dem er zugleich den Machtmissbrauch anprangert.

Geschickt verknüpft Mario Vargas Llosa in seinem komplexen Politthriller „Das Fest des Ziegenbocks“ mehrere parallel entwickelte Handlungsstränge, die es ihm erlauben, das Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Urania Cabrals Reise nach Santo Domingo im Jahr 1996 bildet den Rahmen und die Gegenwart. Was 1961 geschah, erfahren wir in zahlreichen, die Substanz des spannenden Romans bildenden Rückblenden. Dabei wirken die ersten 300 Seiten eher nachdenklich, doch mit dem Anschlag von Salvador Estrella Sadhalá, Amado García Guerrero, Antonio Imbert, Antonio de la Maza, Pedro Livio Gedeño, Huáscar Tejeda Pimentel und Roberto Pastoriza Neret auf den „Ziegenbock“ ändert sich das: Im letzten Drittel des Buches erleben wir die grausame Folterung der gefassten Attentäter, verfolgen das geschickte politische Spiel von Joaquín Balaguer und erfahren, warum Urania Cabral die Insel als Vierzehnjährige verließ und ihren Vater seit damals hasst.

Luis Llosa, ein Cousin von Mario Vargas Llosa, verfilmte den Roman: „Der Tod einer Bestie“ (DVD) / „Das Fest des Ziegenbocks“ (TV).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2007
Textauszüge: © Suhrkamp Verlag

Rafael Leónidas Trujillo y Molina (kurze Biografie)

Luis Llosa: Das Fest des Ziegenbocks / Der Tod einer Bestie

Mario Vargas Llosa (Kurzbiografie)
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