Peter Prange : Eine Familie in Deutschland
Inhaltsangabe
Kritik
Zeittafel
30. Januar 1933: Hitler wird Reichskanzler
27. Februar 1933: Reichstagsbrand
10. Mai 1933: Bücherverbrennung
8. März 1934: Hitler kündigt einen „Volkswagen“ an
21. März 1934: Beginn des Autobahnbaus
22. Juni 1934: Ferdinand Porsche erhält den Auftrag, einen „Volkswagen“ zu entwickeln
30. Juni / 1. Juli 1934: „Röhm-Putsch“
September 1934: Leni Riefenstahl dreht den Dokumentarfilm „Triumph des Willens“
28. März 1935: Uraufführung des Films „Triumph des Willens“
15. September 1935: Nürnberger Rassengesetze
1. bis 16. August 1936: Olympische Sommerspiele in Berlin
28. Mai 1937: Gründung der Gesellschaft zur Vorbereitung des Deutschen Volkswagens mbH
3. Juli 1937: Grand Prix der Weltausstellung für „Triumph des Willens“
12. März 1938: „Anschluss“ Österreichs
20. April 1938: Uraufführung von „Fest der Völker“ und „Fest der Schönheit“
26. Mai 1938: Grundsteinlegung in Fallersleben
29. September 1938: Münchner Abkommen
9. November 1938: Pogrom („Reichskristallnacht“)
15. März 1939: Einmarsch in die Tschechoslowakei
Mai/Juni 1939: Irrfahrt des Dampfers „St. Louis“
3. August 1939: Hitler-Stalin-Pakt
1. September 1939: Beginn des Zweiten Weltkriegs
10. September 1939: Leni Riefenstahl trifft an der Ostfront ein
10. Mai 1940: deutscher Angriff auf Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Frankreich
22. Juni 1940: Waffenstillstand von Compiègne
22. Juni 1941: deutscher Angriff gegen die Sowjetunion
20. Januar 1942: Wannsee-Konferenz
31. Januar / 2. Februar 1943: Kapitulation der 6. deutschen Armee bei Stalingrad
18. Februar 1943: Joseph Goebbels ruft im Berliner Sportpalast zum „totalen Krieg“ auf
6. Juni 1944: D-Day, Landung der Westallierten in der Normandie
20. Juli 1944: Claus Schenk Graf von Stauffenberg scheitert mit seinem Attentat auf Hitler
25. August 1944: General von Choltitz übergibt Paris den Franzosen, ohne Hitlers Befehl zur Zerstörung der Metropole ausgeführt zu haben
7. – 9. Mai 1945: deutsche Kapitulation
26. Mai 1945: die britische Militärregierung benennt die „Stadt des Kdf-Wagens bei Fallersleben“ in „Wolfsburg“ um und führt die Fabrik als „Wolfsburg Motor Works“ weiter
8. August 1955: Feier des millionsten VW in Wolfsburg
Hermann und Dorothee Ising
Der Zuckerbaron Hermann Ising in Fallersleben gilt neben dem im nahen Schloss Wolfsburg residierenden Grafen Günther von der Schulenburg-Wolfsburg als größter Grundbesitzer der Gegend und amtiert auch als Ortsgruppenleiter der NSDAP. Der 54-Jährige baut ein neues Wohnhaus für sich und seine Frau Dorothee, die Kinder und Enkel, also für drei Generationen, nach Altvätersitte. Das Richtfest findet am 30. Januar 1933 statt. (Am selben Tag wird Hitler Reichskanzler.)
Dorothee ahnt nicht, dass Hermann sich mit dem Vorhaben finanziell übernommen hat und sich zu einem waghalsigen Vertragsabschluss gezwungen sah: Er soll die Reichswehr als Hauptlieferant mit Zucker versorgen. Das schafft er allerdings nur, wenn Graf Schulenburg seine Zuckerrüben nicht länger als Futter für seine riesige Schweinezucht anbaut, sondern sie in der Raffinerie verarbeiten lässt. Zum Glück gelingt es Hermann Ising während des Richtfestes, den Grafen für das Geschäft zu gewinnen.
Architekt des Wohnhauses ist Benjamin Jungblut, der Verlobte von Charlotte Ising, der jüngeren der beiden Töchter. Edda ist ihre vier Jahre ältere Schwester. Die beiden Söhne heißen Georg und Horst. Außerdem gibt es noch einen drei Monate alten Nachzügler mit Namen Willy. Herbert Ising weiß, dass nicht er, sondern Dorothees damaliger Klavierlehrer Eddas leiblicher Vater ist und seine Frau bei der Eheschließung bereits im dritten Monat schwanger war, aber er liebt Edda wie die anderen Kinder.
Dorothee Ising kommt später nicht über Willys Tod und andere Schicksalsschläge hinweg. Nachdem sie vergeblich versuchte, sich mit einer Überdosis Eudokal das Leben zu nehmen, wird sie im Alter von 58 Jahren bei einem Fliegerangriff auf dem Weg zum Luftschutzkeller getötet.
Carl Schmitt
Dorothee kümmerte sich nach dem frühen Tod der Mutter um ihren fünf Jahre jüngeren Bruder Carl.
Professor Carl Schmitt ist inzwischen Dekan der juristischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin und preußischer Staatsrat. Durch seine Beziehungen und vor allem als Protegé von Hermann Göring gelingt es ihm mehrmals, Angehörigen der Familie Ising zu helfen.
Auf Anweisung Görings nimmt Carl Schmitt am 20. Januar 1942 an einer geheimen Konferenz in einer Villa am Großen Wannsee in Berlin teil (Wannseekonferenz). Unter dem Vorsitz des SS-Obergruppenführers Reinhard Heydrich, des Chefs der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS, wird dort darüber beraten, wie die bereits beschlossene Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Europas organisiert und zwischen den verschiedenen Verantwortungsbereichen koordiniert werden soll. Mit dieser „Endlösung der Judenfrage“ hatte Hermann Göring am 31. Juli 1941 Reinhard Heydrich beauftragt.
Carl Schmitt erpresst Gisela Bernstein zu sexuellen Gefälligkeiten und schwängert sie ungewollt.
Als sich die deutsche Niederlage im Zweiten Weltkrieg abzeichnet, versucht er, seine Konten bei der Dresdner Bank aufzulösen und in die Schweiz zu emigrieren, aber der SS-Sturmbannführer Walter Eibisch vom Reichssicherheitshauptamt in Berlin hindert ihn daran und nimmt ihm den Reisepass ab.
Graf Schulenburg und Hermann Ising
Robert Ley, der Leiter der Deutschen Arbeitsfront (DAF), beauftragt Sturmbannführer Dr. Bodo Lafferentz, ein geeignetes Gebiet für den geplanten Bau der größten Autofabrik Europas vorzuschlagen und ernennt ihn zum Geschäftsführer der Volkswagen-Gesellschaft. Die Wahl fällt auf das zum größten Teil von dem im Schloss Wolfsburg residierenden Grafen Günther von der Schulenburg-Wolfsburg bewirtschaftete Ackerland. Auch Hermann Isings Zuckerraffinerie soll der neuen Produktionsstätte und der dazu gehörigen Wohnsiedlung weichen.
Hermann Ising will das Lebenswerk von drei Generationen ebenso wenig aufgeben wie der Graf seinen Grundbesitz, aber man setzt ihn mit der Aufkündigung der Verträge mit der Wehrmacht unter Druck, und sein Sohn Horst meint:
„Das Wehrwirtschaftsamt ist unser einziger Großkunde, dafür hast du mit deiner Monokultur selbst gesorgt.“
Um der Enteignung zu entgehen, bleibt dem Grafen und dem Zuckerbaron nichts anderes übrig, als ihr Land zu verkaufen. Graf Schulenburg erhält dafür 8,5 Millionen Reichsmark, Hermann Ising zwei Millionen.
Nach der Grundsteinlegung am 26. Mai 1938 durch Hitler persönlich rücken Bagger und Planierraupen an. Für die deutschen und italienischen Bauarbeiter werden Baracken errichtet.
Die „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“ soll nach Hitlers Vorstellungen als Modellstadt mit Prachtstraßen für Aufmärsche und einer Kultstätte auf dem Klieversberg konzipiert werden und Wohnraum für 60.000 Menschen bieten.
Georg Ising
Als Hermann Ising noch seine Zuckerfabrik betrieb, erwartete er von seinem ältesten Sohn, dass dieser das Familienunternehmen weiterführen würde, aber Georg zog es vor, an der Technischen Hochschule in Aachen Maschinenbau zu studieren und entwickelt inzwischen in Frankfurt/M mit seinem jüdischen Freund und Vorgesetzten Josef Ganz gemeinsam einen „Volkswagen“ in der Form eines Maikäfers. Einen Prototyp präsentieren sie auf der Internationalen Automobil- und Motorradausstellung (IAMA) 1933 in Berlin – ein Jahr bevor Hitler die Massenmotorisierung mit einem Auto ankündigt, das nicht mehr als 990 Reichsmark kosten und für die breite Mehrheit der Bevölkerung erschwinglich sein soll.
Als Josef Ganz vor den Nationalsozialisten in die Schweiz flüchtet, hilft ihm Georg, aber kurze Zeit später nimmt er ein Angebot aus Stuttgart an: Ferdinand Porsche, der für Hitler den „Volkswagen“ entwickeln soll, stellt den Ingenieur aus Fallersleben ein und ernennt ihn zum Chef der Testfahrer, die mit einer kleinen Flotte von Prototypen zuerst nach Norddeutschland und dann zum äußersten Zipfel des Deutschen Reichs im Südosten fahren. Ziel ist der Berghof auf dem Obersalzberg, wo Georg und seine Kollegen am 20. April 1938 von Hitler, der an diesem Tag seinen 49. Geburtstag feiert, persönlich begrüßt werden.
Am 17. Februar 1939 eröffnet Hitler die 29. Internationale Automobil- und Motorradausstellung in Berlin. Bei dieser Messe wird der Volkswagen erstmals der Weltöffentlichkeit vorgestellt. Aber bald danach rückt das Interesse der Wehrmacht an einem leichten, geländegängigen Kübelwagen auf der Basis des Volkswagens in den Mittelpunkt.
Obwohl das Familienauto keine Priorität mehr hat, starten Georg Ising und sein Ingenieur-Kollege Paul Ehrhard im Mai 1941 zu einem Langstreckentest nach Kabul, wo sie am 26. Juni 1941 eintreffen – und von dem Gesandten Hans Pilger erfahren, dass aufgrund des Kriegs die Rückkehr auf dem Landweg unmöglich ist. Bevor eine Ju 52 die beiden Ingenieure ausfliegt, erhalten sie Befehl, dafür zu sorgen, dass die beiden Autos nicht in die Hände der Kriegsgegner fallen, aber Georg weigert sich, sie zu zerstören.
Wegen dieser Insubordination muss er an die Front. Während der Schlacht um Stalingrad macht der Oberbefehlshaber Friedrich Paulus den Ingenieur zu seinem Fahrer und überträgt ihm die technische Verantwortung für die Fahrzeuge des Stabs.
Am 18. Februar 1943, nach der deutschen Kapitulation in Stalingrad, ruft der Reichspropagandaminister Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast zum „totalen Krieg“ auf.
Dorothee und Hermann Ising erhalten die Nachricht, ihr Sohn Georg sei am 21. Januar 1943 in der Schlacht um Stalingrad gefallen. Tatsächlich überlebt er jedoch eine schwere Verwundung und kehrt 1955 nach mehr als zehn Jahren Zwangsarbeit in russischer Gefangenschaft nach Wolfsburg zurück.
Bei der Feier des millionsten Volkswagens versöhnt sich der aus Australien angereiste Josef Ganz mit ihm.
Horst Ising
Horst, der jüngere Sohn der Isings, nimmt mit seiner frisch angetrauten Ehefrau Ilse am Richtfest des neuen Elternhauses in Fallersleben teil. Er fühlt sich im Vergleich zu seinen Geschwistern zurückgesetzt und trachtet danach, anstelle von Georg das Familienunternehmen weiterzuführen.
Im Gegensatz zu den anderen Familienmitgliedern gehört Horst Ising zu den glühenden Nationalsozialisten. Er meldet es Sander, dem Kreisleiter von Fallersleben, als seine Schwester Charlotte den jüdischen Architekten des neuen Elternhauses heiratet – und wird dennoch oder gerade deshalb zum Bannführer ernannt.
„Betrachten Sie Ihre Ernennung als Vertrauensvorschuss. Ich bin sicher, Sie werden Gelegenheit haben, ihn zurückzuzahlen. In Ihrer Familie gibt es ja genug unsichere Kantonisten, die wir im Auge haben, angefangen mit Ihrem Herrn Vater, dem allseits geschätzten Ortsgruppenleiter.“
Um seine Parteikarriere weiter zu fördern, denunziert Horst Ising auch den Zukünftigen seiner Schwester Edda als Kommunisten. Ernst Hartlieb nimmt sich daraufhin das Leben.
Inge und Horst bekommen zwei Kinder, die sie Adolf und Eva nennen.
Als sich der Bau des Volkswagen-Werks in Fallersleben abzeichnet, absolviert Horst gegen den ausdrücklichen Willen seines Vaters auf Schloss Erwitte, einer Reichsschulungsburg in Westfalen, die Ausbildung zum Lagerführer der Deutschen Arbeitsfront. Den Schulungsbrief lässt Horst sich ebenso rahmen wie die bald darauf erfolgte Ernennung zum Hauptlagerführer des Arbeitslagers Fallersleben.
Einen tüchtigen Helfer findet er in dem 37-jährigen Heinz-Ewald Pagels, der ihm nach der Verbüßung einer zweijährigen Haftstrafe wegen Hochstapelei und Heiratsschwindels in der westfälischen Justizvollzugsanstalt Werl zugeteilt wird.
Nach der Feier zum 60. Geburtstag seines Vaters, an der auch Gauleiter Telschow teilnahm, wird Horst zum Ortsgruppenleiter der Stadt des KdF-Wagens ernannt. (Hermann Ising bleibt Ortsgruppenleiter von Fallersleben.)
Wie zum Ende des alten, strömten auch zu Beginn des neuen Jahres 1941 immer mehr Fremdarbeiter in die Stadt des KdF-Wagens. Sowohl von der Ost- als auch von der Westfront trafen regelmäßig Züge mit Kriegsgefangenen ein, und zu den Italienern und Polen kamen Franzosen und Dänen, Holländer und Belgier, Bulgaren und Rumänen hinzu, so dass sich das Arbeitslager während des Winters zu einem wahren Babylon entwickelte, bestehend aus einhundertvier Mannschaftsbaracken, vierundzwanzig Führerbaracken, sechsundzwanzig Waschbaracken, dreiundzwanzig Abortbaracken, vierundzwanzig Küchenbaracken sowie einem Dutzend Kranken-, Verwaltungs- und Bewirtschaftungsbaracken.
Bei einer Unterredung mit Obersturmbannführer Bodo Lafferentz zu diesem Thema meint Horst Ising:
„Entscheidend ist die Trennung des Menschenmaterials in rassisch höher- und minderwertige Gruppen“, erklärte Horst während des gemeinsamen Lagerrundgangs. „Also Franzosen, Holländer, Belgier auf der einen, Polen, Slowaken, Tschechen und sonstiges slawisches Gesindel auf der anderen Seite. […] Auf diese Weise lassen sich die rassisch höherwertigen Westarbeiter und die rassisch minderwertigen Ostarbeiter sowohl hinsichtlich ihrer Unterbringung als auch hinsichtlich ihrer Verpflegung unterschiedlich behandeln, ohne dass es zu Neid oder Missgunst kommt, was immer die Gefahr eines Aufruhrs in sich birgt.“
Als Horst Ising 1942 von Anton Piëch überredet wird, zusätzlich zu seinen Aufgaben als Ortsgruppenleiter das als Außenstelle des KZ Neuengamme auf dem Gelände des Volkswagenwerks neu gegründete KZ Arbeitsdorf zu leiten, löst ihn Heinz-Ewald Pagels als Hauptlagerführer ab. Das Schloss Wolfsburg wird die neue Dienstwohnung von Horst Ising und seiner Familie. Aber schon nach kurzer Zeit beklagt sich Anton Piëch bei einem Treffen mit Horst Ising im Hotel Adlon über Pagels, den er für überfordert hält. Während er Horst Ising wieder als Hauptlagerführer einsetzt, degradiert er Heinz-Ewald Pagels zu dessen Stellvertreter.
Horst Ising wird nach Berlin versetzt, wo er im Hauptsicherheitsamt dem SS-Brigadeführer Walter Schellenberg untersteht. Aber 1944 holt Anton Piëch ihn zurück: der Leiter des Volkswagen-Stammwerks in der Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben benötigt ihn für den Aufbau des KZ Laagberg und die Verlegung wichtiger Produktionsstätten in gegen Luftangriffe geschützte unterirdische Anlagen. Gleichzeitig soll Horst Ising DAF-Obmann für das Werk werden.
Aber noch bevor Horst nach Fallersleben zurückkehrt, schickt ihn Anton Piëch mit dem Betriebsingenieur Arthur Schmiele nach Auschwitz, wo sie 300 Fachkräfte aussuchen sollen. Richard Baer, der Kommandant des Stammlagers, empfängt die beiden Besucher in Vertretung seines Vorgesetzten Rudolf Höß. Nachdem Horst den fabrikmäßig organisierten Genozid in Auschwitz gesehen hat, reist er desillusioniert und deprimiert ab. Anton Piëch gibt ihm Pervitin, damit er überhaupt in der Lage ist, seine neuen Aufgaben zu übernehmen. Um trotz des Aufputschmittels schlafen zu können, schluckt Horst am Abend Veronal.
Als sich im Frühjahr 1945 die Amerikaner nähern, setzt er sich mit Frau und Tochter nach Dänemark ab ‒ ohne zu ahnen, dass fast zur gleichen Zeit sein kleiner Sohn Adolf getötet wird.
Nachdem er das Spruchkammerverfahren zur Entnazifizierung hinter sich gebracht hat, holt ihn Heinrich Nordhoff, der Generaldirektor der Volkswagenwerk GmbH in seinen Stab, und am 8. August 1955 sind Horst, Ilse und Eva Ising bei der Feier des millionsten VW-Käfers in Wolfsburg dabei.
Edda Ising
Im Alter von 28 Jahren ist die Göttinger Romanistik-Studentin Edda Ising noch Jungfrau, und als sie endlich bereit wäre, sich von ihrem Freund Ernst Hartlieb deflorieren zu lassen, muss sie sich übergeben.
Als Ernst von seiner Vermieterin in Göttingen mit aufgeschnittenen Unterarmen tot in der Badewanne liegend vorgefunden wird und sich kurz darauf auch dessen Eltern in Braunschweig das Leben nehmen, gibt Edda sich die Schuld. Sie ahnt nicht, dass Ernst von ihrem Bruder als Kommunist denunziert wurde und die Gestapo ihn zwingen wollte, Namen seiner Genossen zu nennen.
Deprimiert bricht Edda ihr Studium in Göttingen ab und kehrt zu ihren Eltern zurück, die inzwischen in das neugebaute Haus umgezogen sind, in dem auch für sie und ihre Geschwister Wohnungen bereit stehen. Edda bleibt dort, bis sie durch die Vermittlung ihres Onkel Carl Schmitt von Filmregisseurin Leni Riefenstahl als Assistentin eingestellt wird und nach Berlin zieht.
Edda ist begeistert dabei, als Leni Riefenstahl im September 1934 einen Dokumentarfilm über den Reichsparteitag in Nürnberg dreht, der unter dem Titel „Triumph des Willens“ in die Kinos kommt. Als Leni Riefenstahl im Sommer 1937 mit ihrer Assistentin nach Paris reist, wo sie für „Triumph des Willens“ mit dem Grand Prix der Weltausstellung ausgezeichnet wird, lässt Edda sich von ihrer Chefin küssen – und begreift nun, warum sie sich nicht zum Geschlechtsverkehr mit Ernst überwinden konnte.
Leni macht Edda nicht nur zu ihrer Produzentin, sondern auch zu ihrer Geliebten.
Bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin drehte Leni Riefenstahl einen aus zwei Teilen bestehenden Film: „Fest der Völker“ und „Fest der Schönheit“, der anlässlich von Hitlers Geburtstag am 20. April 1938 im UFA-Palast am Berliner Zoo uraufgeführt wird. Aufgrund des Erfolgs lädt das Motion Picture Artists Committee Leni Riefenstahl in die USA ein. Während sie mit Edda den Atlantik überquert, findet im Deutschen Reich in der Nacht vom 8./9. November 1938 ein Judenpogrom statt („Reichskristallnacht“), und nach der Ankunft in New York erfahren Leni und Edda, dass deshalb alle geplanten Veranstaltungen abgesagt wurden. Frustriert kehren sie zurück.
Leni und Edda haben ihre Koffer erneut gepackt, um nach Libyen zu reisen, wo sie den Film „Penthesilea“ drehen wollen, dessen Skript sie während eines Aufenthalts in Kampen auf Sylt geschrieben haben. Da beginnt Hitler den Zweiten Weltkrieg. Es ist der 1. September 1939.
„Seit fünf Uhr fünfundvierzig wird jetzt zurückgeschossen!“
Kurz darauf ruft Joseph Goebbels an.
„Wie schön, dass ich Sie zu dieser frühen Stunde erreiche, verehrtes Fräulein Riefenstahl. Ich habe gute Nachrichten für Sie! Sie haben jetzt Gelegenheit, sich für die vielen Wohltaten und Privilegien erkenntlich zu zeigen, mit denen die Regierung Sie in den vergangenen Jahren verwöhnt hat. Wir brauchen Sie!“
[…]
„ich bin praktisch schon unterwegs nach Libyen. Zu Dreharbeiten – mein neuer Film.“
„Der kann warten“, erwiderte Goebbels. „So leid es mir um Ihre Kunst tut – wir haben heute die Bildung eines ›Sonderfilmtrupp Riefenstahl‹ beschlossen. Es ist der persönliche Wille des Führers, dass Sie sich so schnell wie möglich auf den Weg nach Polen machen.“
Zunächst gerät Leni Riefenstahl außer sich, aber als sie erfährt, dass ein imposanter Stab und Fuhrpark für sie bereitgestellt werden, sagt sie sich, dass niemand den bevorstehenden Siegeszug der Wehrmacht so eindrucksvoll in Szene setzen könnte wie sie. Am 10. September 1939 treffen Leni und Edda an der Ostfront ein.
Bei der polnischen Stadt Końskie werden die beiden Frauen am 12. September zufällig Zeuginnen eines Kriegsverbrechens: Leutnant Bruno Kaminski initiiert aufgrund eines Missverständnisses die Erschießung einer Gruppe von Zivilisten.
Am 1. August 1940 beginnen in Mittenwald die Dreharbeiten für den Film „Tiefland“. Dort meldet sich Peter Jacob, ein Leutnant der Gebirgsjäger, bei Leni Riefenstahl und ihrer Produktionsleiterin Edda Ising, um ihnen eine Hundertschaft von „Zigeunern“ aus dem Lager Maxglan bei Salzburg anzukündigen, die als Komparsen Spanier darstellen sollen.
Leni Riefenstahl lässt sich auf eine Liebesbeziehung mit Peter Jacob ein.
Edda trennt sich von ihr nicht nur deshalb, sondern vor allem, weil sie entsetzt darüber ist, dass die egomanische Regisseurin vom Schicksal der KZ-Häftlinge unberührt bleibt.
Sie bewirbt sich bei der deutschen Botschaft in der seit Juni 1940 von den Deutschen besetzten französischen Hauptstadt Paris und wird als Sekretärin des mit ihrem Onkel Carl Schmitt befreundeten Kulturattachés Friedrich Sieburg im Palais Beauharnais eingestellt. Dort freundet sie sich mit ihrer Kollegin Irène Tardieu an, die ihr nach einiger Zeit anvertraut, dass sie sich in der Résistance engagiert.
1944 wird Edda zu General Dietrich von Choltitz, dem Stadtkommandanten von Groß-Paris, versetzt. Als sie dort für Irène Tardieu spioniert, wird sie von ihrem Chef ertappt. Aber statt sie zu bestrafen, bittet er sie um ihre Hilfe: Sie soll ihren Kontakten im Widerstand von weiteren Anschlägen abraten, denn nur so könne er die Befolgung von Hitlers Befehl vom 23. August 1944 zur Zerstörung von Paris weiter aufschieben.
Edda weiß, dass seit der Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 und dem Stauffenberg-Attentat am 20. Juli 1944 die Operation „Totentanz“ geplant ist: Irène Tardieu hat sich mit Carl Oberg, dem Höheren SS- und Polizeiführer mit dem heimlichen Spitznamen „Schlächter von Paris“, in einem Bordell verabredet, und dort ist in einem Plattenspieler eine Sprengladung mit Zeitzünder versteckt. Im letzten Augenblick gelingt es Edda, den Anschlag auf Carl Oberg zu verhindern.
Am 25. August 1944 übergibt General von Choltitz die unzerstörte Stadt Paris den Franzosen. Kurz nachdem er sich abführen ließ, wird Edda Ising von einem fanatischen Partisan in der Kommandantur erschossen.
Charlotte Ising
Charlotte („Charly“) Ising studiert in Göttingen Medizin. Nach Hitlers Machtergreifung setzt sie sich für eine rasche Eheschließung mit ihrem jüdischen Verlobten Benjamin („Benny“) Jungblut ein, weil sie hofft, dass er als Ehemann einer Nichtjüdin vor Antisemitismus geschützt ist. Ohne vorher ihren Eltern etwas zu sagen, heiraten die beiden vor dem Standesbeamten im Göttinger Rathaus.
Als Horst Ising von der Eheschließung seiner Schwester erfährt, schimpft er entrüstet: „Wir sind jüdisch versippt!“
Sobald Charlotte ihr Studium abgeschlossen hat, will sie Deutschland mit Benjamin verlassen. Seine Eltern haben sich bereits nach England abgesetzt. Aber Professor Wagenknecht, der Chefarzt der Universitäts-Kinderklinik in Göttingen, drängt Charlotte, bei ihm zu promovieren und stellt ihr die Habilitation in Aussicht, während Benjamin von Graf Schulenburg als Architekt für den Umbau der Wolfsburger Wirtschaftsbetriebe engagiert wird.
Nach Charlottes Promotion und Anstellung als Medizinalassistentin in der Göttinger Universitätsklinik lässt Benjamin sich heimlich von dem evangelischen Pastor Theobald Witzleben in der Michaeliskirche in Fallersleben taufen, und dann holt das Paar die kirchliche Trauung nach.
Charlotte wird zur Oberärztin befördert. Ihr Vorgänger Dr. Winkelmann übernimmt die Stelle des stellvertretenden ärztlichen Leiters der zwei Jahre zuvor von der SS gegründeten Einrichtung „Lebensborn“, in der „rassisch und erbbiologisch wertvolle“ ledige Mütter und deren Kinder betreut werden.
Charlotte und Benjamin sehen sich gezwungen, ihre Eheschließung formal annullieren zu lassen, und die Ärztin nimmt daraufhin auch wieder ihren Mädchennamen an.
Als Charlotte Ising erfährt, dass für die deutschen Bewacher im Durchgangslager Westerbork ein Krankenhaus eingerichtet wird, bewirbt sie sich in der Hoffnung, ihrem dort eingesperrten Mann wieder nahe sein zu können.
Das Bewerbungsgespräch mit ihr führt der Oberregierungsrat und SS-Sturmbannführer Walter Eibisch im Reichssicherheitshauptamt in Berlin. Der ruft anschließend Horst Ising an und äußert den Verdacht, dass dessen Schwester sich nur zum Schein von ihrem jüdischen Ehemann getrennt habe. Horst beauftragt daraufhin Heinz-Ewald Pagels, nach Göttingen zu fahren, in Charlottes Wohnung einzubrechen und nach Hinweisen zu suchen. Mit einem Packen Briefen in der Hand stellt der Charlotte zur Rede, nimmt ihr den Reisepass ab und zwingt sie, von der Universitäts-Kinderklinik in Göttingen zum Krankenhaus der Stadt des KdF-Wagens zu wechseln, wo er sie unter seiner Kontrolle haben will.
Aber auch dort gelingt es Charlotte, mit Benjamin Briefe zu wechseln – bis Heinz-Ewald Pagels einen davon entdeckt und Horst Ising sich an den Leiter des Durchgangslagers Westerbork wendet, damit sein Schwager auf die Liste für den nächsten Zug nach Auschwitz gesetzt wird.
Benjamin Jungblut
Benjamin Jungbluts Vater lehrt seit zwei Jahrzehnten Kunstgeschichte an der Universität Leipzig, aber nach Hitlers Machtergreifung sucht er mit seiner aus Holland stammenden Ehefrau Zuflucht in England.
Der Sohn, der am Bauhaus in Dessau Architektur studiert hat, bleibt zurück. Er baut für die Familie seiner Verlobten Charlotte Ising ein neues Haus in Fallersleben und erhält auch von dem Metzgermeister Gotthold Schweinske und dessen Ehefrau Elfriede einen Auftrag, aber kein anderer Bauherr wagt es noch, einen jüdischen Architekten zu beschäftigen.
Charlotte drängt Benjamin, seinen Eltern nachzureisen, aber er meint, der Spuk sei bald vorbei.
Durch die Vermittlung seines Schwiegervaters Hermann Ising wird Benjamin von Graf Schulenburg als Architekt für die Umgestaltung der Wolfsburger Wirtschaftsbetriebe unter Vertrag genommen. Und nachdem Graf Schulenburg ebenso wie der Zuckerbaron Hermann Ising ihre Ländereien für den Bau des Volkswagenwerks und der dazu gehörigen Wohnsiedlung abtreten mussten, erreicht Carl Schmitt, dass der junge Architekt als Assistent des Städteplaners Peter Koller eingestellt wird und besorgt ihm zugleich einen gefälschten Ariernachweis.
Der Schein war in Leipzig ausgestellt worden, auf der Grundlage von sieben Tauf- und Heiratsurkunden, die sich angeblich von seinen Vorfahren in den Verzeichnissen der Nicolai-Kirche gefunden hatten und vom Pfarrer dort beglaubigt worden waren.
Während Benjamin also nun in Fallersleben und Umgebung zu tun hat, arbeitet Charlotte nach der Eheschließung als Stationsärztin in Göttingen und beginnt mit ihrer Habilitation.
Benjamins Gefühl der Sicherheit hält nicht lange vor. Dafür sorgt sein Schwager Horst. Die Fälschung des Ariernachweises wird aufgedeckt, und Benjamins Pass eingezogen. Aber als Carl Schmitt im Frühjahr 1939 von dem Plan erfährt, 937 Juden an Bord eines Schiffes nach Kuba zu bringen, erpresst er Dr. Ludwig Wohlgemuth, einen hohen Beamten des Innenministeriums, mit kompromittierenden Informationen dazu, Benjamin den Pass zurückzugeben.
Als der Dampfer St. Louis der HAPAG Reederei am 13. Mai 1939 in Hamburg ausläuft, ist Benjamin an Bord. Charlotte, die nach Hamburg eilte, um seine letzte Nacht an Land mit ihm zu verbringen, will ihm so rasch wie möglich in die Neue Welt folgen.
Am 27. Mai 1939 erreicht die St. Louis Havanna, aber als sich herausstellt, dass sich Manuel Benitez, der Chef der kubanischen Einwanderungsbehörde, mit illegalen „Gebühren“ für die Permits bereichert hat, werden diese für ungültig erklärt, und die St. Louis muss am 2. Juni mit 917 an Bord verbliebenen Juden wieder in See stechen. Nachdem US-Präsident Franklin Roosevelt eine Aufnahme der Flüchtlinge abgelehnt hat, beordert die Reederei das für eine am 19. Juni in Hamburg beginnende Kreuzfahrt benötigte Schiff zurück. Kapitän Gustav Schröder hat alles versucht, seinen Passagieren zu helfen und dafür sogar ein Seegerichtsverfahren riskiert, aber es bleibt ihm nichts anderes übrig, als Kurs nach Osten zu nehmen.
Im letzten Augenblick erklären sich Frankreich, Großbritannien, Belgien und die Niederlande bereit, die Emigranten an Land zu lassen, und am 17. Juni gehen sie in Antwerpen von Bord.
Die meisten von ihnen möchten nach Großbritannien, weil sie befürchten, auf dem Kontinent nicht sicher genug vor den Nationalsozialisten zu sein. Benjamin weist darauf hin, dass seine Eltern britische Pässe bekommen hätten und sein Vater Professor für Kunstgeschichte in Cambridge sei. Daraufhin nimmt der zuständige Beamte ein Permit, um es für ihn abzustempeln, aber in diesem Augenblick meldet sich der ebenfalls anstehende Schauspieler Max Seligmann laut zu Wort: „But did’nt you tell me, that your mother is Dutch, Mister Jungblut?“ Und so muss Benjamin sich dem Kontingent für die Niederlande anschließen, das mit einem Ausflugsdampfer nach Rotterdam gebracht wird.
Nach dem Einmarsch der Deutschen in Holland am 10. Mai 1940 versucht Benjamin, aus dem Flüchtlingslager in Westerbork zu fliehen, aber in Amsterdam fällt er zwei Polizisten auf und muss zurück.
Weil Kamp Westerbork vergrößert und als Durchgangslager eingerichtet werden soll, beauftragt der Kommandant Jacques Schol den Architekten mit dem Bau weiterer Baracken und Anlagen. Dr. Fritz Spanier ist als Chefarzt vorgesehen. Im Oktober 1942 löst Obersturmbannführer Albert Konrad Gemmeker den niederländischen Hauptmann Jacques Schol als Leiter des Durchgangslagers ab, und im Monat darauf wird eine direkte Bahnstrecke von Westerbork nach Auschwitz für die Deportation von Juden, Sinti und Roma in Betrieb genommen.
Als Horst Issing erfährt, dass seine Schwester Charlotte auch nach der formalen Annullierung der Ehe noch immer heimlich mit ihrem Ex-Mann Briefkontakt hat, veranlasst er, dass sein Ex-Schwager auf die Liste für den nächsten Transport nach Auschwitz gesetzt wird. Im letzten Augenblick lässt Dr. Spanier die Tür des Viehwaggons noch einmal öffnen und seinen Freund herausholen.
„Sie wissen, dass Gemmeker Sie auf Geheiß Ihres Schwagers auf Transport schicken wollte?“, fragte Dr. Spanier.
„Nein“, sagte Benny. „Aber, um ehrlich zu sein – es wundert mich nicht.“
Der Arzt nickte. „Der Kerl scheint einigen Einfluss in Berlin zu haben. Und ich fürchte, wenn er es ein zweites Mal versucht, werde ich Ihnen nicht mehr helfen können. Deshalb gibt es meiner Meinung nach für Sie nur noch eine Möglichkeit.“ Er griff in die Innentasche seines Jacketts und reichte Benny ein zusammengefaltetes Blatt.
„Was ist das?“
„Ein Passierschein. Ich habe Sie für Malerarbeiten in meinem Haus angefordert. Damit können Sie das Haupttor passieren. Kommen Sie morgen in der Mittagspause.“
„Und dann?“, fragte Benny.
Der Arzt erwiderte sorgenvoll seinen Blick. „Sie müssen sich in Luft auflösen, Herr Jungblut. Eine andere Chance haben Sie nicht.“
Benjamin gibt sich als Holländer aus und verbringt einige Zeit in einer studentischen Wohngemeinschaft in Rotterdam. Conny und Pieter ahnen nichts von seiner wahren Identität, nur Mareike weiht er ein. Nachdem er weitergezogen ist, erwischt ihn die Bäuerin Marianne Duvallier beim Versuch, Eier und ein Huhn zu stehlen. Die junge Frau, deren Vater, Bruder und Ehemann als Partisanen gegen die Deutschen kämpften und starben, nimmt den halb verhungerten jüdischen Flüchtling bei sich auf.
Als Propaganda-Offizier der Amerikaner kommt Benjamin im Frühjahr 1945 zurück nach Fallersleben. Als sich ihnen eine Einheit des „Volkssturms“ in den Weg stellt, greift Benjamin zum Megaphon und fordert die Kinder und älteren Männer auf, sich zu ergeben. Stattdessen feuert Adolf Issing eine Panzerfaust ab – und ein Querschläger verwundet den Ex-Mann seiner Tante Charlotte schwer. Daraufhin eröffnen die Amerikaner das Feuer, und unter den Toten liegt dann auch der kleine Adolf. Sein Großvater Hermann Ising erträgt das alles nicht mehr: Er erschießt sich selbst.
So hätte sich Charlotte das ersehnte Wiedersehen mit Benjamin nicht vorgestellt: Mit einer Trage wird der Bewusstlose zu ihr gebracht, und weil der Chefarzt Dr. Körbel bereits getürmt ist, bleibt der Kinderärztin nichts anderes übrig, als die komplizierte Operation selbst durchzuführen.
Am 8. Mai 1945 kann Benjamin erstmals das Krankenzimmer verlassen.
Nach dem Krieg sucht er nach Dr. Spanier, um sich bei seinem Lebensretter zu bedanken. Aber der hilfreiche Arzt starb am Ende selbst in Auschwitz.
Als 1955 in Wolfsburg der millionste VW gefeiert wird, reisen auch Benjamin und Charlotte Jungblut mit ihrem neunjährigen Sohn George und der zwei Jahre jüngeren Tochter Edda aus London an.
Willy Ising
Als sich herausstellt, dass der am 2. November 1932 in Fallersleben geborene Nachkömmling Willy mongoloid ist, kommt es zum Streit zwischen den Eltern, Horst und Inge.
„Wie konnte das überhaupt passieren?“, fragte Horst. „Ich meine, Kinderkriegen, in eurem Alter! Da … da muss man sich ja schämen!“
„Schämen?“, rief der Vater. „Für das eigene Fleisch und Blut?“
„Ja, schämen“, wiederholte Ilse, die mit ihrer zweijährigen Tochter Eva, einem goldgelockten, vor Gesundheit strotzenden Dickerchen, an der Seite ihres Mannes saß. „Der Führer nennt so was unwertes Leben.“
Mit Hilfe von Charlotte gelingt es Dorothee, den Schulrektor Bemmelmann zu überreden, Willys Einschulung um ein Jahr zu verschieben, ohne das Kind persönlich in Augenschein zu nehmen.
Kreisleiter Sander erwartet von Horst Ising, dass Willy in ein Heim geschickt wird. Charlotte gelingt es zwar, von Professor Wagenknecht ein Gefälligkeitsgutachten zu bekommen, dem zufolge das Kind körperlich und geistig gesund sei, aber das lässt Sander nicht gelten. Als den Eltern mit dem Entzug des Sorgerechts für Willy gedroht wird, bringt Charlotte ihren kleinen Bruder in ein Heim in Brandenburg-Görden.
Als den Eltern auch nach einem halben Jahr noch immer ein Besuch bei Willy verweigert wird, wendet sich Hermann Ising Hilfe suchend an August Friedrich Karl Marahrens, den Bischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, aber kurz darauf erhalten Hermann und Dorothee Ising die Mitteilung, dass ihr kleiner Sohn in die Heil- und Pfleganstalt Bernburg an der Saale verlegt wurde.
Dorothee und Hermann Ising setzen große Hoffnungen auf die von Dr. Irmfried Eberl, dem Leiter der Einrichtung in Bernburg, empfohlene Gehirnbestrahlung. Sie ahnen nicht, dass sich Willy in einer Tötungsanstalt der „Aktion T4“ befindet. Nach einigen Monaten erhalten sie die Nachricht vom Tod ihres Sohnes.
Heinz-Ewald Pagels
Nach der Verbüßung einer zweijährigen Haftstrafe wegen Hochstapelei und Heiratsschwindels in der westfälischen Justizvollzugsanstalt Werl kommt der 37-jährige Heinz-Ewald Pagels nach Fallersleben. 1941 sorgt Horst Ising dafür, dass sein Unterführer die Leitung des Werksschutzes übernimmt. Weil es sich dabei um eine Aufgabe der SS handelt, wird Pagels im Rang eines Obersturmführers in die Schutzstaffel aufgenommen.
Als Horst Ising von Anton Piëch überredet wird, zusätzlich zu seinen Aufgaben als Ortsgruppenleiter das KZ Arbeitsdorf zu leiten, folgt ihm Heinz-Ewald Pagels als Hauptlagerführer der Stadt des KdF-Wagens. Aber schon bald ist Piëch unzufrieden mit Pagels. Er setzt erneut Horst Ising als Hauptlagerführer ein und degradiert Heinz-Ewald Pagels zu dessen Stellvertreter.
Seit Beginn seiner Tätigkeit betreibt Pagels einen lukrativen Schwarzhandel. Einer seiner Lieferanten ist Umberto Pappalardo, der Vertreter der italienischen Arbeiter im Volkswagen-Werk. Als Horst Ising zufällig Unterwäsche aus dem Lager in einem Bekleidungsgeschäft entdeckt, lässt er sich den Lieferanten beschreiben und daraufhin Hauptscharführer Josef Pump festnehmen. Vor dem Landgericht Gifthorn bekennt der Angeklagte sich für schuldig, weist aber darauf hin, dass er im Auftrag seines Vorgesetzten Pagels gehandelt habe. Heinz-Ewald Pagels wird daraufhin im KZ Laagberg eingesperrt.
Als sich die Amerikaner nähern, nutzt Pagels das Chaos, um sich mit einem Hammer die linke Hand zu zertrümmern und weitere Selbstverletzungen zuzufügen. In blutiger Häftlingskleidung will er sich den Amerikanern gegenüber als Opfer der Nationalsozialisten ausgeben. Aber die eigenen Leute schlagen ihn mit einer Eisenstange nieder.
Gisela Bernstein
Der mit Hermann Ising befreundete Kuchenfabrikant Wilhelm Bernstein wohnt mit seiner Frau Mathilde und der am 10. Juni 1915 geborenen Tochter Gisela („Gilla“) in der Beletage einer gutbürgerlichen Villa in Berlin-Wilmersdorf.
Dass die minderjährige Tochter als spärlich bekleidete Sängerin und Tänzerin in der Bar „Grüner Kakadu“ auftritt, ahnen die Eltern nicht, aber nach einer Razzia schaltet sich das Jugendamt ein, und Gisela soll daraufhin ins Klosterinternat. Zum Glück lehnen die Nonnen die Aufnahme einer Jüdin ab, und Gisela kommt deshalb in die 1935 von Leonore Goldschmidt für jüdische Kinder gegründete Privatschule in Grunewald.
Ihre Freundin, die Arzttochter Selma Schönemann, emigriert mit den Eltern nach Brüssel, wo der Vater hofft, eine neue Praxis eröffnen zu können.
Wilhelm Bernstein bietet seinem langjährigen Prokuristen Schürgers, der als Lehrling in dem Unternehmen angefangen hatte, die Kuchenfabrik zum Kauf an, um mit der Familie ins Elsass auswandern zu können, wo ihm ein Verwandter eine Anstellung als Buchhalter in seiner Weinhandlung in Aussicht gestellt hat. Aber bevor über den Kaufvertrag entschieden ist, schließt der heimlich von Schürgers eingeschaltete Wirtschaftskontrolldienst die Kuchenfabrik unter einem Vorwand, und Wilhelm Bernstein erhält gerade einmal 10.000 Reichsmark für den Betrieb.
Das Geld reicht nicht für eine Emigration, und die Bernsteins müssen aufgrund ihrer finanziellen Situation von der Villa in Wilmersdorf in eine Souterrainwohnung in einer Mietskaserne im Wedding umziehen.
Vera Hirschfeld, die fünf Jahre ältere Tochter der Nachbarn, bringt Gisela auf die Idee, sich für die Aufnahme in die Modeschule zu bewerben. Weil die Familie das Schulgeld nicht aufbringen könnte, sorgt der Schulleiter Herward Senftleben dafür, dass Gisela für reiche Kundinnen Näharbeiten gegen Bezahlung durchführen darf.
In der Nacht vom 8./9. November 1938 verwüsten SA-Männer auch die Wohnung der Bernsteins.
Gisela, die inzwischen als Aktmodell Geld verdient, träumt von einer Karriere als Modistin und schneidert ein Kleid für Emmy Göring, das die als Dienstmädchen in Carinhall beschäftigte Cousine Inge ihrer Freundin Petra der Ehefrau des Reichsmarschalls überbringen soll. Aber Emmy Göring schaut das Geschenk nur verächtlich an und wirft es einer Putzfrau hin.
Carl Schmitt, der Gisela Bernstein aus dem „Grünen Kakadu“ kennt, versucht, sie mit drei Tickets für die Ausreise auf der St. Louis zu trösten, aber als Gegenleistung erwartet er nicht nur ein Schäferstündchen mit Gisela, sondern außerdem, dass sie illegale Machenschaften jüdischer Familien denunziert. Und zum Verrat ist Gisela (noch) nicht bereit.
Wenige Wochen vor dem Abschluss der Ausbildung in der Modeschule muss Gisela das Institut verlassen, weil sie Jüdin ist.
Wilhelm Bernstein bewahrt drei Jahre lang gültige Fahrkarten für eine Schiffsreise von Lissabon nach New York für Adam Miszewski auf, einen jüdischen Gitarristen, der wie andere aus Polen stammende Juden abgeschoben wurde. Als er jedoch von Adam Miszewskis Mutter in Krakau die Nachricht erhält, dass ihr Sohn und ihre Schwiegertochter vermisst und vermutlich tot sind, beabsichtigen die Bernsteins, die drei Schiffskarten selbst zu benutzen. Das Geld für die Fahrt nach Lissabon leiht Wilhelm Bernstein sich von seinem Freund Hermann Ising. Während das Ehepaar Bernstein und die Tochter Gisela noch auf die beantragte Ausreiseerlaubnis warten, werden sie zum Arbeitsdienst ab 13. Mai 1940 in den Siemenswerken verpflichtet.
Ab 1. September 1941 müssen sie einen auf die Kleidung aufgenähten gelben Stern auf der Brust tragen.
Eine Verordnung vom 1. Oktober 1941, die es Juden verbietet, das Deutsche Reich zu verlassen, zerstört die letzten Hoffnungen der Bernsteins.
Gisela heiratet auf dem Standesamt den Juden Manfred Kübler, den sie in den Siemenswerken kennengelernt hat.
Als 1942 ihre Eltern von der Gestapo abgeholt werden, wendet sich Gisela Hilfe suchend an Prof. Carl Schmitt. Der ist bereit, sich für die Freilassung des Ehepaars einzusetzen, verlangt dafür aber erneut sexuelle Gefälligkeiten, und jetzt sieht Gisela keine Möglichkeit mehr, sie ihm zu verweigern. Ihre Eltern kommen daraufhin frei.
Aber Carl Schmitts Umgang mit der Jüdin bleibt der Gestapo nicht verborgen. SS-Sturmbannführer Walter Eibisch im Reichssicherheitshauptamt konfrontiert ihn mit dem Vorwurf der „Rassenschande“. Daraufhin behauptet der Professor, er habe auf geheime höhere Weisung gehandelt, um die Jüdin als Greiferin zu gewinnen. Eibisch glaubt ihm zwar nicht, geht aber auf die Lüge ein, um die Situation auszunutzen.
Kurz darauf werden Wilhelm und Mathilde Bernstein erneut in ein Sammellager gebracht, und um sie vor der Deportation in ein Vernichtungslager zu retten, muss Gisela der Gestapo jede Woche mindestens zwei untergetauchte Juden verraten. Beispielsweise sorgt sie für die Festnahme ihrer ehemaligen Mitschülerin Sylvia Weischedel und ihres früheren Mathematik-Lehrers Dr. Eberhard Rosen. Manfred, der längst argwöhnisch geworden ist, ertappt sie, als sie zwei Gestapo-Beamte in Zivil auf eine Jüdin aufmerksam macht. Entsetzt wendet er sich von ihr ab.
Gleich darauf stellt Carl Schmitt sie vor die Wahl zwischen ihrem Ehemann und ihren Eltern. Um ihre Eltern zu retten, verrät Gisela das Versteck in Lichterfelde, in dem sie zuletzt mit Manfred und anderen untergetauchten Juden wohnte. Vor ihren Augen werden die Bewohner abgeführt. Auch Manfred ist darunter. Und dann erfährt sie, dass ihre Eltern bereits unterwegs nach Auschwitz sind.
Weil Gisela aufgrund des Verrats und des Schocks über die Deportation ihrer Eltern zusammengebrochen ist, droht SS-Sturmbannführer Walter Eibisch dem Professor erneut mit einem Verfahren wegen „Rassenschande“, damit er Gisela zum Weitermachen zwingt.
Zufällig lernt Gisela die Jüdin Hertha Eichelhardt kennen, die mit dem „arischen“ Besitzer eines Schuhgeschäfts in Berlin verheiratet ist und deshalb Sonderrechte genießt. Die beiden Frauen freunden sich an, und als Hertha Eichelhardts jüdischer Geliebter Rudi Wolf deportiert werden soll, setzt Gisela sich für seine Rettung ein. Sie berichtet Kommissar Dobberke, dem Leiter des Sammellagers, dass sich der Greifer Heribert Neuweck von Juden dafür bezahlen lässt, sie nicht zu verraten. Ihrem Wunsch gemäß streicht Dobberke daraufhin Rudi Wolf von der Transportliste und schickt stattdessen Heribert Neuweck nach Auschwitz.
Als Gisela schwanger ist, verlangt Carl Schmitt eine Abtreibung. Aber sie weigert sich und bringt dann eine Tochter zur Welt, der sie den Namen Hertha gibt – in Erinnerung an ihre inzwischen nach Auschwitz deportierte Freundin.
Nach dem Krieg verurteilt ein sowjetisches Tribunal Gisela wegen ihrer Tätigkeit als Greiferin zu einer langen Haftstrafe, und die kleine Hertha wächst bei einer Pflegefamilie auf, während Gisela mehr als zehn Jahre lang in den Straflagern Sachsenhausen und Torgau sowie in der Festung Hoheneck eingesperrt bleibt.
Weitere Romanfiguren
• Frits van Ackeren: Antiquitätenhändler in Amsterdam
• Evelyne und Caroline Alber: minderjährige Flüchtlinge auf der St. Louis
• Robert Allmers: Präsident des Reichsverbandes der deutschen Automobilindustrie (RDA)
• Richard Baer: Lagerkommandant in Auschwitz
• Ehepaar Bamberger: Emigranten auf der St. Louis, das Ehepaar stirbt bei einem erweiterten Suizid im Kamp Westerbork
• Bemmelmann: Schulrektor in Fallersleben
• Manuel Benitez: Chef der kubanischen Einwanderungsbehörde
• Wilhelm und Mathilde Bernstein: Kuchenfabrikant in Berlin und Ehefrau, Eltern von Gisela („Gilla“) Bernstein
• Karl-Heinrich Bock: Sonderbeauftragter des preußischen Regierungspräsidenten
• Hans von Boineburg-Lengsfeld: Kommandant von „Groß-Paris“, Vorgänger von General Dietrich von Choltitz
• Hartwig Breidenstein: in Darmstadt ansässiger Verleger der Zeitschrift „Motor-Kritik“
• Bruni: langjährige Haushälterin der Familie Ising
• Hans Buthner: Betreiber eines Musikladens in Berlin mit großer Plattensammlung
• Dobberke: Kommissar, Leiter eines Sammellagers in Berlin
• Marianne Duvallier: verwitwete junge Bäuerin
• Dr. Irmfried Eberl: medizinischer Leiter der Tötungsanstalt Bernburg an der Saale
• Paul Ehrhardt: gegen Josef Ganz intrigierender Ingenieur
• Walter Eibisch: Oberregierungsrat und SS-Sturmbannführer im Reichssicherheitshauptamt in Berlin
• Hertha Eichelhardt: mit Gisela Bernstein befreundete jüdische Ehefrau von Georg Eichelhardt
• Roland Freisler: Strafrichter
• Heinz Gansohr: von Leni Riefenstahl bevorzugter Beleuchter
• Josef Ganz: Ingenieur und Journalist ungarisch-jüdischer Herkunft, Konstrukteur eines „Volkswagens“
• Albert Konrad Gemmeker: Obersturmbannführer, Kommandant des Durchgangslagers Westerbork
• Joseph Goebbels: Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda
• Leonore Goldschmidt: Gründerin einer jüdischen Privatschule in Berlin-Grunewald
• Emmy Göring: Schauspielerin, zweite Ehefrau Hermann Görings
• Hermann Göring: Reichsmarschall, Reichsluftfahrtminister, Reichsforstmeister …
• Heini Grätjens: Conférencier in der Bar „Grüner Kakadu“ in Berlin
• Ernst Hartlieb: Edda Isings Verlobter
• Dr. Heinze: Leiter der Heil- und Pflegeanstalt Görden
• Reinhard Heydrich, SS-Obergruppenführer, Chef der Sicherheitspolizei und des SD
• Vera Hirschfeld: Tochter der Nachbarn der Familie Bernstein im Wedding
• Antonius Holling: Pfarrvikar aus Hlldesheim, soll eine katholische Gemeinde in der Stadt des KdF-Wagens aufbauen
• Christine Höpfner: Georg Isings vorübergehende Verlobte
• Rudolf Höß: SS-Obersturmbannführer, Lagerkommandant in Auschwitz
• Inge: Dienstmädchen in Carinhall
• Adolf und Eva Ising: Kinder von Inge und Horst Ising
• Peter Jacob: Leutnant der Gebirgsjäger, Liebhaber von Leni Riefenstahl
• Johanna: Oberschwester in der Universitäts-Kinderklinik in Göttingen
• Bruno Kaminski: Leutnant
• Erich Kaminski: Hehler aus Berlin-Neukölln
• Karl Koller: Generalstabschef der deutschen Luftwaffe
• Peter Koller: Architekt, mit der Planung der Stadt des KdF-Wagens betraut
• Dr. Körbel: Chefarzt in der Stadt des Kdf-Wagens, Charlotte Isings Chef
• Manfred Kübler: Gisela Bernsteins jüdischer Ehemann
• Kurbjuweit: Vorarbeiter bei den Siemenswerken in Berlin
• Bodo Lafferentz: Obersturmbannführer, Geschäftsführer der Volkswagen-Gesellschaft
• Hans Heinrich Lammers: Chef der Reichskanzlei
• Federico Laredo Brú: kubanischer Staatspräsident
• Robert Ley: Leiter der Deutschen Arbeitsfront
• Gustav Lohmann: Direktor der Raiffeisenkasse, die Hermann Ising den Kredit für den Hausbau gewährt
• Hans Lohmann: Gustav Lohmanns Sohn, früherer Mitschüler Hermann Isings, derzeitiger Direktor des Schwefelbads
• Lübbecke: Arbeiter in Hermann Isings Zuckerfabrik
• August Friedrich Karl Marahrens: Bischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers
• Mareike: Studentin in Rotterdam
• Adam Miszewski: nach Polen abgeschobener Gitarrist in der Bar „Grüner Kakadu“ in Berlin
• Heribert Neuweck: korrupter jüdischer „Greifer“ in Berlin
• Heinrich Nordhoff: Generaldirektor der Volkswagenwerk GmbH
• Carl Oberg: Höherer SS- und Polizeiführer mit dem heimlichen Spitznamen „Schlächter von Paris“
• Heinz-Ewald Pagels: vorbestrafter Unterführer im von Horst Ising geführten Barackenlager, zeitweiliger Hauptlagerführer
• Umberto Pappalardo: Vertreter der italienischen Arbeiter im Volkswagen-Werk, heimlicher Schwarzmarkt-Lieferant von Heinz-Ewald Pagels
• Madeleine Paqué: Redaktionsassistentin der Zeitschrift „Motor-Kritik“
• Friedrich Paulus: 1943 zum Generalfeldmarschall ernannter Oberbefehlshaber der 6. Armee in Stalingrad
• Petra: Freundin von Gisela Bernstein
• Dr. Anton Piëch: Leiter des Volkswagen-Stammwerks in der Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben (Wolfsburg)
• Hans Pilger: außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister in Afghanistan
• Ferdinand Porsche: Automobilkonstrukteur, Entwickler des Volkswagens
• Josef Pump: Hauptscharführer, Untergebener und Komplize von Heinz-Ewald Pagels
• Johan Raaijmakers: Betreiber eines Fotoladens in Amsterdam
• Walter von Reichenau: nach dem Krieg gegen Polen zum Generaloberst beförderter Oberbefehlshaber der 10. Armee
• Dr. Reuter, Gynäkologin in Göttingen
• Leni Riefenstahl: Filmregisseurin
• Franklin und Eleanor Roosevelt: US-Präsident und First Lady
• Dr. Eberhard Rosen: Mathematik-Lehrer an der Goldschmidt-Schule in Berlin
• Madame Roswitha: Bordellbetreiberin
• Sander: Kreisleiter von Fallersleben
• Walter Schellenberg: SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei im Reichssicherheitshauptamt
• Otto Schiendick: Steward auf der St. Louis und Gestapo-Spitzel
• Kurt Schlesinger: Oberdienstleiter im Kamp Westerbork
• Arthur Schmiele: Betriebsingenieur im Volkswagen-Werk
• Jacques Schol: Kommandant des Flüchtlingslagers Westerbork
• Selma Schönemann: Arzttochter, Freundin von Gisela Bernstein
• Gustav Schröder: Kapitän der St. Louis
• Friedrich-Werner Graf von der Schulenburg: deutscher Botschafter in Moskau
• Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg: stellvertretender schlesischer Oberpräsident
• Günther Graf von der Schulenburg-Wolfsburg: letzter adeliger Besitzer des Schlosses Wolfsburg
• Schürgers: Prokurist in Wilhelm Bernsteins Kuchenfabrik
• Gotthold und Elfriede Schweinske: Metzgermeister in Fallersleben und Ehefrau
• Max Seligmann: Schauspieler, Emigrant auf der St. Louis
• Herward Senftleben: Leiter einer Modeschule in Berlin
• Friedrich Sieburg: Kulturattaché in Paris
• Kurt Silberstein: jüdischer Rechtsanwalt, nach dem Berufsverbot Müllkutscher
• Dr. Fritz Spanier: jüdischer Arzt, mit seiner Familie auf der St. Louis, Töchter: Ines und Renate, später Chefarzt im Durchgangslager Westerbork
• Albert Speer: Architekt, ab 1942 Reichsminister für Bewaffnung und Munition
• Jakob Sprenger: Reichsstatthalter von Hessen
• Steineke: Bürgermeister von Fallersleben
• Irène Tardieu: mit Edda Ising befreundete Sekretärin der deutschen Botschaft in Paris, Aktionistin der Résistance
• Tatjana: Hebamme in der Stadt des KdF-Wagens
• Otto Telschow: Gauleiter von Ost-Hannover
• Heinz Todtmann: Kurt Schlesingers Stellvertreter im Jüdischen Rat des Lagers Westerbork
• Prof. Wagenknecht: Chefarzt der Universitäts-Kinderklinik in Göttingen
• Elfriede Warnke: Hebamme in Fallersleben
• Sylvia Weischedel: ehemalige Mitschülerin Gisela Bernsteins an der Goldschmidt-Schule in Berlin
• Leopold Weißgerber: jüdischer Betreiber eines Schreibwarengeschäfts in Berlin
• Jakob Werlin: Generalinspekteur des Führers für das Kraftfahrtwesen
• Fräulein Wildschütz: Graf Schulenburgs Sekretärin
• Winkelmann: stellvertretender ärztlicher Leiter der SS-Einrichtung „Lebensborn“
• Theobald Witzleben: evangelischer Pastor in Fallersleben
• Ludwig Wohlgemuth: hoher Beamter des Innenministeriums
• Rudi Wolf: Hertha Eichelhardts Geliebter
• Otto Wolgast: Bürgermeister von Fallersleben
In seinem zweibändigen Roman „Eine Familie in Deutschland“ erzählt Peter Prange von dem Zuckerbaron Hermann Ising in Fallersleben, dessen Frau Dorothee und den fünf grundverschiedenen Kindern. Die Handlung beginnt 1933, und der erste Band – „Zeit zu hoffen, Zeit zu leben“ – nimmt uns bis zum Kriegsbeginn im September 1939 mit. Der zweite Band – „Am Ende die Hoffnung“ – endet 1955, als der millionste VW-Käfer in Wolfsburg vom Band rollt: von der Nazi-Diktatur bis zum Wirtschaftswunder.
Weil auf einem Areal bei Fallersleben und Schloss Wolfsburg die größte Autofabrik Europas samt dazugehöriger Wohnstadt gebaut werden soll, müssen Hermann Ising und Graf von der Schulenburg ihre Ländereien abgeben. Dieser erzwungene Besitzwechsel ist nur ein Beispiel für die Umwälzungen nach Hitlers Machtergreifung, die Familie Ising schwer zu schaffen machen. Es geht in „Eine Familie in Deutschland“ um Liebe und Verrat, Mut und den Willen zum Durchhalten, Hoffnung und Verzweiflung.
Die fiktive Handlung spielt vor dem Hintergrund der Zeitgeschichte. Dementsprechend tauchen in „Eine Familie in Deutschland“ zahlreiche Persönlichkeiten auf, für die es historische Vorbilder gibt, wie zum Beispiel: Hermann Göring, Joseph Goebbels, Albert Speer, Carl Oberg, Dietrich von Choltitz, die Grafen von der Schulenburg, Kapitän Gustav Schröder, Stella Goldschmidt, Ferdinand Porsche, Anton Piëch, Heinrich Nordhoff und Leni Riefenstahl, der Peter Prange eine Liebesbeziehung mit Edda Ising andichtet.
Die nachfolgende Geschichte ist, obwohl angelehnt an historische Ereignisse, frei erfunden. Rückschlüsse auf die tatsächliche Lebenswirklichkeit der geschilderten Personen sollen in keiner Weise nahegelegt oder ermöglicht werden. Die Handlungsstränge der Geschichte sind ebenso wie die Lebenswege der Protagonisten Erfindungen des Autors. Dies gilt sbesondere für deren Verstrickungen in der Nazizeit und die Schilderung ihrer Privatsphäre. Alle intimen Szenen sowie die Dialoge und die Darstellung der Gefühlswelt des gesamten Romanpersonals sind reine Fiktion. (Vorbemerkung)
Bei der Vielzahl der Figuren in „Eine Familie in Deutschland“ ist es nicht verwunderlich, dass es den Charakteren an Vielschichtigkeit mangelt. Ihre Rolle ist es, möglichst viele Facetten des Umgangs mit dem Nationalsozialismus zu verkörpern.
Mit den Romanfiguren versucht Peter Prange, die gesamte Bandbreite des Verhaltens gegenüber dem NS-Regime abzudecken. Da ist der traditionsbewusste Zuckerbaron, der opportunistische Ingenieur, der skrupellose Karrierist, der andere denunziert, um in der Parteihierarchie aufzusteigen, die Künstlerin, die ihr außergewöhnliches Können in den Dienst des verbrecherischen Regimes stellt und sich selbst vormacht, unpolitisch zu handeln. Auf der anderen Seite stehen Juden, die sich bis zu Hitlers Machtergreifung als Deutsche verstehen, die sich nicht vorstellen können, dass man sie in absehbarer Zeit verfolgen würde, Juden, die dann verzweifelt versuchen, vor den Nationalsozialisten zu fliehen. Mit dem Ende 1932 in Fallersleben geborenen, am Down-Syndrom leidenden Nachzügler Willy Ising gibt es ein fröhliches Kind, das von fast allen in der Familie geliebt wird, aber zu den Menschen gehört, die von den Fanatikern für „lebensunwert“ gehalten werden.
Peter Prange hat „Eine Familie in Deutschland in sechs Teile und einen Epilog gegliedert: (1) Das Richtfest 1933/1934, (2) Stadt des KdF-Wagens 1937/1938, (3) Volksmobilmachung 1939, (4) Potemkin’sche Dörfer 1939 – 1941, (5) Wintersonnenwende 1942/43, (6) Totentanz 1944/45, (7) Das Auto der Deutschen 1955. Die Kapitel sind chronologisch angeordnet und zumeist nur wenige Seiten lang. Das trägt dazu bei, dass sich die beiden Bücher schnell und leicht lesen lassen. Mit der fulminanten Familiensaga bzw. dem historischen Roman „Eine Familie in Deutschland“ veranschaulicht Peter Prange auf unterhaltsame Weise auch Zeitgeschichte.
Den zweibändigen Roman „Eine Familie in Deutschland“ von Peter Prange gibt es auch als Hörbücher, gelesen von Frank Arnold.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2021
Textauszüge: © S. Fischer Verlag
Peter Prange: Das Bernstein-Amulett
Peter Prange: Die Principessa
Peter Prange: Die Philosophin
Peter Prange: Miss Emily Paxton / Die Rebellin
Peter Prange: Himmelsdiebe
Peter Prange: Der Kinderpapst
Peter Prange: Ich, Maximilian – Kaiser der Welt
Peter Prange: Die Rose der Welt
Peter Prange: Unsere wunderbaren Jahre