Christa Wolf : Der geteilte Himmel

Der geteilte Himmel
Der geteilte Himmel Originalausgabe: Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1963 dtv, München 1973 ISBN: 978-3-423-00915-7, 197 Seiten Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M 2008 Mit einem Kommentar von Sonja Hilzinger ISBN: 978-3-518-18887-3, 337 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Statt sich für den Sozialismus zu engagieren, verfolgt der Chemiker Manfred Herrfurth seine persönliche Karriere und verlässt deshalb die DDR. Dass dadurch seine Liebesbeziehung mit Rita Seidel zerbricht, nimmt er in Kauf. Rita bleibt in der DDR. Sie hält es für ihre Aufgabe, sich für sozialistische Reformen einzusetzen und ihre Privatinteressen zurückzustellen. Ihr Vorbild ist nicht der sture Dogmatiker, sondern ein Arbeiter, der seine Kollegen dazu anhält, freiwillig mehr zu leisten und ihre Arbeitskraft voll einzubringen.
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Kritik

Christa Wolf erzählte in "Der geteilte Himmel" die Geschichte einer an der Teilung Deutschlands scheiternden Liebe und spiegelte nüchtern die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR Anfang der 60er-Jahre. Dabei drückte sie ihre Zuversicht aus, dass die Systemmängel überwunden werden könnten.
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Rita Seidel, eine einundzwanzigjährige Lehramts-Studentin und Praktikantin in einem Waggonwerk in Halle an der Saale, liegt von August 1961 bis Oktober 1961 nach einem Betriebsunfall, bei dem es sich möglicherweise um einen Selbstmordversuch handelte, zunächst im Krankenhaus und dann in einem Sanatorium. Sie erinnert sich an ihre Erlebnisse in den letzten beiden Jahren.

Ritas Vater war aus dem Zweiten Weltkrieg nicht zurückgekehrt. Mit ihrer verwitweten Mutter und deren Schwester lebte sie in einem mitteldeutschen Dorf. Weil es an Geld fehlte, konnte sie nicht studieren, sondern fing im Alter von siebzehn Jahren in einem Versicherungsbüro zu arbeiten an. Zwei Jahre später – im August 1959 – lernte sie beim Dorftanz den zehn Jahre älteren Doktoranden Manfred Herrfurth aus Halle kennen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Sie verbrachten zusammen einen Skiurlaub und wurden ein Paar.

Im März 1960 ließ Rita sich von Ernst Schwarzenbach, einem Bevollmächtigten für Lehrerwerbung, doch noch zu einem Studium ermutigen. Im folgenden Monat zog sie nach Halle und richtete sich mit Manfred zusammen in einer kleinen Dachwohnung in seinem Elternhaus ein.

Beim gemeinsamen Abendessen mit Manfred und seinen Eltern kam es häufig zu Streitigkeiten: Manfred hasste seinen Vater, der Nationalsozialist gewesen war und sich nach dem Zweiten Weltkrieg in die SED hatte aufnehmen lassen. Das Verhältnis zu seiner nörglerischen Mutter Elfriede war auch nicht besonders herzlich.

Zur Vorbereitung auf das Studium begann sie ein Praktikum bei der Brigade Ermisch in dem Waggonwerk, in dem Manfreds Vater Ulrich Herrfurth als kaufmännischer Leiter tätig war. Der Brigadeleiter teilte sie Rolf Meternagel zu, einem früheren Meister, der wegen Unregelmäßigkeiten in der Brigade Ermisch von Ulrich Herrfurth zum Arbeiter degradiert worden war. Trotz dieser Ungerechtigkeit blieb seine Motivation, am Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft mitzuwirken, ungebrochen. Er machte sich Notizen über die Bummelei der Kollegen und wartete auf den richtigen Zeitpunkt, um die Arbeitsmoral zu verbessern. Der schweigsame Mann wurde für Rita zum väterlichen Freund und Vorbild.

Als die Brigade Ermisch im April 1960 die Fertigstellung des 5000. Waggons feierte, zeichneten sich bereits Probleme bei der Zulieferung ab. Dass es dadurch zu Arbeitsausfällen kam, konnte auch der neue Werksleiter Ernst Wendland nicht verhindern. Trotz aller Schwierigkeiten gelang es Meternagel, seine Kollegen rechtzeitig zum 15. Betriebsjubiläum für eine Erhöhung der Arbeitsnormen zu gewinnen.

Nach einem gemeinsam mit Manfred verbrachten Sommerurlaub auf dem Land begann Rita mit dem Studium. Und sie freundete sich mit der lebenslustigen Friseuse Marion an.

Manfred, der inzwischen promoviert hatte, entwickelte zusammen mit dem Ingenieur Martin Jung eine verbesserte Spinnmaschine. Dabei wurden die beiden jungen Männer Freunde. An Weihnachten erfuhren sie, dass ihre Erfindung von Parteifunktionären abgelehnt worden war. Dieser Fehlschlag verstärkte Manfreds Zweifel am politischen System der DDR. Weil ihm die eigene Karriere wichtiger war als gesellschaftliche Ideale, beschloss er, sich in den Westen abzusetzen.

Rita wollte sich dagegen für Reformen in der DDR einsetzen. Die Entfremdung von Manfred aufgrund ihrer unterschiedlichen Standpunkte und die Nachricht über die „Republikflucht“ der Eltern ihrer Kommilitonen Sigrid verwirrten sie. Um wieder zu sich selbst zu finden, besuchte sie ihre Mutter. Weil sie deshalb einige Tage im Studium versäumte, verlangte Mangold, ein sturer Dogmatiker unter den Parteifunktionären, ihre Bestrafung.

Im Juni 1961 verwirklichte Manfred seinen Entschluss, die DDR zu verlassen. Rita besuchte Manfred Anfang August 1961 in Westberlin. Er wollte sie überreden, bei ihm zu bleiben, aber Rita fühlte sich in der vom Konsum beherrschten Umgebung nicht wohl: Sie kehrte in die DDR zurück, obwohl sie damit ihre Liebesbeziehung aufgab.

Nach ihrer Genesung verlässt sie im November 1961 das Sanatorium. Inzwischen hat man die früheren Unregelmäßigkeiten in der Brigade Ermisch aufgeklärt und Rolf Meternagel voll rehabilitiert, aber er ist inzwischen schwer krank.

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Christa Wolf erzählt in „Der geteilte Himmel“ die tragische Geschichte einer an der Teilung Deutschlands bzw. unterschiedlichen politischen Einstellungen scheiternden Liebe und setzt sich zugleich mit der Krise der DDR auseinander, die zum Bau der Berliner Mauer führte.

Die beiden Hauptfiguren Rita Seidel und Manfred Herrfurth sind grundverschieden:

Manfred hasst seinen Vater, der früher in der NSDAP war und jetzt der SED angehört. Statt sich für die Gemeinschaft bzw. den Sozialismus verantwortlich zu fühlen, verfolgt der rational denkende Wissenschaftler nur seine persönliche Karriere, und als Parteifunktionäre seine Erfindung zurückweisen, fühlt er sich in seiner Ablehnung des Regimes bestätigt. Um beruflich weiterzukommen, verlässt er die DDR und stellt sich in den Dienst eines westdeutschen Konzerns. Dass dadurch seine Liebesbeziehung mit Rita zerbricht, nimmt er in Kauf.

Anders als Manfred kommt Rita vom Land. Weil ihr das Konsumdenken in Westberlin missfällt, beschließt sie aus freien Stücken, nach Halle an der Saale zurückzukehren. Sie täuscht sich zwar nicht über die Mängel des Staats- und Gesellschaftssystems in der DDR, ist aber bereit, sich für Reformen einzusetzen und ihre Privatinteressen zurückzustellen. Ihr Vorbild ist nicht der sture, unbarmherzige Dogmatiker Mangold, sondern der Arbeiter Meternagel, der seine Kollegen dazu anhält, freiwillig mehr zu leisten und ihre Arbeitskraft voll einzubringen.

Problematisch ist an dieser Stelle, dass Rita eine Wahlmöglichkeit hat und ohne Zwang auf die „Republikflucht“ verzichtet. Die DDR-Bürger sollten diesem Beispiel folgen – aber spätestens seit dem Mauerbau gab es für sie in dieser Frage keine freie Entscheidung mehr.

Ohne die übliche Schönfärberei spiegelt die Erzählung „Der geteilte Himmel“ die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR Anfang der Sechzigerjahre. Christa Wolf verheimlichte nicht, dass die Arbeiter aus fehlendem Verantwortungsbewusstsein versuchten, die Normen niedrig zu halten, drückte aber ihre Zuversicht aus, dass die Unzulänglichkeiten im System überwunden werden könnten. Trotz aller Kritik und Offenheit vertrat Christa Wolf unmissverständlich sozialistische Grundpositionen.

Die in dreißig Kapitel gegliederte Erzählung „Der geteilte Himmel“ von Christa Wolf beginnt mit einer Rahmenhandlung, die von August bis November 1961 spielt: Die Protagonistin Rita Seidel erholt sich in dieser Zeit von einem Unfall oder Selbstmordversuch und reflektiert über die Ereignisse der letzten zwei Jahre. Darüber berichtet ein auktorialer Erzähler. Die Ereignisse von August 1959 bis August 1961, die zu Ritas Zusammenbruch führten, werden im Imperfekt und in Form von Rückblenden aus ihrer Erinnerung geschildert. Dabei folgen wir vor allem auch ihren Gedankengängen.

Konrad Wolf (1925 – 1982) verfilmte die Erzählung 1964: „Der geteilte Himmel“.

Sekundärliteratur über „Der geteilte Himmel“:

  • Rüdiger Bernhardt: Christa Wolf. Der geteilte Himmel (Bange Verlag, Hollfeld 2004, ISBN 978-3-8044-1812-7, 120 Seiten, 6.50 €)

 

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Inhaltsangabe und Buchkritik: © Dieter Wunderlich 2009

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