Martin Suter : Abschalten

Abschalten
Abschalten. Die Business Class macht Ferien Originalausgabe: Diogenes Verlag, Zürich 2012 ISBN: 978-3-257-30009-3, 184 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Es reicht nicht, sich auf Kosten anderer zu profilieren und Konkurrenten auflaufen zu lassen. Wer nicht zum "Synergieopfer" werden will, muss dafür sorgen, dass er so wahrgenommen wird, wie es der aktuellen Mode des erfolgreichen Managers entspricht. Da adelt das Burn-out-Syndrom die Führungskraft. Familienurlaub ist für einen aufstrebenden Workaholic etwas Belastendes.
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Kritik

Unter dem Titel "Abschalten. Die Business Class macht Ferien" hat der Diogenes Verlag 58 alte und neue satirische Kurzgeschichten von Martin Suter über die Psychopathologie der Manager zusammengefasst.
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Das Buch „Abschalten. Die Business Class macht Ferien“ beinhaltet 58 Kurzgeschichten von Martin Suter. Der Schweizer Schriftsteller beschäftigt sich auf satirische Weise mit der Psychopathologie des Managements.

Um Karriere zu machen, beteiligt man sich am „Lichterwettbewerb“ und sorgt dafür, dass die Lampen im eigenen Büro zuletzt ausgehen. Wer nicht wenigstens 60 Stunden pro Woche im Büro sitzt und außerhalb dieser Zeit über Smartphone und Laptop erreichbar ist, kann nicht mit einem Aufstieg rechnen.

Ohne Stress fehlt ihm das Gefühl zu arbeiten. 

Stress, sagt sich Glaser, ist ja nur die Unfähigkeit abzuschalten. Und Unfähigkeiten jeder Art sind für Glaser, wenn überhaupt, vorübergehende Erscheinungen. Er nimmt sich also vor, in Zukunft beim Verlassen des Büros abzuschalten.
Aber er findet den Schalter nicht.

Das Gerangel um Positionen ist entscheidender als produktive Arbeit. Ehrgeiz, Eitelkeit und Selbsttäuschung, Missgunst und Opportunismus bestimmen das Dasein in den Management-Etagen. Sein und Schein klaffen auseinander. Aber es reicht nicht, sich auf Kosten anderer zu profilieren und Konkurrenten auflaufen zu lassen. Wer nicht zum „Synergieopfer“ werden will, muss dafür sorgen, dass er so wahrgenommen wird, wie es der aktuellen Mode des erfolgreichen Managers entspricht. Da adelt das Burn-out-Syndrom die Führungskraft.

Und er Idiot betrachtet Stress nach wie vor als Stimulans, während die Trendsetter der Führungskräfte längst daran zerbrechen.
Noch nie in seinem Leben hat er sich so von gestern gefühlt. Er nimmt den Begriff Burn-out-Syndrom zum ersten Mal bewusst zur Kenntnis, als Grieder bereits in der Rehaklinik liegt. Ausgerechnet 50-Stunden-Grieder, der immer entweder noch nicht gekommen oder schon gegangen ist, wenn Werder kommt und geht. 

Wer nicht unter Stress stand, wirkte halt doch irgendwie ersetzlich. […] Aber heute, wo es Glaser in die Führungsspitze geschafft hat, gilt Stress, offen zur Schau getragen oder vertraulich eingestanden, als uncool. Manager, die unter Stress leiden, sind ihrer Aufgabe nicht gewachsen.

Ganz oben in der Unternehmensführung kommt es nicht mehr auf die Leistung an, sondern aufs Gehalt.

Je teurer die Manager, desto besser die Firma! 

Das Gehalt ist ein wichtiger Teil der Qua-li-fi-ka-tion. Ach was: Das Gehalt ist die Qualifikation. Nicht, weil du besser bist als die anderen, verdienst du mehr. Dadurch, dass du mehr verdienst, bist du besser.

Für einen aufstrebenden Workaholic ist Familienurlaub etwas Belastendes: Außerhalb der Tretmühle weiß er nichts mit sich anzufangen, mit den im Unternehmen eingeübten Techniken kann er sich gegenüber Frau und Kindern nicht durchsetzen, und während seiner Abwesenheit könnte sich herausstellen, dass das Geschäft auch ohne ihn läuft. Dass der angeblich unersetzliche Manager seine Familie während des vierwöchigen Strandurlaubs nur für zehn Tage „Quality Time“ besucht, gehört aber auch zur Selbstinszenierung, mit der er um Anerkennung und Bewunderung kämpft. Seiner Frau erklärt er, dass es nicht auf die Länge, sondern auf die Intensität des Urlaubs ankomme, auf die „Regenerationsperformance“.

Diese Sommerferien will Lindner nutzen, um seine Ehe wieder ein wenig ins Lot zu bringen. Er hat einiges gutzumachen. Dreiundzwanzig Wochenenden außer Haus. (Die Statistik stammt von seiner Frau Jeannette.) Eine statisch nicht erfasste Zahl von Fangt-schon-mal-ohne-mich-an, ein paar Dutzend Mir-ist-da-etwas-dazwischengekommen und etwa gleich viele Ich-hoffe-du-hast-noch-nicht-gekocht. Plus die Privatbewirtung von Landmanns, bei der er vergessen hatte, Jeannette rechtzeitig auf die Glutenallergie von Frau Landmann aufmerksam zu machen. (Sie hatte sechs verschiedene hausgemachte Pasta gekocht.) Plus die Sache mit Patrizia, von der Jeannette zwar nichts weiß, aber ahnt sie etwas? 

„Überarbeite dich nicht“, sagt Esther durchs offene Wagenfenster. Moser schenkt ihr ein abgekämpftes Lächeln. Dann tritt er zurück und entlässt den vollbepackten Range Rover durch die Einfahrt. Zoë hält Zippys Pfote und winkt ihm damit zu. Marc schaut kurz von seinem Gameboy auf. Esther nimmt rasch die Linke vom Steuer und lässt sie zum Fenster hinausflattern. Moser geht auf die Straße und winkt seiner Familie lange und diszipliniert nach. Dann schließt er das Tor und geht gemessenen Schrittes ins Haus zurück. Erst dort, in der Abgeschiedenheit des Wohnzimmers, wirft er sich mit einem Jauchzer, den er sofort bereut, ins Ledersofa, macht sich aber keinen Drink, denn während der nächsten zwei Stunden muss mit einer überstürzten Rückkehr gerechnet werden. Zippys Impfausweis, Marcs T-Shirt mit der Aufschrift „Son of a Beach“, Zoës Ray-Ban oder Esthers Jogaführer. 

„In den Ferien?“ Ein ungläubiges Lächeln macht sich auf Fred L. Hubers (Präsident, CEO) Gesicht breit. „Sie meinen, Sie befinden sich nächste Woche in den Ferien? Ich habe Sie richtig verstanden, nächste Woche, so kurzfristig?“ Dann ändert sich sein Ausdruck, er mustert Räber plötzlich besorgt. „Sie sind doch nicht etwa krank, Michel?“
„Nein, nein, ich bin okay. Es handelt sich um normale Ferien. Seit letztem Dezember auf der Ferienliste.“
Hubers Augen ruhen lange auf seinem Verkaufsdirektor. Ohne Vorwurf, ohne Tadel, aber voll tiefer Traurigkeit. […]
Räber rutscht unbehaglich auf seinem Fauteuil. „Ich habe noch über zwanzig Tage vom letzten Jahr“, sagt er und könnte sich ohrfeigen für den defensiven Tonfall.
„Aber ich bitte sie, Michel. Sie brauchen sich doch nicht zu entschuldigen. […] Jeder hat Anspruch auf seine Ferien. […] Dann verschieben wir das doch einfach auf übernächste Woche.“
Räber schweigt betreten. Ein schrecklicher Verdacht bemächtigt sich Hubers. „Sagen Sie bloß, Sie planen zwei Wochen, Michel.“
„Neinnein!“, ruft Räber aus, „neinnein!“
Huber atmet auf.
„Drei Wochen, eigentlich“, stammelt Räber, „drei Wochen, ursprünglich, also geplant, ehem.“

Gegliedert ist das Buch „Abschalten. Die Business Class macht Ferien“ in die Abschnitte Burn-out, Ferien-Management, Quality Time, Fit- & Wellness und Zurück im Büro.

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In den 58 satirischen Kurzgeschichten, die unter dem Buchtitel „Abschalten. Die Business Class macht Ferien“ zusammengefasst sind, skizziert Martin Suter mit wenigen Strichen Episoden aus der Welt der Manager. (Übrigens ist keine weibliche Führungskraft darunter; Frauen tauchen nur als Sekretärinnen oder Ehefrauen auf.) Die Darstellung ist überspitzt und durchaus tragikomisch, aber auch klischeehaft. Bei einigen Gags handelt es sich um Kalauer, und die Pointen lassen sich oft schon vorzeitig erahnen. Aber es gibt auch ein paar gute Beobachtungen und witzige Wortneuschöpfungen wie „Regenerationsperformance“. Alles in allem ist „Abschalten. Die Business Class macht Ferien“ eine harmlose, unterhaltsame Lektüre. Weil es sich um Kurzgeschichten handelt, eignet sich das Buch besonders für Urlauber, die während eines Strandaufenthalts zwischendurch mal ein paar Seiten lesen möchten.

Auf Seite 184 versteckt der Diogenes Verlag den Hinweis, dass gerade einmal 13 der Kurzgeschichten in „Abschalten. Die Business Class macht Ferien“ erstmals in Buchform veröffentlicht wurden; die anderen 45 sind den Büchern „Business Class. Geschichten aus der Welt des Managements“, „Business Class. Neue Geschichten aus der Welt des Managements“, „Huber spannt aus und andere Geschichten aus der Business Class“, „Das Bonus-Geheimnis und andere Geschichten aus der Business Class“ bzw. „Unter Freunden“ entnommen. Und zumindest einen Teil der Kurzgeschichten hatte Martin Suter zunächst einzeln in der „Zürcher Weltwoche“ veröffentlicht.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012
Textauszüge: © Diogenes Verlag

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