Requiem

Requiem

Requiem

Originaltitel: Requiem – Regie: Hans-Christian Schmid – Drehbuch: Bernd Lange – Kamera: Bogumil Godfrejów – Schnitt: Bernd Schlegel, Hansjörg Weißbrich – Darsteller: Sandra Hüller, Burghart Klaußner, Imogen Kogge, Anna Blomeier, Nicholas Reinke, Jens Harzer, Walter Schmidinger, Friederike Adolph, Irene Kugler, Johann Adam Oest, Eva Loebau u. a. – 2006; 90 Minuten

Inhaltsangabe

Gegen den Willen ihrer Mutter zieht Michaela Klingler zum Studium nach Tübingen. Sie leidet unter Anfällen, bei denen sich ihr Körper aufbäumt und sie von Albträumen heimgesucht wird. "Epilepsie", diagnostizieren die Ärzte und geben ihr Tabletten. Michaela kommt jedoch zu der Überzeugung, dass Dämonen in sie gefahren sind. Ein Exorzismus soll ihr helfen ...
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Kritik

Der Spielfilm "Requiem" wurde von einem authentischen Fall im Jahr 1976 inspiriert. Es handelt sich um eine nüchterne, überzeugende Studie ohne jede Effekthascherei.

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Freudestrahlend eilt Michaela Klingler (Sandra Hüller) mit einem Brief in der Hand zu ihren Eltern, die eine kleine Schreinerwerkstatt im Dorf betreiben: Sie hat gerade die Zulassung für ein Pädagogik-Studium in Tübingen bekommen. Die Mutter (Imogen Kogge) lässt sich von der Begeisterung jedoch nicht anstecken und fragt: „Wie stellst du dir das vor, mit deiner Sache?“ Michaela entgegnet, sie nehme regelmäßig ihre Tabletten und habe schon seit einem halben Jahr keinen epileptischen Anfall mehr gehabt. Erst als Marianne Klingler erfährt, dass ihr Mann Karl (Burghart Klaußner) für die Tochter bereits ein Zimmer im Studentenheim reserviert hat, gibt sie den Versuch auf, Michaelas Umzug zu verhindern.

Karl Klingler bringt Michaela mit dem Auto nach Tübingen, wo sie von der Heimleiterin (Irene Kugler) begrüßt werden. Zu ihrer Überraschung entdeckt Michaela unter den Kommilitonen ihre frühere Mitschülerin Hanna Imhof (Anna Blomeier) wieder. Die beiden werden nun Freundinnen. Während Michaela jedoch wie besessen fürs Studium arbeitet, genießt Hanna lieber das Leben und verlässt sich auf die Möglichkeit zum Abschreiben.

Bald darauf besucht Michaela die Eltern und ihre kleine Schwester Helga (Friederike Adolph). Gemeinsam nehmen sie an einer Wallfahrt nach Italien zur heiligen Katharina teil. Dort steht Michaela im Morgengrauen auf und geht mit dem Rosenkranz, den die Mutter ihr schenkte, in den Speiseraum der Pension hinunter. Als der Rosenkranz auf den Boden fällt, ist sie nicht in der Lage, in wieder aufzuheben, und ihr Körper bäumt sich in Konvulsionen. So findet sie der Vater vor. Der Mutter verheimlichen sie den Anfall.

Auf einer Party in Tübingen lernt Michaela den Chemiestudenten Stefan Weiser (Nicholas Reinke) kennen, der später einmal das Unternehmen seines Vaters führen soll. Sie küssen und verabreden sich.

Am anderen Morgen findet Hanna ihre Freundin unter dem Schreibtisch, wo sie sich versteckt und offenbar wieder einen epileptischen Anfall hat.

Erschrocken darüber, dass sie Anfälle erleidet, obwohl sie gewissenhaft ihre Tabletten nimmt, befürchtet Michaela, von Dämonen besessen zu sein und wendet sich deshalb an Gerhard Landauer (Walter Schmidinger), den Pfarrer ihrer Heimatgemeinde. Der Geistliche tut ihre Befürchtungen als Einbildungen ab und erklärt ihr, der Teufel sei nicht real, sondern nur ein Sinnbild. Sie brauche keinen kirchlichen Beistand, meint er, sondern einen Arzt oder Psychologen. Als auch Hanna sie drängt, zum Arzt zu gehen, lässt sie sich erneut untersuchen, obwohl sie längst bezweifelt, dass man ihr mit medizinischem Wissen helfen kann.

Überraschend bekommt Michaela in Tübingen Besuch von Gerhard Landauer. Er bringt einen jüngeren Geistlichen mit, Martin Borchert (Jens Harzer), damit dieser sich ein Bild von ihren Problemen machen kann. Martin Borchert empfiehlt Michaela, auf die Kraft Gottes zu vertrauen.

Am Heiligen Abend kommt Michaela nach Hause. Während sie von ihrem Vater und Helga freudig begrüßt wird, zeigt ihre Mutter, das ihr das neue Kleid missfällt, das Michaela sich in Tübingen kaufte. Michaela zieht es aus und kleidet sich wieder wie früher. Nach der Bescherung stellt sie fest, dass ihre Mutter das neue Kleid in die Mülltonne geworfen hat. Als sie dagegen protestiert, wird sie von ihrer Mutter geohrfeigt. Gleich darauf geht die Familie zur Christmette. Michaela ist so aufgebracht über das Verhalten ihrer Mutter, dass sie es in der Kirchenbank nicht aushält: Sie läuft nach Hause und erleidet dort wiederum einen Anfall.

In Tübingen setzt sie ihre Beziehung mit Stefan fort, der nichts von ihren Anfällen ahnt. Sie haben sich verliebt, und nach einiger Zeit schlafen sie miteinander.

Ohne Vorankündigung tauchen die Eltern mit den beiden Geistlichen im Studentenheim auf. Martin Borchert hat inzwischen beim zuständigen Bischof die Genehmigung für einen Exorzismus eingeholt, aber Karl Klingler sträubt sich im Gegensatz zu seiner Frau gegen die Vorstellung, dass seine Tochter besessen sei und bricht die Zusammenkunft nach kurzer Zeit ab.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
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Als Hanna von einem vierwöchigen Praktikum in Hamburg zurückkommt, erschrickt sie beim Anblick ihrer abgemagerten Freundin. Besorgt weiht sie Stefan in Michaelas Geheimnis ein und drängt ihn, seine Freundin in die Psychiatrie einzuliefern. Stefan bringt sie stattdessen zu den Eltern.

Marianne Klingler füttert ihre Tochter mit Suppe, aber die spuckt Michaela ihr ins Gesicht. Sie randaliert und zerschlägt in der Küche das Geschirr. Der Vater macht sich Vorwürfe, weil er Michaela nicht schon längst in eine psychiatrische Klinik brachte, aber seine Frau, die von der Besessenheit der Tochter überzeugt ist, ruft die Geistlichen.

Assistiert von Gerhard Landauer, beginnt Martin Borchert mit dem Exorzismus. Zwischen den Sitzungen liegt Michaela im Bett und dämmert vor sich hin. Hanna besucht sie und unternimmt einen Spaziergang mit ihr. Der Versuch, ihre Freundin zu überreden, mit ihr nach Tübingen zurückzufahren und einen Psychiater aufzusuchen, schlägt jedoch fehl. Michaela ist inzwischen überzeugt, dass nur der Exorzismus sie von den Dämonen befreien kann. Als Hanna sie wieder zurückbringt, lächelt sie selig.

Bald darauf stirbt die Einundzwanzigjährige an Entkräftung und Unterernährung.

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Michaela Klingler – so heißt die einundzwanzigjährige Protagonistin in dem Drama „Requiem“ – wuchs in einer streng katholischen Umgebung auf. Obwohl sie unter epileptischen Anfällen leidet und ihre Mutter sie deshalb nicht fortlassen will, geht sie mit Unterstützung ihres Vaters zum Studium nach Tübingen. Sie versucht, die Restriktion zu überwinden, denn sie sehnt sich nach einem selbstbestimmten Leben. Als sie weiterhin Anfälle erleidet, obwohl sie gewissenhaft ihre Tabletten nimmt, beginnt sie daran zu zweifeln, dass Mediziner, Psychiater oder Psychologen sie heilen können. Während ihr liebevoller Vater nicht weiß, wie er seiner Tochter helfen kann, gibt die Mutter sich unnahbar, aber in Wirklichkeit ist sie ebenso hilflos wie ihr Mann. Unter dem Einfluss eines Geistlichen steigert Michaela sich immer stärker in die Vorstellung hinein, wie die heilige Katharina von Gott für ein Martyrium auserwählt zu sein. Vom Exorzismus verspricht sie sich die Erlösung.

Bernd Lange (Drehbuch) und Hans-Christian Schmid (Regie) ließen sich vom tragischen Schicksal der Studentin Anneliese Michel, die 1976 nach einem Exorzismus starb, zu dem Spielfilm „Requiem“ anregen. Der authentische Fall liegt auch dem amerikanischen Spielfilm „Der Exorzismus von Emily Rose“ von Scott Derrickson zugrunde, aber die Filmemacher gingen völlig verschiedene Wege. Während es sich bei „Der Exorzismus von Emily Rose“ um eine Mischung aus Horrorfilm und Gerichtsdrama handelt, in der aus dramaturgischen Gründen suggeriert wird, dass die Protagonistin tatsächlich besessen sei, präsentieren Bernd Lange und Hans-Christian Schmid eine subtile Studie über die Umstände, unter denen eine junge Epileptikerin zu der Wahnvorstellung gelangt, vom Teufel besessen zu sein. Im Gegensatz zu „Der Exorzismus von Emily Rose“ kommt „Requiem“ ganz ohne Effekthascherei aus. Dementsprechend endet der Film von Hans-Christian Schmid vor dem Spektakel der Teufelsaustreibung. Gerade diese Zurückhaltung und Nüchternheit macht „Requiem“ glaubhaft. Hans-Christian Schmid hat auf eine Musikuntermalung verzichtet, und Bogumil Godfrejów setzt vielfach eine Handkamera ein, mit der er den Figuren folgt und nah an die Gesichter herangeht.

Die historische Quellenlage gibt zum Beispiel endlose Obszönitäten mit Dämonenstimme, bombastische Beschwörungen und zerbrochene Kruzifixe her. All das wird man in einem Hans-Christian-Schmid-Film nicht finden, oder höchstens kurz angedeutet – das macht seinen unverkennbaren Stil und seine Größe, seine ganze Moral als Filmemacher aus. Wer einer Geschichte so bewusst entgegentritt, braucht seine Haltung in den Szenen nicht weiter auszustellen, spüren wird man sie auf jeden Fall: „Requiem“ ist Schmids klarster, entschiedenster, verhaltenster und gleichzeitig auch sein wütendster Film. (Tobias Kniebe, Süddeutsche Zeitung, 18. Februar 2006)

REQUIEM konfrontiert mit einer komplizierten, emotional extrem widersprüchlichen und deshalb so vitalen Figur, die ihre Geheimnisse nur Schritt für Schritt preis gibt und die Zuschauenden quasi zwingt, jede Wendung und jeden Anflug geduldig mitzugehen, wenn sie ihr näher kommen wollen. (Josef Lederle, Filmheft der Bundeszentrale für politische Bildung)

Die Hauptrolle in „Requiem“ ist mit Sandra Hüller perfekt besetzt. Die junge Schauspielerin spielt die Rolle ohne Eitelkeit und sehr überzeugend. Sie wurde dafür auf der Berlinale 2006 mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet.

Mit „Klingler“, dem Familiennamen der Protagonistin, spielen Bernd Lange und Hans-Christian Schmid auf Anneliese Michel an, die in Klingenberg gelebt hatte.

Eine Heilige Katharina von Biasca gibt es ebenso wenig wie einen Wallfahrtsort San Carlo. Bernd Lange und Hans-Christian Schmid dachten dabei vermutlich an San Damiano, ein Dorf 20 Kilometer südlich von Piacenza. Dort glaubte „Mamma Rosa“ (eigentlich: Rosa Quattrini, geborene Buzzini, 1909 – 1971) in den Sechzigerjahren, Botschaften der Mutter Gottes erhalten zu haben.

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Inhaltsangabe und Filmkritik: © Dieter Wunderlich 2009

Anneliese Michel (Kurzbiografie)
Exorzismus

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Michael Gutmann: Herz im Kopf (Drehbuch: Hans-Christian Schmid)

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