Franz Kafka : Die Verwandlung

Die Verwandlung
Die Verwandlung Manuskript: 1912 Originalausgabe: Leipzig 1915
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Als die Familie durch den Bankrott des Vaters in finanzielle Not geraten ist, opfert sich der Sohn dafür auf, seine jüngere Schwester und die Eltern zu ernähren und die Schulden abzutragen. Eines Morgens, als er im Bett den Kopf hebt und auf seinen Bauch hinuntersieht, bemerkt er, dass er in einen Käfer verwandelt wurde ...
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Kritik

"Die Verwandlung" ist eine surreale Erzählung voll von Symbolen und Gleichnissen. Es ist verblüffend, wie detailliert, ideenreich und scheinbar realistisch Franz Kafka die absurde Welt des in einen Käfer verwandelten Handelsreisenden beschreibt und dabei eine unverwechselbare tragikomische Atmosphäre erzeugt.
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Gregor opfert sich für die Familie auf, die durch das Versagen des Vaters und dessen Schulden in finanzielle Not geraten ist. Eines Morgens, als er den Kopf hebt und auf seinen Bauch hinuntersieht, bemerkt Gregor, dass er in einen Käfer verwandelt wurde …

Kann man sich einen verblüffenderen Beginn einer Erzählung vorstellen?

Der junge Gregor Samsa arbeitet seit fünf Jahren als Handelsreisender für ein Tuchunternehmen. Es macht ihm keinen Spaß, aber er fehlte noch keinen einzigen Tag. Die Stelle trat er an, als das Geschäft seines Vaters zusammengebrochen war. Seither ernährt er mit seinem Gehalt die Eltern und die Schwester und trägt die Schulden ab. Sein Vater hat seit damals keine Arbeit mehr übernommen; die Mutter leidet an Asthma und findet es deshalb schon anstrengend genug, durch die Wohnung zu gehen. Seine 17-jährige Schwester Grete hält Gregor noch für ein Kind, gewohnt „sich nett zu kleiden, lange zu schlafen, in der Wirtschaft mitzuhelfen, an ein paar bescheidenen Vergnügungen sich zu beteiligen und vor allem Violine zu spielen“. Gregor beabsichtigt, ihr in Kürze den Besuch des Konservatoriums zu bezahlen.

Aber jetzt liegt Gregor Samsa wie ein Käfer auf dem Rücken. Sein erster Gedanke ist, ein wenig weiterzuschlafen.

… aber das war gänzlich undurchführbar, denn er war gewöhnt, auf der rechten Seite zu schlafen, konnte sich aber in seinem gegenwärtigen Zustand nicht in diese Lage bringen. Mit welcher Kraft er sich auch auf die rechte Seite warf, immer wieder schaukelte er in die Rückenlage zurück.

Noch hofft er, dass er sich die Verwandlung nur einbildet.

Er erinnerte sich, schon öfters im Bett irgendeinen vielleicht durch ungeschicktes Liegen erzeugten, leichten Schmerz empfunden zu haben, der sich dann beim Aufstehen als reine Einbildung herausstellte, und er war gespannt, wie sich seine heutigen Vorstellungen allmählich auflösen würden.

Sein Zug fährt um 5 Uhr. Plötzlich fällt Gregors Blick auf den Wecker. Es ist 6.30 Uhr! Der Wecker sollte um 4 Uhr läuten. Hat er es überhört? Um 6.45 Uhr klopft die Mutter vorsichtig an die Tür. Sie wundert sich, wieso ihr Sohn noch nicht aufgestanden ist. Gregor versucht es, aber für einen auf dem Rücken liegenden Käfer ist es nicht einfach, aus dem Bett zu kommen.

Das größte Bedenken machte ihm die Rücksicht auf den lauten Krach, den es geben müsste und der wahrscheinlich hinter allen Türen wenn nicht Schrecken, so doch Besorgnisse erregen würde.

Es läutet an der Wohnungstür. Das Dienstmädchen öffnet. Gregor erkennt den Prokuristen sofort an der Stimme. Er kommt, um nach ihm zu fragen. Gregors Zimmer ist durch drei Türen mit den anderen Räumen der Wohnung verbunden: mit dem Zimmer seiner Schwester, dem Schlafzimmer der Eltern und dem Wohnzimmer, in dem sich das Familienleben abspielt. Durch seine vielen Aufenthalte in Hotels hat er sich angewöhnt, nachts alle Türen abzusperren. Deshalb kann an diesem Morgen niemand zu Gregor hinein, solange er nicht von ihnen öffnet. Der Prokurist wirkt zunehmend verärgert, deutet den Verdacht an, Gregors Weigerung, sich zu zeigen, könne mit unterschlagenen Einnahmen zusammenhängen; er kritisiert die unbefriedigenden Leistungen der letzten Zeit und droht ihm mit dem Verlust der Stellung. Während das Dienstmädchen nach einem Arzt und einem Schlosser läuft, schiebt Gregor einen Sessel zur Tür, die ins Wohnzimmer führt, arbeitet sich daran in eine halbwegs aufrechte Haltung hoch, wirft sich gegen die Tür und dreht mit größter Anstrengung den Schlüssel mit dem Mund um.

Als der Prokurist das Ungeziefer sieht, läuft er davon. Gregor will ihm nach und ihn aufhalten, aber der Vater drängt ihn zurück.

… nun gab es wirklich keinen Spaß mehr, und Gregor drängte sich – geschehe was wolle – in die Tür. Die eine Seite seines Körpers hob sich, er lag schief in der Türöffnung, seine eine Flanke war ganz wundgerieben, an der weißen Tür blieben hässliche Flecken, bald steckte er fest und hätte sich allein nicht mehr rühren können, die Beinchen auf der einen Seite hingen zitternd oben in der Luft, die auf der anderen waren schmerzhaft zu Boden gedrückt – da gab ihm der Vater von hinten einen jetzt wahrhaftig erlösenden Stoß, und er flog, heftig blutend, weit in sein Zimmer hinein.

Grete stellt ihm einen Napf mit Milch und Weißbrot hin. Soetwas nahm er bisher gern zu sich, aber nun ekelt ihm davor. Als seine Schwester merkt, dass er nichts davon angerührt hat, breitet sie am nächsten Morgen verschiedene Abfälle und Essensreste auf einer Zeitung aus. Die frischen Sachen mag Gregor nicht, aber die leicht verdorbenen schmecken ihm. Morgens, bevor die Eltern und das Dienstmädchen aufstehen, und mittags, wenn die Eltern schlafen und das Dienstmädchen Besorgungen erledigt, bringt Grete ihrem Bruder etwas zu essen. Sobald er sie kommen hört, verkriecht er sich so gut es geht unter dem Kanapee. Als erstes reißt sie immer das Fenster auf, als würde sie ersticken.

Zur Zerstreuung krabbelt er nicht nur am Boden herum, sondern auch quer über die Wände und die Zimmerdecke. Gern hängt er an der Decke, denn da kann er freier atmen als auf dem Fußboden.

Die Eltern betreten sein Zimmer nicht. Erst nach zwei Wochen, als Grete beschließt, es auszuräumen, damit Gregor ungehinderter herumkriechen kann, hilft ihr die Mutter beim Schränkerücken. Zuerst hält Gregor das für eine gute Idee, aber dann merkt er, dass die Einrichtung ihn an sein Menschsein erinnert und er möchte sie behalten. Eilig krabbelt er die Wand hinauf zu einem Bild, das er aus einer Illustrierten ausgeschnitten und in einen Rahmen geklebt hat.

Es stellte eine Dame dar, die, mit einem Pelzhut und einer Pelzboa versehen, aufrecht dasaß und einen schweren Pelzmuff, in dem ihr ganzer Unterarm verschwunden war, dem Beschauer entgegenhob.

Gregor kriecht über das Bild und presst seinen heißen Bauch an das Glas. Bei seinem Anblick fällt die Mutter in Ohnmacht. Als Grete dem Vater über den Vorfall berichtet, schimpft dieser: „Ich habe es ja erwartet, ich habe es euch ja immer gesagt, aber ihr Frauen wollt nicht hören.“ Er bombardiert seinen Sohn mit Äpfeln. Meistens trifft er nicht, aber ein Apfel dringt in Gregors Rückenpanzer ein und bleibt darin stecken.

Der Vater trägt neuerdings eine blaue Uniform mit Goldknöpfen, die er auch zu Hause nicht auszieht, obwohl sie allmählich verschmutzt. Er hat nämlich eine Stelle als Diener in einer Bank gefunden. Nach dem Abendessen schläft er regelmäßig in seinem Sessel ein. Die beiden Frauen verhalten sich dann ganz still. Gregors Mutter bessert das Familieneinkommen auf, indem sie in Heimarbeit für ein Modegeschäft feine Wäsche näht. Und Grete, die inzwischen als Verkäuferin zu arbeiten angefangen hat, lernt abends Stenografie und Französisch, um beruflich weiterzukommen.

Grete erübrigt für ihren Bruder nicht mehr viel Zeit. Morgens und mittags, bevor sie ins Büro läuft, schiebt sie ihm mit dem Fuß irgendwelches Essen ins Zimmer. Abends holt sie den Napf wieder heraus, ohne sich darum zu kümmern, ob er etwas davon genommen hat oder nicht.

Für das vor Abscheu fortgelaufene Dienstmädchen kommt Ersatz ins Haus, eine alte, furchtlose und neugierige Witwe. Sie bleibt staunend in der Tür zu Gregors Zimmer stehen, als sie ihn erblickt.

Drei Zimmerherren werden aufgenommen, denen Grete und die Mutter im Wohnzimmer das Essen servieren. Die Familie nimmt mit der Küche vorlieb. Die drei Herren achten peinlich auf Ordnung und Sauberkeit. Was ihnen im Weg steht und überflüssig erscheint, wird achtlos in Gregors Zimmer geworfen, das dadurch zur Abstellkammer verkommt und immer schmutziger wird. Kein Wunder, dass auch Gregors Erscheinungsbild darunter leidet.

Fäden, Haare, Speiseüberreste schleppte er auf seinem Rücken und an den Seiten mit sich herum; seine Gleichgültigkeit gegen alles war viel zu groß, als dass er sich, wie früher mehrmals während des Tages, auf den Rücken gelegt und am Teppich gescheuert hätte.

Eines Abends spielt Grete in der Küche auf ihrer Violine. Der Vater entschuldigt sich bei den Zimmerherren für die Störung, aber sie freuen sich über die Abwechslung und bitten das Mädchen, im Wohnzimmer weiterzuspielen. Gregor hört ergriffen die Musik, kriecht aus seinem Zimmer hinüber ins Wohnzimmer und immer näher zu seiner Schwester, um ihrem Spiel zu lauschen. Er träumt davon, dass Grete zu ihm ins Zimmer kommen und sich neben ihn setzen würde. Da entdeckt einer der Zimmerherren das Ungeziefer, spuckt auf den Boden, kündigt wegen der „widerlichen Verhältnisse“ auf der Stelle den Mietvertrag und behält sich weitere Forderungen vor. Die beiden anderen Herren schließen sich an.

Grete weist die Eltern darauf hin, dass es so nicht weitergehen könne: „Wir müssen versuchen, es loszuwerden.“

Kaum ist Gregor in sein Zimmer zurückgekrochen, springt sie ihm nach und verschließt die Tür.

Als die Bedienstete am anderen Morgen wie gewohnt einen Blick ins Gregors Zimmer wirft, ruft sie die Familie zusammen: „Sehen Sie nur mal an, es ist krepiert; da liegt es, ganz und gar krepiert!“ Gregors Schwester, der Vater und die Mutter atmen erleichtert auf. Sie ziehen in eine kleinere und billigere, praktischere und besser gelegene Wohnung um. Die Eltern merken, dass aus ihrer Tochter ein hübsches, üppiges Mädchen geworden ist und es Zeit wird, einen Mann für sie zu suchen …

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Gregor opfert sich für die Familie auf, die durch das Versagen des Vaters und dessen Schulden in finanzielle Not geraten ist. Durch die ungeliebte Tätigkeit als Reisender ermöglicht er es seinen Eltern und seiner jüngeren Schwester, untätig zu Hause zu bleiben. Aber in dem Maße, wie Grete und die Eltern dies als etwas Selbstverständliches ansehen, lässt ihre Dankbarkeit nach.

Weil Gregor die Familie ernährt, hat der Vater einen Teil seiner dominanten Rolle an ihn verloren. Indem Gregor durch den Beschluss, seiner Schwester den Besuch des Konservatoriums zu ermöglichen, in die Familienangelegenheiten eingreift, gerät er unwillkürlich in einen Machtkonflikt mit seinem Vater.

Eines Morgens, als er den Kopf hebt und auf seinen Bauch hinuntersieht, bemerkt Gregor, dass er in einen Käfer verwandelt wurde. Wann und wieso das geschehen ist, fragt er sich nicht. Was könnte Franz Kafka mit dieser Verwandlung meinen? Versucht sich Gregor damit aus der verhassten Zwangslage zu befreien, in die er als einziger Ernährer der Familie nach dem Bankrott des Vaters geraten ist? Oder wird er durch die Verwandlung dafür bestraft, dass er nach dem Scheitern seines Vaters einen Teil von dessen Aufgaben übernommen hat? Das Kriechen des Käfers assoziieren wir mit seinem unterwürfigen Verhalten gegenüber dem Chef und dem Prokuristen. Die Hände, die zum Zugreifen nötig sind, fehlen ihm jetzt ganz. Vielleicht handelt es sich weniger um eine Verwandlung als um die Erkenntnis eines Psychopathen, dass sein Leben sinnlos ist. Jedenfalls scheint seine Identität sich durch die Verwandlung in einen Käfer nicht verändert zu haben: In seinem Denken bleibt er Gregor.

Zuerst versuchen Schwester, Mutter und Vater ihn zu überreden, eine der Türen seines Zimmers zu öffnen, aber sobald sie sehen, dass er in ein Ungeziefer verwandelt wurde, weisen sie ihn zurück. Mit einem Fußtritt des Vaters wird Gregor aus der Welt der anderen hinausbefördert, zurück in die Isolation seines Zimmers. Das Familienleben, das im Wohnzimmer stattfindet, verfolgt er nur noch von einer dunklen Ecke seines Zimmers aus wie ein Bühnengeschehen. Er bleibt davon ausgeschlossen. Aber auch schon vor seiner Verwandlung war Gregor einsam: Seine Reisetätigkeit bringt einen „immer wechselnden, nie andauernden, nie herzlich werdenden menschlichen Verkehr“ mit sich, oft war er tagelang von zu Hause fort, und wenn er in seinem Zimmer schlief, schloss er die Türen ab, wie er es sich in den Hotels angewöhnt hatte. Seit der Verwandlung schirmt ihn auch sein Panzer gegen die Außenwelt ab.

Am Morgen nach der Verwandlung kann sich Gregor trotz seiner veränderten Stimme zunächst noch durch die verschlossene Tür verständlich machen, aber als er merkt, dass der Prokurist seine Stimme für die eines Tieres hält, beginnt er für immer zu schweigen. Er versteht zwar, was die anderen reden, aber er teilt sich nicht mehr mit. Auch seine nachlassende Sehkraft verstärkt seine Isolation; bald kann er die Gebäude auf der anderen Straßenseite nicht mehr wahrnehmen.

Sein verzweifelter Versuch, die Entfernung des Bildes der Frau im Pelz aus seinem Zimmer zu verhindern, offenbart wohl sein unbefriedigtes erotisches Bedürfnis.

Zunächst beansprucht Grete das alleinige Recht, ihren verwandelten Bruder zu versorgen. Durch die neue Aufgabe wird das Kind erwachsen, entledigt sich seiner Unselbstständigkeit, entwickelt Initiative und beruflichen Ehrgeiz – und beginnt ihren Bruder im gleichen Maß zu vernachlässigen. Gregor verwahrlost wie sein Zimmer, und der Apfel in seinem Rücken verfault. Als man ihn dabei ertappt, wie er Gretes Violinspiel ergriffen lauscht, ist sie es, die ihn wieder einsperrt, und sie spricht auch als erstes Familienmitglied davon, dass „es“ weg müsse.

„Die Verwandlung“ ist eine surreale Erzählung voll von Symbolen und Gleichnissen. Der Gegensatz zwischen dem ungeheuerlichen Geschehen – ein Mensch wird in einen Käfer verwandelt! – und der gleichmütigen Erzählweise ist frappierend. Und es ist verblüffend, wie detailliert, ideenreich und scheinbar realistisch Franz Kafka die absurde Welt des in einen Käfer verwandelten Handelsreisenden beschreibt und dabei eine unverwechselbare tragikomische Atmosphäre erzeugt. Wer empfänglich für diese kafkaesken Welten ist, wird auch diese Erzählung mit großem Vergnügen – und ebenso starker Betroffenheit – lesen.

Im Rahmen der Historisch-Kritischen Franz-Kafka-Ausgabe erschien eine ganz besondere Edition von Franz Kafkas Novelle „Die Verwandlung“. Der Schuber enthält nicht nur ein Faksimile des Manuskripts, sondern auch einen Nachdruck der Erstausgabe. Herausgeber: Roland Reuß und Peter Staengle. Stroemfeld-Verlag, Frankfurt/M 2003.

Jan Nemec verfilmte Franz Kafkas Erzählung 1975 fürs Fernsehen:
„Die Verwandlung“.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002/2003
Textauszüge: © Schocken Books, New York

Jan Nemec: Die Verwandlung

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