Graham Greene : Der Honorarkonsul

Der Honorarkonsul
Originalausgabe: The Honorary Consul, 1973 Der Honorarkonsul Übersetzung: Edith Walter und Susanne Rademacher Paul Zsolnay Verlag, Wien 1994 Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2004 ISBN 3-423-13187-X, 349 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Ein Arzt gerät im Norden Argentiniens unversehens an eine Gruppe von Desperados, die mit seiner Hilfe den US-Botschafter entführen und politische Häftlinge in Paraguay freipressen wollen, versehentlich aber einen alkoholkranken britischen Honorarkonsul kidnappen, dessen junge Ehefrau ein Verhältnis mit dem Arzt hat.
mehr erfahren

Kritik

In seinem Roman "Der Honorarkonsul" verbindet Graham Greene eine Dreiecksgeschichte mit einem politischen Thriller und kritisiert eine vom Männlichkeitswahn geprägte Gesellschaft, in der es mehr Gewalt als Liebe zu geben scheint.
mehr erfahren

Dr. Eduardo Plarr ist Anfang dreißig. Der Sohn eines aus England stammenden Vaters und einer Spanierin wuchs in Paraguay auf. Er war noch ein Junge, da zog seine Mutter mit ihm nach Buenos Aires, während sein politisch engagierter Vater zurückblieb und als Gegner des Regimes von General Alfredo Stroessner (1954 – 1989) eingesperrt wurde. Vor ein paar Jahren löste Dr. Plarr seine Arztpraxis in Buenos Aires auf und übersiedelte in die kleine argentinische Hafenstadt Corrientes am Paraná unweit der Grenze zu Paraguay. Seinen britischen Pass lässt er regelmäßig verlängern, denn er wird immer ein Fremder bleiben.

Außer Dr. Plarr leben noch zwei weitere Engländer in Corrientes: ein alter Englischlehrer namens Humphries und der britische Honorarkonsul Charley Fortnum, ein sechzigjähriger Alkoholiker. Fortnums Mutter starb bei der Geburt, und seinen Vater hasste er. Von seiner Frau Evelyn, einer Intellektuellen, der gegenüber er sich unterlegen fühlte, ist er seit fünfundzwanzig Jahren geschieden. Als er Dr. Plarr gegenüber zugibt, dass er sich schlecht fühlt, will der Arzt ihn untersuchen, aber Charley Fortnum wehrt ab:

„Es liegt nicht an meinem Blutdruck. Es liegt am Leben.“ (Seite 59)

Der Arzt praktiziert bereits einige Jahre in Corrientes, als er zu Fortnum gerufen wird. Der Honorarkonsul hat wieder geheiratet, und seine Frau klagt über Schmerzen. Er fängt den Arzt auf der Veranda ab und bereitet ihn bei einem Glas Whisky darauf vor, dass seine Ehefrau Clara erst achtzehn ist und er sie aus dem Bordell von Señora Sanchez freigekauft hat. Dr. Plarr erinnert sich denn auch bei der Untersuchung, das magere Mädchen während eines Bordellbesuch mit seinem Freund und Patienten, dem argentinischen Dichter Jorge Julio Saavedra, gesehen zu haben. Nachdem Dr. Plarr der Patientin und ihrem Ehemann versichert hat, dass die Schmerzen harmloser Natur sind, verabschiedet er sich, aber die junge Frau geht ihm nicht mehr aus dem Sinn.

Zufällig begegnet er ihr einige Zeit später in der Stadt. Er kauft ihr die Sonnenbrille, die ihr zu teuer war, und lädt sie zu einer Tasse Kaffee in seine Wohnung ein. Ungerührt und gehorsam folgt sie ihm. Es ist der Beginn eines sexuellen Verhältnisses zwischen dem Arzt und seiner Patientin. Nach einiger Zeit befürchtet Dr. Plarr, dass Clara sich in ihn verliebt hat.

Liebe war ein Anspruch, den er nicht erfüllen würde, eine Verantwortung, die er ablehnte, eine Forderung … (Seite 222f)

Unvermittelt taucht ein alter Schulfreund in seiner Praxis auf: León Rivas. Dessen Vater gehörte zu den reichsten Leuten in Paraguay. León war zum katholischen Priester geweiht worden, hatte dann aber seinen Beruf aufgegeben und geheiratet.

„Verkaufe, was du hast, und gib den Armen“ – das musste ich ihnen [den Armen] predigen, während der alte Erzbischof, den wir damals hatten, mit dem General [Stroessner] einen schönen Fisch aus Iguazú speiste und dazu französischen Wein trank. Natürlich waren die Leute nicht wirklich am Verhungern – man kann sie mit Maniok am Leben erhalten, und Unterernährung schützt die Reichen viel wirksamer als Hunger. Hunger treibt den Menschen zur Verzweiflung. Unterernährung macht ihn so müde, dass er nicht einmal die Faust hebt […] Unsere Leute verhungern nicht – sie welken dahin. (Seite 150)

Leóns Begleiter Aquino fehlen drei Finger der rechten Hand: Die waren ihm in einem paraguayischen Gefängnis einzeln abgeschnitten worden, damit er politische Gesinnungsgenossen verriet. Unlängst befreiten seine Freunde ihn mit Hilfe eines bestochenen Polizisten. León und Aquino gehören zu einer Gruppe von Desperados, die von einer geplanten Reise des US-Botschafters durch Argentinien erfahren haben. Hier in der Gegend soll der britische Honorarkonsul Charley Fortnum ihn durch die historischen Ruinen führen. Dr. Plarr, von dem sie wissen, dass er mit Fortnum befreundet ist, soll für sie den genauen Ablauf der Besichtigung herausfinden, denn sie wollen den amerikanischen Botschafter entführen, um die Freilassung von zehn politischen Häftlingen – darunter auch Plarrs Vater – aus paraguayischen Gefängnissen zu erpressen.

In der auf den Besuch des Botschafters folgenden Nacht wird Dr. Plarr durch einen Anruf geweckt: León Rivas benötigt dringend seine Hilfe. Zwei seiner Leute bringen den Arzt zu einer Hütte im barrio popular, wo sie den Entführten versteckt haben. Sie machen sich Sorgen, weil der narkotisierte Mann nicht mehr zu sich kommt. Er liegt auf einem Sarg, weil der Boden zu feucht ist und es zu auffällig gewesen wäre, ein Bett zu besorgen. Dr. Plarr stellt fest, dass es sich nicht um den amerikanischen Botschafter, sondern um Charley Fortnum handelt, bei dem das Betäubungsmittel wegen des hohen Alkoholspiegels im Blut stärker als geplant wirkt. Die amateurhaften Guerillakämpfer haben den Falschen entführt! Unberechtigterweise fuhr der Honorarkonsul mit einem Stander an seinem Auto, und im Dunkeln achteten die Desperados nicht darauf, dass es nicht Stars and Stripes waren, sondern der Union Jack. Die US-Regierung würde wohl Druck auf General Stroessner ausüben, um einen der eigenen Botschafter zu retten, aber wegen eines britischen Honorarkonsuls werde man nichts unternehmen, gibt Dr. Plarr den Entführern zu bedenken. Er redet auf León ein, Fortnum freizulassen, aber als dieser einen Augenblick zu sich kommt und seinen Arzt und Freund erkennt, will der ehemalige Priester kein Risiko eingehen.

Dr. Plarr fliegt nach Buenos Aires, um den britischen Botschafter Henry Belfrage aufzurütteln. Sir Henry ist verärgert, weil Pedro ihm das Frühstücksei erneut auf beiden Seiten briet, so wie er es offenbar bei den Yankees gelernt hatte. (Aufgrund solcher Frustrationen sympathisiert der Botschafter mit den Kritikern des US-Imperialismus.) Jetzt bringt ihn dieser Arzt auch noch um seine Mittagspause. Dabei kann er in dem Fall des entführten Honorarkonsuls ohnehin nichts tun. Der Präsident will eine Konfrontation mit General Stroessner vermeiden, der gerade seinen Urlaub in Argentinien verbringt, und die Regierung in Washington unternimmt nichts, weil zu befürchten ist, dass ein Einlenken zu weiteren Entführungen ermutigen würde.

Wieder zurück in der Provinz, lädt Dr. Plarr seinen Landsmann Humphries und den argentinischen Dichter Jorge Julio Saavedra in ein Restaurant ein und schlägt ihnen vor, einen anglo-argentinischen Klub zu gründen. Ein Aufruf dieser Vereinigung in der Presse könnte die amerikanische Regierung vielleicht doch noch veranlassen, sich für Charley Fortnum einzusetzen. Dem Dichter erscheint es unmöglich, einen Text zu unterschreiben, der seinen literarischen Ansprüchen nicht genügt und er möchte den von Dr. Plarr vorgelegten Entwurf deshalb erst noch stilistisch überarbeiten, aber der Arzt befürchtet, dass dafür keine Zeit mehr ist. Nach dem Scheitern der Klub-Gründung und des Aufrufs authorisiert Saavedra den Initiator allerdings, öffentlich zu erklären, dass er bereit sei, sich gegen Fortnum austauschen zu lassen. Dieses Angebot wird zwar in der lokalen Presse erwähnt, aber es schlägt keine Wellen, die geeignet wären, die Aufmerksamkeit einer Regierung zu erregen.

Der argentinische Polizeioberst Perez wundert sich, wieso die Entführer Plarrs Vater auf die Liste der freizulassenden Häftlinge gesetzt haben. Sind sie dem Arzt einen Gefallen schuldig? Hat er sie über den geplanten Ablauf der Besichtigung der Ruinen unterrichtet? Die Informationen darüber könnte er von dem Honorarkonsul erhalten haben. Oberst Perez klärt Dr. Plarr darüber auf, dass dessen Vater vor einem Jahr bei einem Ausbruch aus dem Gefängnis in Paraguay erschossen worden war. Der Arzt versteht, dass León Rivas ihn angelogen hat.

Charley Fortnum wird bei einem Fluchtversuch ins Bein geschossen. Wieder muss Dr. Plarr nach seinem Freund sehen und die Wunde verbinden. Aus Sicherheitsgründen lässt León Rivas ihn diesmal nicht mehr gehen. Der ehemalige Priester, seine Frau Marta, Aquino, Diego und der Schwarze Pablo teilen sich die Hütte mit ihren beiden Gefangenen.

Als Fortnum zufällig eine Bemerkung Leóns gegenüber Dr. Plarr hört, begreift er, dass Clara und der Arzt ihn betrogen haben und das Kind, das seine Frau erwartet, nicht seines ist. Er sagt:

„Ich weiß. Sie halten mich für einen Feigling, Dr. Plarr, aber ich fürchte mich jetzt nicht mehr sehr vor dem Sterben. Es ist viel leichter, als zurückzugehen und darauf zu warten, dass ein Kind zur Welt kommt mit Ihrem Gesicht, Dr. Plarr.“
„So hab‘ ich das alles nicht gewollt“, wiederholte Dr. Plarr. Sein Zorn, der ihm geholfen hätte, sich zu verteidigen, war verflogen. „Nichts kommt je so, wie wir es wollen. Diese Männer wollten Sie nicht entführen. Ich wollte dieses Kind nicht zeugen. Man könnte fast denken, irgendwo sitzt ein Witzbold, dem es Spaß macht, für unliebsame Überraschungen zu sorgen.“ (Seite 310)

Einige Stunden später gesteht Dr. Plarr dem ehemaligen Priester:

„Ich bin eifersüchtig, weil er sie liebt. Dieses dumme, banale Wort Liebe. Es hat mir nie etwas bedeutet. Wie das Wort Gott. Ich kann vögeln – aber ich kann nicht lieben. Charley Fortnum, der Saufbruder, gewinnt das Spiel.“ (Seite 327f)

Die Polizei findet schließlich das Versteck der Entführer und umstellt die Hütte. Aquino drängt darauf, das nutzlose Entführungsopfer endlich zu erschießen, aber León zögert und klagt gegenüber Dr. Plarr:

„Ich habe nie gedacht, dass es soweit kommen wird. Verstehen Sie – wäre es der amerikanische Botschafter gewesen – dann hätten sie bestimmt nachgegeben. Und ich hätte zehn Menschenleben gerettet. Nie hätte ich gedacht, dass ich einem Menschen das Leben nehmen müsste.“ (Seite 321)

Dr. Plarr will Oberst Perez um einen Aufschub bitten und tritt deshalb vor die Hütte.

Bei Dr. Plarrs Beerdigung hält Jorge Julio Saavedra eine Rede, in der er behauptet, Eduardo Plarr sei von León Rivas erschossen worden. Charley Fortnum, der – auf Krücken gestützt – unter den Trauergästen ist, weiß es besser: León war bei ihm, als der erste Schuss knallte, und stürzte hinaus, ohne seine Pistole mitzunehmen. Dr. Plarr wurde ebenso wie die Desperados von Oberst Perez und seinen Fallschirmjägern erschossen.

Charley Fortnum beobachtet Clara und ist entsetzt, weil er keinerlei Anzeichen von Trauer um Eduardo Plarr bei ihr bemerkt.

Ein Kuss von einer Frau, die nicht einmal fähig war, ihren Liebhaber zu lieben, war nichts wert. Und doch, fragte er sich, war es ihre Schuld? Von einem Freier im Bordell lernt man nichts über die Liebe. Und weil es nicht ihre Schuld war, musste er darauf bedacht sein, ihr seine Gefühle nie zu zeigen. (Seite 338f)

Er vermeidet jede Berührung mit ihr und zieht es vor, allein im Gästezimmer zu schlafen. Als er einmal zu ihr ins Schlafzimmer hinübergeht und vor ihrem unbenützten Bett steht, glaubt er, sie sei bei einem anderen Mann. Doch sie hat bei dem Hausmädchen María geschlafen, weil sie allein Angst hatte. Sie weint. Auf Charley Fortnums Frage beteuert sie, Dr. Plarr nicht geliebt zu haben, aber aufgrund ihrer Tränen weiß ihr Mann, dass sie lügt – und er ist erleichtert, weil seine Befürchtung, sie sei unfähig zur Liebe, nicht zutrifft. Er schlägt vor, das Kind Eduardo zu nennen.

Jemand, den er liebte, würde überleben. (Seite 350)

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Ein Arzt gerät im Norden Argentiniens unversehens an eine Gruppe von Desperados, die mit seiner Hilfe den US-Botschafter entführen und politische Hälftlinge in Paraguay freipressen wollen, versehentlich aber einen alkoholkranken britischen Honorarkonsul kidnappen, dessen junge Ehefrau ein Verhältnis mit dem Arzt hat: In seinem Roman „Der Honorarkonsul“ verbindet Graham Greene eine Dreiecksgeschichte mit einem politischen Thriller.

„Der Honorarkonsul“ spielt in einer vom machismo geprägten Welt, in der es mehr Gewalt als Liebe zu geben scheint. Aus Frustration über die sozialen Ungerechtigkeiten und die Verlogenheit seines Erzbischofs gibt ein katholischer Priester seinen Beruf auf und schließt sich einer Gruppe von Desperados an. Sein Gewissen lässt ihn allerdings vor der politisch ratsamen Ermordung eines anderen Menschen zurückschrecken. Von den Hauptfiguren überleben am Ende nur der Honorarkonsul und seine Ehefrau, ein ungleiches Paar, das für die Liebe steht.

Faszinierend wie die Beziehungen zwischen den Figuren sind die Charaktere, denn sie sind ausnahmslos widersprüchlich: Jeder von ihnen zeigt sowohl Stärken als auch Schwächen; eine klare Unterscheidung zwischen guten und bösen Menschen gibt es nicht.

Graham Greene erzählt die Geschichte vorwiegend aus der Perspektive von Dr. Eduardo Plarr, eines unheroischen Zynikers und Agnostikers, der den Protagonisten Thomas Fowler und Brown ähnelt, die wir aus den Romanen „Der stille Amerikaner“ bzw. „Die Stunde der Komödianten“ kennen.

John Mackenzie verfilmte den packenden Roman 1983: „Der Honorarkonsul“.

 

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004
Textauszüge: © Paul Zsolnay Verlag
Die Seitenangaben beziehen sich auf die dtv-Taschenbuchausgabe vom April 2004.

John Mackenzie: Der Honorarkonsul

Graham Greene (Kurzbiografie)
Graham Greene: Am Abgrund des Lebens (Verfilmung)
Graham Greene: Das Ende einer Affäre (Verfilmung)
Graham Greene: Der stille Amerikaner
Graham Greene: Unser Mann in Havanna
Graham Greene: Die Stunde der Komödianten
Graham Greene: Der Mann, der den Eiffelturm stahl

Neil Jordan: Das Ende einer Affäre

Anton Cechov - Eine langweilige Geschichte
Der "kleine Roman" wird aus der Sicht eines verbitterten alten Mannes erzählt, der sich mit den Gegebenheiten nicht abfinden kann. Die sorgfältige Beobachtung von Personen und die ironische Beschreibung der russischen Gesellschaft im 19. Jahrhundert lassen auf die Menschenkenntnis Anton Čechovs schließen.
Eine langweilige Geschichte