Friedrich Dürrenmatt : Der Besuch der alten Dame

Der Besuch der alten Dame
Der Besuch der alten Dame Tragische Komödie Uraufführung: Schauspielhaus Zürich, 29. Januar 1956 Buchausgabe: Diogenes Verlag, Zürich
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Nachdem Claire durch Eheschließungen reich geworden ist, kommt sie nach 45 Jahren erstmals wieder in ihre Geburtsstadt Güllen. Beim offiziellen Empfang durch den Bürgermeister verspricht sie der Gemeinde eine Milliarde – unter einer Bedingung, dass Alfred Ill, der sie damals mit ihrem Kind hatte sitzen lassen, zur Rechenschaft gezogen wird ...
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Kritik

In der "tragischen Komödie" "Der Besuch der alten Dame" zeigt Friedrich Dürrenmatt auf groteske Weise, dass Geld die Welt regiert und Amoral in Sittlichkeit umgedeutet wird. Ohne den Zeigefinger zu heben, entlarvt er die Verlogenheit der bürgerlichen Moral.
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Die Stadt Güllen ist heruntergekommen. Schnellzüge halten hier nicht mehr. Deshalb erwartet der Bürgermeister, dass die Multimilliardärin Claire, die ihren Besuch angekündigt hat, in der nächsten Stadt aussteigen wird. Sie hieß früher Klara Wäscher, wurde in Güllen geboren und kehrt heute zum ersten Mal seit 45 Jahren zurück. Der Zug kommt durch eine Notbremsung in Güllen zum Stehen. Claire beruhigt den Zugführer mit ein paar Tausendern, steigt mit ihrem siebten Ehemann aus und begibt sich in den Gasthof „Goldener Apostel“, während sich ihre Bediensteten um das Gepäck kümmern. Darunter ist ein Sarg. Auch einen Panther bringt Claire mit. Ein Teil ihrer Gliedmaßen wurde nach einem Flugzeugabsturz in Afghanistan durch Prothesen ersetzt.

Beim offiziellen Empfang durch den Bürgermeister verspricht Claire der Stadt eine Milliarde – unter einer Bedingung: Sie verlangt Gerechtigkeit. Es geht um den jetzt fast 70 Jahre alten Alfred Ill, der 1910 die Vaterschaft an ihrem Kind leugnete, zwei Zeugen bestach und sie auf diese Weise ins Unglück trieb. Das Kind starb nach einem Jahr an Hirnhautentzündung, und Claire verdiente sich ihren Lebensunterhalt als Prostituierte, bis sie an der Seite ihrer wechselnden Ehemänner reich wurde. Nun setzt sie eine Milliarde auf Ills Kopf aus. Entsetzt weist der Bürgermeister das Angebot zurück.

„Die Welt machte mich zu einer Hure, nun mache ich sie zu einem Bordell“, droht Claire. Erst einmal lässt sie sich wieder scheiden, heiratet ein achtes Mal, reicht gleich darauf erneut die Scheidung ein und nimmt einen Nobelpreisträger zum Mann.

Ill, der damals die Güllener Kaufmannstochter Mathilde Blumhard heiratete, glaubt anfangs, er könne sich auf die Solidarität seiner Mitbürger verlassen. Erst als er bemerkt, dass die Leute neue Schuhe tragen, verlangt er, Claire wegen Anstiftung zum Mord zu verhaften.

Der Polizist – der ebenfalls neue Schuhe angezogen hat – weist ihn jedoch darauf hin, dass er Claires Vorschlag schon wegen der übertrieben hohen Geldsumme nicht ernst nehmen dürfe. Ill sucht den Bürgermeister auf. Der besitzt nicht nur neue Schuhe, sondern auch eine neue Krawatte und eine neue Schreibmaschine. Man lebe in einem Rechtsstaat, beruhigt er Ill, da brauche er sich keine Sorgen zu machen. Der Pfarrer, an den sich Ill als nächsten wendet, spricht vom ewigen Leben. Er sorgt sich um das Seelenheil der Güllener und hielte es für das Beste, wenn Ill die Angelegenheit durch seine Flucht beenden würde.

Man erschießt Claires entlaufenen Panther.

Da möchte Ill nach Australien auswandern. Doch er steigt nicht in den Zug, sondern bricht auf dem Bahnsteig zusammen.

Allmählich entrüsten sich die Bürger über sein früheres Verhalten. In Ills Geschäft befragen Journalisten seine Frau und die anwesenden Kunden über sein Verhältnis mit Claire. Der Bürgermeister bringt Ill ein Gewehr vorbei und rät ihm, sich selbst zu richten. Der geht nicht darauf ein.

In der Gemeindeversammlung, die im Theatersaal des Gasthofs „Goldener Apostel“ tagt, beteuert der Lehrer, es gehe nicht um Geld, sondern ausschließlich um Gerechtigkeit. Einstimmig wird der Fememord beschlossen. Das Licht im Saal geht aus. Als es wieder hell wird, liegt Ill am Boden. Man hat ihn erwürgt, aber der Arzt schreibt auf den Totenschein: „Herzschlag“.

Nachdem Claire dem Bürgermeister einen Scheck über eine Millarde überreicht hat, verlässt sie mit Alfred Ills Leiche im Sarg die Stadt.

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In dieser „tragischen Komödie“ zeigt Friedrich Dürrenmatt auf groteske Weise, dass Geld die Welt regiert und Amoral in Sittlichkeit umgedeutet wird. Ohne den Zeigefinger zu heben, entlarvt er die Verlogenheit der bürgerlichen Moral. Die Güllener schieben falsche Gründe vor und täuschen sich selbst; nur Claire kann es sich leisten, klar auszusprechen, was sie will. „‚Der Besuch der alten Dame‘ ist eine Geschichte, die sich irgendwo in Mitteleuropa in einer kleinen Stadt ereignet, geschrieben von einem, der sich von diesen Leuten durchaus nicht distanziert und der nicht so sicher ist, ob er anders handeln würde …“ (Friedrich Dürrenmatt).

Klara Wäschers neuer Name Claire erinnert natürlich an den Begriff Reinigung, Ill ist die englische Übersetzung des Wortes krank, und der Name der Stadt wird mit Gülle assoziiert.

Friedrich Dürrenmatt schrieb auch das Libretto für die 1971 uraufgeführte Oper „Der Besuch der alten Dame“ von Gottfried von Einem.

Der Besuch der alten Dame – Regie: Ludwig Cremer – Bühnenautor: Friedrich Darsteller – Elisabeth Flickenschildt, Bum Krüger, Hans Mahnke, Rolf Wanka, Robert Taube, Annemarie Schradiek, Katharina Kuiper von Bülow, Werner Pochath u. a. – 1959; 115 Minuten

Der Besuch / The Visit – Regie: Bernhard Wicki – Drehbuch: Ben Barzman, Maurice Valency, nach dem Bühnenstück „Der Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt – Kamera: Armando Nannuzzi – Schnitt: Samuel E. Beetley, Françoise Diot – Musik: Richard Arnell, Hans-Martin Majewski – Darsteller: Ingrid Bergman, Anthony Quinn, Irina Demick, Paolo Stoppa, Hans Christian Blech, Romolo Valli, Valentina Cortese, Claude Dauphin, Eduardo Ciannelli, Marco Guglielmi u. a. – 1964; 100 Minuten

Der Besuch der alten Dame – Regie: Max Peter Ammann – Drehbuch: Friedrich Dürrenmatt – Kamera: Max Hänseler – Schnitt: Eva Bühler – Musik: André Bauer – Darsteller: Maria Schell, Günter Lamprecht, Jürgen Cziesla, Otto Mächtlinger, Michael Gempart, Jon Laxdal, Adolph Spalinger, Ruedi Walter, Inigo Gallo, Walter Ruch, Uli Eichenberger, Heinz Bühlmann, Johannes Peyer, Walter Hess, Maja Stolle u. a. – 1982; 85 Minuten

„Der Besuch der alten Dame“ wurde mehrmals verfilmt, so zum Beispiel von Ludwig Cremer, Bernhard Wicki und Max Peter Ammann. Eine Neuverfilmung stammt von Nikolaus Leytner: „Der Besuch der alten Dame“.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002

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