Justiz

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Justiz – Originaltitel: Justiz – Regie: Hans W. Geißendörfer – Drehbuch: Hans W. Geißendörfer, nach dem Roman "Justiz" von Friedrich Dürrenmatt – Kamera: Hans-Günther Bücking – Schnitt: Annette Dorn – Musik: Frank Loef – Darsteller: Maximilian Schell, Thomas Heinze, Anna Thalbach, Mathias Gnädinger, Norbert Schwientek, Ulrike Kriener, Suzanne von Borsody, Hark Bohm, Carole Piguet, Diethelm Stix, Dietrich Siegl u.a. – 1993; 105 Minuten

Inhaltsangabe

In einem gut besuchten Restaurant erschießt der angesehene Regierungsrat Dr. Kohler einen Gast. Später lässt er sich festnehmen und begnügt sich mit einem Pflichtverteidiger. Das Gericht verurteilt ihn zu 20 Jahren Zuchthaus. Als Häftling beauftragt Kohler den jungen Rechtsanwalt Felix Spät, den Fall unter der Hypothese, dass ein anderer geschossen habe, neu zu untersuchen. Der unerfahrene Jurist glaubt zunächst, es handele sich um ein absurdes Spiel ...
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Kritik

"Justiz", die Verfilmung eines Romans von Friedrich Dürrenmatt durch Hans W. Geißendörfer, veranschaulicht auf unterhaltsame Weise, dass Recht­sprechung und Gerechtigkeit nicht deckungsgleich sind. Durch die Skur­rilität der Figuren ergeben sich in der Farce überraschende Wendungen.
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Ein britischer Minister (David Ryall) reist zu einer Magenoperation in die Schweiz. Der angesehene Industrielle und Regierungsrat Dr. Isaak Kohler (Maximilian Schell) lässt sich am 23. März 1989 nach einer Partie Billard von seinem Chauffeur Franz (René Scheibli) zum Krankenhaus bringen, um den Gast für die Rückreise abzuholen, aber erst nachdem der hysterische Patient mit einer Injektion sediert wurde, kann er in die Limousine gesetzt werden. Vor dem Restaurant Du Theâtre lässt Kohler den Chauffeur kurz halten. Er betritt das volle Lokal und erschießt wortlos Prof. Winter (Hark Bohm), der mit seinem früheren Doktoranden Dr. Felix Spät (Thomas Heinze) beim Essen sitzt. Dann geht er ruhig wieder hinaus, um die Fahrt zum Flughafen fortzusetzen.

Unter den Gästen des Restaurants sind auch der Zürcher Polizeikommandant (Mathias Gnädinger) und der Staatsanwalt Jämmerlin (Diethelm Stix) mit seiner Frau (Suzanne Thommen). Jämmerlin eilt zum Telefon und ordnet die Festnahme des Täters an. Dann folgt er seiner Frau in die Tonhalle und erklärt ihr stolz, er habe alles Erforderliche veranlasst: der Mörder befinde sich wahrscheinlich bereits in Polizeigewahrsam. In diesem Augenblick setzt sich Isaak Kohler auf den freien Platz neben ihn und grüßt freundlich. Jämmerlin geht wieder hinaus, um zu telefonieren. Als er mit mehreren Polizisten zurückkommt, ist Kohler verschwunden.

Der Kommandant hat den befreundeten Regierungsrat inzwischen abgeholt, mit nach Hause genommen und ihm ein Glas Wein angeboten. Kohler muss ihn erst auffordern, seine Pflicht zu tun und ihn zu verhaften.

Im Prozess begnügt Kohler sich mit dem Pflichtverteidiger Luethi (Jodoc Seidel). Der plädiert auf Unzurechnungsfähigkeit, weil der Mord zwar von 13 Gästen des Restaurants bezeugt wird, aber kein Motiv erkennbar ist und das Opfer zum Freundeskreis des Regierungsrats gehörte. Jämmerlin, der die Anklage vertritt, lässt das nicht gelten und unterstellt Kohler, aus purer Mordlust gehandelt zu haben. Am Ende verurteilt der Richter (Siegfried Meisner) Dr. Isaak Kohler zu 20 Jahren Zuchthaus.

Noch am selben Abend besucht Kohlers Tochter Helene (Anna Thalbach) den unerfahrenen Rechtsanwalt Dr. Felix Spät und schlürft mit ihm die mitgebrachten Austern. Sie behauptet, ihr Vater sei unschuldig und weist darauf hin, dass es weder ein Motiv, noch ein Geständnis gibt. Außerdem fand die Polizei keine Tatwaffe. Sie bringt den Juristen dazu, ihren Vater in der Haftanstalt aufzusuchen.

Der vom Gefängnisdirektor Zeller (Klaus-Henner Russius) hofierte Häftling weiß, dass es dem jungen Rechtsanwalt finanziell schlecht geht und bietet ihm einen Auftrag an. Spät soll seinen Fall noch einmal neu untersuchen, und zwar unter der Annahme, der Schuss sei nicht von Kohler abgefeuert worden. Spät hält das angesichts von 13 Zeugen für absurd, aber Kohler ködert ihn mit 100 000 Schweizer Franken Honorar plus Spesen, Wohnung, Büro und Sekretärin.

Kurz darauf meldet sich der Privatdetektiv Lienhardt (Christoph Lindert) bei Spät, der gerade angefangen hat, einen Absagebrief an Kohler zu schreben. Lienhardt, der von Kohler geschickt wurde, überredet den Rechtsanwalt, den gut bezahlten Auftrag anzunehmen und stellt seine Dienste zur Verfügung.

Felix Spät lässt sich von Helene Kohler in der Luxusville ihres Vaters die erste Hälfte des Honorars geben – und kopuliert mit ihr auf dem Billardtisch. Er zieht von seiner schäbigen Hinterhofmansarde in ein schönes Apartment um und wird in dem mondänen Büro, das ihm Kohler ebenfalls zur Verfügung stellt, von seiner Sekretärin Ilse Freude (Ulrike Kriener) begrüßt.

Unvermittelt bekommt er einen Anruf aus dem Grandhotel. Die steinreiche Unternehmerin Monika Steiermann bittet ihn um sofortige Hilfe. Als er hinkommt, steht sie im Schlafanzug vor dem Portal. Er nimmt sie mit in seine Wohnung. Dort zieht sie sich unbekümmert aus, und er sieht die Hämatome an ihrem Körper. Ihr Liebhaber Dr. Benno (Dietrich Siegl) habe sie geschlagen, behauptet sie. Während sie vor Späts Augen ein Bad nimmt, erklärt sie ihm, sie spiele Monika Steiermann nur in deren Auftrag. Eigentlich heißt die Edelprostituierte Daphne Winter (Suzanne von Borsody) und ist die Tochter des ermordeten Professors.

Sie beauftragt den Rechtsanwalt, der echten Monika Steiermann (Carole Piguet) die Nachricht zu überbringen, dass sie sich nicht länger verprügeln lassen werde und wieder sie selbst sein wolle.

Felix Spät meldet sich bei Monika Steiermann an. In der Luxusvilla wird sie von einem Bediensteten ins Zimmer getragen und dem Besucher auf den Schoß gesetzt: Es handelt sich um eine Zwergin. Monika Steiermann erzählt ihrem Besucher, sie habe sich in Dr. Benno verliebt und Daphne Winter dafür bezahlt, an ihrer Stelle dessen Geliebte zu sein, um sich auf diese Weise das für sie Unmögliche vorstellen zu können.

Ohne Späts Zutun schreiben die Zeitungen von einem jungen, aufstrebenden Rechtsanwalt in Zürich, der die Rehabilitierung des zu Unrecht verurteilten Regierungsrats Dr. Kohler betreibe. Ilse Freude legt Spät die Neue Zürcher Zeitung auf den Schreibtisch. Sie ist stolz auf ihren prominenten Chef, der nun keine Schwierigkeit mehr hätte, zahlreiche wohlhabende Mandanten zu bekommen.

Felix Spät ist jedoch entsetzt, denn er begreift, dass er nicht für ein harmloses theoretisches Spiel bezahlt wurde, wie er dachte, sondern für einen perfiden Plan des Mörders. Aufgebracht fährt er zum Gefängnis, wo für Dr. Kohler inzwischen eigens ein Billardtisch aufgestellt wurde. Trotz der finanziellen Nachteile kündigt der lautere Jurist die Zusammenarbeit mit dem Mann auf, der nach seiner Überzeugung Prof. Winter erschoss.


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Daraufhin ziehen sich auch die anderen Mandanten von Felix Spät zurück, und nach ein paar Monaten erhält er eine Räumungsklage: Er muss zurück in seine düstere Behausung. Der Privatdetektiv Lienhardt fordert von ihm das noch ausstehende Honorar, aber er hat selbst nichts mehr. In seiner Verzweiflung betrinkt er sich und lässt sich mit zwielichtigen Männern wie Lucky (Martin Semmelrogge) sowie den Prostituierten Giselle (Teresa Harder) und Madeleine (Tonia Maria Zindel) ein.

Der Rechtsanwalt weiß inzwischen, dass Helene Kohler mit dem britischen Minister nach London flog und nimmt an, dass sie die Mordwaffe in die Themse warf.

In einer Rückblende erfahren wir, dass Helene Kohler an einem Abend Anfang 1989 in Monika Steiermanns Villa viermal vergewaltigt wurde, von Prof. Winter, Daphne Winter und zweimal von Dr. Benno. Auf ihren ausdrücklichen Wunsch schmiedete ihr Vater einen Racheplan.

Die Tochter des erschossenen Professors wird durch einen Stich in den Hals getötet. Der Polizeichef ahnt, wer die Mörder sind: Lucky und ein weiterer Krimineller, der in der Unterwelt „Marquis“ (Horst Krebs) genannt wird. Aber die beiden behaupten, zur Tatzeit bei Felix Spät gewesen zu sein, und tatsächlich werden dort Zigarettenkippen von ihnen sichergestellt. Allerdings schlief der Rechtsanwalt einen Rausch aus, wachte erst am frühen Morgen auf und wunderte sich über den ungebetenen Besuch.

Helene Kohlers neuer Liebhaber, der erfolgreiche Rechtsanwalt Rudolf Stüssi-Leupin (Norbert Schwientek), lässt das Gerichtsverfahren gegen ihren Vater neu aufrollen. Dass seine Ehefrau im Sterben liegt, lenkt ihn von der Aufgabe nicht ab. Als ihm der Pfarrer (Rudolph Ruf) mitteilt, dass er der Todkranken soeben die letzte Ölung gegeben habe, sagt er nur knapp: „In Ordnung.“ Und die Ankündigung des Geistlichen, er werde für sie beten, kommentiert der Rechtsanwalt mit den Worten: „Das ist ihr Job.“

Im Revisionsprozess ringt Isaak Kohlers Verteidiger Rudolf Stüssi-Leupin dem Zeugen Felix Spät im Gerichtssaal die Aussage ab, er habe dem Mordopfer gegenüber und mit dem Rücken zu Dr. Kohler gesessen, als der Schuss fiel. Daraus folgert Stüssi-Lepin, dass sein junger Kollege zwar den Schuss gehört habe, aber nicht gesehen haben könne, ob sein Mandant schoss oder nicht. Danach sagt der Zeuge Gregor (Gert Burkard) aus, zur Tatzeit sei auch Dr. Benno im Restaurant Du Theâtre gewesen.

Benno, der frühere Meister im Pistolenschießen, hatte sich von Prof. Winter 20 Millionen Schweizer Franken geliehen und konnte sie offenbar nicht zurückzahlen. Stüssi-Leupin weist darauf hin, dass Benno also nicht nur ein Mordmotiv gehabt habe, sondern auch in der Lage gewesen sei, den tödlichen Schuss abzufeuern. Weil sich ohnehin niemand vorstellen konnte, dass der sympathische Regierungsrat Dr. Kohler grundlos und unverhohlen einen Freund ermordete, wird sein Freispruch allgemein begrüßt.

Felix Spät findet in seiner Wohnung einen Toten vor: Dr. Benno hat sich an einem Balken erhängt. Der Anwalt weiß, dass der Suizid wie ein Mordgeständnis wirken wird und Isaak Kohlers Plan damit aufgeht.

Wenig später wird auch der Tod der Unternehmerin Monika Steiermann gemeldet.

Nachdem Felix Spät einen Liebes- und Abschiedsbrief an Helene Kohler geschrieben hat, lädt er seine Pistole und macht sich auf den Weg, um zuerst ihren Vater und dann sich selbst zu töten.Isaak Kohler isst mit seiner Tochter im Restaurant Du Theâtre. Felix Spät nähert sich dem Tisch, zielt auf den Regierungsrat und drückt ab. Der Knall schreckt die Gäste auf, aber Kohler beruhigt sie: Die Waffe ist mit Platzpatronen geladen. (Dafür hat seine Tochter gesorgt.)

Felix Spät begreift schließlich, dass Kohler nicht willkürlich handelte, sondern um durch Rache Gerechtigkeit herzustellen. „Die Gerechtigkeit wohnt in einer Etage, zu der die Justiz keinen Zutritt hat“, erklärt Isaak Kohler.

Einige Zeit später bekennt sich der zum Bundespräsidenten aufgestiegene Dr. Kohler vor Journalisten süffisant zum Mord an Prof. Winter, aber niemand glaubt ihm.

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1957 begann Friedrich Dürrenmatt an dem Roman bzw. Drehbuch „Justiz“ zu arbeiten, aber nach einiger Zeit hörte er damit auf, ohne mehr als ein Fragment entworfen zu haben. Als er es für den 30. Band seiner Werkausgabe 1980 endlich zum fertigen Manuskript erweitern wollte, konnte er sich nur noch rudimentär an den Plot erinnern und ließ deshalb von seinem Vorhaben ab. Der fertige Roman erschien erst 1985 im Diogenes Verlag. Drei Tage vor seinem Tod am 14. Dezember 1990 sprach Friedrich Dürrenmatt noch mit Hans Werner Geißendörfer über die geplante Verfilmung, die 1993 in die Kinos kam.

Mit der Farce „Justiz“ veranschaulichen Friedrich Dürrenmatt und Hans W. Geißendörfer, dass Rechtsprechung, Schuld, Sühne und Gerechtigkeit wenig mit einander zu tun haben. Parallel dazu werden die Themen Korruption von Staatsvertretern, Wirtschaftskriminalität, Kulturbetrieb und Selbstjustiz tangiert. Dabei wirkt die Romanvorlage zynischer als die Verfilmung. Das von Friedrich Dürrenmatt als Symbol in „Justiz“ eingesetzte und sogar sprachlich imitierte Billard-Motiv (Spiel über die Bande) wird zwar auch im Film aufgegriffen, allerdings mit weniger Wirkung als im Buch.

Während der Film „Justiz“ zwar weitgehend, aber nicht nur aus der Perspektive des Rechtsanwalts Spät entwickelt wird, lässt Friedrich Dürrenmatt die Romanfigur als Ich-Erzähler auftreten: der gescheiterte Jurist erinnert sich im Nachhinein an den seltsamen Mordfall. Noch einmal sehr viel später editiert ein Schriftsteller diese Memoiren und teilt den Leserinnen und Lesern auch das Ergebnis eigener Nachforschungen über die Hintergründe des Falls mit. Hans W. Geißendörfer bildet diese verschachtelte Konstruktion nicht nach, sondern stellt das Geschehen chronologisch dar und schiebt nur an einer Stelle unvermittelt eine Rückblende ein, die uns über das Motiv des Mörders aufklärt.

Unterhaltsam ist die Verfilmung des Romans „Justiz“ vor allem aufgrund der Skurrilität der Figuren und ihres Verhaltens. Dadurch entstehen immer wieder überraschende Wendungen, aber der Film droht mitunter auch in einzelne Episoden zu zerfallen.

Deutschland bewarb sich mit Hans W. Geißendörfers Film in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film um einen „Oscar“, aber „Justiz“ wurde am Ende nicht nominiert.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016

Friedrich Dürrenmatt (kurze Biografie / Bibliografie)

Hans Werner Geißendörfer: Der Zauberberg

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