The Hours

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The Hours

The Hours. Von Ewigkeit zu Ewigkeit - Originaltitel: The Hours - Regie: Stephen Daldry - Drehbuch: David Hare - Kamera: Seamus McGarvey - Schnitt: Peter Boyle - Musik: Philip Glass - Darsteller: Nicole Kidman, Julianne Moore, Meryl Streep, Ed Harris, Toni Collette, Claire Danes, Jeff Daniels, John C. Reilly, Stephen Dillane, Jack Rovello, Allison Janney, Miranda Richardson, Eileen Atkins, Linda Bassett u.a. - 2002; 115 Minuten

Inhaltsangabe

Jeweils ein Tag im Leben einer Frau: 1923 in einem Vorort von London, 1951 in Los Angeles und 2001 in New York. Jede der drei Frauen liebt und wird geliebt, aber sie fühlen sich eingesperrt, überfordert, unfähig zum Glück und glauben, dass ihnen der Raum zur Selbstentfaltung fehlt. Scheinbar alltägliche Situtationen erweisen sich als Wendepunkte in ihrem Leben.

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Kritik

Die Geschichten von drei Frauen werden in elegant verschachtelten Montagen erzählt. "The Hours" ist eine außergewöhnlich sensible und ausdrucksstarke Romanverfilmung, die sich auf die Dialoge und die von der Kamera bildfüllend gezeigten Gesichter konzentriert und auf jede Effekthascherei verzichtet.
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Virgina Woolf (Nicole Kidman) schreibt ihrem Mann Leonard in einem Abschiedsbrief: „Ich fühle deutlich, dass ich wieder verrückt werde. Ich glaube, wir ertragen eine so schreckliche Zeit nicht noch einmal. Und diesmal werde ich nicht wieder gesund werden. Ich höre Stimmen und ich kann mich nicht konzentrieren. Also tue ich das, was mir in dieser Situation das Beste zu sein scheint. Du hast mir das größtmögliche Glück geschenkt. Du bist mir alles gewesen, was jemand für einen Menschen sein kann. […]“ Dann zieht sie einen Mantel an und eilt zielstrebig zum Fluss. Dort nimmt sie einen großen Stein auf und watet bis zum Hals ins Wasser. Rasch wird sie von der Strömung davongetragen.

Von der Haushälterin Nelly (Linda Bassett) verständnislos beobachtet, sucht Virginia Woolf 1923 nach dem ersten Satz für ihren neuen Roman und kämpft gleichzeitig gegen ihre Depression. Der Roman beginnt mit den Worten: „Mrs Dalloway sagte, sie wolle die Blumen selber kaufen.“ Besorgt stellt ihr Mann Leonard (Stephen Dillane) fest, dass sie sich weigert, zu frühstücken und offenbar auch keinen Appetit auf das Mittagessen verspürt. Er zog eigens mit ihr von London in den Vorort Richmond, in ein Haus mit einem großem Garten, weil ihr das Großstadtleben sehr zu schaffen gemacht hatte. Zweimal schon versuchte sie, sich das Leben zu nehmen. Liebevoll umsorgt Leonard Woolf seine Frau und schützt sie vor Überanstrengung und Aufregung.

Virginia Woolf beneidet ihre Schwester Vanessa Bell (Miranda Richardson), als diese mit ihren drei Kindern am Nachmittag aus London zu Besuch kommt. Abends läuft sie heimlich zum Bahnhof. Kurz bevor der Zug nach London eintrifft, findet Leonard sie. Er muss sich sehr beherrschen, um nicht die Geduld zu verlieren. Nachdem er ihr den Umzug versprochen hat, begleitet sie ihn scheinbar ruhig nach Hause zum Essen.

Laura Brown (Julianne Moore) lebt mit ihrem bieder-liebevollen Mann Dan (John C. Reilly) und ihrem anhänglichen kleinen Sohn Ritchie (Jack Rovello) in einem hübschen Einfamilienhaus in Los Angeles. Sie ist schwanger und will an diesem Morgen im Jahr 1951 nicht aufstehen, obwohl es der Geburtstag ihres Mannes ist. Als sie endlich am Frühstückstisch erscheint, steht ein großer Blumenstrauß auf dem Tisch. Laura macht sich Vorwürfe, weil Dan seine Geburtstagsblumen selbst besorgen musste, aber er zeigt Verständnis und meint, sie müsse sich ohnehin während der Schwangerschaft schonen.

Bevor er abends von der Arbeit nach Hause kommt, will Laura ihm eine Geburtstagstorte backen, und ihr Sohn Ritchie darf ihr dabei helfen. Der erste Kuchen misslingt. Dass Laura nicht backen kann, wundert ihre Freundin Kitty (Toni Collette), die vorbeikommt, um sie zu bitten, in den nächsten Tagen ihren Hund zu füttern, weil sie wegen eines Geschwürs im Unterleib zu einer medizinischen Untersuchung ins Krankenhaus muss. Laura ist entsetzt über die Nachricht von der Erkrankung ihrer herausgeputzten Freundin, aber die tut mit vorgespielter Selbstsicherheit so, als handele es sich nur um eine Art Routineuntersuchung. Spontan küsst Laura sie leidenschaftlich auf den Mund – und durchbricht damit kurz ihre bürgerliche Fassade.

Sie wirft den missratenen Kuchen weg. Der zweite Versuch gelingt: Sie stellt die bunt verzierte Geburtstagstorte auf den Tisch, packt im Bad ein paar Röhrchen Tabletten in ihre Handtasche und bringt ihren Sohn, der Schlimmes ahnt und sich deshalb schreiend sträubt, zu einem Kindermädchen. Sie habe noch etwas Wichtiges zu erledigen, behauptet Laura und fährt los. In einem Hotelzimmer legt sie sich aufs Bett, holt die Tablettenröhrchen heraus, liest in Virginia Woolfs Roman „Mrs Dalloway“ und glaubt zu spüren, wie das Wasser über ihr zusammenschlägt, als ob sie sich ertränkt hätte. Mit einem Ruck richtet sie sich wieder auf und entscheidet sich für das Leben: Sie holt ihren Sohn ab, fährt nach Hause, lässt sich von ihrem Mann für die Torte loben – und sitzt dann heulend auf dem Toilettendeckel, während ihr Mann vom Bett aus nach ihr ruft.

New York 2001. Die Lektorin Clarissa Vaughan (Meryl Streep) beginnt den Tag, indem sie Blumen kauft. Am Abend soll ihrem Freund und früheren Geliebten, dem aidskranken Richard (Ed Harris), ein Literaturpreis verliehen werden. Aus diesem Anlass hat sie zu einer Party eingeladen.

Bevor sie mit den Vorbereitungen beginnt, eilt sie zu Richard in seine schäbige Zwei-Zimmer-Wohnung, um nach ihm zu sehen. Er fühlt sich kaum in der Lage, zu der Preisverleihung zu gehen und eine Party zu besuchen. An seinem Lebensüberdruss droht Clarissa zu zerbrechen. Dabei liebt er sie und sagt es ihr auch. Spaßeshalber pflegt er sie „Mrs Dalloway“ zu nennen.

Clarissa kümmert sich nicht nur um Richard, sondern auch um ihre Tochter Julia (Claire Danes) und Sally (Allison Janney), mit der sie seit zehn Jahren in einer lesbischen Beziehung lebt. Dass sie mit diesen vielen selbst auferlegten Pflichten überfordert ist, will sie nicht wahrhaben und lenkt sich mit gesteigerter Aktivität davon ab. Erst als Richards früherer Geliebter Louis (Jeff Daniels) vorzeitig zur Party kommt, bricht sie in der Küche schluchzend zusammen. Aber nach wenigen Minuten nimmt sie sich wieder zusammen und kocht weiter.

Als sie Richard abholen will, reißt dieser gerade die Vorhänge von den Fenstern. Voller Angst schaut Clarissa zu, wie er ein Fenster öffnet und mühsam auf das Fensterbrett klettert. Doch als er scheinbar entspannt sitzen bleibt, beruhigt sie sich wieder ein wenig. Ruhig erklärt Richard, er werde weder zur Preisverleihung noch zur Party kommen. Clarissa beeilt sich, zu beteuern, dass es überhaupt nicht wichtig sei. Er versichert ihr erneut, dass er sie liebe und in dem Jahr ihres Zusammenseins sehr glücklich mit ihr gewesen sei. Dann sagt er leise: „Du musst mich jetzt gehen lassen.“ Und kippt ins Freie.

Clarissa verständigt Richards Mutter Laura Brown in Kanada. Die nimmt das nächste Flugzeug nach New York und trifft noch am Abend bei Clarissa ein. Lauras Mann und ihre Tochter sind bereits gestorben. Nun hat sie auch ihren Sohn überlebt. Damals drohte sie an der bürgerlichen Idylle zu zerbrechen, an ihrem Bemühen, ihrem Mann und ihrem Sohn gerecht zu werden. Am Geburtstag ihres Mannes im Jahr 1951 nahm sie sich vor, nur noch die Geburt des zweiten Kindes abzuwarten und dann wegzugehen. Dass sie ihren Mann und ihre beiden Kinder verließ, kann sie sich niemals verzeihen.

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Virginia Woolfs Roman „Mrs Dalloway“ erschien 1925. Die Handlung spielt an einem einzigen Tag im Juni 1923. Clarissa Dalloway, die Ehefrau eines Parlamentsabgeordneten, bereitet in London eine Abendgesellschaft vor. Da taucht ihre Jugendliebe Peter Walsh auf. Sie erinnert sich an die Zeit, als sie vor der Wahl zwischen ihm und Richard Dalloway stand und fragt sich, ob sie sich richtig entschied. – Ursprünglich wollte Virginia Woolf den Roman mit dem Selbstmord der Protagonistin enden lassen, aber sie änderte den Plan und ließ stattdessen den irre gewordenen Kriegsheimkehrer Septimus Warren Smith durch Suizid sterben. – Clarissa Dalloway erfährt von der Selbsttötung und verwirft daraufhin ihre eigenen Selbstmordgedanken. Auf kunstvolle Weise verknüpft Virginia Woolf die Gefühle, Erlebnisse und Erinnerungen von Clarissa Dalloway und Septimus Warren Smith durch Überblendungen miteinander, obwohl die zwei Romanfiguren sich nie begegnen. Der Fokus richtet sich nicht auf die äußeren Ereignisse, sondern auf die Innenperspektive der Protagonisten („Stream of consciousness“).

Von „Mrs Dalloway“ inspiriert, schrieb der 1952 in Cincinnati (Ohio) geborene Amerikaner Michael Cunningham seinen Roman „Die Stunden“ („The Hours“, New York 1998) über die Identitätskrise von drei ganz verschiedenen Frauen. Der Dramatiker David Hare und der Regisseur Stephen Daldry wagten sich an die Verfilmung dieses Bestsellers und schufen ein eigenständiges Kunstwerk.

Jede der Frauen liebt und wird geliebt, aber sie fühlen sich eingesperrt, überfordert, unfähig zum Glück, glauben, dass ihnen der Raum zur Selbstentfaltung fehlt. Voller Angst und Verzweiflung denken sie an den Tod. In scheinbar alltäglichen Situationen verbergen sich Wendepunkte in ihrem Leben.

Über Virginia Woolfs Suizid am 28. März 1941 und jeweils einen Tag im Jahr 1923 in einem Vorort von London, 1951 in Los Angeles und 2001 in New York erzählen Stephen Daldry und David Hare in elegant verschachtelten Montagen.

Richard heißen Virginia Woolfs Ehemann und Clarissa Vaughans ehemaliger Geliebter, ein aidskrankes Wrack. Clarissa trägt nicht nur denselben Vornamen wie Virginia Woolfs Romanfigur, sondern wird von Richard auch „Mrs Dalloway“ gerufen.

Die eigentlichen Parallelen ergeben sich wie selbstverständlich aus ähnlichen Situationen in den drei Erzählsträngen und den Gefühlslagen der drei Figuren. Auf diese Weise werden die Themen wiederholt, variiert und kontrapunktiert.

„The Hours“ ist ebenso ästhetisch wie unaufdringlich fotografiert. Auch die Filmmusik von Philip Glass trägt maßgeblich zu der dichten Atmosphäre bei. Es handelt sich um ein außergewöhnlich sensibles Filmdrama, das sich vorwiegend in den Dialogen und in den von der Kamera bildfüllend gezeigten Gesichtern abspielt. Dabei wird auf jede Effekthascherei verzichtet. Die Darsteller nehmen sich zurück, beschränken sich auf kleine Gesten, sparsame Mimik und bringen dennoch große Gefühle mit einer seltenen Intensität zum Ausdruck. Meryl Streep, Julianne Moore, Nicole Kidman und Ed Harris zeichnen sich durch außerordentliches schauspielerisches Können aus. Es ist mit Abstand die beste Rolle, die Nicole Kidman jemals spielte. Sie wurde dafür mit einem „Oscar“ ausgezeichnet. Außerdem erhielten Nicole Kidman, Meryl Streep und Julianne Moore bei den Filmfestspielen in Berlin einen „Silbernen Bären“.

Für einen „Oscar“ nominiert hatte man auch den Film, David Hare (Drehbuch), Stephen Daldry (Regie), Peter Boyle (Schnitt), Philip Glass (Musik), Ann Roth (Kostüme), Julianne Moore (Nebendarstellerin) und Ed Harris (Nebendarsteller).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003

Stephen Daldry (kurze Biografie / Filmografie)
Stephen Daldry: Billy Elliot. I Will Dance
Stephen Daldry: Der Vorleser

Michael Cunningham: The Hours. Die Stunden

Virginia Woolf: Mrs Dalloway
Marleen Gorris: Mrs Dalloway

Mike Nichols: Wer hat Angst vor Virginia Woolf?

Marina Perezagua - Hiroshima
Die in "Hiroshima" dargestellte Welt ist voller Leid und Ungerechtigkeit, Grausamkeit und Inhumanität. Komplexität, Tiefgang und Nach­denk­lich­keit von "Hiroshima" be­weisen Marina Perezaguas Klug­heit und Bildung, aber der aufwühlende Roman wirkt auch überfrachtet.
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