Michael Cunningham : Die Stunden. The Hours

Die Stunden. The Hours
Originalausgabe: The Hours Farrar, Straus & Giroux, New York 1998 Die Stunden. The Hours Übersetzung: Georg Schmidt Luchterhand Literaturverlag GmbH, München 2000 Taschenbuchausgabe: btb-Verlag, München 2003 ISBN 3-442-73123-2, 221 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Jeweils ein Tag im Leben einer Frau: 1923 in einem Vorort von London, 1949 in Los Angeles und "am Ende des 20. Jahrhunderts" in New York. Jede der drei Frauen liebt und wird geliebt, aber sie fühlen sich eingesperrt, überfordert, unfähig zum Glück und glauben, dass ihnen der Raum zur Selbstentfaltung fehlt.

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Kritik

Michael Cunningham erzählt die Geschichten von drei Frauen in elegant verschachtelten Kapiteln. "Die Stunden" ist eine Hommage an Virginia Woolf und zugleich ein literarisches Werk von hohem inhaltlichen und kompositorischem Niveau.
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Die Stimmen sind wieder da, und der Kopfschmerz naht so sicher wie der Regen, der Kopfschmerz, der sie, was sie auch ist, zermalmen und ihre Stelle einnehmen wird.

Virigina Woolf schreibt ihrem Mann Leonard in einem Abschiedsbrief:

Ich fühle deutlich, dass ich wieder verrückt werde. Ich glaube, wir ertragen eine so schreckliche Zeit nicht noch einmal. Und diesmal werde ich nicht wieder gesund werden. Ich höre Stimmen und ich kann mich nicht konzentrieren. Also tue ich das, was mir in dieser Situation das Beste zu sein scheint. Du hast mir das größtmögliche Glück geschenkt. Du bist mir alles gewesen, was jemand für einen Menschen sein kann. […]

Dann zieht sie einen für die Witterung zu dicken Mantel an und eilt aus dem Haus. Während deutsche Bomber am Himmel dröhnen – es ist der 28. März 1941 – geht sie zielstrebig zum Fluss. Dort nimmt sie einen großen Stein auf und watet bis zum Hals ins Wasser.

Rasch wird sie von der Strömung davongetragen. Sie scheint zu fliegen, wirkt wie ein Fabelwesen, die Arme ausgestreckt, mit fließendem Haar, dem Pelzmantel, der sich wie ein Schweif hinter ihr bauscht. Schwerfällig treibt sie durch braune, körnige Lichtstrahlen.

An einem Morgen im Jahr 1923 kommt Virginia Woolf aus ihrem Schlafzimmer im Hogarth House, das sich im Londoner Vorort Richmond befindet. Leonard arbeitet bereits in der Druckerei der „Hogarth Press“. Er fragt seine Frau: „Hast du gefrühstückt?“, und als sie gesteht, nur eine Tasse Kaffee mit Sahne getrunken zu haben, jetzt aber mit der Arbeit an ihrem neuen Roman beginnen zu wollen, ermahnt er sie, später „ein richtiges Mittagessen, Suppe, Nachtisch und so weiter“ zu sich zu nehmen. Liebevoll umsorgt Leonard Woolf seine Frau und schützt sie vor Überanstrengung und Aufregung.

Nach langem Überlegen entscheidet Virginia Woolf sich für den ersten Satz ihres Romans:

Mrs Dalloway sagte, sie wolle die Blumen selber kaufen.

Virginia Woolf arbeitet an ihrem neuen Roman in ständiger Angst vor einem Rückfall, vor der Wiederkehr der Kopfschmerzen und der Stimmen. Zunächst plant sie, dass die Protagonistin Clarissa Dalloway sich das Leben nimmt; dann ändert sie ihr Konzept und beschließt, lieber jemand anderes anstelle von Mrs Dalloway sterben zu lassen. Wichtig ist ihr, die Leserinnen und Leser davon zu überzeugen, dass für Mrs Dalloway eine Niederlage am Herd ebenso verheerend ist wie eine verlorene Schlacht für einen General.

Man hat immer ein besseres Buch im Sinn, als man zu Papier bringen kann.

Weil Virginia Woolf am Nachmittag ihre drei Jahre jüngere Schwester Vanessa Bell mit den drei Kindern Julian (15), Quentin (13) und Angelica (5) aus London zu Besuch erwartet, schickt sie ihre Haushälterin Nelly Boxall – in deren Gegenwart sie sich nicht wohl fühlt – in die Stadt, um chinesischen Tee und kandierten Ingwer zu besorgen.

Virginia beneidet ihre Schwester um das Leben in London.

Sie verabscheut Richmond. Sie giert geradezu nach London; sie träumt manchmal von den Herzen der Städte. Hier, wo man sie hingebracht hat und wo sie die letzten acht Jahre genau deshalb gelebt hat, weil es weder fremd noch wunderbar ist, bleibt sie weitgehend verschont von den Kopfschmerzen und Stimmen, den Wutanfällen. Hier sehnt sie sich lediglich nach den Gefahren des Stadtlebens zurück.

Nach dem Besuch ihrer Schwester hält Virginia Woolf es im Haus nicht mehr aus.

Sie spürt, wie der Kopfschmerz ihren Nacken hochkriecht. Sie verkrampft sich. Nein, es ist die Erinnerung an den Kopfschmerz, es ist ihre Angst vor dem Kopfschmerz, beide so lebhaft, dass sie zumindest einen kurzen Moment lang nicht von den einsetzenden Kopfschmerzen zu unterscheiden sind. Sie steht aufrecht da. Es ist gut. Alles ist gut. Die Wände des Zimmers wanken nicht; nichts murmelt unter dem Putz. Sie ist bei sich, steht hier, mit einem Mann im Haus, mit Dienstboten und Teppichen und Kissen und Lampen. Sie ist bei sich.

Ohne ihrem Mann etwas zu sagen, geht sie spazieren. Am Bahnhof von Richmond stellt sie fest, dass der nächste Zug nach London in 25 Minuten fährt. Sie wird erst von London aus anrufen, damit Leonard sie nicht zurückhalten kann. Virginia Woolf kauft einen Fahrschein und geht auf die Straße hinaus, um bis zur Abfahrt noch etwas zu gehen. Da kommt ihr Leonard aufgeregt entgegen. Er hat sich Sorgen gemacht. Sie erzählt nichts von ihrem nun gescheiterten Vorhaben, für ein paar Stunden nach London zu fahren, behauptet, nur etwas frische Luft gebraucht zu haben, um ihn zu beschwichtigen, und kehrt mit ihm ins Hogarth House zurück.

Es gelingt ihr jedoch, Leonard zu überreden, wieder nach London zu ziehen.

Laura Brown lebt 1949 mit ihrem bieder-liebevollen Mann Dan und ihrem anhänglichen dreijährigen Sohn Ritchie in einem hübschen Einfamilienhaus in Los Angeles. Obwohl es sich um Dans Geburtstag handelt, fällt es ihr an diesem Morgen schwer, aufzustehen. Sie liest lieber noch ein wenig in Virginia Woolfs Roman „Mrs Dalloway“. Weil sie schwanger ist, darf sie sich kleine Nachlässigkeiten erlauben.

Sie sollte auf sein, geduscht und angezogen, und das Frühstück für Dan und Ritchie zubereiten. Sie kann sie unten hören, wo ihr Mann sich sein Frühstück selber macht und Ritchie versorgt. Sie sollte dort sein, nicht wahr? Sie sollte in ihrem neuen Morgenmantel am Herd stehen, schlichte, aufmunternde Worte finden.

Vor knapp fünf Jahren glaubte man zwei Tage lang, Dan sei bei Anzio gefallen. Dann stellte sich heraus, dass es sich um eine Namensverwechslung gehandelt hatte. Laura versteht bis heute nicht, wieso er sie – die drei Jahre ältere Schwester seines besten Freundes – danach geheiratet hatte. Sie las schon damals am liebsten Bücher, und vor Dan hatte noch kein Mann um sie geworben.

Was hätte sie denn sagen können, außer ja? Wie hätte sie denn einen so hübschen, herzensguten Jungen abweisen können, praktisch ein Mitglied der Familie, der von den Toten wiedergekehrt war?

Sie liebt ihren Mann, aber sie wundert sich, wieso er keine Wünsche hat, die über das hinausgehen, was er bereits besitzt.

Endlich rafft Laura sich auf und geht hinunter. Auf dem Tisch steht ein großer Blumenstrauß. Laura macht sich Vorwürfe, weil Dan seine Geburtstagsblumen selbst besorgen musste, aber er zeigt Verständnis und meint, sie müsse sich ohnehin während der Schwangerschaft schonen.

Der Mann und der Junge verlangen gar nicht viel von ihr, nur ihre Anwesenheit und ihre Liebe natürlich.

Als Dan zur Arbeit gefahren ist, beschließt Laura, ihm eine Geburtstagstorte zu backen. Dabei fühlt sie sich wie ein Künstler oder Architekt, obwohl sie weiß, dass das ein verstiegener Vergleich ist.

Sie wird für ihren Sohn da sein, ihren Mann, wird sich ihrem Zuhause widmen, ihren Pflichten, all ihren Gaben. Sie wird das zweite Kind haben wollen.

Lauras in der Nachbarschaft wohnende Freundin Kitty kommt vorbei und bittet sie, ihren Hund zu füttern, weil sie für einige Tage ins Krankenhaus muss: An ihrer Gebärmutter wurde ein Geschwür festgestellt; Dr. Rich will operieren und nachsehen. Mit vorgespielter Selbstsicherheit tut Kitty so, als ob es sich nur um eine Routineuntersuchung handeln würde. Laura umarmt Kitty voller Mitleid, denkt „so fühlt es sich für einen Mann an, wenn er eine Frau hält“, spürt ihre Brüste. Die beiden Frauen küssen sich auf den Mund, aber Kitty zieht sich rasch zurück.

Als Laura wieder mit Ritchie allein ist, kippt sie die Torte in den Mülleimer. Es ist 10.30 Uhr. Da ist noch genügend Zeit, eine zweite Torte zu machen, die besser gelingt.

Danach bringt sie ihren Sohn zu Mrs Latch, einer Nachbarin, und fährt für ein paar Stunden weg, weil sie es zu Hause nicht mehr aushält. Aufgeregt wie ein junges Mädchen nimmt sie ein Hotelzimmer, zahlt im Voraus und behauptet, ihr Mann komme mit dem Gepäck nach. Sie legt sich aufs Bett und liest in dem Roman „Mrs Dalloway“.

Sie könnte sich dazu entschließen zu sterben. Es ist eine abstrakte, flimmernde Vorstellung, nicht unbedingt morbide. […] Sie streichelt ihren Bauch. Niemals würde ich das tun. Laut spricht sie die Worte in dem sauberen, stillen Zimmer aus: „Niemals würde ich das tun.“ Sie liebt das Leben, liebt es inständig, zumindest in bestimmten Augenblicken; und sie würde ihren Sohn ebenfalls umbringen. Sie würde ihren Sohn und ihren Mann und das andere Kind umbringen, das noch in ihr Gestalt annimmt. Wie sollte einer von ihnen so etwas überstehen? […] Dennoch ist sie froh zu wissen (denn irgendwie weiß sie es plötzlich), dass es möglich ist, dem Leben ein Ende zu setzen. Es ist beruhigend, die ganze Bandbreite der Möglichkeiten vor Augen zu haben, sich frei entscheiden zu können, furchtlos und ohne Arg. Sie stellt sich Virginia Woolf vor, jungfräulich, unausgeglichen, von den unerträglichen Anforderungen des Lebens und der Kunst besiegt; sie stellt sich vor, wie sie mit einem Stein in der Tasche in einen Fluss geht. Laura streichelt weiter ihren Bauch. Es wäre genauso einfach, denkt sie, wie in einem Hotel abzusteigen. So einfach wäre das.

Nach zweieinhalb Stunden fährt Laura wieder zurück, holt Ritchie bei Mrs Latch ab und bereitet sich darauf vor, Dan einen schönen Empfang zu bereiten, wenn er von der Arbeit heimkommt.

Vor dem Schlafengehen nimmt sie das Plastikfläschen mit den Schlaftabletten aus dem Badezimmerschrank kurz in die Hand. Es enthält noch mindestens 30 Tabletten, weil sie wegen ihrer Schwangerschaft keine Medikamente nehmen soll.

Es wäre ebenso einfach wie das Absteigen in einem Hotel. Genauso einfach wäre das. Denk doch, wie wunderbar es wäre, nicht mehr wichtig zu sein. Denk doch, wie wunderbar es wäre, sich keine Sorgen mehr machen, nicht mehr kämpfen zu müssen oder zu versagen.

Die dritte Episode beginnt an einem Junimorgen am Ende des 20. Jahrhunderts in New York.

Die Lektorin Clarissa Vaughan kauft Blumen. An diesem Tag soll ihrem Freund und früheren Geliebten, dem aidskranken Richard Worthington Brown, für seine drei Gedichtbände und seinen Roman der Carrouthers-Preis verliehen werden. Vor dem Festakt um 20 Uhr hat Clarissa zu einer Party eingeladen.

Clarissa ist 52.

Sie besitzt immer noch eine gewisse Sinnlichkeit; einen gewissen bohemienhaften, hexenartigen Charme […]

Mit 18 lernte sie Richard kennen. Spaßeshalber nannte er sie „Mrs Dalloway“.

Es war ihnen vorgekommen wie der Anfang eines großen Glücks, und Clarissa ist manchmal, mehr als dreißig Jahre später, immer noch erschrocken, wenn ihr klar wird, dass dies das große Glück gewesen ist; dass dieses ganze Erlebnis aus einem Kuss und einem Spaziergang bestand, der Vorfreude auf das Abendessen und ein Buch. Das Essen ist mittlerweile in Vergessenheit geraten; Doris Lessing ist längst von anderen Autoren verdrängt; und selbst im Bett, als Richard und sie dann soweit waren, ging es zwar heiß, aber auch unbeholfen zu, alles in allem unbefriedigend, eher lieb als leidenschaftlich. Doch diesen Kuss in der Abenddämmerung, auf dem verdorrten Gras, hat sie, mehr als drei Jahrzehnte später, immer noch deutlich vor Augen, den Spaziergang um den Teich, als ringsum die Stechmücken in der anbrechenden Dunkelheit summten. Noch immer ist da dieses einzigartige Hochgefühl, das zum Teil daher rührt, dass seinerzeit alles so verheißungsvoll, so viel versprechend schien. Jetzt weiß sie Bescheid: Das war der Moment, genau damals. Einen weiteren hat es nicht gegeben.

Richard verliebte sich nicht nur in Clarissa, sondern auch in Louis Waters. Dessen Versuche, mit Clarissa zu schlafen, scheiterten kläglich: Sie waren wohl nicht für einander geschaffen und nur durch ihre Liebe zu Richard verbunden.

Inzwischen hat Louis sich von Richard getrennt.

Clarissa lebt seit 18 Jahren mit der Fernsehproduzentin Sally zusammen. Ihre künstlich gezeugte Tochter Julia macht ihr Sorgen, weil sie nur in Männerunterhemden und ledernen Schnürstiefeln herumtrampelt und eine Freundin hat, Mary Krull, eine über 40 Jahre alte Frau, die Clarissa unsympathisch findet.

Während der Vorbereitungen für die Party taucht unvermittelt Louis Waters bei Clarissa auf. Obwohl er seit fünf Jahren nicht mehr da war, klingelt er ohne telefonische Ankündigung. Er ist enttäuscht über Richards Roman, der fast nur von Clarissa handelt – auf 50 Seiten geht es darum, wie sie Nagellack kaufen will und es dann lässt –, während Richard für ihn nach zwölf gemeinsamen Jahren nur ein paar Zeilen übrig hatte, in denen er über den Mangel an Liebe in der Welt jammert. Der 53-Jährige ist Lehrer an einer Schauspielschule in San Francisco. Als er Clarissa erzählt, dass er sich in seinen Schüler Hunter Craydon verliebt hat, muss er weinen.

Bevor Louis sich verabschiedet, lädt Clarissa ihn zu der Party um 17 Uhr ein.

Als sie Richard in seiner schäbigen Zwei-Zimmer-Wohnung abholen will, wundert sie sich: Rollläden und Fenster sind offen. Richard sitzt – noch immer im Morgenmantel – am offenen Fenster, fünf Stockwerke hoch, mit einem Bein im Freien baumelnd. Er habe Xanax und Ritalin gleichzeitig eingenommen und daraufhin Licht haben wollen, erzählt er, aber er befürchte, nicht zur Party kommen zu können. Richard behauptet, er sei ein Versager. Aber er fühle sich jetzt frei. „Ich glaube nicht, dass zwei Menschen glücklicher hätten sein können, als wir es gewesen sind“, sagt er – und lässt sich in die Tiefe fallen.

Clarissa verständigt Richards Mutter, eine über 80-jährige pensionierte Bibliothekarin in Toronto. Laura Brown nimmt das nächste Flugzeug und trifft noch am Abend bei Clarissa ein.

Damals – an Dans Geburtstag im Jahr 1949 – drohte Laura an der bürgerlichen Idylle zu zerbrechen, am Bemühen, ihrem Mann und ihrem Sohn gerecht zu werden. An dem Abend nahm sich vor, nur noch die Geburt des zweiten Kindes abzuwarten und dann wegzugehen. Dass sie ihren Mann und ihre beiden Kinder verließ, kann sie sich niemals verzeihen. Dan starb inzwischen an Leberkrebs, und ihre Tochter wurde von einem betrunkenen Autofahrer getötet. Nachdem ihr Sohn Richard den Freitod wählte, ist sie die einzige Überlebende der kaputten Familie.

Wir geben unsere Partys; wir verlassen unsere Familien, um in Kanada allein zu leben; wir plagen uns und schreiben Bücher, die die Welt nicht verändern, trotz unserer Gaben und unentwegten Bemühungen, unserer hochfliegenden Hoffnungen. Wir führen unser Leben, verrichten unsere Tätigkeiten, und dann schlafen wir – so einfach und so gewöhnlich ist das. Ein paar springen aus dem Fenster, ertränken sich oder nehmen Tabletten; ein paar mehr sterben bei Unfällen; und die meisten von uns, die breite Masse, werden langsam von irgendeiner Krankheit verzehrt oder, wenn wir großes Glück haben, vom Zahn der Zeit. Und es gibt nur diesen einen Trost: eine Stunde hie und da, in der es uns wider alle Wahrscheinlicheit und Erwartung so vorkommt, als schäume unser Leben über und schenke uns alles, was wir uns je vorgestellt haben, obgleich jeder, Kinder ausgenommen (und vielleicht sogar die), weiß, dass auf diese Stunden unausweichlich andere folgen werden, die weitaus dunkler sind und schwerer. Dennoch ergötzen wir uns an der Stadt, dem Morgen; wir erhoffen uns, vor allem anderen, mehr davon.

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Virginia Woolf ertränkte sich am 28. März 1941 im Fluss Ouse.

Ihr Roman „Mrs Dalloway“ erschien 1925. (Ursprünglich war „The Hours“ als Titel vorgesehen.) Die Handlung spielt an einem einzigen Tag im Juni 1923. Clarissa Dalloway, die Ehefrau eines Parlamentsabgeordneten, bereitet in London eine Abendgesellschaft vor. Da taucht ihre Jugendliebe Peter Walsh auf. Sie erinnert sich an die Zeit, als sie vor der Wahl zwischen ihm und Richard Dalloway stand und fragt sich, ob sie sich richtig entschied. – Ursprünglich wollte Virginia Woolf den Roman mit dem Selbstmord der Protagonistin enden lassen, aber sie änderte den Plan und ließ stattdessen den irre gewordenen Kriegsheimkehrer Septimus Warren Smith durch Suizid sterben. – Clarissa Dalloway erfährt von der Selbsttötung und verwirft daraufhin ihre eigenen Selbstmordgedanken. Auf kunstvolle Weise verknüpft Virginia Woolf die Gefühle, Erlebnisse und Erinnerungen von Clarissa Dalloway und Septimus Warren Smith durch Überblendungen miteinander, obwohl die zwei Romanfiguren sich nie begegnen. Der Fokus richtet sich nicht auf die äußeren Ereignisse, sondern auf die Innenperspektive der Protagonisten („Stream of consciousness“).

Von „Mrs Dalloway“ inspiriert, schrieb der 1952 in Cincinnati (Ohio) geborene Amerikaner Michael Cunningham den Roman „The Hours“ – „Die Stunden“ – über die Identitätskrise von drei ganz verschiedenen Frauen. Jede von ihnen liebt und wird geliebt, aber sie fühlen sich eingesperrt, überfordert, unfähig zum Glück, glauben, dass ihnen der Raum zur Selbstentfaltung fehlt. Voller Angst und Verzweiflung denken sie an den Tod. In scheinbar alltäglichen Situationen verbergen sich Wendepunkte in ihrem Leben.

Elegant und nachdenklich erzählt Michael Cunningham von Liebe und Freundschaft, Depression und Todessehnsucht und beschränkt sich dabei auf einen Prolog über Virginia Woolfs Suizid sowie jeweils einen einzigen Tag des Jahres 1923 in einem Vorort von London, 1949 in Los Angeles und „am Ende des 20. Jahrhunderts“ in New York. Sieben Kapitel über Virginia Woolf, ebenso viele über Laura Brown und acht Kapitel über Clarissa Vaughan wechseln sich laufend ab.

Richard heißen Virginia Woolfs Ehemann und Clarissa Vaughans ehemaliger Geliebter, ein aidskrankes Wrack. Clarissa trägt nicht nur denselben Vornamen wie Virginia Woolfs Romanfigur, sondern wird von Richard auch „Mrs Dalloway“ gerufen.

Die eigentlichen Parallelen ergeben sich wie selbstverständlich aus ähnlichen Situationen in den drei Erzählsträngen und den Gefühlslagen der drei Figuren. Auf diese Weise wiederholt, variiert und kontrapunktiert Michael Cunningham die Themen. So erzählt er beispielsweise, wie Laura Brown in ein Hotel fährt, um dort zweieinhalb Stunden lang in Virginia Woolfs Roman „Mrs Dalloway“ zu lesen und den Alltag zu vergessen. Virginia Woolf stiehlt sich auch davon, geht spazieren und kauft sich am Bahnhof eine Fahrkarte, um für ein paar Stunden nach London zu fahren.

Geschickt lässt Michael Cunningham außerdem die Geschichte von 1949 in die 50 Jahre später spielende münden.

„Die Stunden. The Hours“ ist eine Hommage an Virginia Woolf und zugleich ein literarisches Werk von hohem inhaltlichen und kompositorischem Niveau.

Der Dramatiker David Hare und der Theaterregisseur Stephen Daldry wagten sich an die Verfilmung dieses Bestsellers: „The Hours. Von Ewigkeit zu Ewigkeit“.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003
Textauszüge: © Luchterhand

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