Inherent Vice. Natürliche Mängel

Inherent Vice. Natürliche Mängel

Inherent Vice. Natürliche Mängel

Inherent Vice. Natürliche Mängel – Originaltitel: Inherent Vice – Regie: Paul Thomas Anderson – Drehbuch: Paul Thomas Anderson, nach dem Roman "Natürliche Mängel" von Thomas Pynchon – Kamera: Robert Elswit – Schnitt: Leslie Jones – Musik: Jonny Greenwood – Darsteller: Joaquin Phoenix, Josh Brolin, Owen Wilson, Reese Witherspoon, Katherine Waterston, Benicio del Toro, Jena Malone, Joanna Newsom, Jeannie Berlin, Maya Rudolph u.a. – 2014; 145 Minuten

Inhaltsangabe

Die Zeit der Hippies ist zwar in Kalifornien abgelaufen, aber der Privatdetektiv Sportello hat zumindest den Drogenkonsum noch nicht ganz aufgegeben. Seine frühere Freundin Shasta ahnt, dass ihr aktueller Liebhaber, der Immobilienhai Mickey Wolfmann, von seiner Ehefrau und deren Lover durch die Einweisung in die Psychiatrie beiseitegeschafft werden soll. Kann Sportello das verhindern bzw. herausfinden, was geplant ist? Kurz darauf verschwindet nicht nur Wolfmann, sondern auch Shasta ...
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Kritik

"Inherent Vice. Natürliche Mängel" – die Verfilmung eines Romans von Thomas Pynchon durch Paul Thomas Anderson – ist eine an Comics erinnernde Mischung aus Detektivfilm und Kriminalkomödie, in der es mehr auf skurrile Einfälle als auf einen stringenten Handlungsablauf ankommt.
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Gordita Beach/Kalifornien, 1970. Die Zeit der Hippies ist zwar abgelaufen, aber der Privatdetektiv Larry („Doc“) Sportello (Joaquin Phoenix) hat zumindest den Drogenkonsum noch nicht ganz aufgegeben und wirkt zumeist benebelt. Sein Büro („LSD“ für Location, Surveillance, Detection) befindet sich in der Praxis des Arztes Dr. Buddy Tubeside (Martin Dew), dessen Empfangsdame Petunia Leeway (Maya Rudolph) auch für den Detektiv tätig ist.

Seine frühere Freundin Shasta Fay Hepworth (Katherine Waterston) sucht ihn auf und bittet ihn um Hilfe. Seit einiger Zeit hat sie eine Affäre mit dem steinreichen Immobilienhai Michael („Mickey“) Z. Wolfmann (Eric Roberts), der zwar verheiratet ist, dessen Ehefrau Sloane (Serena Scott Thomas) allerdings ebenfalls einen Liebhaber hat und jetzt beabsichtigt, ihren Mann in eine Psychiatrische Klinik einweisen zu lassen. Sportello soll das verhindern bzw. herausfinden, welche Pläne Sloane Wolfmann und ihr Geliebter verfolgen.

Von dem Transvestiten „Tante Reet“ (Jeannie Berlin) erfährt Sportello, dass Mickey Wolfmann zwar Jude sei, aber Neonazi sein wolle und sich von einer zur Arischen Bruderschaft gehörenden Rockerbande beschützen lässt.

Tariq Khalil (Michael K. Williams) wendet sich an Doc Sportello. Das Mitglied der Black Guerrilla Family war im Gefängnis und lernte dort Glenn Charlock (Christopher Allen Nelson) kennen. Der schuldet ihm Geld, und weil Tariq Khalil nicht an den zu Mickey Wolfmanns Bodyguards zählenden ehemaligen Mithäftling herankommt, beauftragt er den Privatdetektiv mit der Wiederbeschaffung des Betrags.

Auf der Suche nach Glenn Charlock fährt Sportello zum Massagesalon „Chick Planet“. Dort empfängt ihn die asiatische Prostituierte Jade (Hong Chau) und klärt ihn über die auf „Pussy Eaters“ spezialisierte Angebotspalette auf. Nach wenigen Minuten wird Sportello mit einem Baseballschläger von hinten niedergeschlagen.

Als er wieder zu sich kommt, liegt er neben Glenn Charlocks Leiche im Freien, und ein riesiges Aufgebot des Los Angeles Police Department hat den Platz umstellt. Kommandiert wird es von Lieutenant Christian („Bigfoot“) Bjornsen (Josh Brolin), einem bei jeder Gelegenheit mit Schokolade überzogene Bananen essenden Bullen mit Bürstenhaarschnitt, der Hippies ebenso wie Schwule verabscheut. Zu Hause steht er unter dem Pantoffel seiner Frau Chastity (Delaina Mitchell).

Bei der Vernehmung erfährt Sportello, dass Mickey Wolfmann und Shasta Hepworth spurlos verschwunden sind. Bigfoot verdächtigt ihn, nicht nur Wolfmanns Bodyguard ermordet, sondern auch den Baulöwen und dessen Geliebte entführt zu haben. Unerwartet taucht der Rechtsanwalt Sauncho Smilax (Benicio del Toro) auf, und obwohl er sich auf Seerecht spezialisiert hat, erwirkt er Sportellos Freilassung.

Hope Harlingen (Jena Malone) beauftragt den Privatdetektiv, nach ihrem Ehemann Coy (Owen Wilson) zu suchen. Der Saxofon-Spieler wurde zwar bereits für tot erklärt – angeblich setzte er sich einen „goldenen Schuss“ –, aber Hope ist überzeugt, dass er lebt. Die beiden waren Junkies, als sie ein Kind zeugten, und weil Hope nicht von den Drogen loskam, brachte sie ein kranke Tochter zur Welt.

Sportello fährt zur Traumvilla des vermissten Immobilien-Unternehmers und spricht kurz mit dessen Ehefrau Sloane Wolfmann.

Dann trifft er sich mit der stellvertretenden Distriktstaatsanwältin Penny Kimball (Reese Witherspoon), mit der er vor einiger Zeit eine Affäre hatte. Sie hält es für denkbar, dass er Glenn Charlock ermordete und sich aufgrund seines ständigen Drogenrausches nicht daran erinnern kann.

Jade warnt Sportello vor einem „vertikal integrierten“ Drogenhändlerring mit dem Namen „Golden Fang“ und bringt ihn mit dem untergetauchten Saxofonisten Coy Harlingen zusammen. Der vertraut dem Privatdetektiv an, dass er sich als Polizei-Spitzel verdingt habe, aber aussteigen wolle und deshalb um sein Leben fürchte.

Clancy Charlock (Belladonna alias Michelle Sinclair), die Schwester des toten Bodyguards, unterrichtet Sportello darüber, dass Mickey Wolfmann sich inzwischen wegen seiner Beteiligung am Kapitalismus schämt, in der Wüste eine Siedlung mit mietfreien Wohnungen baut und sein Vermögen verschenken will. Aus diesem Grund ließ ihn seine Ehefrau in die Psychiatrie einweisen. Eigentlich hätte ihn sein Bodyguard Puck Beaverton (Keith Jardine) beschützen sollen, aber der hatte seine Schicht mit Glenn Charlock getauscht.

Unter einem Vorwand dringt Sportello zu dem koksenden Zahnarzt Dr. Rudy Blatnoyd (Martin Short) vor und fragt ihn nach „Golden Fang“. Dabei handele es sich um ein legales Syndikat zur Steueroptimierung, behauptet Blatnoyd, bevor er seiner Sekretärin ins Nebenzimmer folgt und noch während des Laufens die Hose auszieht. Der Privatdetektiv nutzt die Gelegenheit, um sich in den Räumen umzusehen und trifft dabei auf ein junges Mädchen namens Japonica Fenway (Sasha Pieterse), das zum wiederholten Mal aus der Psychiatrie geflohen ist und den sexsüchtigen Zahnarzt liebt. Doc Sportellos Kumpel Denis (Jordan Christian Hearn), der eigentlich im Wagen hätte warten sollen, kommt mit dem Lenkrad herein und klagt darüber, dass er zu ungeschickt zum Autofahren sei.

Wenig später wird Dr. Blatnoyd mit gebrochenem Genick und Einstichen am Hals neben einem Trampolin gefunden.

Sportello fährt zu der psychiatrischen Anstalt, in der Mickey Wolfmann vermutet wird. Dort gibt er vor, er sei von reichen Interessenten beauftragt worden, die Einrichtung zu prüfen. Dr. Threeply (Jefferson Mays), Dr. Lily Hammer (Erica Sullivan) und deren Assistentinnen (Eva Fisher, Jackie Michele Johnson) führen den Besucher herum. Unter den Patienten entdeckt Sportello Coy Harlingen. Zufällig beobachtet er, wie zwei FBI-Agenten Mickey Wolfmann wegbringen. Nach der Tour gelingt es ihm, unbemerkt zu dem Gefangenen vorzudringen. Der klagt: „Ich kann es nicht fassen, dass ich mein ganzes Leben damit verbracht habe, Leute für Wohnraum bezahlen zu lassen, wo er doch kostenlos sein sollte.“

Unvermittelt taucht Shasta Fay Hepworth bei Sportello auf. Ihre Affäre mit Mickey Wolfmann sei beendet, erklärt sie. Ihren Angaben zufolge war sie ein paar Stunden auf einem Schiff. Man habe sie dort als „kostbare Fracht, wegen natürlicher Mängel nicht versicherbar“ behandelt, sagt sie. Sportello weiß nicht, was das bedeutet, und Shasta erläutert, dass Güter, die so leicht wie rohe Eier kaputt gehen, wegen „natürlicher Mängel“ nicht in Seeversicherungspolicen aufgenommen werden. Während Sportello telefoniert, zieht sie sich aus, und nach längerem Zögern fällt er über sie her.

Als Sportello auf den Namen Adrian Prussia (Peter McRobbie) stößt, geht er zu Penny Kimball ins Büro und bittet sie, in Akten über den Kredithai Einblick nehmen zu dürfen. Offenbar kollaboriert Adrian Prussia ebenso mit korrupten Polizeibeamten wie mit dem Rauschgiftring „Golden Fang“. Vermutlich wurde Glenn Charlock von ihm ermordet, und er war wohl auch der Mann mit dem Baseballschläger, der Sportello in dem Massagesalon überraschte.

An den Wänden in Adrian Prussias Büro hängt eine ganze Sammlung von Baseballschlägern. Der Unternehmer überlässt seinen unerwünschten Besucher dem Bodyguard Puck Beaverton, dessen Hakenkreuz-Tätowierung dem Privatdetektiv bereits in der psychiatrischen Klinik auffiel. Als Sportello wieder zu sich kommt, ist er mit Handschellen an ein Rohr gefesselt, und Puck Beaverton steht höhnisch vor ihm. Während der tumbe Neonazi kurz hinausgeht, gelingt es Sportello, die Handschellen zu öffnen, und sobald Puck die Tür öffnet, schlägt er ihn mit einem schweren Gegenstand nieder. Den herbeieilenden Adrian Prussia erschießt er mit Pucks Waffe.

In der Garage des toten Unternehmers trifft er auf Bigfoot Bjornsen, der dabei ist, schwere, augenscheinlich mit Drogen gefüllte Pakete umzuladen. Sie fahren zusammen weg.

Als Sportello nach Hause kommt, findet er im Kofferraum seines Wagens etwa 20 Kilogramm Heroin aus Adrian Prussias Garage vor. Nachdem er die Ware in seine Wohnung getragen hat, wartet er. Es dauert nicht lang, bis jemand anruft: Crocker Fenway (Martin Donovan), Japonicas Vater, ein erfolgreicher Rechtsanwalt. Im Auftrag der Eigentümer der Ware verlangt er diese zurück. Zwischendurch klagt er, der Zahnarzt Blatnoyd sei so pervers gewesen, dass er seine Tochter gezwungen habe, beim Sex Broadway-Musicals anzuhören. Die beiden Männer verabreden sich in Crocker Fenways Club. Der Privatdetektiv will im Austausch gegen das Heroin die Freilassung des Saxofonisten Coy Harlingen. Fenway wundert sich darüber, dass Sportello kein Geld fordert. Als der fragt, wie viel er hätte verlangen müssen, um von dem Anwalt respektiert zu werden, antwortet dieser: „Dafür ist es zu spät. Leute wie Sie haben jedes Recht auf Respekt verloren, als sie das erste Mal Miete zahlten.“

Bei der Übergabe lädt eine Familie mit zwei Kindern (Samantha Lemole, Matt Doyle, Madison Leisle, Liam Van Joosten) die Drogenpakete in einen Kombi um, während Coy Harlingen zu Sportello ins Auto steigt. Der Musiker kann wieder zu seiner Frau und dem Kind zurückkehren.

Sportello sitzt in seiner Behausung, da tritt Bigfoot plötzlich die Tür ein, statt zu klopfen. Staunend sieht der Althippie zu, wie ihm der Reaktionär den Joint abnimmt, diesen frisst und dann auch den Inhalt des Aschenbechers hinunterwürgt, bevor er über die zerbrochene Tür wieder hinausstapft.

Bald darauf sitzt Shasta Fay Hepworth bei Doc Sportello im Auto. Sie ist romantisch gestimmt, aber er meint: „Das heißt nicht, dass wir wieder zusammen sind.“ Strahlend erwidert sie: „Natürlich nicht!“ Und er schmunzelt ebenfalls.

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2009 veröffentlichte Thomas Pynchon (* 1937) den Roman „Inherent Vice“ („Natürliche Mängel“, Übersetzung: Nikolaus Stingl, Rowohlt Verlag, Reinbek 2010, 477 Seiten, ISBN 978-3-498-05310-9). Obwohl die Bücher des postmodernen Schriftstellers als unverfilmbar gelten, adaptierte Paul Thomas Anderson „Inherent Vice. Natürliche Mängel“ fürs Kino, indem er ein Drehbuch dazu verfasste und das dann auch selbst inszenierte.

Das Ergebnis ist eine an Comics erinnernde Mischung aus Detektivfilm und Kriminalkomödie. Wie in einigen hard boiled Detektivromanen wird die Handlung durch den Auftrag einer Frau angestoßen. Allerdings ist der Privatdetektiv Larry („Doc“) Sportello kein Philip Marlowe, sondern ein Joints rauchender Althippie.

Die Geschichte spielt 1970 im fiktiven kalifornischen Ort Gordita Beach. Zu diesem Zeitpunkt fand in Los Angeles der Mordprozess gegen Charles Manson und Mitglieder seiner Sekte statt, und in Washington, D. C., amtierte der republikanische US-Präsident Richard Nixon. „Inherent Vice. Natürliche Mängel“ kann als Abgesang auf die Flower-Power-Bewegung („Make Love Not War“) verstanden werden. Thomas Pynchon und Paul Thomas Anderson kontrastieren den Hippie-Kult mit einer durch und durch verdorbenen Gesellschaft, für die korrupte Polizisten ebenso stehen wie kriminelle Ärzte, sexuelle Perversionen und Drogenringe, Kredit- und Immobilienhaie. Analysiert werden die Verhältnisse in „Inherent Vice. Natürliche Mängel“ allerdings nicht.

Weder Thomas Pynchon noch Paul Thomas Anderson kommt es auf die Ausleuchtung von Charakteren an. Stattdessen werden die zum Teil skurrilen Figuren überzeichnet. Dazu passen die absurden Episoden des kryptischen Plots. Während andere Thriller durch ausgeklügelte Auflösungen glänzen, kommt es in „Inherent Vice. Natürliche Mängel“ weniger auf die Handlung als auf die Atmosphäre an. Beispielsweise erfahren wir nicht, was es mit dem Schoner auf sich hat, der mehrmals zu sehen ist. Das Schiff erweist sich als MacGuffin. Die Unübersichtlichkeit gehört hier dazu, und sie spiegelt auch die mitunter verschwommene Wahrnehmung des Privatdetektivs. Andererseits wimmelt es in „Inherent Vice. Natürliche Mängel“ von Anspielungen. Eine der markantesten ist eine Szene, in der sich die Personen wie bei dem Gemälde „Das Abendmahl“ von Leonardo da Vinci gruppieren.

Kommentiert wird das Geschehen von einer Stimme aus dem Off. Sie gehört dem mehrmals kurz zu sehenden orakelhaften Hippie-Mädchen Sortilège (Joanna Newsom). In der Originalversion hören wir die Songwriterin, Sängerin, Pianistin und Harfenistin Joanna Newsom.

Die sorgfältig komponierten Bilder stammen von Robert Elswit, der für „There Will Be Blood“ mit einem „Oscar“ ausgezeichnet wurde.

Die kongeniale Musikuntermalung von „Inherent Vice. Natürliche Mängel“ wurde von Jonny Greenwood komponiert, dem Gitarristen der britischen Band „Radiohead“: „Shasta“, „Meeting Crocker Fenway“,“Spooks“, „Shasta Fay“, „The Chryskylodon Institute“, „Adrian Prussia“, „Under the Paving-Stones, the Beach!“; „The Golden Fang“, „Amethyst“, „Shasta Fay Hepworth“. Außerdem sind folgende Titel zu hören:“Vitamin C“ (Can, 1972), „Here Comes the Ho-Dads“ (The Marketts, 1962), „Les Fleur“ (Minnie Riperton, 1972), „Sukiyaki“ (Kyu Sakamoto, 1962), „Journey Through the Past“ (Neil Young, 1972), „Any Day Now“ (Chuck Jackson, 1962).

Die Dreharbeiten für „Inherent Vice. Natürliche Mängel“ fanden von Mai bis August 2013 statt.

In den Kategorien „Bestes adaptiertes Drehbuch“ (Paul Thomas Anderson) und „Bestes Kostümdesign“ (Mark Bridges) wurde „Inherent Vice. Natürliche Mängel“ für einen „Oscar“ nominiert.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016

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