Toni Morrison : Gott, hilf dem Kind

Gott, hilf dem Kind
Originalausgabe: God Help the Child Alfred A. Knopf, New York 2015 Gott, hilf dem Kind Übersetzung: Thomas Piltz Rowohlt Verlag, Reinbek 2017 ISBN: 978-3-498-04531-9, 204 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Anders als die Eltern ist Bride pech­schwarz. Sie macht Karriere in einer Kosmetikfirma. Im Alter von 23 Jahren will sie einer nach 15 Jahren Haft vorzeitig aus der Haft entlassenen früheren Lehrerin 5000 Dollar schenken, um ihr den Neuanfang zu erleichtern. Aber die Frau schlägt Bride krankenhausreif. Brides Lebensgefährte rastet aus, als er erfährt, dass sie einer wegen Kindesmissbrauchs verurteilten Frau helfen wollte, und er verlässt Bride ...
mehr erfahren

Kritik

Toni Morrison erzählt die Geschichte nicht linear-chronologisch, sondern entwickelt sie aus sechs ver­schie­de­nen Perspektiven. "Gott, hilf dem Kind" dreht sich um Kindesmissbrauch und Rassendiskriminierung. Im Mittel­punkt stehen charakterstarke Frauen.
mehr erfahren

Lula Mae wäre als Weiße durchgegangen. Auch ihre Tochter Sweetness und deren Ehemann, der Schlafwagenschaffner Louis Bridewell, sind so hellhäutig, dass sie sogar eine Kaufhaustoilette aufsuchen können, ohne einen Aufruhr auszulösen. Als jedoch in den Neunzigerjahren ihre Tochter Lula Ann geboren wird, ist deren Haut nur gleich nach der Geburt bleich, aber dann wird sie tiefschwarz. Sweetness schämt sich, und Louis verdächtigt sie eines Seitensprungs. Er verlässt sie und das Kind.

Bei der Suche nach einer neuen, kleineren Wohnung nimmt Sweetness das pechschwarze Kind nicht mit und bezahlt lieber eine Babysitterin. Sweetness vermeidet jeden Körperkontakt mit ihrer Tochter, und das Kind darf später auch nicht Mutter zu ihr sagen.

Im Alter von sechs Jahren beobachtet Lula Ann zufällig vom Fenster aus, wie der Vermieter, Mr Leigh, einen kleinen Jungen missbraucht. Sie erzählt es ihrer Mutter. Die schärft ihr entsetzt ein, mit niemandem darüber zu reden, weil sie sonst die Wohnung verlieren würden.

Zwei Jahre später gelingt es Lula Ann erstmals, die Anerkennung ihrer Mutter zu gewinnen, als sie mit einigen anderen Kindern zusammen vor Gericht gegen drei Lehrkräfte aussagt, die beschuldigt werden, Kinder missbraucht zu haben. Während die anderen Kinder traumatisiert und aufgeregt sind, sagt die achtjährige Lula Ann furchtlos als Belastungszeugin gegen die Lehrerin Sofia Huxley aus, die daraufhin zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt wird.

Als junge Erwachsene nennt Lula Ann Bridewell sich einfach Bride. Bei dem kalifornischen Kosmetikunternehmen Sylvia Inc. arbeitet sie sich zur Bezirkschefin hoch. Sie schminkt sich jedoch selbst nicht und ist auch ohne Hilfsmittel bildschön. Ihre schwarze Hautfarbe betont sie, indem sie sich konsequent in Weiß kleidet.

Als Sofia Huxley nach 15 Jahren vorzeitig auf Bewährung aus dem Decagon Women’s Correctional Center in Norristown entlassen wird, fährt die Karrierefrau mit ihrem Jaguar hin, um sie abzuholen. Aber Sofia Huxley hat bereits ein Taxi rufen lassen. Bride folgt ihr. Sie bringt Sofia Huxley ein Tasche mit Geschenken, darunter einen Gutschein für eine Flugreise und 5000 Dollar in bar. Das solle ihr den Neuanfang erleichtern, erklärt Bride. Sofia Huxley wundert sich darüber, aber als die Besucherin den Namen nennt, den sie als Kind trug, prügelt sie die 23-Jährige krankenhausreif und wirft sie hinaus.

Sofias zwei Jahre jüngere Freundin und Kollegin Brooklyn kümmert sich um die Verletzte.

Als Brides Lebensgefährte Booker Starbern erfährt, dass sie einer wegen Kindesmissbrauchs verurteilten Ex-Strafgefangenen helfen wollte, rastet er aus und verschwindet, ohne sich noch einmal zu melden.

Was Bride ihm erzählte, erinnerte Booker daran, dass sein zwei Jahre älterer Bruder Adam von einem Kinderschänder entführt und ermordet worden war. Die Leiche fand man erst nach Monaten. Schließlich konnte der Täter überführt werden, der nicht nur Adam, sondern auch noch fünf andere Jungen umgebracht hatte. Es handelte sich um einen ausgesprochen freundlichen, hilfsbereiten und beliebten Automechaniker im Ruhestand. Weil Bookers Zwillingsbruder bei der Geburt gestorben und Adam ebenfalls tot war, begann die Reihe der Geschwister nun mit ihm: Booker, Carole, Conovan, Ellie, Favor und Goodman.

Booker studierte Volkswirtschaftslehre, aber nach seinem Master-Abschluss schloss er sich als Trompeter einer Band an, und als diese sich nach kurzer Zeit auflöste, spielte er mit zwei Gitarristen auf der Straße.

Einmal kam er an einem geparkten Auto vorbei, in dem ein Paar eine Crack-Pfeife rauchte, während ein Kleinkind auf dem Rücksitz schrie. Booker riss die Tür auf und holte den Mann aus dem Fahrzeug, aber auch die Frau griff in die Prügelei ein, und sie war stärker als ihr Begleiter. Alle drei wurden festgenommen. Booker kam mit einer kleinen Geldstrafe davon. Um das Kind kümmerte sich das Jugendamt.

Jahre später schlug Booker einen Exhibitionisten am Kinderspielplatz nieder.

Bride wundert sich darüber, dass ihre Periode seit zwei Monaten ausgeblieben ist. Beinahe in Panik gerät sie, als sie bemerkt, dass ihr das Schamhaar ausgegangen ist und sie statt der schönen Brüste überhaupt keinen Busen mehr hat.

Als ihre Verletzungen einigermaßen abgeheilt sind, sucht sie Salvatore Ponti auf, der Booker eine Mahnung schickte, weil dieser die Rechnung über 68 Dollar für die Reparatur einer Trompete nicht bezahlt hat. Bride begleicht die Rechnung und erfährt, dass in der Kundenkartei des Betriebs noch eine zweite Adresse Bookers vermerkt ist: c/o Q. Olive in Whiskey. Der Ort liegt im Norden Kaliforniens.

Bride fährt mit ihrem Jaguar los, um Booker zu suchen. Schon als Kind wurde sie von ihrer Mutter auf Distanz gehalten, und sie ist wütend, weil ihr Freund sie ebenfalls zurückstieß. Sie will ihn zur Rede stellen und von ihm wissen, warum er das tat.

Kurz vor Whiskey verliert sie die Kontrolle über ihren Wagen und kracht gegen einen Baum. Dabei wird ihr linker Fuß eingeklemmt. Mühsam und unter heftigen Schmerzen beugt Bride sich nach hinten und greift nach ihrem Handy. Aber es gibt kein Netz. Erst am nächsten Tag wird sie gefunden. Ein Mann namens Steve holt sie mit der Brechstange aus dem Auto und trägt sie zu der Hütte, in der er mit seiner Lebensgefährtin Evelyn und der Pflegetochter Raisin wohnt. Er fährt los, um den Arzt zu holen und bringt sie dann auf Dr. Walter Muskies Rat ins Krankenhaus zum Röntgen und Eingipsen des Sprunggelenks. Danach nimmt Steve die Verletzte wieder mit nach Hause.

Sechs Wochen verbringt sie in der abgelegenen Hütte, in der es kein Bad und nur ein Plumpsklo gibt. Sie erfährt, dass ihre über 50 Jahre alten Gastgeber studiert haben, aber im Geist der Hippie-Bewegung ausgestiegen sind. Raisin, die eigentlich Rain heißt, lasen sie als sechsjähriges Kind von der Straße auf. Die eigene Mutter hatte das Kind Männern gegen Bezahlung zur Verfügung gestellt – bis Raisin einen der Männer biss, der ihr seinen Penis in den Mund gedrückt hatte. Daraufhin warf die Mutter sie hinaus.

In der kleinen Ortschaft Whiskey findet Bride einen Wohnwagen mit dem Namensschild Queen Olive. Bei der Bewohnerin handelt es sich um eine ältere Frau, die gerade die Sprungfedern eines Bettrahmens gegen Läuse und Wanzen ausbrennt. Queen Olive erklärt ihr den Weg zu Bookers Wohnwagen.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Bride ohrfeigt ihn spontan. Er schlägt zurück. Sie ergreift eine Bierflasche und zerschlägt sie auf seinem Kopf. Erst dann fragt sie, warum er sie verlassen habe. Booker will zuerst wissen, warum sie einer Kinderschänderin Geschenke bringen wollte. Bride gesteht ihm, die Lehrerin sei 15 Jahre lang unschuldig im Gefängnis gewesen, weil sie im Alter von acht Jahren eine falsche Zeugenaussage gemacht habe, in der Hoffnung, dafür etwas Liebe von ihrer Mutter zu bekommen.

Das Ausräuchern des Bettrahmens war keine gute Idee: Queens Wohnwagen brennt. Booker und Bride holen die bewusstlose Frau heraus. Booker versucht sie wiederzubeleben. Als Queens Haar durch Funkenflug entflammt, reißt sich Bride das T-Shirt herunter, um das Feuer zu löschen. Dabei stellt sie überrascht fest, dass ihre Brüste wieder da sind.

Queen erholt sich im Krankenhaus, aber dann infiziert sie sich mit einem multiresistenten Keim und stirbt.

Bride ist schwanger. Sie sagt es Booker:

„Ich bin schwanger, und es ist deins.“

Er dreht sich lächelnd zu ihr und meint:

„Nein. Es ist unseres.“

Im Alter von 63 Jahren erfährt Sweetness durch eine Nachricht ihrer Tochter, dass sie Großmutter wird. Sie freut sich und denkt:

„Viel Glück, und Gott, hilf dem Kind.“

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Toni Morrison erzählt die Geschichte in ihrem Roman „Gott, hilf dem Kind“ nicht linear-chronologisch, sondern entwickelt sie stattdessen aus sechs verschiedenen Perspektiven. Bookers Vorgeschichte erfahren wir von einer auktorialen Autorin. Die Frauen Bride, Sweetness, Brooklyn und Sofia, kurz auch das Mädchen Raisin, kommen dagegen in der Ich-Form zu Wort. Erst durch das von Toni Morrison elegant komponierte Zusammenspiel der Blickwinkel entsteht nach und nach das vollständige Bild. Zu Beginn und am Ende hören bzw. lesen wir Sweetness, die sich zwischendurch auch direkt ans Publikum wendet („aber ihr müsst eins verstehen“). Im ersten Kapitel erzählt Sweetness von der Geburt ihrer Tochter, im letzten hat sie gerade erfahren, dass sie Großmutter wird.

„Gott, hilf dem Kind“ kreist um das Thema Kindesmissbrauch, und selbstverständlich schwingt auch in diesem Roman der Nobelpreisträgerin Toni Morrison ihr Zentralthema mit: Rassendiskriminierung. Nicht zuletzt geht es in „Gott, hilf dem Kind“ um mutige, charakterstarke Frauen.

Den Roman „Gott, hilf dem Kind“ gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Nina Kunzendorf (ISBN 978-3-8398-1559-5).

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2017
Textauszüge: © Rowohlt Verlag

Toni Morrison: Sehr blaue Augen
Toni Morrison: Teerbaby
Toni Morrison: Jazz
Toni Morrison: Liebe
Toni Morrison: Heimkehr
Toni Morrison: Rezitativ

Sylvia Nasar - Auf den fremden Meeren des Denkens
In der Biografie "Auf den fremden Meeren des Denkens" geht es nicht um eine Einführung in die Theoreme von John Forbes Nash jr., sondern um die persönliche Entwicklung dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit.
Auf den fremden Meeren des Denkens

 

(Startseite)

 

Nobelpreis für Literatur

 

Literaturagenturen

 

Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.