Toni Morrison : Jazz

Jazz
Originalausgabe: Jazz, New York 1992 Übersetzung: Helga Pfetsch Rowohlt Verlag, Reinbek 1993
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Gleich im ersten Absatz des Romans "Jazz" erfahren wir, dass ein älterer Mann einer 18-Jährigen verfiel und sie erschoss. Bei der Beerdigung versuchte die Frau des Täters dem Mädchen das Gesicht zu zerschneiden ...
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Kritik

Der Roman "Jazz" von Toni Morrison beginnt wie eine Exposition in der Musik. Und wie beim Jazz ist alles Folgende eine Bearbeitung des mehrmals wiederholten Themas. Zunächst nur angedeutete Einzelheiten werden nach und nach ausführlicher beschrieben, Nuancen und Details hinzugefügt ...
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Joe und Violet

Es geht um das Leben der Schwarzen in den USA.

Joe wird 1873 in Vienna, einem Dorf im Vesper County in Virginia geboren. Der Waisenknabe wächst bei Rhoda und Frank Williams und deren sechs eigenen Kindern auf. Als er in die Schule kommt und nach seinem Vor- und Zunamen gefragt wird, sagt er: Joseph Spur. Später findet er heraus, dass er von einer „Wilden“ geboren wurde, die in den Wäldern lebte und „zu blöde war, sich ihren Lebensunterhalt zu erbetteln. Zu hirnverschroben, um zu tun, was die gemeinste Sau schaffte: ihren Wurf zu säugen.“ Da nimmt er jede Arbeit an und schuftet, um etwas Geld zu verdienen.

Gewöhnlich schläft Joe in einem Walnussbaum. Als einmal seine Hängematte reißt, stürzt er auf Violet, die sich von der Arbeit auf dem Baumwollfeld erholt.

Violets Großmutter True Bell war die Sklavin einer Weißen namens Vera Louise Gray. Die Tochter des Colonels Wordsworth Gray hatte ein Verhältnis mit einem schwarzen Jungen. Als sie von ihm schwanger wurde, jagte der Vater sie mit ihrer Dienerin aus dem Haus. True Bell war damals 27. Sie musste ihre acht bzw. zehn Jahre alten Töchter Rose Dear und May in der Obhut einer Tante zurücklassen. 1888 wurde sie von Vera Louise Gray freigelassen.

Wegen seines blonden Haars hieß Vera Louises Sohn Golden Gray. Als junger Mann suchte er seinen Vater Henry Lestroy. Auf dem Weg begegnete er einer schwangeren Schwarzen, die nackt im Wald herumlief, bei seinem Anblick vor Schreck gegen einen Baum rannte und bewusstlos umfiel. Er nahm sie mit in Lestroys Hütte, wo sie einen Sohn gebar, den sie jedoch keines Blickes würdigte und auch nicht anfassen geschweige denn stillen wollte. So kam Joe zur Welt.

True Belles Tochter Rose Dear heiratete, gebar fünf Kinder und wurde dann von ihrem Mann verlassen. Fremde kamen und nahmen ihr alles fort, am Ende sogar den Stuhl, auf dem sie saß. Ihre Tochter Violet, die damals 12 war, lernte einige Jahre später Joe kennen.

Violet zieht zu einer sechsköpfigen Familie in Tyrell, um in der Nähe des 19-Jährigen bleiben zu können. Sie erleidet drei Fehlgeburten, zwei davon während der Arbeit auf dem Feld. Joe ist zwar nicht bereit, sie zu heiraten, aber 1906 zieht er mit ihr nach Harlem. Violet verdient als Haushaltshilfe bei drei Familien etwas Geld; Joe nimmt nachts Fische aus. Später bekommt er Arbeit in Hotels und verkauft Schönheitsprodukte der Firma Cleopatra, während Violet schwarze Frauen frisiert.

Dorcas

Als Joe im Herbst 1925 einer Frau die bestellte Hautcrème bringt, begegnet er in dem Haus der 18-jährigen Dorcas.

Dorcas‘ Eltern waren bei Rassenunruhen im Sommer 1917 in East St. Louis ums Leben gekommen. Ihre kinderlose Tante Alice Manfred holte das Mädchen zu sich und zog es auf. Als Dorcas 16 Jahre alt war und ihre Tante über Nacht in Springfield zu tun hatte, besuchte sie mit ihrer Freundin Felice ein Fest. Da sah sie zwei Brüder, einer attraktiver als der andere. Gern hätte Dorcas mit einem von ihnen getanzt, aber sie machten sich lustig über sie.

Zwei Jahre später lernt sie den 52 Jahre alten Joe Spur kennen. Endlich wird sie von einem Mann geliebt.

Joe überredet die allein stehende Malvonne Edwards, die eine Etage höher wohnt und nachts in einem Bürogebäude putzt, ihm jede Woche für ein paar Stunden und gegen Bezahlung ihre Wohnung als Liebesnest zu überlassen. Aber nach einigen Wochen rechnet Dorcas mit der Chance, den jungen Acton zu erobern. In diesem Fall müsste sie ihr Verhältnis nicht mehr verbergen. Mit dem etwa gleichaltrigen Mann könnte sie sich sehen lassen, darüber könnte sie ihren Freundinnen erzählen. Während sie auf einer Party mit Acton tanzt, taucht Joe auf und schießt auf sie. Schwarze rufen keine Polizei. Dorcas will auch nicht, dass man einen Arzt holt. Man legt die Verletzte auf ein Bett. Während der Nacht verblutet sie.

Joe hat sie getötet.

Der Freundliche. Der Mann, der nebenher Damenartikel verkaufte; eine in praktisch jedem Haus der Stadt bekannte Gestalt. Ein Mann, den Ladenbesitzer und Vermieter mochten, weil er Kinderspielzeug in eine ordentliche Reihe stellte, wenn es verstreut auf dem Gehsteig liegengeblieben war. Den die Kinder mochten, weil er sich nie von ihnen gestört fühlte. Und unter Männern beliebt, weil er nie beim Spielen mogelte, nie einen dummen Streit vom Zaun brach oder Geschichten weitertrug und weil er ihre Frauen in Ruhe ließ. Beliebt bei den Frauen, weil er ihnen das Gefühl gab, sie wären noch Mädchen; beliebt bei den Mädchen, weil er ihnen das Gefühl gab, sie wären schon Frauen.

Bei der Beerdigung stürmt plötzlich Violet mit einem Messer nach vorn, um der Toten im Sarg das Gesicht zu zerschneiden. Sie verletzt die Leiche nur unter dem Ohrläppchen, dann wird sie weggerissen.

Später freundet sich Violet mit der um einige Jahre älteren Alice an. Während ihr Mann trauernd zu Hause sitzt, versucht sie zu verstehen, was geschehen ist.

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„Pfh, die Frau, die kenne ich. Die hat immer mit einer Schar Vögel in der Lenox Avenue gewohnt. Ihren Mann kenne ich auch. Der ist einer Achtzehnjährigen verfallen, mit so einer tiefen und schaurigen Liebe, die ihn dermaßen traurig und glücklich gemacht hat, dass er sie erschoss, nur damit das Gefühl anhielt. Als die Frau, Violet heißt sie, zur Beerdigung ging, um das Mädchen zu sehen und ihr das totenstarre Gesicht zu zerschneiden, warf man sie erst zu Boden und dann aus der Kirche. Da lief sie durch den ganzen Schnee, und als sie zurück in ihre Wohnung kam, hat sie die Vögel aus dem Käfig geholt und vors Fenster gesetzt – erfriert oder fliegt –, mitsamt dem Papagei, der immer gesagt hat: ‚Ich liebe dich.'“

So beginnt dieser Roman der Nobelpreisträgerin Toni Morrison. Es ist wie eine Exposition in der Musik: Wir kennen jetzt das Thema. Und wie beim Jazz ist alles Folgende eine Bearbeitung des mehrmals wiederholten Themas. Zunächst nur angedeutete Einzelheiten werden nach und nach ausführlicher beschrieben, Nuancen und Details hinzugefügt; andere Stimmen nehmen das Thema immer wieder auf, umspielen und variieren es, indem sie aus ihrer Perspektive schildern, was geschehen ist.

Ich möchte als Autorin wie ein guter Jazz-Musiker sein. Musik machen, die Leute beeindruckt, die wirklich etwas von Musik verstehen; und alle, die Musik als reine Unterhaltung sehen, können dazu tanzen. (Toni Morrison in einem Interview)

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002
Textauszüge: © Rowohlt Verlag

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