Das Parfum
Das Parfum
Inhaltsangabe
Kritik
Angeblich hätte Patrick Süskind die adäquate Verfilmung seines Bestsellers
„Das Parfum. Die Geschichte eines Mörders“ aus dem Jahr 1985 nur Stanley Kubrick zugetraut. Erst nach dessen Tod am 7. März 1999 kam Bernd Eichinger zum Zug, Gerüchten zufolge für 10 Millionen Euro. (Bernd Eichingers frustrierende Erlebnisse mit dem öffentlichkeitsscheuen Schriftsteller Patrick Süskind bei der Jagd auf die Filmrechte für „Das Parfum“ wurden in dem Film „Rossini oder Die mörderische Frage, wer mit wem schlief“ (1997) karikiert.) Zusammen mit Andrew Birkin („Der Zementgarten“), Tom Tykwer und Caroline Thompson schrieb er das Drehbuch. Gedreht wurde ab 12. Juli 2005 in der Provence sowie in München, Barcelona und Girona unter der Regie von Tom Tykwer. 60 Millionen Euro soll der Film gekostet haben.
Während der Roman „Das Parfum“ mit der Geburt von Jean-Baptiste Grenouille in Paris beginnt, wurde für den Film die Urteilsverkündung in Grasse als Einstieg gewählt. Abgesehen von Kleinigkeiten folgt der Film dann der literarischen Vorlage, bis Jean-Baptiste Grenouille die abgeschiedene Berghöhle verlässt. Die Episode mit dem Marquis de la Taillade-Espinasse fehlt im Film: Jean-Baptiste Grenouille ist gleich als Nächstes in Grasse. Bezüglich der Ereignissen dort hielten die Drehbuchautoren sich nur in groben Zügen an das Buch. (Es werden auch nur halb so viele Mädchen in Grasse ermordet.) Erst die letzten Szenen stimmen wieder überein.
Die entscheidende Diskrepanz zum Roman besteht jedoch in der Konkretisierung der Hauptfigur. Beim Lesen des Romans „Das Parfum“ stellen wir uns ein Scheusal vor, aber im Film „Das Parfum“ ist es der dreiundzwanzigjährige englische Shakespeare-Darsteller Ben Whishaw. Der spielt auch kein Monster, sondern einen naiven und jungenhaft Serienmörder. Diese Verharmlosung nimmt der Geschichte viel von ihrer hässlichen Grausamkeit. Es liegt nicht an Ben Wishaws Können – er agiert sehr ausdrucksstark –, aber das ist einfach nicht der Jean-Baptiste Grenouille aus Patrick Süskinds Buch.
Aber was hat dieses Nasentheater mit der pathologischen Sinnes- und Gefühlswelt von Grenouille zu tun? […] Das Parfum ist das Werk eines beflissenen Illustrators, der den Roman nicht als Pforte zur eigenen Vorstellungswelt zu nutzen weiß. (Katja Nicodemus, Die Zeit, 24. August 2006)
Durch die Visualisierung „funktionieren“ einige Szenen nicht mehr. Während es beispielsweise im Roman „Das Parfum“ durchaus nachvollziehbar ist, dass Antoine Richis den Mörder seiner Tochter wie einen lieben Sohn aufnimmt, wirkt die Szene im Film, bei der Antoine Richis vor Jean-Baptiste Grenouille am Richtplatz weinend auf die Knie fällt, ein wenig albern. – Patrick Süskind lässt Jean-Baptiste Grenouille nach dem letzten Mord aus dem Zimmer von Laure Richis kommen. Dann hören wir erst einige Seiten später wieder von ihm, als er festgenommen wird. Nur aus dem Zusammenhang erschließt sich, dass er inzwischen sein Parfum vollendete. Im Film zeigt Tom Tykwer dagegen, wie er im Freien hockt, Laures Duft in ein paar Tropfen Parfum konserviert und diese als Krönung zu den bereits vermischten Düften der anderen ermordeten Mädchen in den Flakon gießt. Wir haben jedoch auch gesehen, dass er Laure und Antoine ohne Gepäck nacheilte. Woher stammen also die voluminösen Gerätschaften?
Bei dem Roman „Das Parfum“ handelt es sich um eine Groteske, aber Patrick Süskind hat es verstanden, eine innere Logik zu entwickeln – die durch die Visualisierung an mehreren Stellen verloren gegangen ist.
Weder der Roman noch der Film riechen. Die Gerüche können erst im Kopf des Lesers bzw. Zuschauers entstehen. Patrick Süskind ist es meisterhaft gelungen, dieses olfaktorische Erlebnis allein durch die Sprache zu evozieren. Tom Tykwer ließ – so heißt es – zweieinhalb Tonnen Fisch und eine Tonne Fleisch auf einen Platz in Barcelona kippen, um einen stinkenden Fischmarkt in Paris nachzubauen. Die Kamera zeigt riechende Gegenstände in Nahaufnahmen. Immer wieder kommt Jean-Baptiste Grenouilles Nase groß ins Bild und wird auch noch durch die Beleuchtung hervorgehoben. Er zieht die Luft ein wie ein witterndes Tier, schnuppert am Körper des Mirabellenmädchens, und wir hören seine Atemgeräusche. Zugegeben, dadurch merken wir als Zuschauer, dass es aufs Riechen ankommt, aber diese Filmsprache ist ein wenig bemüht.
Ambitioniert wie der gesamte Film ist die Kameraführung von Frank Griebe. Wenn die Kamera nicht gerade ganz nah an ein Gesicht oder einen Gegenstand herangefahren ist, filmt sie senkrecht von oben, fährt rasant nicht nur horizontal, sondern auch vertikal, oder rast – das Riechen von Duftmolekülen symbolisierend – über die Landschaft. Dabei sind grandiose Aufnahmen entstanden, beispielsweise von blühenden Lavendelfeldern, aber auch von verdreckten Häuserschluchten. Hin und wieder gibt es hektische Schnittfolgen, wie wir sie von Tom Tykwer auch aus „Lola rennt“ kennen.
An der Wucht der Bilder haben die Ausstatter maßgeblichen Anteil. Sorgfältig bis ins Detail sind die Schauplätze hergerichtet worden, beispielsweise das Innere von Giuseppe Baldinis Parfümerie mit den zahlreichen Fläschchen in den Regalen. Diese verschwenderische Ausstattung erinnert an einen anderen von Bernd Eichinger produzierten Film: „Der Name der Rose“ (bei dem übrigens Andrew Birkin ebenfalls mit am Drehbuch schrieb).
Mit der spanischen Tanztheatergruppe „La Fura dels Baus“ und 750 weiteren Komparsen realisierte Tom Tykwer die Massenhysterie, die Jean-Baptiste Grenouille mit seinem Parfum in Grasse auslöst. Das ist eine bombastisch choreografierte Szene – aber keine Orgie wie im Roman. Ähnliches gilt für die Schlussszene: Wenn die Obdachlosen über Jean-Baptiste Grenouille herfallen, wirkt das nicht wie ein kannibalischer Exzess, sondern wie eine brav einstudierte Theateraufführung.
Dazu passt das Gesäusel der Himmelschöre.
Seltsamerweise entschied Tom Tykwer sich dafür, die Bildersprache nicht unmittelbar auf das Publikum wirken zu lassen, sondern durch einen Erzähler aus dem Off (Otto Sander) eine zusätzliche Ebene einzuziehen, die eher verhindert, dass die Zuschauer sich in die Handlung hineinversetzen.
Fazit: „Das Parfum“ ist ein fulminanter Film in grandiosen Bildern, aber die Darstellung – die aus Hollywood stammen könnte – bleibt an der Oberfläche und wird dem raffinierten Roman von Patrick Süskind nicht gerecht. Wer das Buch allerdings nicht gelesen hat, sieht einen packenden, eindrucksvollen Film.
Darsteller und ihre Rollen:
Ben Whishaw (Jean-Baptiste Grenouille), Alvaro Roque (Grenouille mit 5 Jahren), Franck Lefeuvre (Grenouille mit 12 Jahren), Dustin Hoffman (Giuseppe Baldini), Rachel Hurd-Wood (Laure), Alan Rickman (Antoine Richis), Karoline Herfurth (Mirabellenmädchen), David Calder (Bischof von Grasse), Sian Thomas (Madame Gaillard), Sam Douglas (Grimal), Corinna Harfouch (Madame Arnulfi), Paul Berrondo (Dominique Druot), Birgit Minichmayr (Grenouilles Mutter), Simon Chandler (Bürgermeister von Grasse), Jessica Schwarz (Natalie), Sara Forestier (Jeanne), Joanna Griffiths (Marianne), Jaume Montané (Pelissier), Carlos Gramaje (Polizist am Fischmarkt), Reg Wilson (Kunde am Fischmarkt), Harris Gordon (Marquis de Montesquieu), Timothy Davies, Anna Diogene, Richard Felix, Andrés Herrera, Thomas Lenox, Perry Millward, Francesca Piñón, Michael Smiley
Die Musik wurde von den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle eingespielt.
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Inhaltsangabe und Kommentar: © Dieter Wunderlich 2006
Patrick Süskind: Das Parfüm. Die Geschichte eines Mörders
Tom Tykwer (kurze Biografie / Filmografie)
Tom Tykwer: Die tödliche Maria
Tom Tykwer: Winterschläfer
Tom Tykwer: Lola rennt
Tom Tykwer: Der Krieger und die Kaiserin
Tom Tykwer: Heaven
Tom Tykwer: The International
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