Stille Tage in Clichy
Stille Tage in Clichy
Inhaltsangabe
Kritik
Der amerikanische Schriftsteller Joey (Paul Valjean) und der mit ihm befreundete österreichische Kollege Carl (Wayne Rodda) teilen sich Ende der Sechzigerjahre eine Wohnung in der Pariser Vorstadt Clichy-sous-Bois. Die beiden jungen Männer hungern, weil sie kein Geld haben, aber das bekümmert sie nicht. Ein Mädchen im Bett oder ein gutes Gespräch sind ihnen allemal wichtiger als ein Bankkonto. Da isst Joey eben mal Abfälle, wenn der Magen allzu sehr knurrt und keine Frau in der Nähe ist, die es ihn vergessen lässt.
Eine Prostituierte, die dringend 200 Francs benötigt und die beiden Bohemiens aufsucht, wird von Joey mit den beiden Scheinen bezahlt, die Carl in einem Exemplar des „Faust“ versteckt hat. Seine letzten Münzen lässt Joey sich bald darauf von der Zufallsbekannten Nys (Ulla Lemvigh-Müller bzw. Koppel) abschwatzen, nachdem sie es heftig miteinander getrieben haben. Mit Jeanne (Lisbet Lundquist) kommt es zum Streit; „oben ohne“ läuft sie den beiden Schriftstellern davon und die Straße hinunter. Carl schleppt eine debile Fünfzehnjährige namens Colette (Elsebeth Reingaard) an. Die könne zwischendurch die Wohnung putzen und aufräumen, meint Joey. Sie habe ihren Verstand ohnehin nur zwischen den Beinen. Es dauert nicht lang, bis die Eltern des Mädchens (Olaf Ussing, Noemi Roos) in der Tür stehen, nach Colettes Armbanduhr fragen und mit einer Anzeige wegen Verführung Minderjähriger drohen. Als Colettes Vater erfährt, dass es sich bei den beiden Männern um Schriftsteller handelt, verspricht er respektvoll, nichts gegen sie zu unternehmen, verlangt nur, dass sie sich von seiner Tochter fernhalten.
Sicherheitshalber fahren Joey und Carl für ein paar Tage mit dem Zug nach Luxemburg. Dort stoßen sie auf einen Wirt, der in seinem Restaurant ein Schild mit den Worten „Dieses Haus ist judenfrei“ aufgestellt hat. Der Abscheu gegen den Wirt macht die sonst so unbekümmert friedlichen Bohemiens aggressiv, und er entgeht nur knapp einer Prügelei.
Zurück in Paris, besuchen die Freunde einen Jazzklub, in dem der Saxophonist Ben Webster (Ben Webster) spielt. Von dort nimmt Joey zwei Prostituierte mit. Während Carl sich rasiert, tollt Joey mit den Mädchen in der Badewanne herum und trinkt mit ihnen Wein aus der Flasche. Doch als er ins Wasser uriniert, ekeln sich die Prostituierten und verlangen aufgebracht je 100 Francs.
Einige Zeit später empfiehlt Carl seinem Freund die angeblich aus Costa Rica stammende, in Wirklichkeit in Polen geborene Straßenhure Mara (Avi Sagild).
Während Joey sich schließlich mit der Dänin Christine (Susanne Krage) vergnügt, bringt Carl seine neue Eroberung Corinne (Anne Kehler) mit nach Hause. Aber das Glück zu viert hält nicht lange, denn Christine sucht nach kurzer Zeit ihre Kleidung zusammen und geht.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Hinter den Filmfiguren Joey und Carl sind leicht Henry Miller (1891 – 1980) und Alfred Perlès (1897 – 1990) zu erkennen, zwei Vertreter der „Lost Generation“.
Der amerikanische Schriftsteller Henry Miller lebte von 1930 bis 1939 in Paris. Dort begegnete er im Dezember 1931 Anaïs Nin. Sie wurde seine Geliebte und ging auch mit seiner Ehefrau June ins Bett („Henry & June“). Henry Miller lebte unverhohlen promiskuitiv, denn wie D. H. Lawrence hielt er die Unterdrückung der Triebe für ein Zeichen von Unfreiheit und glaubte, durch eine hemmungslose Sexualität die gesellschaftlichen Zwänge sprengen zu können.
1933 teilten sich Henry Miller und Alfred Perlès ein Zimmer in Clichy-sous-Bois. Die beiden gehörten Mitte der Dreißigerjahre zusammen mit Anaïs Nin, Lawrence Durrell, Antonin Artaud, Michael Fraenkel und Hans Reichel zu einer unkonventionellen Pariser Literaturszene.
Als der Zweite Weltkrieg begann (1939), setzte Henry Miller sich nach Griechenland ab, und Alfred Perlès emigrierte nach England. Ihre Freundschaft hielt ein Leben lang.
Über die Zeit mit Alfred Perlès in Clichy schrieb Henry Miller 1940 einen Roman mit dem ironischen Titel „Stille Tage in Clichy“ („Quiet Days in Clichy“). In einer überarbeiteten Fassung wurde er 1956 in Frankreich veröffentlicht.
Der dänische Maler, Architekt und Kunstkritiker Jens Jørgen Thorsen verfilmte „Stille Tage in Clichy“ und setzte die literarische Vorlage kongenial um, auch wenn er sie zeitlich um fünfunddreißig Jahre verschob. Es ist ein heiterer, unterhaltsamer, freizügiger und unbekümmert vulgärer Low-Budget-Film. Eine Handlung gibt es in „Stille Tage in Clichy“ eigentlich nicht; es folgt einfach eine Episode auf die andere, und fast immer geht es um ein neues sexuelles Abenteuer. Rastlos sind die beiden miteinander befreundeten Schriftsteller der „Lost Generation“ hinter Mädchen her. „Stille Tage in Clichy“ evoziert die Atmosphäre der Boheme Mitte der Dreißigerjahre in Paris sehr authentisch. Wie der Roman, so wird auch der Film „Stilly Tage in Clichy“ ganz aus männlich-chauvinistischer Perspektive erzählt; Frauen sind hier wenig mehr als Objekte feuchter Männerträume. Jens Jørgen Thorsen schreibt Kommentare, obszöne Wörter und unausgesprochene Gedanken der Figuren auf die Bilder, fügt Sprechblasen hinzu, und die Luxemburg-Episode besteht bis auf kurze Ausnahmen aus einer temporeichen Abfolge von Standfotos. Die Musikuntermalung variiert vom Musette-Walzer bis zum Jazz von Ben Webster und zu Porno-Balladen von Joseph („Country Joe“) McDonald.
Den Roman „Stille Tage in Clichy“ gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Dominik Graf (Frankfurt/M 2004).
Zwanzig Jahre nach Jens Jørgen Thorsen verfilmte Claude Chabrol den Roman „Stille Tage in Clichy“ von Henry Miller.
Stille Tage in Clichy – Originaltitel: Jours tranquilles à Clichy – Regie: Claude Chabrol – Drehbuch: Claude Chabrol, Ugo Leonzio, nach dem Roman „Stille Tage in Clichy“ von Henry Miller – Kamera: Jean Rabier – Schnitt: Monique Fardoulis – Musik: Jean-Michel Bernard, Luigi Ceccarelli, Matthieu Chabrol – Darsteller: Andrew McCarthy, Nigel Havers, Barbara De Rossi, Stéphanie Cotta, Isolde Barth, Eva Grimaldi, Anna Galiena, Giuditta Del Vecchio, Stéphane Audran, Mario Adorf u.a. – 1990; 115 Minuten
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2010
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