Tom Wolfe : Hooking Up

Hooking Up
Originalausgabe: Hooking Up Farrar, Straus and Giroux, New York 2000 Hooking Up. Neuigkeiten aus dem Weltdorf Übersetzung: Benjamin Schwarz Karl Blessing Verlag, München 2001 ISBN 3-89667-159-6, 347 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Hooking Up - Zwei Männer auf dem Weg nach Westen - Digi-Blabla, Feenstaub und der menschliche Ameisenhaufen - Tut mir Leid, aber deine Seele ist soeben gestorben - Im Land der Rokoko-Marxisten - Der unsichtbare Künstler - Das große Umlernen - Meine drei Stichwortgeber - Hinterhalt in Fort Bragg. Eine Novelle - Die Affäre um den New Yorker
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Kritik

"Hooking Up" besteht aus Essays und einer Novelle von Tom Wolfe. Der Bogen reicht von der Halbleiterindustrie im "Silicon Valley" über Kritik an den Medien bis zur "sexuellen Revolution".
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Hooking Up. Wie das Leben an der Wende zum dritten Jahrtausend war:
Die Welt eines Amerikaners

Der durchschnittliche Elektriker, Klimatechniker oder Alarmanlagenmechaniker führte ein Leben, bei dem sich der Sonnenkönig erstaunt die Augen gerieben hätte. (Seite 9)

„Sexy“ begann nach und nach „chic“ als das Adjektiv zu ersetzen, mit dem bezeichnet wurde, was fesch und aktuell war. (Seite 12)

„Fummeln“ (hooking up) war ein Begriff, der im Jahr 2000 fast jedem amerikanischen Kind, das älter als neun war, aber nur einem relativ kleinen Prozentsatz der Eltern bekannt war, die, auch wenn sie ihn hörten, meinten, to hook up würde immer noch in der alten Bedeutung von „jemanden kennen lernen“ benutzt. Unter den Kindern war hooking up stets eine sexuelle Erfahrung, aber Art und Ausmaß dessen, was sie taten, konnten erheblich variieren […] Im Jahr 2000, in der Ära des Fummelns, bedeutete first base Zungenküsse („Zäpfchenhockey“), Befummeln und Streicheln, second base stand für oralen Sex, bei third base kam man zur Sache, und die home plate war erreicht, wenn man seinem Partner namentlich vorgestellt wurde. (Seite 13f)

Im Jahr 2000 sahen Jungen und Mädchen die Fellatio nicht als echten Sexualakt an, nicht echter als Zäpfchenhockey. Es war bloße „Spielerei“. Der damalige Präsident der Vereinigten Staaten pflegte eine 22-jährige unbezahlte Praktikantin im Präsidentenpalast, dem Weißen Haus, zu sich in sein Büro zur Fellatio kommen zu lassen. Später sagte er unter Eid aus, er habe „nie Sex“ mit ihr gehabt. Ältere Amerikaner waren darüber eher schockiert, aber High-School-Schüler und Collegestudenten verstanden vollkommen, was er damit sagen wollte, und fragten sich, worüber um alles in der Welt man sich so aufregte. Die beiden waren doch bloß auf der second base gewesen und hatten gefummelt. (Seite 15)

Die verbreiteste Alterskrankheit war nicht Senilität, sondern Jugendlichkeitswahn. (Seite 17)

Einer der bemerkenswerteren Anblicke in New York City im Jahr 2000 war, dass ein halbwüchsiger Sprössling einer Investmentbanker-Familie aus einem der 42 „guten Gebäude“, wie sie genannt wurden, auftauchte. Diese 42 Gebäude auf Manhattans East Side enthielten die größten, eindrucksvollsten, grandiosesten Wohnungen, die in den Vereinigten Staaten je gebaut worden waren, die meisten davon in der Park und der Fifth Avenue. Ein Türsteher, gekleidet wie ein Oberst der österreichischen Armee aus dem Jahr 1870, hält die Tür auf, und heraus kommt ein blasser, weißer Junge mit einer Baseballmütze quer auf dem Kopf, einem übergroßen, ausgebeulten T-Shirt, dessen kurze Ärmel ihm über die Ellenbogen herabfallen, pluderigen Cargo Pants mit Pattentaschen die Hosenbeine hinunter und einem Schritt, der ihm unter den Knien hängt, und massenweise Stoff, der um seine Knöchel schlottert und beinahe die Lugz-Sneakers unter sich begräbt. (Seite 19)


Meine drei Stichwortgeber (My Three Stooges)

Eins kann ich Ihnen sagen: Elf Jahre an einem einzigen Buch zu schreiben ist finanziell tödlich, geistig und physisch ein Schlag ins Genick, die Hölle für die eigene Familie und eine Zumutung für alle Beteiligten – kurz, ein unentschuldbares, beinahe unanständiges Verhalten. Trotzdem, so lange brauchte ich, um ein einziges Buch zu schreiben, einen Roman mit dem Titel A Man in Full (Ein ganzer Kerl). Elf Jahre. Meine Kinder wuchsen auf mit dem Gefühl, das sei alles, was ich täte: ein Buch mit dem Titel Ein ganzer Kerl zu schreiben und nie damit fertig zu werden.

Warum habe ich dafür so lange gebraucht? […] Ich habe die Sünde der Hybris begangen. Ich hatte mir vorgenommen, die Welt in diesen Roman hineinzustopfen, die ganze Welt. (Seite 175)

Mit diesen Sätzen beginnt Tom Wolfes Artikel. Er schildert zunächst, wie er ab 1988 für den Roman recherchierte. Unter anderem wollte er auch hinter die Kulissen des Fernsehens schauen. Das Ergebnis war die Novelle „Hinterhalt in Fort Bragg“ („Ambush at Fort Bragg“). Erst nach elf Jahren Arbeit erschien der Roman „Ein ganzer Kerl“ („A Man in Full“) im November 1998 endlich bei Farrar, Straus und Giroux in New York, und zwar mit einer Startauflage von 1,2 Millionen Exemplaren. Sieben weitere Auflagen von je 25 000 Exemplaren folgten. Dazu kamen die Übersetzungen. „Ein ganzer Kerl“ war ein Riesenerfolg und erhielt viele gute Kritiken – bis John Updike (68), Norman Mailer (75) und John Irving (57) sich erhoben und den Roman mit ihrem Bannfluch belegten. John Updike schrieb im „New Yorker“, Norman Mailer im „New York Review of Books“ und John Irving tobte in der Fernsehsendung „Hot Type“. Die drei amerikanischen Romanautoren waren sich einig, dass „Ein ganzer Kerl“ nicht zur ernsten Literatur zähle und nicht von einem Schriftsteller, sondern von einem Journalisten geschrieben worden sei. John Updike hielt „Ein ganzer Kerl“ für bloße Unterhaltung, Normal Mailer einfach für einen Mega-Bestseller und John Irving für einen journalistischen Exzess. Der Moderator der Fernsehsendung „Hot Type“ gab schließlich Tom Wolfe die Gelegenheit, sich zu dem Verdikt zu äußern.In seiner Replik verglich Tom Wolfe die drei Romanciers mit Larry, Curly und Moe, „The Three Stooges“, einer seit dem Ende der Zwanzigerjahre aus zweihundert Kurzfilmen bekannten amerikanischen Komikergruppe, und bezeichnete sie als seine Stichwortgeber. Als der Moderator Tom Wolfe fragte, warum John Updike, Norman Mailer und John Irving wohl seinen neuen Roman ablehnten, antwortete er:

Ein ganzer Kerl hatte ihnen Angst gemacht. Sie waren verunsichert. So einfach war das. Ein ganzer Kerl war das Beispiel – und ein beunruhigend sichtbares noch dazu – einer möglichen, nein, der wahrscheinlich kommenden Richtung in der Literatur des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts: der äußerst realistische Roman, auf Recherchen basierend, die rückhaltslos in die gesellschaftliche Realität des Amerika von heute, dieses Augenblicks eintauchen – eine Revolution eher des Inhalts als der Form –, die jeden Augenblick die Künste in Amerika mitreißen werde, eine Revolution, die bald viele angesehene Künstler, wie zum Beispiel unsere drei alten Romanciers, kraftlos und irrelevant erscheinen lassen werde. (Seite 186)

Tom Wolfe wirft John Updike, Norman Mailer und John Irving vor, sich im Gegensatz zu ihm nicht auf das Leben eingelassen und stattdessen fast ausschließlich Fantasieromane geschrieben zu haben.

Statt in die Welt hinauszuziehen, statt sich in den (für mich) unwiderstehlich gespenstischen Karneval des amerikanischen Lebens im Hier und Jetzt zu stürzen, statt mit dionysischem Ja-Sagen, wie Nietzsche es formuliert hätte, ins rohe, raue, lustgesättigte Gewühl hinauszustürmen, das mit verstärktem oktophonischem Gepauke überall um sie herum auf sie einhämmert, hatten unsere alten Löwen sich zurückgezogen, waren sie, die Augen gegen das Licht abschirmend, zurückgewichen […] (Seite 188f)

Die große Zeit des amerikanischen Romans sei von 1900 (Theodore Dreiser: Schwester Carrie) bis 1939 (John Steinbeck: Früchte des Zorns) gewesen, behauptet Tom Wolfe. Damals wurden naturalistische Romane geschrieben.

Vier spezielle Techniken verleihen dem naturalistischen Roman seine „fesselnden“, „packenden“ Eigenschaften: 1) der Aufbau Szene für Szene, d. h. dass man die Geschichte erzählt, indem man sich von einer Szene zur anderen bewegt, statt sich aufs bloße historische Nacherzählen zu beschränken; 2) der großzügige Gebrauch realistischen Dialogs, der die Figuren am unmittelbarsten in Erscheinung treten lässt und im Leser tiefer nachhallt als jede Form von Schilderung; 3) die innere Sichtweise, d. h. dass man den Leser ins Innere der Gestalt versetzt und ihn eine Szene durch deren Augen sehen lässt; und 4) die Beachtung von Statusdetails, der Indizien, die einem mitteilen, wo Menschen ihren Rang in der menschlichen Hackordnung haben und wie sie im Kampf um Erhalt oder Verbesserung ihrer Stellung im Leben oder in einer unmittelbaren Situation abschneiden: angefangen bei Kleidung und Möbeln bis hin zu sprachlichen Besonderheiten, der Art, Vorgesetzte oder Untergebene zu behandeln, kleinsten Gesten, die Respekt oder Respektlosigkeit verraten, dem gesamten Komplex an Signalen, die der Bestie Mensch mitteilen, ob sie Erfolg oder Misserfolg hat und diese Widersacherin des Glücks, die mächtiger ist als der Tod, nämlich die Demütigung, abgewehrt hat oder nicht. (Seite 203f)

Aber kaum triumphierte die amerikanische Version des naturalistischen Romans, wurde sie von intellektuellen Essayisten wie Lionel Trilling (1948) für überholt erklärt. Statt sich auf die eigenen Traditionen zu besinnen, starrten die amerikanischen Intellektuellen auf den europäischen Formalismus.

Dreiser, Hemingway, Steinbeck und Faulkner brachten es wahrscheinlich zusammen auf keine vier Jahre College, aber ab 1950 ging die große Mehrzahl der Romanschriftsteller aus Universitäts-Schreibseminaren hervor […]
Nach 1960 begann die Zeit der jungen Autoren, die auf den Universitäten in den literarischen Ismen unterrichtet worden waren – allesamt Varianten des französischen Ästhetizismus, die von der Idee ausgingen, dass die einzig reine Kunst Kunst nicht über das Leben, sondern über die Kunst selbst ist. Absurdismus, Fabulismus, Minimalismus, magischer Realismus – alle hatten sie eine gemeinsame Haltung […]
Um 1980 war der Rückgang des Romans als Form sichtbar geworden […] Der Roman […] verlor den Einfluss, den er einst auf die Fantasie von Collegestudenten und jungen Leuten allgemein gehabt hatte.
Ich denke, man kann ohne weiteres sagen, dass viele von ihnen [den jungen Autoren] sich dem Film zugewandt und den Roman an den Rand geschoben haben […] (Seite 198ff)

Heutzutage sind es die Filmregisseure und -produzenten, nicht die Romanautoren, die vom gespenstischen Karneval des amerikanischen Lebens in diesem Augenblick, im Hier und Jetzt und in allen seinen Spielarten angeregt werden. Es sind die Filmregisseure und -produzenten, nicht die Romanautoren, die es nicht erwarten können, sich in dieses raue Getümmel zu stürzen wie die Dreisers, Lewis‘ und Steinbecks der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und es sich selbst anzusehen. Es sind die Filmregisseure und -produzenten, nicht die Romanautoren, die heute den Instinkt von Reportern haben, die Neugier, die Vitalität, die joie de vivre, den Elan, die Energie, jedes Thema anzupacken, sich auf jedes Terrain hinauszuwagen, ganz gleich, wie weit es von ihrer eigenen Erfahrung entfernt sein mag – oft weil es von ihrer eigenen Erfahrung so weit entfernt ist und sie es nicht erwarten können, es selber zu sehen. Demzufolge wurde der Film, nicht der Roman, das wichtigste naturalistische Erzählmedium des späten 20. Jahrhunderts. (Seite 201f)

Allerdings könne auch der beste Filmregisseur nicht in den Kopf das Protagonisten hineinfilmen, meint Tom Wolfe. Literaturverfilmungen leiden seiner Ansicht nach an drei Schwächen: (1) Es gibt keine überzeugende Möglichkeit, Gedanken und innere Monologe filmisch darzustellen. (2) Soziale Abstufungen geraten im Film leicht zur Karikatur: Das Haus ist entweder zu pompös oder zu schäbig, die Redeweise zu snobistisch oder zu ungehobelt. (3) Im Film gelingt es nicht, etwas zu erklären, ohne den Handlungsstrom zu unterbrechen.

Wenn ein Kinozuschauer herauskommt und sagt: „Der Film war nicht annäherend so gut wie der Roman“, dann fast immer, weil der Film auf diesen drei Gebieten versagt hat: dass er dem Zuschauer nicht das Gefühl gegeben hat, sich im Innern der Figuren zu befinden, dass er ihn nicht die Statuszwänge hat verstehen und fühlen lassen, mit denen der Roman sich beschäftigt hatte, dass er ihm nicht dieses und andere komplizierte Dinge erklärt hat, die das Buch ihm hätte erläutern können, ohne auch nur eine Sekunde an Handlung oder Spannung zu opfern. (Seite 205)

Mit dem folgenden Ausblick beendet Tom Wolfe seinen Artikel:

Der amerikanische Roman liegt im Sterben, aber er stirbt nicht an Überalterung, sondern an Magersucht. Was er braucht ist – Nahrung. Er braucht Autoren mit einem Riesenappetit und mächtigem, ungestilltem Durst auf – Amerika, wie es in diesem Augenblick ist. Er braucht Autoren, die mit der Energie und dem Elan an Amerika herangehen, wie es seine Filmemacher tun, nämlich mit einer unersättlichen Neugier und dem Drang, sich hinaus unter seine 270 Millionen Bewohner zu begeben und mit ihnen zu reden und ihnen ins Auge zu sehen […] Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Epoche, in der in einer kläglichen Revolution der europäische Formalismus die Macht über die Künste Amerikas übernahm, zumindest über die nichtelektronischen. Die Revolution des 21. Jahrhunderts, sollten die Künste überleben, wird einen Namen haben, an den nicht ohne weiteres ein -ismus angehängt werden kann. Sie wird heißen: „Inhalt“. Sie wird heißen: Leben, Wirklichkeit, Pulsschlag der Bestie Mensch. (Seite 206)


Hinterhalt in Fort Bragg. Eine Novelle

In Fayetteville, North Carolina, wird der homosexuelle Soldat Randy Valentine in einer Toilette totgeschlagen, aber General Huddlestone erklärt, keiner seiner Männer in Fort Bragg habe mit dem Mordfall zu tun.

Damit geben sich die Fernsehmacher der wöchentlichen Sendung „Day & Night“ nicht zufrieden: Sie hören sich unter den Soldaten um und mieten dann für vier Wochen eine Oben-ohne-Bar, in der sich die drei verdächtigen einundzwanzig- oder zweiundzwanzigjährigen Elitesoldaten Randall Flory, James Lowe und Virgil Ziggefoos jeden Abend treffen. Deren Gespräche werden mit zwei versteckten Kameras und einigen Mikrofonen heimlich aufgezeichnet.

In einem Kontrollraum des Senders in New York verfolgen Irv Durtscher und Mary Cary Brokenborough die Aufnahmen. Aus der Nähe sieht Irv seiner Kollegin die zweiundvierzig Jahre an, aber er weiß, dass die berühmte Moderatorin auf dem Fernsehschirm noch immer wie eine blonde Sexbombe wirkt. Obwohl sie seit kurzem zum dritten Mal verheiratet ist – mit einem Augenarzt namens Hugh Siebert –, träumt Irv von einer Affäre mit ihr, aber als er ihre Hand ergreift, blickt sie ihn bloß spöttisch an, und er lässt von ihr ab. Irv leidet nicht nur unter Mary Carys Zurückweisung – es ist nicht die erste –, sondern mehr noch darunter, dass er sich wie der eigentliche Ideengeber der Fernsehsendung vorkommt, aber als „kleiner, fetter, glatzköpfiger Jude“ keine Chance hat, im Bild zu erscheinen und deshalb immer nur als Unbekannter im Hintergrund arbeiten kann, während die Moderatorin gefeiert wird.

Auf den Monitoren ist Lowe zu sehen. Ahnungslos spricht er davon, wie er in der Herrentoilette einer Kneipe merkte, dass zwei Männer Fellatio machten und er daraufhin die Kabinentür eintrat.

„Die ganze gottverdammichte Tür hat ’n erwischt, nehm ich an. Der Scheißkerl, der lag mit’m Kopf nach unten an der Wand, wie ich ’n gepackt hab.“ (Seite 220)

Randy Valentine starb an den Verletzungen. Der andere Schwule hatte unerkannt fliehen können.

Irv Durtscher und Mary Cary Brokenborough fliegen nach Fayetteville. Für ein Honorar von 2500 Dollar erklärt die Nackttänzerin Lola Thong sich dazu bereit, die drei Rancher aus der Oben-ohne-Bar in einen mit versteckten Kameras und Mikrofonen ausgerüsteten Campingbus zu locken. Sie tritt zu Flory, Lowe und Ziggefoos an den Tisch, macht sie an und fragt sie nach einer Weile, ob sie „ungewehnliche Viedeos“ sehen möchten. Sobald die drei es sich in dem Campingbus bequem gemacht haben, schiebt sie eine Videokassette ein. Die drei Männer starren auf den Bildschirm. Gezeigt wird Lolas Striptease in einem Fichtenwald, den die Fernsehmacher eigens gefilmt hatten, damit die Verdächtigen sich das Video auch wirklich anschauen. Zwischen den einzelnen Phasen des Striptease sind nämlich die Aufnahmen von Flory, Lowe und Ziggefoos in der Oben-ohne-Bar zu sehen. Sie ahnen nicht, dass sie auch jetzt heimlich aufgenommen werden.

„Ich weiß nich, Jimmy, diese Scheiße gefällt mir nich.“
Jimmy Lowe drehte sich Lola zu, die jetzt direkt an der Bustür stand. Sie versuchte, ihr Lächeln aufrechtzuerhalten, obwohl sie langsam die Fassung verlor.
„Hör zu, gottverdammich noch mal, Lola“, sagte Jimmy Lowe, „ich will wissen, was zum Teufel hier los is, und ich will es jetzt sofort wissen.“
„Ienteraktives Fernsehen“, sagte Lola. (Seite 252)

In diesem Augenblick tritt Mary Cary Brokenborough auf. Die drei Soldaten kennen sie natürlich aus dem Fernsehen und können es kaum glauben. Als ihnen klar wird, um was es geht, versucht Ziggefoos, die berühmte Moderatorin zu ihnen an den Tisch in der Oben-ohne-Bar einzuladen, aber sie geht selbstverständlich nicht darauf ein und beharrt auf dem Thema Schwulenmord. Da redet Ziggefoos davon, dass die Armee der Vereinigten Staaten von Amerika „wie ein Mann“ zusammenhalten müsse. Frauen und Schwule könne man deshalb nicht gebrauchen. Am 3. Oktober 1993 ließ seine Einheit sich in Somalia in einen Hinterhalt locken. Ziggefoos wurde schwer verwundet, aber seine Kameraden Flory und Lowe holten ihn trotz der Gefahr heraus. Dafür benötigt man richtige Männer. Mary Cary bleibt nichts anderes übrig, als sich das anzuhören, denn Ziggefoos lässt sich nicht unterbrechen, aber dann kommt sie auf ihr Thema zurück. Die drei Soldaten, die immer noch nicht ahnen, dass sie auch in diesem Moment gefilmt werden, halten das alles für ein Vorgespräch und lehnen es ab, sich von der Moderatorin zu dem Mordfall befragen zu lassen. Stattdessen verlassen sie den Campingbus.

In der Bibliothek von Walter O. Snackerman, dem Präsidenten des Senders in New York, schauen sich die Fernsehmacher mit ihren Angehörigen die Übertragung in „Day & Night“ an. Der von Irv vorgenommene Zusammenschnitt des Film- und Tonmaterials sowie die von ihm verfassten und von Mary Cary Brokenborough vorgetragenen Kommentare lassen die drei Soldaten schuldig aussehen. Darauf ist Irv stolz: Er beherrscht die Kunst der Manipulation. Für die Zuschauer sieht es so aus, als habe die gesamte Szene im Campingbus nicht länger als neunzig Sekunden gedauert. Die strenge Göttin des Fernsehens wirkt souverän; die drei Soldaten dagegen machen einen rüpelhaften, feigen, unsicheren und schuldbewussten Eindruck.

Kurz vor dem Schluss der Übertragung klingelt Hugh Sieberts Handy, und der Augenarzt entschuldigt sich, er müsse zu einem Unfall: „Ein elfjähriges Mädchen – corneasklerale Lazeration mit Erguss der Glaskörperflüssigkeit.“ Wütend merkt Irv, dass die Anwesenden statt auf den Bildschirm zu schauen, ihre Aufmerksamkeit dem Arzt widmen.

Wahrscheinlich hat er sich selbst angepiept und dann den Anruf vorgetäuscht […] und das mitten auf dem Höhepunkt des Triumphes seiner eigenen Frau – der orchestriert worden ist von mir, Irv Durtscher! (Seite 293)

Am Ende der Sendung springen alle auf, umringen Mary Cary und klatschen Beifall. Niemand beachtet Irv.

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„Hooking Up“ besteht aus Essays und einer Novelle von Tom Wolfe. Der Bogen reicht von der Halbleiterindustrie im „Silicon Valley“ über Kritik an den Medien bis zur „sexuellen Revolution“. Unter der Kapitelüberschrift „Die Affäre um den New Yorker“ sind zwei bereits 1965 in der „Herald Tribune“ veröffentlichte satirische Artikel Tom Wolfes über die Wochenzeitung „New Yorker“ zu finden. In der Novelle „Hinterhalt in Fort Bragg“ werden drei engstirnige amerikanische Elitesoldaten, die einen Homosexuellen totgeschlagen haben, mit Täuschungen und illegalen Abhörmitteln von einem Fernsehteam überführt. Dabei wirken die Fernsehmacher mindestens so abstoßend wie die Fanatiker. Ebenso brillant wie polemisch und eitel ist Tom Wolfes Replik auf das Verdikt seines Romans „Ein ganzer Kerl“ durch John Updike, Norman Mailer und John Irving: „Meine drei Stichwortgeber“.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005
Textauszüge: © Karl Blessing Verlag

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.