Magersucht, Anorexie, Anorexia nervosa

Bei der Anorexie (Anorexia nervosa, Magersucht) handelt es sich um eine Essstörung, bei der die Patientinnen und Patienten die Nahrungsaufnahme übermäßig einschränken, z. B. weil sie befürchten, sie könnten zu dick werden. Tatsächlich weisen sie jedoch ein zu niedriges Körpergewicht auf. Einige Anorexie-Kranke reduzieren ihr Körpergewicht durch Abführmittel oder exzessiven Sport noch weiter (Anorexie vom Purging Typus). In den meisten Fällen versuchen Magersüchtige ihre Erkrankung vor anderen zu verbergen, und das gelingt ihnen in der Regel einige Zeit. Aufgrund des in den westlichen Gesellschaften vorherrschenden Schlankheits-Ideals werden sie in der ersten Phase der Anorexie-Erkrankung mitunter sogar durch Komplimente bestärkt.

Sie denken, auf diese Weise haben sie ihr Leben im Griff, aber irgendwann hat das Hungern sie im Griff, und sie können nicht aufhören. (Elizabeth Strout: „Mit Blick aufs Meer“, Seite 118)

Die Anorexia nervosa geht bei einigen Betroffenen mit anderen Verhaltensstörungen einher, zum Beispiel mit autodestruktivem Verhalten (Selbstverletzungen).

Die Zahl der Magersüchtigen in Deutschland wird auf 600 000 geschätzt (Süddeutsche Zeitung, 12. Juli 2008). Zur Risikogruppe zählen vor allem Frauen in den westlichen Gesellschaften im Alter von 15 bis 30 Jahren. Jüngere und ältere Frauen können jedoch ebenfalls erkranken, und in zunehmendem Maße sind auch Männer gefährdet. Jugendliche, die aus Sorge um ihr Aussehen Diäten und Fastenkuren ausprobieren und dabei nach einigen Tagen eine Hungereuphorie erleben, sind besonders gefährdet, an Magersucht zu erkranken.

Nicht selten wechseln sich verschiedene Essstörungen wie Bulimie und Anorexia nervosa phasenweise ab.

In den meisten Fällen sind psychische Störungen die Ursache einer Anorexia nervosa. Wenn Kinder und Jugendliche in einer Familie heranwachsen, in der Gefühle unterdrückt werden und der Leistungsanspruch hoch ist, kann es zu Konflikten zwischen Perfektionsdrang und Versagensängsten oder zu einem Minderwertigkeitskomplex kommen.

Magersucht kann mit dem Streben nach Abnabelung von der Familie einhergehen, aber auch – ähnlich wie ein Suizid-Versuch – als unbewusster Hilferuf verstanden werden. Es kommt vor, dass Anorexie-Kranke die Einschränkung ihrer Nahrungsaufnahme und Reduzierung ihres Körpergewichts als Leistung und Möglichkeit zur Selbstkontrolle erleben. Von großer Bedeutung ist die in den westlichen Gesellschaften verbreitete Überbewertung des Aussehens für das eigene Selbstwertgefühl und die Auffassung, ein perfekt geformter schlanker Körper sei die Voraussetzung für sozialen bzw. beruflichen Erfolg. Deshalb sind Models und andere Frauen, die auf der Bühne stehen, besonders gefährdet.

Bis Anfang der Achtzigerjahre wurde die Anorexia nervosa in der Öffentlichkeit kaum beachtet. Erst als die Popmusikerin Karen Anne Carpenter am 4. Februar 1983 knapp vor ihrem 23. Geburtstag an den Folgen einer Anorexie starb, begannen die Medien über Schlankheitswahn und Magersucht zu berichten. Um schlechte Vorbilder zu vermeiden, durften zu dünne Models bei der Modewoche im September 2006 in Madrid erstmals nicht auf den Laufsteg. Damit konnte jedoch der Tod des brasilianischen Mannequins Ana Carolina Reston am 14. November 2006 nicht verhindert werden. Die 1,74 Meter große Einundzwanzigjährige wog zuletzt 40 Kilogramm. Im Februar 2007 starb das achtzehnjährige Model Eliana Ramos aus Uruguay an Magersucht. Ihre vier Jahre ältere, ebenfalls magersüchtige Schwester war ein halbes Jahr zuvor bei einer Modenschau in Montevideo tot zusammengebrochen.

Die siebenundzwanzigjährige, an Anorexie leidende französische Schauspielerin Isabelle Caro, die bei 1.64 m Körpergröße zeitweilig nur noch 25 kg gewogen haben soll, ließ sich 2007 von Oliviero Toscani für eine Plakataktion unter dem Motto „No. Anorexia“ nackt fotografieren. Nach ein paar Wochen wurde die Aktion jedoch von der italienischen Werbe-Aufsichtsbehörde IAP verboten. Isabelle Caro starb im November 2010.

Zur Behandlung der Magersucht eignen sich vor allem Psychotherapie und Verhaltenstherapie.

Literatur zum Thema Magersucht (Anorexia nervosa)

  • Jürgen Beushausen: Essstörungen und Multiple Süchte
  • Brigitte Biermann: Engel haben keinen Hunger. Katrin L. Die Geschichte einer Magersucht
  • Patricia Bourcillier: Magersucht und Androgynie
  • Joan Jacobs Brumberg: Todeshunger.
    Die Geschichte der Anorexia nervosa vom Mittelalter bis heute
  • Peggy Claude-Pierre: Der Weg zurück ins Leben.
    Magersucht und Bulimie verstehen und heilen
  • Alexa Franke: Wege aus dem goldenen Käfig. Anorexie verstehen und behandeln
  • Monika Gerlinghoff: Magersüchtig. Eine Therapeutin und Betroffene berichten
  • Katherina Giesemann: Hungern im Überfluss. Essstörungen in der ambulanten Psychotherapie
  • Andrea Graf: Die Suppenkasperin. Geschichte einer Magersucht
  • Julie Hopfgartner: Leben ohne Hunger. Tagebuchprotokoll einer Anorexie-Therapie
  • Marya Hornbacher: Alice im Hungerland. Leben mit Bulimie und Magersucht.
    Eine Autobiografie
  • Johann Kinzl, Ingrid Kiefer und Michael Kunze: Besessen vom Essen.
    Orthorexie, Bulimie, Anorexie, Adipositas
  • Marion Komp: Anorexie und Bulimie als (inadäquater) Versuch der Adoleszenzbewältigung
  • Tanja Legenbauer und Silja Vocks: Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie
  • Lilly Lindner: Splitterfasernackt
  • Mara Selvini Palazzoli, Stefano Cirillo und Matteo Selvini: Anorexie und Bulimie.
    Neue familientherapeutische Perspektiven
  • Lena S.: Auf Stelzen gehen. Geschichte einer Magersucht
  • Monika Vogelgesang, Petra Schuhler und Manfred Zielke: Essstörungen.
    Klinische Behandlungskonzepte und praktische Erfahrungen
  • Yves Weber: Modekrankheit Magersucht. Der Weg zurück ins Leben

© Dieter Wunderlich 2006 / 2011

Ana Carolina Reston
Essstörungen: Bulimie (Ess-Brech-Sucht)

Sherry Hormann: Helen, Fred und Ted

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Bei "Außer Dienst. Eine Bilanz" handelt es sich weder um eine Autobiografie noch um eine stringente oder systematische Abhandlung. Der elder statesman Helmut Schmidt denkt über Themen der Politik nach, erinnert sich an eigene Erfahrungen und streut persönliche Bekenntnisse ein. Das geschieht mitunter lehrerhaft und ist nicht frei von Trivialitäten und Binsenwahrheiten.
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