H. G. Wells : Die Zeitmaschine

Die Zeitmaschine
Originalausgabe: The Time Machine, 1895 Deutschsprachige Erstausgabe: 1904 Die Zeitmaschine Neuübersetzung: Lutz-W. Wolff dtv Verlagsgesellschaft, München 2017 ISBN: 978-3-423-14546-6, 189 Seiten Die Zeitmaschine und Krieg der Welten Neuübersetzung: Hans-Ulrich Möhring Fischer Taschenbuch, Frankfurt/M 2018 ISBN 978-3-596-90672-7, 544 Seiten ISBN: 978-3-423-43061-6 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Ein anonymer Forscher reist in einer selbst konstruierten Zeitmaschine in das Jahr 802 701. Auf der Erdoberfläche findet er die infantilen, freundlichen Eloi vor, die sich nur von Obst ernähren und nichts ar­bei­ten. In einem unterirdischen Höhlen­system unter ihnen betreiben die Morlocks die Produktions­maschinen. Der Zeitreisende nimmt zunächst an, dass die Eloi diese hässlichen, lichtscheuen Nachkommen des Industrieproletariats versklavt haben. Aber da täuscht er sich ...
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Kritik

Die Dystopie "Die Zeitmaschine" basiert auf der Hypothese von der vier­dimen­sio­nalen Raumzeit. H. G. Wells beschäftigt sich in dem Buch mit Folgerungen aus dem Dar­wi­nis­mus für die zukünftige Evolution. Auch als Gesellschaftskritik lässt es sich verstehen.
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Jeden Donnerstag trifft sich eine Gruppe von Herren – ein Psychologe, ein Mediziner, ein Provinzbürgermeister, ein Redakteur, ein Reporter, der Ich-Erzähler und andere – bei einem Forscher im Londoner Vorort Richmond zum Abendessen mit anschließender Diskussionsrunde am Kaminfeuer. Der Ich-Erzähler bleibt anonym und verschweigt auch den Namen des Gastgebers, den er nur „der Zeitreisende“ nennt.

Der Zeitreisende (so nennt man ihn wohl am einfachsten) erklärte uns eine komplexe Materie.

Der Wissenschaftler postuliert vor seinen Gästen, dass real existierende Körper nicht drei, sondern vier Dimensionen aufweisen:

„Er muss Länge, Breite und Höhe haben, aber er muss auch von Dauer sein.“

Die vierte Dimension des Raumes – die Zeit – übersehe man zumeist, fährt der Zeitreisende fort.

„Nehmen wir zum Beispiel das Porträt eines Menschen im Alter von acht Jahren, ein anderes mit fünfzehn, eins mit siebzehn, mit dreiundzwanzig und so fort. Alle sind offenbar dreidimensionale Ausschnitte aus seinem vierdimensionalen Sein.“

Der Mediziner weist darauf hin, dass wir uns in den ersten drei Dimensionen des Raumes bewegen können und fragt, warum das auf der Zeitachse nicht möglich sei. Der Gastgeber korrigiert ihn:

„Sie irren, wenn Sie sagen, wir könnten uns in der Zeit nicht hin und her bewegen.“

Er holt ein Gerät aus seiner Werkstatt.

Das Gerät, das der Zeitreisende in der Hand hielt, war ein glitzerndes Metallgestell, kaum größer als eine kleine Uhr, und sehr fein gearbeitet. Es war zum Teil aus Elfenbein und einer durchsichtigen, kristallinen Substanz.

Zwei Jahre lang habe er an diesem Modell gearbeitet, erklärt der Zeitreisende und veranlasst den Psychologen, einen Finger auf einen Hebel zu legen. Im nächsten Augenblick verschwindet die kleine Maschine.

Wir alle sahen, wie der Hebel umgelegt wurde. Ich bin absolut sicher, dass keine Täuschung vorlag. Man spürte einen Luftzug, und in der Lampe zuckte die Flamme. Eine der Kerzen auf dem Kaminsims wurde ganz ausgeblasen.

Das Modell sei in die Zukunft gereist, behauptet der Zeitreisende und führt seine Gäste zur Werkstatt, wo er eine baugleiche größere Maschine fast fertiggestellt hat.

Skeptisch kehrt der Ich-Erzähler an diesem Abend nach Hause zurück. Aber am folgenden Donnerstag fährt er erneut nach Richmond, wo er bereits vier oder fünf Besucher vorfindet. Der Gastgeber fehlt jedoch, und der Mediziner teilt den anderen Herren mit, er habe eine Nachricht des Hausherrn erhalten: Sie sollen wie üblich um 19 Uhr mit dem Essen anfangen, auch wenn er selbst sich verspäten würde.

Eine Stunde später steht der Zeitreisende in der Tür.

Ich stieß einen überraschten Schrei aus. „Gütiger Himmel, Mann! Was ist denn los?“, rief der Doktor, der ihn als Nächster sah. Dann drehte sich der ganze Tisch zur Tür um. Er war in einem üblen Zustand. Seine Jacke war staubig und schmutzig, die Ärmel waren grün verschmiert; seine Haare waren in Unordnung und schienen grauer als sonst – entweder vor Staub und Schmutz, oder weil sie tatsächlich die Farbe verloren hatten. Sein Gesicht war schrecklich blass; sein Kinn wies eine halb verheilte, bräunliche Wunde auf, seine Züge waren verzerrt und schienen von schwerem Leiden geprägt. Er zögerte einen Augenblick auf der Schwelle, als sei er vom Licht geblendet. Dann trat er ins Zimmer. Er humpelte, wie ich es von fußkranken Landstreichern kannte. Wir starrten ihn schweigend an und warteten darauf, dass er redete.
Er sagte kein Wort, kam nur mühsam zum Tisch und zeigte mit der Hand auf den Sekt. Der Redakteur füllte ein Glas und schob es ihm hin. Er leerte es, und das schien ihm gutzutun, denn der Geist seines alten Lächelns zuckte auf seinem Gesicht.
„Was um alles auf der Welt haben Sie bloß gemacht?“, fragte der Mediziner.

Er habe die Maschine in der Werkstatt an diesem Nachmittag fertiggestellt, berichtet der Zeitreisende. Gegen 16 Uhr habe er sich in den Sattel gesetzt und den Starthebel gedrückt. Daraufhin sei er in die Zukunft gerast, bis ins Jahr 802 701. In den letzten vier Erdstunden habe er volle acht Tage erlebt.

Der Zeitreisende landete vor der weißen Statue einer Sphinx im Themsetal. Sicherheitshalber schraubte er die kleinen Hebel ab, die erforderlich waren, um die Maschine in Gang zu setzen. Währenddessen näherten sich furchtlos kleine zarte menschliche Wesen, die in einer dem Ankömmling fremden Sprache plauderten. Männer und Frauen waren nicht nur alle gleich gekleidet, sondern unterschieden sich auch nicht im Körperbau. Sie ernährten sich ausschließlich von Obst, und der Zeitreisende sah während seines Aufenthalts dort keine Tiere. Offenbar waren sie ausgestorben.

Ich sah eine Menschheit in glanzvollen Unterkünften, herrlich gekleidet, aber bis jetzt hatte ich noch niemanden gesehen, der arbeiten musste. Es gab keinerlei Zeichen von Anstrengung, weder soziale noch ökonomische Kämpfe. Geschäfte, Reklame und Warenhandel – all der Kommerz, der unsere Welt ausmacht, war verschwunden. Es lag wohl nahe, dass ich an diesem goldenen Abend glaubte, ein soziales Paradies gefunden zu haben.

Die Eloi – diesen Namen gab ihnen der Zeitreisende – verhielten sich naiv und freundlich, aber er fand sie auch träge und wunderte sich darüber, wie schnell sie ermüdeten.

Zum ersten Mal wurde mir eine unerwartete Folge der sozialen Veränderungen bewusst, um die wir uns derzeit bemühen. Aber wenn man darüber nachdenkt, ist die Entwicklung vollkommen logisch. Stärke erwächst aus der Not, Sicherheit fördert Schwäche. Die Verbesserung der Lebensumstände – jener Prozess der Zivilisierung, der das Leben immer sicherer machte – war unaufhaltsam vorangeschritten, von einem Höhepunkt zum nächsten. Ein Triumph der vereinten Menschheit über die Natur war dem anderen gefolgt.

Was sind die Ursachen für die menschliche Energie und Intelligenz? Wenn die Biologie nicht bloß ein Haufen Unsinn ist, dann sind es harte Lebensumstände und Freiheit – Bedingungen, unter denen die Aktiven, Starken und Schlauen überleben und die Schwächeren scheitern.

Es ist ein […] Naturgesetz, dass intellektuelle Beweglichkeit die Reaktion auf Veränderungen, Gefahr und Probleme ist.

Unter den neuen Bedingungen perfekten Komforts und völliger Sicherheit, musste die rastlose Energie, die unsere Stärke ausmacht, in Schwäche umschlagen.

Als der Zeitreisende von einer Exkursion auf einen Hügel zurückkam, erschrack er: Seine Maschine war weg! Schleifspuren wiesen darauf hin, dass sie ins Innere des Bronzesockels der Sphinx gebracht worden war. Sobald ein Eloi vorbeikam, zeigte er auf die Bronzetüren und versuchte seinen Wunsch verständlich zu machen, dass sie geöffnet wurden. Aber die Wesen rannten davon, als wären sie aufs Schlimmste beleidigt worden. Vergeblich hämmerte der Zeitreisende mit einem großen Stein gegen die Bronzetüren. Obwohl der Krach meilenweilen zu hören war, kam niemand, um ihn daran zu hindern oder die Türen zu öffnen.

Der Zeitreisende fand sich zunächst mit der Situation ab. Für den Fall, dass er im Jahr 802 701 hätte bleiben müssen, wäre es ohnehin wichtig gewesen, die Umwelt weiter zu erkunden.

Ihm fiel auf, dass es sehr viel heißer war als Ende des 19. Jahrhunderts. Erklären konnte er sich das nicht.

Vom Ufer der Themse aus beobachtete er Eloi beim Baden. Als eine der kleinen Frauen von der Strömung mitgerissen wurde, unternahm niemand etwas, um sie zu retten. Nur der Zeitreisende rannte los, holte die junge Frau aus dem Wasser und rubbelte sie tüchtig ab, bis sie wieder zu sich kam. Sie hieß Weena und folgte ihrem Retter fortan wie ein Kind überall hin.

Wasserlose Brunnenschächte und flimmernde Luft über Türmen ließen den Zeitreisenden auf ein unterirdisches Belüftungssystem schließen. Er begann zu ahnen, warum es bei den Eloi weder Arbeit noch Maschinen gab. Die Werkstätten und Fabriken befanden sich offenbar unter der Erde. Die Menschheit hatte sich geteilt. Der Zeitreisende vermutete die Arbeiter – er nannte sie Morlocks – in einem Schacht- und Tunnelsystem.

Lebt der Arbeiter im East End nicht heute schon unter künstlichen Bedingungen, die ihn von der natürlichen Erdoberfläche nahezu abschneiden?

Der Zeitreisende ging davon aus, dass die Eloi die Morlocks für sich arbeiten ließen und sie ausbeuteten. Um seine Annahmen zu überprüfen, kletterte er in einen Brunnenschacht. Entsetzt sah ihm Weena dabei zu. Er geriet in eine riesige Höhle, in der bei völliger Dunkelheit affenähnliche Wesen herumhuschten und eine gewaltigte Maschine stampfte. Sobald er ein Streichholz aufflammen ließ, um etwas zu sehen, stoben die lichtscheuen Morlocks mit ihren riesigen Augen davon, aber sie griffen ihn immer dreister an und es gelang ihm nur mit Mühe, aus dem Schacht zu klettern.

In der Höhle hatte der Zeitreisende Blut gerochen und im Licht eines Streichholzes Fleisch auf einem Tisch gesehen. Die Morlocks waren also keine Vegetarier wie die Eloi. Der Zeitreisende sträubte sich zunächst gegen die Erkenntnis, die auch erklärte, warum es unter den Eloi keine Alten und Kranken gab: Nicht die Eloi hatten die Morlocks versklavt, sondern die Morlocks hielten sich die Eloi wie die Bauern das Vieh. Die Kannibalen ernährten sich von ihnen.

Die Eloi waren lediglich Mastvieh, das die ameisengleichen Morlocks sich hielten und das sie schlachteten, ja vielleicht sogar züchteten.

Die Unterwelt-Menschen waren ständig in Kontakt mit Maschinen, die – auch wenn sie noch so perfekt sind – doch stets einiger Gedanken bedürfen, die über bloße Gewohnheit hinausgehen, und hatten daher vermutlich mehr Initiative behalten als die Oberwelt-Menschen, auch wenn sie andere menschliche Eigenschaften weitestgehend verloren hatten.

Auf der Suche nach einem sicheren Zufluchtsort gelangten der Zeitreisende und Weena in die Ruinen eines grünen Porzellanpalasts. Das war früher das Naturkundemuseum in South Kensington gewesen. Von einem der ehemaligen Exponate brach er einen Metallhebel ab, der sich als Schlagwaffe benutzen ließ. Nachdem er seine eigenen Streichhölzer bei der Flucht vor den Morlocks verbraucht hatte, war er froh, eine Schachtel mit Streichhölzern zu finden. Außerdem nahm er etwas Kampfer aus einem verschlossenen Glasgefäß mit. Noch mehr freute er sich über zwei Dynamitstangen – bis er feststellte, dass es sich um Attrappen handelte.

Der grüne Porzellanpalast war offenbar mit der unterirdischen Welt verbunden und bot deshalb keinen Schutz. In der Neumondnacht verfolgten Morlocks das flüchtende Paar im dunklen Wald. Der Zeitreisende entzündete schließlich ein Reisig-Feuer, um die Angreifer auf Abstand zu halten.

Auf dem linken Arm trug ich meine Kleine, in der Rechten hielt ich die Eisenstange.

In einiger Entfernung von dem Feuer, das auf umliegende Sträucher übergriff, kamen die Morlocks erneut heran. Um ein Streichholz entzünden zu können, musste der Zeitreisende Weena absetzen. Sofort wurde sie von Morlocks attackiert, bis er diese mit einem hell leuchtenden Kampferbrocken zurück in den Schatten trieb. Er hob Weena auf und versuchte, sie wiederzubeleben. Inzwischen hatte er die Orientierung verloren. Schließlich wollte er ein weiteres Streichholz anzünden – aber die Morlocks hatten ihm die Schachtel gestohlen. Er fand nur noch ein paar vereinzelte Streichhölzer.

Die Morlocks packten jetzt fester zu. Ich begriff, was geschehen war: Ich hatte geschlafen und das Feuer war ausgegangen.

Aber dann traute er seinen Augen nicht: Die Morlocks flüchteten! Er drehte sich um und sah, dass das erste Feuer einen Waldbrand ausgelöst hatte. Weena war nicht mehr da. Dem Zeitreisenden blieb nichts anderes übrig, als den Morlocks zu folgen. Weena wäre ohnehin nicht mehr zu retten gewesen.

Die Bronzetüren der Sphinx standen offen, und er sah seine Maschine im Inneren. Während er sie untersuchte, geschah, womit er bereits gerechnet hatte: Die Bronzetüren schlossen sich. Die Morlocks hatten ihn in eine Falle gelockt. Aber sie wussten nichts von der Funktion der Zeitmaschine, die nicht aufzuhalten war, sobald der Starthebel gedrückt wurde.

Schon hörte ich das glucksende Kichern, mit dem die Morlocks sich näherten. Ganz ruhig steckte ich ein Streichholz an – oder versuchte es jedenfalls. Ich brauchte ja nur die Steuerungshebel anzuschrauben, um wie ein Geist zu verschwinden. Aber ich hatte etwas übersehen: Die Streichhölzer waren von der infernalischen Sorte, die man nur an der Schachtel entzünden kann.

Von den Morlocks bedrängt, tastete der Zeitreisende im Dunkeln nach den Stutzen und schraubte die Hebel an. Im letzten Augenblick startete er – aber in der Aufregung weiter in die Zukunft, weil er vergessen hatte, den Rückwärtsgang einzulegen.

30 Millionen Jahre in der Zukunft bremste er ab.

Schließlich, bevor ich endlich zum Stehen kam, stand die Sonne riesig und rot mit dumpfer Hitze über dem Horizont, eine gewaltige Kuppel ohne jede Bewegung, die nur hin und wieder für Augenblicke erlosch. Eine Weile glühte sie noch etwas heller, dann fiel sie wieder in brütende rote Hitze zurück. Aus der Verlangsamung von Sonnenaufgang und -untergang schloss ich, dass auch die Gezeiten zum Stillstand gekommen sein mussten. Die Erde hatte aufgehört sich zu drehen und zeigte nur noch mit einer Seite zur Sonne, so wie uns in unserer heutigen Zeit auch der Mond.

Der zurückgekehrte Zeitreisende beendet seinen Bericht:

Ich schaute auf die Uhr und sah, dass es beinahe acht war. Ich hörte eure Stimmen und das Klappern der Teller. Ich zögerte – ich fühlte mich so schwach und elend. Dann roch ich den guten, gesunden Braten und machte die Tür auf. Den Rest wissen Sie. Ich habe mich gewaschen, ich habe gegessen und jetzt erzählte ich euch die Geschichte.

Am nächsten Tag sucht der Ich-Erzähler den Zeitreisenden noch einmal auf, aber der ist beschäftigt und bittet ihn, zu warten, während er mit einer Kamera zur Werkstatt geht.

„Ich brauche nur eine halbe Stunde“, sagte er. „Ich weiß, warum Sie gekommen sind, und es ist wirklich sehr nett von Ihnen. Da drüben sind ein paar Zeitschriften. Wenn Sie zum Essen bleiben, räume ich alle Zweifel an meiner Zeitreise aus.“

Plötzlich fällt dem Ich-Erzähler ein, dass er eine andere Verabredung hat, die er gerade noch einhalten könnte, wenn er sofort aufbräche. Um sich kurz vom Hausherrn zu verabschieden, betritt er die Werkstatt. Der Zeitreisende ist nicht da. Auch die Zeitmaschine fehlt. Der Besucher begreift, was geschehen ist und beschließt, nun doch auf die Rückkehr des Zeitreisenden zu warten, statt sich mit Mr Richardson zu treffen.

Aber inzwischen fürchte ich, dass ich ein Leben lang warten muss. Der Zeitreisende ist vor drei Jahren verschwunden. Und wie jeder weiß, ist er nie zurückgekehrt.

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Man kann den Roman „Die Zeitmaschine“ von Herbert George Wells als Gesellschaftskritik verstehen, als Kritik an den Verhältnissen Ende des 19. Jahrhunderts in Großbritannien oder auch allgemein an der kapitalistischen Klassengesellschaft.

Auf jeden Fall handelt es sich bei „Die Zeitmaschine“ um eine Dystopie. Im Epilog heißt es denn auch:

Der Zeitreisende – das weiß ich, weil wir darüber schon lange vor dem Bau der Zeitmaschine gesprochen hatten – glaubte nicht an den Fortschritt der Menschheit.

Vor H. G. Wells hatte bereits der amerikanische Schriftsteller Edward Page Mitchell (1852 – 1927) über eine Zeitmaschine und eine Zeitreise geschrieben: In seiner am 18. September 1881 veröffentlichten Kurzgeschichte „The Clock That Went Backward“ reist der Erzähler ins Jahr 1574 zurück.

Der 1895 veröffentlichte Roman „Die Zeitmaschine“ von H. G. Wells basiert auf der Theorie, dass reale Gegenstände nicht drei, sondern vier Dimensionen aufweisen: Höhe, Breite, Tiefe – und Zeit. In dieser Raumzeit wären Zeitreisen in die Zukunft denkbar. Die Vorstellung einer Reise in die Vergangenheit – wie in Edward Page Mitchells Kurzgeschichte – stößt allerdings auf ein logisches Problem: Was geschähe, wenn der Zeitreisende einen seiner Vorfahren töten – und auf diese Weise seine eigene Zeugung unmöglich machen würde?

Herbert George Wells beschäftigt sich in „Die Zeitmaschine“ mit Folgerungen aus dem Darwinismus für die zukünftige Evolution. Im Jahr 802 701 findet der Zeitreisende nur noch zwei Menschenrassen vor: Die Nachfahren der Oberschicht sind aufgrund fehlender Herausforderungen zu hübschen und freundlichen, aber auch müßigen und schlaffen Vegetariern degeneriert. Aus der Ende des 19. Jahrhunderts ausgebeuteten Arbeiterschaft sind dagegen aggressive Kannibalen hervorgegangen, die noch immer die Maschinen am Laufen halten. Die Machtverhältnisse haben sich umgekehrt: Die Morlocks beherrschen die Eloi.

Während H. G. Wells den Finsterlingen einen englisch klingenden Namen gibt, wählt er für die degenerierten Müßiggänger eine griechisch klingende Bezeichnung.

Der Zeitreisende landet neben einer Statue der Sphinx, also einer Figur aus der griechischen Mythologie, die für Unheil und Zerstörung steht. Vermutlich ist es kein Zufall, dass der Zeitreisende in einen Nagel tritt und hinkt. H. G. Wells könnte dabei an Ödipus gedacht haben, dem die Eltern Laios und Iokaste nach der Geburt die Füße durchstechen lassen, bevor er ausgesetzt wird. Während Ödipus in der griechischen Mythologie den Vater ermordet und mit der Mutter kopuliert, sind die Verhältnisse in „Die Zeitmaschine“ umgekehrt: Bei der Geliebten des Zeitreisenden ebenso wie bei den von ihm erschlagenen Morlocks handelt es sich um seine Nachfahren.

In dem Roman „Die Zeitmaschine“ spielt Herbert George Wells mit den Zeitebenen. Die Rahmenhandlung spielt zur Zeit der Entstehung des Buches, also Ende des 19. Jahrhunderts. Darüber lässt H. G. Wells einen namenlosen Ich-Erzähler zu Wort kommen. Dadurch erfahren wir von dem Zeitreisenden, der seinerseits in der Ich-Form von seinem Abenteuer berichtet, paradoxerweise in einer Rückblende, obwohl die Ereignisse erst in ferner Zukunft stattfinden. Sind diese literarisch ohne weiteres möglichen Zeitsprünge in der Handlung nicht auch eine Form von Zeitreisen, wenn auch nur in Gedanken?

Die Exposition des Romans „Die Zeitmaschine“ – die Szene mit den Erläuterungen der Raumzeit – veröffentlichte H. G. Wells 1893 in „The National Observer“. Im Jahr darauf erweiterte er die Kurzgeschichte zum Roman, dessen Vorabdruck im Januar 1895 begann und der am 29. Mai 1895 unter dem Titel „The Time Machine. An Invention“ herauskam. Eine erste deutschsprachige Übersetzung erschien 1904 unter dem Titel „Die Zeitmaschine“.

Den Roman „Die Zeitmaschine“ von H. G. Wells gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Götz Otto (Übersetzung: Annie Reney und Alexandra Auer, Hamburg 2016).Seit Januar 2017 bietet die dtv Verlagsgesellschaft eine deutsche Neuübersetzung von Lutz-W. Wolff an, und zwar mit einem umfangreichen Anhang, der nicht nur H. G. Wells‘ Vorwort zur Ausgabe von 1931 enthält, sondern außerdem ein Nachwort von Lutz-W. Wolff („Ein Mann von Genie“), Anmerkungen und Fußnoten sowie eine tabellarische Biografie von Herbert George Wells („Zeittafel“).

Der Roman „Die Zeitmaschine“ von H. G. Wells wurde mehrmals verfilmt, so zum Beispiel von George Pal und Simon Wells.

Die Zeitmaschine – Originaltitel: The Time Machine – Regie: George Pal – Drehbuch: David Duncan nach dem Roman „Die Zeitmaschine“ von H. G. Wells – Kamera: Paul Vogel – Schnitt: George Tomasini – Musik: Russell Garcia – Darsteller: Rod Taylor, Alan Young, Yvette Mimieux, Sebastian Cabot, Tom Helmore. Whit Bissell, Doris Lloyd u.a. – 1960; 100 Minuten

Die Zeitmaschine – Originaltitel: The Time Machine – Regie: Simon Wells – Drehbuch: John Logan nach dem Drehbuch von David Duncan und dem Roman „Die Zeitmaschine“ von H. G. Wells – Kamera: Donald McAlpine – Schnitt: Wayne Wahrman – Musik: Klaus Badelt – Darsteller: Guy Pearce, Samantha Mumba, Orlando Jones, Mark Addy, Jeremy Irons, Omero Mumba, Sienna Guillory u.a. – 2002; 105 Minuten

In dem Film „Flucht in die Zukunft“ von Nicholas Meyer flieht Jack the Ripper mit einer Zeitmaschine und wird von H. G. Wells, dem Erfinder des Geräts, verfolgt.

Flucht in die Zukunft – Originaltitel: Time after Time – Regie: Nicholas Meyer – Drehbuch: Nicholas Meyer – Kamera: Paul Lohmann – Schnitt: Donn Cambern – Musik: Miklós Rózsa – Darsteller: Malcolm McDowell, David Warner, Mary Steenburgen, Charles Cioffi, Patti D’Arbanville, Corey Feldman u.a. – 1979; 105 Minuten

Carl Grunert schrieb 1908 eine Fortsetzung zu „Die Zeitmaschine“: „Pierre Maurignacs Abenteuer“ (auch: „Das Zeitfahrrad“). Ein anderes Sequel trägt den Titel „Die wiedergefundene Zeitmaschine“ und wurde 1914 von Wilhelm Bastiné veröffentlicht. Egon Friedell verfasste die Persiflage „Die Reise mit der Zeitmaschine. Phantastische Novelle“ (auch: „Die Rückkehr der Zeitmaschine“), die 1946 posthum gedruckt wurde. Christopher Priest verknüpft in seinem 1976 veröffentlichten Roman „Sir Williams Maschine“ die Handlungen der Romane „Die Zeitmaschine“ und „Krieg der Welten“ von H. G. Wells. 1979 erschien der Thriller „Time After Time“ / „Flucht ins Heute“ von Karl Alexander mit dem Protagonisten H. G. Wells. Eine weitere Fortsetzung, in der Stephen Baxter aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse einbringt, trägt den Titel „Time Ships“ / „Zeitschiffe“ (1995). In dem Roman „Morlock Night“ / „Die Nacht der Morlocks“ (1979) von Kevin Wayne Jeter fällt die Zeitmaschine den Morlocks in die Hände, und sie führen damit eine Invasion ins viktorianische London durch.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2017
Textauszüge: © dtv Verlagsgesellschaft

Herbert George Wells (Kurzbiografie / Bibliografie)

Herbert George Wells: Der Unsichtbare
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