John Updike : Gertrude und Claudius

Gertrude und Claudius
Originalausgabe: Gertrude and Claudius Alfred A. Knopf, New York 2000 Gertrude und Claudius Übersetzung: Maria Carlsson Rowohlt Verlag, Reinbek 2001
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die dänische Prinzessin Gertrude, die ihrem Vater gehorchte und mit 17 den Recken Hamlet heiratete, fängt nach 30 Jahren Ehe heimlich ein Verhältnis mit ihrem Schwager Claudius an und glaubt, sie habe ein Recht, endlich einmal selbst über sich zu bestimmen. Es dauert jedoch nicht lang, bis König Hamlet den Ehebruch durchschaut. Um die zu erwartende Strafe abzuwenden und dem Oberkämmerer, der dem Liebespaar seinen Landsitz zur Verfügung stellte, das Leben zu retten, vergiftet Claudius seinen Bruder ...
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Kritik

In seinem witzigen, ironischen, tragikomischen und unterhaltsamen Roman "Gertrude und Claudius" erzählt John Updike die Vorgeschichte der Shakespeare-Tragödie "Hamlet".
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1. Teil

Der dänische König Rorik bringt seine widerstrebende siebzehnjährige Tochter Gerutha dazu, aus Staatsräson die Ehefrau des dreizehn Jahre älteren jütischen Recken Horwendil zu werden, der den feindlichen norwegischen König Knoll im Kampf tötete und danach dessen Schwester Sela schändete und erschlug. Rorik ist Witwer und hat außer Gerutha keine Kinder; seine Frau Ona, eine wendische Fürstin, die er nach der Tötung ihres Vaters als Gefangene von einem Eroberungszug mitgebracht hatte, war drei Jahre nach Geruthas Geburt gestorben. Horwendil hat einen achtzehn Monate jüngeren Bruder namens Feng, der sich als Söldner in Europa herumtreibt und auch nicht zur Vermählung Horwendils nach Dänemark kommt.

Nach der Hochzeitsfeier im königlichen Schloss in Helsingør nimmt Horwendil seine frisch angetraute Frau mit auf sein Lehngut Odinsheim. Während Gerutha sich entkleidet, schläft Horwendil ein. Erst am nächsten Morgen wird die Hochzeit vollzogen und das blutbefleckte Laken vor vier Zeugen ausgebreitet: einem Arzt, einem Priester, einem königlichen Schreiber und dem Oberkämmerer des Königs.

Als Rorik bald darauf im Sterben liegt, kümmert seine Tochter sich um ihn, und sobald er tot ist, zieht auch Horwendil ins königliche Schloss in Helsingør, ohne seine Wahl zum Nachfolger abzuwarten – was dem Oberkämmerer und anderen Höflingen sehr missfällt.

Mit achtzehn wird Gerutha Mutter eines Sohnes, der den Namen Amleth erhält. Der Prinz bleibt ein Einzelkind.

2. Teil

Der dänische König Horvendile ist erzürnt über den Thronfolger, seinen neunundzwanzigjährigen Sohn Hamblet, weil dieser in Wittenberg studiert, statt sich in Helsingør auf die Staatsgeschäfte vorzubereiten.

Der Witwer Corambis, der schon unter König Rodericke Oberkämmerer gewesen war, trägt Horvendile noch immer nach, dass dieser sich bereits vor seiner Wahl zum Nachfolger seines verstorbenen Schwiegervaters in dessen Schloss einquartiert hatte. König Horvendile wiederum misstraut dem Oberkämmerer und hat sich vorgenommen, ihn bald zu entlassen.

Corambis hat zwei Kinder: Sein Sohn Laertes, der beste Freund des Prinzen Hamblet, studiert in Paris. Seine siebzehnjährige Tochter Ophelia würde er gern mit Hamblet verheiraten, zumal er weiß, dass die beiden sich lieben, aber der Prinz zögert mit seiner Entscheidung.

Die inzwischen siebenundvierzig Jahre alte Königin Geruthe hätte ihren Sohn Hamblet und Corambis‘ Tochter Ophelia auch gern als Ehepaar gesehen. In einem Gespräch mit dem Oberkämmerer bedauert sie, selbst nie ein eigenes Leben gehabt zu haben:

„Ich war die Tochter meines Vaters und wurde die Frau eines unzugänglichen Ehemannes und die Mutter eines abwesenden Sohnes. Wann, sagt mir, werde ich der Person gerecht, die ich in mir trage, der Seele, der inneren Stimme, die ich unaufhörlich vernehme, die nach Ausdruck gesucht hat mit dem ersten blutigen Schrei, den ich tat, als ich aus meiner Mutter zerrissenen Lenden hervorgestoßen wurde?“ (Seite 121)

Unter dem Vorwand, hin und wieder ein paar Stunden allein verbringen zu wollen, lässt Geruthe sich von Corambis die Schlüssel zu dessen Landsitz geben. Dort trifft sie sich heimlich mit ihrem Schwager Fengon, der sich nicht mehr so viel in Europa herumtreibt, sondern wegen Geruthe mehr Zeit in Helsingør verbringt. Bei den ersten Verabredungen plaudern Fengon und Geruthe nur, aber dann schlafen sie miteinander.

An ihres Vaters Hof war keine Dirne lüsterner gewesen, als sie es jetzt war. Geruthe stellte fest, dass sie sogar an der Täuschung Geschmack fand, am geilen Doppelspiel, zwei Männer zu haben. (Seite 166)

Geruthe glaubt, sie habe ein Recht auf persönliches Glück. Zu Fengon sagt sie:

„Seit den qualvollen Wehen bei Hamblets Geburt sind Leben und Königtum in meiner Schuld. Vielleicht habe ich mich jetzt entschlossen, diese Schuld einzutreiben. Mein Vater und der Mann, der mein Gemahl werden wollte, haben mich gemeinsam wie eine Hökerware behandelt, und du hast mir meinen eigentlichen Wert wiedergegeben.“ (Seite 176)

Das Verhältnis bleibt nicht auf Dauer ein Geheimnis: Fengons Diener Sandro verrät es dem König und erhält dafür freies Geleit in seine Heimat Kalabrien. Horvendile lässt seinen Bruder rufen und stellt ihn zur Rede. Sobald die Verhandlungen mit einer polnischen Delegation abgeschlossen sind, will der König handeln: den untreuen Oberkämmerer töten, Fengon verbannen und dessen Besitzungen konfiszieren; Geruthe wird weiter die Gemahlin des Königs und Mutter des Thronfolgers sein müssen.

Corambis, der das Gespräch hinter einem Wandteppich verborgen belauschte und darüber erschrak, weist Fengon darauf hin, dass Horvendile nachmittags ein Schläfchen im Pavillon des ummauerten Obstgartens zu halten pflegt und dabei nicht bewacht wird. Noch am selben Nachmittag lauert Fengon seinem Bruder auf, wartet bis dieser eingeschlafen ist und träufelt ihm ein tödliches Gift ins Ohr. Eine Stunde später, als die ahnungslose Königin nach ihrem Gemahl suchen lässt, wird die Leiche entdeckt. Fengon und Corambis setzen das Gerücht in Umlauf, der König sei von einer Giftschlange gebissen worden.

Da Prinz Hamblet seit zehn Jahren in Wittenberg studiert, wird statt ihm sein Onkel Fengon zum neuen König gewählt.

3. Teil

Zum Begräbnis seines gleichnamigen Vaters kommt Prinz Hamlet kurz nach Helsingør, aber er wechselt weder mit seiner Mutter Gertrude noch mit seinem Onkel Claudius mehr als ein paar Worte und kehrt sofort wieder nach Wittenberg zurück. Claudius, der seinem verstorbenen Bruder Hamlet auf den dänischen Thron gefolgt ist, zürnt seinem Neffen deshalb.

Gertrude, die inzwischen achtundvierzigjährige Königin und heimliche Geliebte ihres Schwagers Claudius, ist allerdings nicht unglücklich über die Abwesenheit ihres Sohnes:

„Ich bin froh, dass der Junge nicht in Helsingør ist! Er würde mir düster ins Gewissen reden. Er würde alles tun, um mir das Gefühl zu geben, dass ich oberflächlich und dumm und böse bin.“ (Seite 210)

Einen Monat nach dem Tod ihres Ehemanns Hamlet heiratet Gertrude ihren Schwager Claudius.

Der Oberkämmerer, der beim jüngsten Thronwechsel den Namen Polonius angenommen hat, verplappert sich wenige Wochen später und behauptet, König Claudius habe ihm das Leben gerettet und durch eine mutige Tat auch der Königin geholfen. Gertrude fragt Claudius, was Polonius damit gemeint habe, aber der König tut die Äußerungen als Gerede eines verwirrten Greises ab und kündigt dessen Entlassung an.

Als der dreißigjährige Prinz Hamlet wieder einmal nach Helsingør kommt, überreden Gertrude und Claudius ihn, bei ihnen zu bleiben.

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In seinem Roman „Gertrude und Claudius“ erzählt John Updike gewissermaßen die Vorgeschichte der Shakespeare-Tragödie „Hamlet“. Witzigerweise bestätigt John Updike die Beschuldigungen gegen Gertrude und Claudius, die Hamlet von Shakespeare in den Mund gelegt wurden. Er malt den Ehebruch und den Brudermord aus, erklärt dabei jedoch auch die Motive und sorgt dafür, dass die Leser Sympathie und Verständnis für das Liebespaar aufbringen. Im Mittelpunkt des Romans über eine Dreiecks-Beziehung steht Gertrude, eine Frau, die sich nach Selbstbestimmung und Erfüllung ihrer Sexualität sehnt.

Geschickt spielt John Updike mit dem Vorwissen des Lesers, der Intertextualität und den Charakteren, die wir aus „Hamlet“ zu kennen glauben. Er beendet seinen ironischen, tragikomischen und unterhaltsamen Roman „Gertrude und Claudius“ mit den Worten:

Den vertuschten Mord einmal beiseite gelassen, ist Claudius allem Anschein nach ein fähiger König, Gertrude eine edle Königin, Ophelia ein Kleinod von einem Mädchen, Polonius ein Umstandskrämer, aber kein übler Ratgeber, Laertes ein angenehmer junger Mann. Hamlet reißt sie alle in den Tod. (Seite 268)

„Gertrude und Claudius“ ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil verwendet John Updike die Namen aus der lateinischsprachigen „Historiae Danorum“ des dänischen Geschichtsschreibers Saxo Grammaticus (Erstausgabe: Paris 1514). Die Namen im zweiten Teil stammen aus einer Übersetzung der Hamlet-Sage durch den französischen Gelehrten François de Belleforest: „Histoires Tragiques“ (Paris 1576). Corambis bzw. Corambus, der Name des Oberkämmerers, tauchte erst später auf, etwa in dem deutschen Drama „Der bestrafte Brudermord oder Prinz Hamlet von Dänemark“ (Manuskript: 1710, Druck: 1781). Im letzten Teil hält John Updike sich an die von William Shakespeare in „Hamlet“ vorgegebenen Namen.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2007
Textauszüge: © Rowohlt Verlag

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