Hinter der Tür

Hinter der Tür

Hinter der Tür

Hinter der Tür – Originaltitel: The Door – Regie: István Szabó – Drehbuch: István Szabó, Andrea Vészits, nach dem Roman "Hinter der Tür" von Magda Szabó – Kamera: Elemér Ragályi – Schnitt: Réka Lemhényi – Darsteller: Helen Mirren, Martina Gedeck, Károly Eperjes, Gábor Koncz, Enikö Börcsök, Mari Nagy, Ági Szirtes, Péter Andorai, Erika Marozsán u.a. – 2012; 95 Minuten

Inhaltsangabe

Nach der Aufhebung ihres Publikations­verbots will Magda endlich wieder an einem Roman arbeiten. Deshalb fragt sie die Nachbarin Emerenc, ob sie bereit sei, ihr und ihrem Mann den Haushalt zu führen. So treffen zwei grundverschiedene Frauen aufeinander: Magda ist eine Kultur­schaf­fende, die vom Staat einen Preis ent­gegen­nimmt und gut gekleidet zur Kirche geht. Emerenc ist eine ärmliche, naturverbundene Person, die keine Autoritäten anerkennt, sondern selbst zu wissen glaubt, was gut und böse ist. Von Büchern und anderen Illusionen hält die schroffe, kauzige und strenge Alte nichts ...
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Kritik

Bei "Hinter der Tür", der Verfilmung eines Romans von Magda Szabó durch István Szabó, handelt es sich um ein ruhiges, von den beiden Hauptdarstellerinnen Helen Mirren und Martina Gedeck getragenes Kammerspiel ohne Effekthascherei.
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Das Ehepaar Magda (Martina Gedeck) und Tibor (Karoly Eperjes) zieht nach dem ungarischen Volksaufstand nach Budapest. Die Schriftstellerin, die wegen eines Publikationsverbotes jahrelang als Lehrerin arbeitete, will endlich wieder ihrer eigentlichen Profession nachgehen. Um dafür Zeit zu haben, fragt sie die Nachbarin Emerenc (Helen Mirren), ob sie bereit wäre, die Aufgaben einer Haushälterin zu übernehmen. Die ärmliche Frau, die gerade vor ihrem altmodischen Häuschen auf der gegenüberliegenden Straßenseite im Freien wäscht, verhält sich abweisend gegenüber der gut gekleideten Dame und erwidert nicht einmal deren Gruß, aber später kommt sie herüber und erklärt, dass sie die Arbeit übernehme. Ihre Lohnforderung werde sie erst in einer Woche stellen, wenn sie wisse, wie viel zu tun sei. Von Anfang an lässt Emerenc keinen Zweifel daran, dass sie nur tut, was sie für richtig hält.

Andere Nachbarn, die bereits 20 Jahre in der Straße wohnen, berichteten Magda, dass Emerenc noch nie jemanden in ihr Haus gelassen habe. Die wenigen Besucher seien im Freien bewirtet worden. Ob etwas zu verbergen sei, fragen die Leute und spekulieren darüber, dass Emerenc vielleicht gestohlene Wertsachen horte.

Magda wird von Emerenc auf Distanz gehalten; deren Wechsel zwischen Fürsorge und schroffer Unzugänglichkeit irritieren die Schriftstellerin. Emerenc rät ihr, auf ihren Mann zu achten, statt Bücher zu schreiben, die verrissen werden. Die Vermutung, dass Tibor lungenkrank sei, überrascht Magda, aber Emerenc scheint sich damit auszukennen. Sie erzählt, ihr Vater sei an Schwindsucht gestorben, als sie drei Jahre alt war. Bald darauf wurden ihre beiden jüngeren Zwillingsschwestern (Kata Pruzsián, Sára Pruzsián) unter einem Baum vom Blitz erschlagen, und die verzweifelte Mutter stürzte sich daraufhin in einen Brunnen. Emerenc wuchs bei Pflegeeltern auf und kam schließlich zu der jüdischen Familie Grossmann (Péter Nagy, Alexandra Suba).

Bei einer medizinischen Untersuchung Tibors stellt sich tatsächlich heraus, dass er am Lungenkrebs erkrankt ist. Er wird operiert und erholt sich glücklicherweise von dem Eingriff.

Das Ehepaar findet einen ausgesetzten Welpen und nimmt ihn auf. Der Rüde, den Emerenc Viola nennt, folgt allerdings nur der naturverbundenen Haushälterin, nicht den intellektuellen Besitzern.

Eines Tages bittet Emerenc die Schriftstellerin um einen Gefallen: Sie erwartet einen Besucher und würde ihn gern im Haus der Nachbarn statt in ihrem eigenen empfangen. Tibor ist ohnehin nicht da, und Magda wundert sich zwar über das Anliegen, hat aber nichts dagegen. Emerenc kocht und deckt sorgfältig den Tisch für zwei Personen, aber im letzten Augenblick sagt der erwartete Besucher ab und schützt geschäftliche Gründe vor. In ihrem Zorn verprügelt Emerenc den geliebten Hund. Fleisch und Kuchen spült sie im WC fort.

Bei jedem Wetter fegt Emerenc den Gehsteig. Magda fordert sie auf, mit in die Kirche zu kommen, aber die Nachbarin hält nichts davon und glaubt auch nicht an ein Jenseits. Arbeit, Ordnung und Sauberkeit sind ihr wichtiger, und sie weiß auch ohne Autoritäten, was gut und böse, richtig und falsch ist. Abschätzig sagt sie zu der gut gekleideten Kirchgängerin: „Es gibt zwei Arten von Menschen auf der Welt: die, die fegen, und die, die fegen lassen.“

Die Nachricht, dass die mit Emerenc befreundete Nachbarin Polett (Ági Szirtes) sich erhängt hat, erschüttert Magda. Sie kann es nicht fassen, als Emerenc unverblümt zugibt, von der Selbstmordabsicht gewusst zu haben. Während Magda meint, Emerenc hätte die Freundin davon abhalten müssen, ist Emerenc überzeugt, dass man die Entscheidungen anderer Menschen respektieren müsse.

Schließlich vertraut Emerenc der Schriftstellerin zwei weitere lang zurückliegende traumatische Erlebnisse an. Sie war noch ein Kind, als der Großvater (Dénes Ujlaky) sie zwang, beim Schlachten eines Kalbes zuzusehen, mit dem sie besonders gern gespielt hatte. Später schockierte sie den Großvater mit einem Säugling, denn er hielt es für ihr Kind, und eine unverheiratete Mutter galt damals als Schande für die Familie. Tatsächlich handelte es sich bei dem kleinen Mädchen um Évike Grossmann, die Tochter der jüdischen Familie, in der sie aufgewachsen war. Emerenc hatte Évike vor der Deportation und Ermordung durch die Nationalsozialisten bewahrt. Inzwischen lebt Évike Grossmann in den USA und schickt Emerenc regelmäßig Geld.

Am Karfreitag steht Madga gerade mit Emerenc vor der Tür des Häuschens, als ein Gewitter losbricht. Emerenc nimmt Magda mit ins Innere. Durch diesen Vertrauensbeweis erfährt die Schriftstellerin das Geheimnis: Emerenc versorgt in ihrem kleinen Haus heimlich neun Katzen.

Obwohl Emerenc erkältet ist, lässt sie sich nicht davon abbringen, den Schnee vom Gehsteig zu räumen.

Zur gleichen Zeit erhält Magda einen Anruf des Kulturministers. Er las ihr neues Buch und ist davon begeistert. Kurze Zeit später spricht das Parlament der Schriftstellerin einen Preis zu.

Als Emerenc zwei Wochen lang nicht mehr gesehen wird, sorgen sich die Nachbarn um sie. Offenbar ist sie krank. Die Nachbarn beratschlagen, ob sie die Tür aufbrechen sollen, aber Magda hält sie davon ab, denn sie weiß, dass Emerenc niemanden in ihrem Haus haben will, schon gar nicht, wenn sie krank ist. Schließlich gibt Emerenc ihr durch einen Türspalt einen toten Kater heraus. Statt den bereits nach Verwesung stinkenden Kadaver zu begraben, wirft Magda ihn in die nächste Mülltonne.

Dann fährt sie mit einem Taxi zum Parlament, um den Preis entgegenzunehmen. In einem Fernsehinterview erklärt sie, dass das Buchprojekt nur realisierbar gewesen sei, weil die Nachbarin Emerenc den Haushalt für sie geführt habe.

Als sie zurückkommt, stehen Türen und Fenster des Nachbarhäuschens offen. Man hat die Tür aufgebrochen und Emerenc ins Krankenhaus gebracht. Weil die kranke alte Frau nicht mehr dazu in der Lage war, die Räume sauber zu halten, wird der Hausrat im Garten verbrannt, und Kammerjäger desinfizieren das Innere des Gebäudes.

Magda besucht Emerenc jeden Tag im Spital, aber die Kranke will nichts von ihr wissen. In ihrer Verzweiflung greift Magda zu Lügen. Sie behauptet, allein im Häuschen gewesen zu sein und alles sauber gemacht zu haben. Ihr Ehemann habe die Tür repariert, erzählt sie weiter, der tote Kater sei begraben, und sie versorge nun die acht anderen Katzen mit rohem Fleisch. Da lächelt Emerenc, schließt Frieden mit Magda und beginnt sich zu erholen.

Wider Erwarten wollen die Ärzte Emerenc schon bald nach Hause entlassen und raten Magda, der Patientin rechtzeitig die Wahrheit zu sagen. Bevor Magda es tut, beginnt Emerenc zu ahnen, dass ihr Häuschen geräumt wurde und die Katzen fort sind. Sie fühlt sich von Magda nicht nur verraten, sondern auch belogen und wendet sich erneut von ihr ab. Bald darauf stirbt sie im Krankenhaus.

Einige Zeit später steht eine Fremde bei Magda vor der Tür. Es ist Évike Grossmann (Erika Marozsán). Sie ist aus USA gekommen und wollte nach ihrer Lebensretterin sehen. Nun erfährt sie, dass Emerenc tot ist, und Magda geht mit ihr zum Friedhof. Ein Unwetter tobt, während sie sich dem Grab nähern, aber als Magda dort um Verzeihung bittet, legt sich der Sturm, und der Himmel klart auf.

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István Szabó verfilmte den 1987 von der (nicht mit ihm verwandten) ungarischen Schriftstellerin Magda Szabó (1917 – 2007) veröffentlichten Roman „Hinter der Tür“. Eine deutsche Übersetzung des Buches erschien 1990 im Ostberliner Verlag Volk und Welt unter dem Titel „Die Tür“. Die zwei Jahre später vom Insel-Verlag gedruckte Neuübersetzung stammt von Hans-Henning Paetzke und trägt wie der Film den Titel „Hinter der Tür“.

Die Buchautorin Magda Szabó war von 1947 bis 1982 mit dem Schriftsteller und Übersetzer Tibor Szobotka verheiratet, und während sie von 1949 bis 1956 mit einem Publikationsverbot belegt war, arbeitete sie als Lehrerin. Das gilt auch für die Roman- bzw. Filmfigur Magda in „Hinter der Tür“, deren Ehemann ebenfalls Tibor heißt. Es ist wohl anzunehmen, dass die Geschichte autobiografische Züge aufweist.

Der Roman „Hinter der Tür“ beginnt mit den Worten: „Ich bin schuld an Emerencs Tod. Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass ich sie nicht umbringen, sondern retten wollte.“ Im Mittelpunkt stehen zwei grundverschiedene Frauen: Magda ist eine zur Mittel­schicht gehörende Schriftstellerin, die vom Staat einen Preis entgegennimmt, eine Intellektuelle, die gut gekleidet zur Kirche geht und nur schreiben kann, weil ihr jemand die praktische Arbeit im Haushalt abnimmt. Emerenc ist eine ärmlich lebende, naturverbundene, völlig entsexualisierte Person, die keine Autoritäten anerkennt, sondern selbst zu wissen glaubt, was gut und böse, richtig und falsch ist. Von Büchern und anderen Illusionen hält die schroffe, kauzige und strenge Alte nichts. Sie scheint aus der Zeit gefallen zu sein, aber vielleicht ist ihr schrulliges Verhalten durch traumatische Erlebnisse und schwere Enttäuschungen in ihrer Vergangenheit erklärbar.

Allerdings sucht István Szabó in „Hinter der Tür“ gar nicht nach psychologischen Deutungen bzw. erkennbaren Handlungsmustern. Stattdessen arbeitet er mit Symbolen. Während Magda Szabó in die literarische Vorlage auch tagebuchartige Reflexionen der Ich-Erzählerin Magda aufgenommen hat, verzichtet István Szabó in der Verfilmung weitgehend darauf und verlagert den Schwerpunkt dementsprechend von Magdas Schuldgefühlen zum schwierigen Verhältnis der beiden Frauen.

Während Emerenc ihre Freundin Polett nicht vom Suizid abhält, weil sie deren Willen respektiert, glaubt Magda, Emerenc‘ Leben retten zu müssen, obwohl dies nur unter Missachtung der Regeln dieser eigensinnigen Frau möglich ist. Emerenc fühlt sich von Magda verraten, weil sie die Schriftstellerin ins Vertrauen zog und diese trotzdem nicht verhinderte, dass Fremde in ihr Haus eindrangen und sie in einem peinlichen Zustand sahen.

István Szabó entwickelt die Handlung aus Magdas Perspektive, und zwar chronologisch, episodenhaft, mit eingestreuten Rückblenden in Schwarz-Weiß. „Hinter der Tür“ ist ein ruhiges Kammerspiel ohne Effekthascherei. Getragen wird der Film von zwei großartigen Schauspielerinnen: Helen Mirren und Martina Gedeck.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2015

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