Freigesprochen

Freigesprochen

Freigesprochen

Originaltitel: Freigesprochen – Regie: Peter Payer – Drehbuch: Peter Payer, nach dem Theaterstück "Der Jüngste Tag" von Ödön von Horváth – Kamera: Andreas Berger – Schnitt: Cordula Werner – Musik: Andre Mergenthaler, Walter Cikan – Darsteller: Frank Giering, Lavinia Wilson, Corinna Harfouch, Robert Stadlober, Alfred Dorfer u.a. – 2007; 95 Minuten

Inhaltsangabe

Thomas Hudetz arbeitet seit 12 Jahren gewissenhaft als Fahrdienstleiter im Bahnhof einer Kleinstadt. Eines Morgens küsst ihn die Wirtstochter Anna, mit der er schon seit der Kindheit befreundet ist. Dadurch abgelenkt, überhört Thomas ein Signal. Ein schweres Zugunglück ist die Folge. Seine Ehefrau Hanni, die den Kuss sah, verlässt ihn und sagt vor Gericht gegen ihn aus, aber mit einer Lüge bewahrt Anna ihn vor dem Schuldspruch. Die Schuld kettet die beiden aneinander ...
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Kritik

Unter dem Titel "Freigesprochen" verfilmte Peter Payer das Theaterstück "Der Jüngste Tag" von Ödön von Horváth, in dem es um Schuld und Sühne geht. Die tragische Handlung verlegte er dabei in die heutige Zeit.
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Thomas Hudetz (Frank Giering) arbeitet seit zwölf Jahren als Fahrdienstleiter im Bahnhof der österreichischen Kleinstadt, in der er mit seiner deutlich älteren Ehefrau Hanni (Corinna Harfouch) lebt. Er war in kleinbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen, aber durch die Vermählung mit der aus einer wohlhabenden Familie stammenden Hanni vor zehn Jahren gelang ihm ein sozialer Aufstieg. In seiner Freizeit ist Thomas viel mit seinem besten Freund zusammen, dem Molkerei-Fahrer Josef Schremser (Alfred Dorfer). Die beiden Männer rudern gern auf dem nahen See.

Wie an jeden Montagmorgen bringt die Wirtstochter Anna (Lavinia Wilson) ihren Verlobten Ferdinand (Robert Stadlober) zum Zug. Während der Woche bleibt er in der Stadt, wo er sich im Schlachthof ausbilden lässt. Anna studiert noch, aber die lebenslustige junge Frau nimmt das nicht allzu ernst. Sie wohnt bei ihrem Vater (Thierry van Werveke) und ihrer Stiefmutter Leni (Vera Borek), die das einzige Hotel am Ort mit mäßigem Erfolg betreiben. Ferdinand will nach der Hochzeit im Hotel seiner zukünftigen Schwiegereltern mitarbeiten. Anna lässt sich von ihm verwöhnen und schätzt seine sexuelle Potenz, aber seine Kleinbürgerlichkeit stößt sie ab.

Nach der Abfahrt des Zuges schaut Anna in den Kontrollraum des Bahnhofs, um ein paar Worte mit Thomas zu reden, mit dem sie seit der Kindheit befreundet ist. An diesem Morgen setzt die Bahn wegen einer Lkw-Blockade Sonderzüge ein. Vom Fahrdienstleister erfordert das eine überdurchschnittliche Konzentration. Aber ein unerwarteter Kuss Annas lenkt Thomas ab, und er überhört ein Signal. Sobald ihm das bewusst wird, blickt er entsetzt auf die Kontrollanzeige. Anna versucht ihn zu beruhigen: „Es ist doch nichts passiert.“

Aber die Schranken an einem Bahnübergang wurden wegen der Unachtsamkeit nicht rechtzeitig geschlossen. Als Josef mit seinem Lieferwagen übers Gleis fährt, erfasst ihn ein Eilzug, der daraufhin auch noch mit einem Güterzug kollidiert. Dabei kommen Josef und einundzwanzig Reisende ums Leben, einundvierzig werden schwer verletzt.

Verstört irrt Thomas durch die Trümmer, während Leichen und Verletzte geborgen werden und die Polizei Zeugen befragt.

Der Fahrdienstleiter wird in Untersuchungshaft genommen. Bei ihm in der Zelle sind der fortwährend schluchzende Maxim (Jiri Maria Siebert), ein Tscheche, der seine Frau erstach, und der selbstgefällige Drogenhändler Jens (Michael Ostrowski). Als Thomas beteuert, noch nie einen schwerwiegenden Fehler gemacht zu haben und nur wegen eines Unfalls hier zu sein, entgegnet Jens: „Wenn meine Kunden sterben, sind es auch Unfälle.“

Hanni zieht überraschend zu ihrem Bruder Alfons (André Jung) ins Haus des greisen Vaters, um den sich der Pfleger Ivo (Dennis Cubic) kümmert. Thomas sucht sie dort auf, aber sie erklärt ihm, sie wolle erst einmal bei ihrem sterbenden Vater bleiben.

In der Gerichtsverhandlung wird Hanni von der Richterin (Josiane Peiffer) darüber belehrt, dass sie als Ehefrau des Angeklagten die Aussage verweigern könne. Von diesem Recht macht sie keinen Gebrauch. Stattdessen gibt sie zu Protokoll, dass sie gesehen habe, wie Anna und Thomas sich küssten, und zwar während der Eilzug über Lautsprecher angekündigt wurde. Weil Anna unter Eid aussagt, es sei nur ein harmloser Begrüßungskuss gewesen und Thomas habe ohne Verzögerung auf das Signal reagiert, wird der Fahrdienstleiter freigesprochen.

Nach der Verhandlung stellt er Hanni noch im Gerichtsgebäude zur Rede. Warum sie ihm nicht sagte, was sie gesehen hatte, will er wissen. Hanni meint, zu reden wäre nicht ihre, sondern seine Pflicht gewesen. Sie hätte ihm verziehen, wenn er offen zu ihr gewesen wäre. Durch sein Schweigen, sagt sie, habe er die Ehe zerstört. Kurz darauf reicht sie die Scheidung ein.

Thomas beginnt zu trinken [Alkoholkrankheit]. Obwohl er Hanni weiter liebt, lässt er sich auf eine amour fou mit Anna ein. Das Geheimnis, die Lüge und die Schuld ketten sie aneinander. Im obsessiven Geschlechtsverkehr versucht Thomas, sich von der Gewissensqual zu befreien. Aber es gelingt ihm nicht: Er assoziiert Anna mit der Schuld und die Schuld mit Anna.

Als Thomas auf dem Postamt eine Haftentschädigung ausbezahlt wird, dreht er durch: Er zertrümmert das Boot, in dem er mit Josef ruderte, zündet das Wrack an und wirft das Geld in die Flammen.

Ferdinand will nicht wahrhaben, dass Anna sich von ihm entfernt hat. Zögernd fragt er sie nach der Bedeutung des Kusses, den sie Thomas gab, und als sie beteuert, auf diese Weise Freundinnen und Freunde zu begrüßen, gibt er sich mit der Erklärung sofort zufrieden. Begeistert sucht er Kacheln für die Wohnung aus, die er mit Anna zusammen beziehen will.


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überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Wieder einmal treffen Anna und Thomas am Unglücksort zusammen. Anna zieht ihren Verlobungsring vom Finger und legt ihn auf den Boden. Dann geht sie mit Thomas auf eine Brücke und setzt sich aufs Geländer. Ohne Worte gibt sie ihm zu verstehen, dass sie vorhat, mit ihm zusammen in den Tod zu gehen. Thomas signalisiert seine Zustimmung zum erweiterten Suizid. Da lässt sie sich in die Tiefe fallen. „Nein!“, schreit Thomas verzweifelt. Er klettert übers Geländer, klammert sich jedoch fest und bringt es nicht fertig, loszulassen.

Nachdem er eine Handvoll Schlaftabletten mit Schnaps hinuntergespült hat, sucht er Annas Vater und Stiefmutter im Hotel auf. Sie glauben, dass Anna sich das Leben nahm, aber Thomas lallt, er habe sie von der Brücke gestoßen und ebenso ermordet wie seinen Freund Josef und die anderen einundzwanzig Menschen. Dann fährt er zum Unglücksort und legt sich dort auf die Schienen.

Ferdinand findet ihn. Er hat sich mit einer Eisenstange bewaffnet und will Annas Tod rächen. Vergeblich versucht er, Thomas wachzurütteln. Schließlich gibt er auf und wartet in der Nähe, bis er nächste Zug durchbraust.

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Unter dem Titel „Freigesprochen“ verfilmte der österreichische Regisseur Peter Payer das am 11. Dezember 1937 im Deutschen Theater in Mährisch-Ostrau (heute: Ostrava) uraufgeführte Schauspiel „Der Jüngste Tag“ von Ödön von Horváth. Dabei verlegte er die Handlung in die heutige Zeit. Statt von patriarchalischen Strukturen im spießigen Kleinbürgertum erzählt Peter Payer von der Individualisierung und dem Wunsch nach Selbstverwirklichung. Im Zentrum steht sowohl in „Der Jüngste Tag“ wie auch in „Freigesprochen“ ein Zugunglück, das durch einen flüchtigen Kuss zwischen zwei mit anderen Partnern verlobten bzw. verheirateten Menschen verursacht wird. Anna und Thomas geraten dadurch in eine ausweglose Lage, denn es gelingt ihnen nicht, die Schuldgefühle zu verdrängen.

Peter Payer hat die Namen des Fahrdienstleisters und seiner Frau geändert. In „Der Jüngste Tag“ heißen sie Thomas und Gertrud Tüscher, in „Freigesprochen“ Thomas und Hanni Hudetz. Ödön von Horváth schildert die Ehefrau als unbeliebt und krankhaft eifersüchtig. Bei Peter Payer handelt es sich dagegen um eine starke, selbstsichere und Anna überlegene Frau.

Den mit Thomas Hudetz befreundeten Molkerei-Fahrer Josef Schremser hat Peter Payer dem aus der literarischen Vorlage übernommen Figurenensemble hinzugefügt.

Wirklich gravierend ist der Unterschied in den Auflösungen. (In „Der Jüngste Tag“ ermordet Thomas Tüscher seine verzweifelte Geliebte, bevor diese sich das Leben nehmen kann. Statt Anna in den Tod zu folgen, lässt er sich festnehmen, steht nun zu seinen Taten und erwartet das Urteil der Justiz.)

„Freigesprochen“ beginnt im Sommer und endet im Winter. Dementsprechend werden die Farben im Verlauf des Films kälter. Selbstverständlich ist das symbolisch gemeint.

Peter Payer lässt sich Zeit, die tragische Geschichte zu erzählen. Umso mehr fällt ins Gewicht, dass die Figuren sich nach der plötzlichen Veränderung durch das Zugunglück bis zur Schlusswendung nicht groß weiterentwickeln. Das lässt „Freigesprochen“ phasenweise ein wenig langatmig wirken.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2011

 

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Bei dem Roman "Allmen und die Libellen" von Martin Suter handelt es sich nicht um anspruchsvolle Literatur, sondern um eine kurzweilige Kriminalkomödie, ein unterhaltsames Schelmenstück.
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