Son of Saul

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Son of Saul

Son of Saul – Originaltitel: Saul fia – Regie: László Nemes – Drehbuch: László Nemes, Clara Royer – Kamera: Mátyás Erdély – Schnitt: Matthieu Taponier – Musik: László Melis – Darsteller: Géza Röhrig, Levente Molnár, Urs Rechn, Sándor Zsótér, Todd Charmont, Uwe Lauer, Christian Harting, Kamil Dobrowolski, Jerzy Walczak, Marcin Czarnik u.a. – 2015; 105 Minuten

Inhaltsangabe

Der Gefangene Saul Ausländer ist in Auschwitz einem Sonderkommando zugeteilt worden, das bis zur eigenen Ermordung bei der massenweisen Vergasung anderer Juden helfen muss. Im Oktober 1944 hält er einen Jungen, der das Gas überlebt und erst von einem SS-Arzt ermordet wird, für seinen Sohn. Weil die jüdische Religion die Einäscherung von Toten verbietet, nimmt Saul sich vor, die Leiche fortzuschaffen und zu beerdigen ...
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Kritik

László Nemes wagt sich an die Inszenierung des Grauens in Auschwitz, versucht aber, den Eindruck von Authentizität zu erreichen. Für seinen Debütfilm "Son of Saul" hat er eine neuartige Filmsprache entwickelt.
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Der jüdische Gefangene Saul Ausländer (Géza Röhrig) ist im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau einem Sonderkommando zugeteilt worden, das bis zur eigenen Ermordung bei der massenweisen Vergasung anderer Juden helfen muss.

Im Oktober 1944 schauen wir ihm bei der schrecklichen Arbeit über die Schulter: Frauen und Männer werden aufgefordert, sich nackt auszuziehen und mit dem Versprechen einer heißen Suppe nach der Dusche zur Eile angetrieben. Sobald der angebliche Duschraum – also die Gaskammer – voll ist und die Stahltüren verriegelt sind, fangen Saul und die anderen aus seinem Kommando an, die Kleidung der Todgeweihten von den Haken zu reißen und zu durchsuchen. Es ist zu hören, wie die Eingeschlossenen nach dem Einströmen des Gases gegen die Wände hämmern, schreien und stöhnen. Es dauert einige Zeit, bis es still wird. Nach der Entlüftung werden die Leichen herausgezerrt. Saul beginnt, den mit Blut und Fäkalien besudelten Raum abzuspritzen und den Boden mit einer Bürste zu säubern.

Ein Junge (Gergö Farkas / Balázs Farkas) lebt noch. Er röchelt, bis ihm ein SS-Arzt eine tödliche Injektion verabreicht. Saul beobachtet es und bildet sich ein, es handele sich um seinen eigenen unehelichen Sohn. Weil die jüdische Religion die Einäscherung von Toten verbietet, nimmt er sich vor, den Jungen nach den Regeln des Glaubens zu bestatten. Der ungarisch-jüdische Mediziner Dr. Miklos Nyiszli (Sándor Zsótér), der die Leiche obduzieren soll, selbst ein Häftling, erklärt Saul, er könne den Toten nicht beiseiteschaffen, aber er ist bereit, dem vermeintlichen Vater am Abend heimlich eine Minute Zeit zu geben, in der er sich von dem Jungen verabschieden kann.

Hektisch sucht Saul unter den Mitgefangenen nach einem Rabbi. Mit seinem verbotenen Vorgehen droht er einen geplanten Sprengstoffanschlag auf ein Krematorium zu vereiteln. Um Saul in das Vorhaben einzubinden, bringen sie ihn dazu, ein von weiblichen Gefangenen besorgtes Sprengstoffpaket zu holen. Aber das verliert er auf dem Rückweg, als er sich – immer noch auf der Suche nach einem Rabbi – unter Juden mischt, die zur Ermordung in Höhlen getrieben werden, weil die Öfen voll sind.

Am Abend gelingt es Saul, die in einem Sack versteckte Leiche des Jungen fortzuschaffen.

Mit dem Sack auf der Schulter gerät er unter die nach der Revolte fliehenden Mitgefangenen. Sie versuchen sich über einen Fluss zu retten. Saul ist jedoch zu schwach, um den Sack in den Fluten festhalten zu können. Beinahe ertrinkt er selbst. Die Leiche treibt ab.

Mit ein paar anderen sucht Saul Zuflucht in einer Waldhütte.

Ein kleiner Bauernjunge schaut neugierig durch die offene Tür herein. Saul lächelt ihn an.

Da nähert sich ein großes Aufgebot von SS-Männern der Hütte. Während das Kind davonläuft, sind Schüsse zu hören.

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In seinem Debütfilm „Son of Saul“ zeigt der ungarische Regisseur László Nemes Jeles (* 1977), dass es in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten Gefangene gab, die ihr Schicksal nicht passiv ertrugen. Saul Ausländer macht es sich zur letzten Lebensaufgabe, einen ermordeten Jungen vor der im Judentum verbotenen Kremierung zu bewahren und ihn den Regeln des Glaubens entsprechend zu bestatten. Etwas anderes interessiert ihn nicht mehr. Es ist ein Akt der Selbstbehauptung. Saul wird jedoch nicht zu einem Helden stilisiert, wie Oskar Schindler in „Schindlers Liste“. Und „Son of Saul“ ist auch keine surreale Tragikomödie wie „Das Leben ist schön“. Das Drama gibt sich authentisch und vermittelt das Grauen.

Saul Ausländers Geschichte ist zwar fiktiv, aber in Tatsachen eingebettet.

Die Sonderkommandos in Auschwitz gab es wirklich: jüdische Gefangene mussten die Vergasungen vorbereiten, die Habseligkeiten der Ermordeten plündern und die Leichen zu den Krematorien schaffen. Ende Oktober 1944 bestanden die Sonderkommandos aus 100 Männern; zuvor, im Mai, waren 874 Gefangene dazu verdammt. Durch den Einsatz von Juden sollte nicht nur die psychische Belastung der SS-Angehörigen, sondern zugleich die Zahl lebender Zeugen minimiert werden, denn die Angehörigen der Sonderkommandos wurden regelmäßig liquidiert.

In „Son of Saul“ zeigt László Nemes einen Gefangenen, der versucht, heimlich Greueltaten zu fotografieren. Tatsächlich konnte der 31-jährige griechisch-jüdische Marineoffizier Alberto Errera, der einem der Sonderkommandos in Auschwitz-Birkenau angehörte, drei Schwarz-Weiß-Fotos weitergeben (ein viertes war eine Fehlbelichtung), bevor er ermordet wurde. Auf einem Bild sind Frauen vor der Vergasung zu sehen, und zwei weitere Bilder hatte Alberto Errera von Leichenbergen aufgenommen. Der polnische Widerstand erreichte, dass die Fotos noch während des Zweiten Weltkriegs im Ausland veröffentlicht wurden.

Am 7. Oktober 1944 rebellierten in Auschwitz die Sonderkommandos in den Krematorium III/IV. Weibliche Gefangene hatten Sprengstoff aus einer Waffen­fabrik eingeschmuggelt. 250 Aufständische flohen, nachdem sie das Krematorium IV teilweise zerstört hatten, aber sie wurden nach kurzer Zeit überwältigt und umgebracht. Weil die Gelegenheit genutzt wurde, auch unbeteiligte Gefangene zu töten, verloren 451 Menschen ihr Leben. Die vier Frauen Ala Gertner, Rózia Robota, Regina Safirsztajn und Ester Wajcblum wurden gefoltert und im Januar 1945 auf dem Appellplatz vor den Augen der anderen Gefangenen gehängt.

Die Filmfiguren sind fiktiv, bis auf den jüdischen Arzt Miklós Nyiszli (1901 – 1956), der Ende Mai 1944 mit seiner Frau und der 15-jährigen Tochter nach Auschwitz deportiert und aufgrund seiner Ausbildung einen Monat später vom Lagerarzt Josef Mengele als Pathologe im Sektionsraum des Krematoriums II beschäftigt wurde.

László Nemes bemüht sich in dem Drama „Son of Saul“ um den Eindruck von Authentizität, aber er setzt Thriller-Elemente ein, um Spannung zu erzeugen, so vor allem die Frage, ob es Saul Ausländer gelingen wird, den toten Jungen zu bestatten.

Die Handlung konzentriert sich auf den Protagonisten Saul Ausländer. Die Handkamera weicht nicht von seiner Seite. Allerdings mutet uns László Nemes nicht zu, dass sich die Bilder beispielsweise von Leichenbergen bei uns einbrennen. Deshalb ist auf den Bildern vieles nur unscharf im Hintergrund, mitunter sogar nur als Silhouette zu erahnen. Kein einziges Mal wird eine Totale aufgenommen. Das verstärkt den Eindruck der Orientierungs- und Sinnlosigkeit, zumal ständig Menschen herumhasten. Die Choreografie der Bewegungsabläufe ist sorgfältig einstudiert. Die Farben der Bilder im 4:3-Format sind düster und schmutzig.

Neuartig an der von László Nemes entwickelten Filmsprache ist vor allem der Soundtrack. Statt einer Musikuntermalung gibt es einen Klangteppich aus gebrüllten Kommandos, Schreien, Stöhnen, Schüssen, Hundegebell, Flüstern. Viele der Dialoge sind jiddisch, polnisch, russisch oder ungarisch; die deutsche Übersetzung entnehmen wir Untertiteln. Auch damit versucht László Nemes, den Eindruck von Authentizität zu erreichen. Es heißt, er habe mit Tamás Zányi monatelang an dem Soundtrack gearbeitet.

Uraufgeführt und mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde „Son of Saul“ bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes im Mai 2015. Außerdem gewann „Son of Saul“ einen „Oscar“ in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“.

Claude Lanzmann, der Regisseur des zehnstündigen Dokumentarfilms „Shoah“ (1986), lehnte „Schindlers Liste“ ab und äußerte die kategorische Meinung, dass die Shoah nicht nachzubilden sei, weil jede Inszenierung mit einer Verharmlosung einhergehe, denn anders wären die Bilder dem Publikum gar nicht zumutbar. Paradoxerweise soll er sich über „Son of Saul“ positiv geäußert haben.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016

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